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Eine ganz normale Geburt
Korrigierte Fassung
Es war Mittwochabend kurz vor 22:00 Uhr als die Wehen einsetzten. Unser erstes Kind wollte das Licht der Welt erblicken.
Ich fühlte mich bestens gewappnet, schließlich hatten wir keine einzige Übertragung von „Gebären im 22. Jahrhundert“ verpasst. Selbst als ein wichtiges Meeting mit den Japanern anstand, briefte ich kurzerhand meinen ersten Prokuristen und verließ überpünktlich die Firma. Ich fand, das war ich meinem Kind schuldig und im Übrigen hasse ich nichts mehr, als unvorbereitet zu sein.
Die Wehen kamen bereits in kürzeren Abständen. Selbstverständlich führte ich genau Buch. Es hieß, wenn ein regelmäßiger Rhythmus von cirka acht Minuten erreicht sei, könne man sich in die Klinik begeben. Nichts wäre mir peinlicher gewesen, als zu früh dort zu erscheinen und als Dilettant entlarvt wieder nach Hause geschickt zu werden. Wir hatten noch Zeit, also holte ich mir eine Flasche Bier. Leon sah mich mit Unverständnis an.
Er hatte die ganze Schwangerschaft hindurch keinen einzigen Tropfen Alkohol getrunken und das Rauchen aufgegeben.
Allerdings hatte er auch recht bald keine Lust mehr auf Sex.
So kam es, dass ich den Reizen meines erst kürzlich eingestellten Sekretärs nicht widerstehen konnte. Seine Designerhemden waren stets ein Stückchen zu weit geöffnet, so dass sich mir seine stramme Brustmuskulatur wie zufällig präsentierte. Darüber hinaus trug er ein Eau de Toilette, auf das ich ansprang wie der Pawlowsche Hund. Ich muss sagen, er verstand sein Handwerk und wusste mich zu entschädigen.
Sechs Wochen vor der Entbindung beendete ich unser Verhältnis. Leon war ob der vielen Überstunden misstrauisch geworden. Mein Sekretär spielte die versetzte Braut und zickte rum. Da ich mir als werdende Mutter diesen Stress nicht leisten wollte, schmiss ich ihn kurzerhand raus. Er war noch in der Probezeit, was die Kündigung einfach machte.
Leon hatte sich unterdessen gänzlich aufs Elternteil werden eingeschossen. Es rührte mich, wie liebevoll er das Babyzimmer eingerichtet, die komplette Ausstattung angeschafft und sich in einschlägigen Fachbüchern bereits bis zum sechsten Lebensmonat vorgearbeitet hatte.
„Schau mal, man kann schon genau die Arme und Beine erkennen.“
Selbstvergessen streichelte er über den Screen, auf dem unser Kind in zwanzigfacher Vergrößerung zu sehen war.
„Hm.“ Ich warf einen kurzen, bejahenden Blick zu ihm herüber.
„Du interessierst dich gar nicht dafür!“
„Natürlich interessiert es mich, Liebling.“
„Davon merke ich aber nichts.“
„Sei mir nicht böse, aber ich muss die Präsentation bis morgen fertig haben. Lass uns später noch mal in Ruhe die Bilder gucken. Okay?“
Er zog eine Schnute wie ein Kleinkind.
„Später, später, immer hast du nur das Geschäft im Sinn.“
„Ach, Süßer, ich muss doch ans Geschäft denken, gerade jetzt wo wir Zuwachs bekommen“, erklärte ich mit Bedacht.
Leon brach in ein hysterisches Heulen aus.
„Aber du hast es doch auch gewollt!“
Ich atmete tief durch. Natürlich hatte ich es gewollt und natürlich faszinierten mich die Bilder. Aber ich musste nicht stündlich nachsehen, ob irgendwo ein Zipfelchen dazu gekommen war.
In Anbetracht der bevorstehenden Vaterschaft schien sein Nervenkostüm recht angespannt. Also legte ich versöhnlich meinen Arm um ihn, bestätigte wie glücklich auch ich sei, während ich mit der noch freien Hand die hässlichen Fingerabdrücke vom Bildschirm wischte.
Mein Mann ließ sich ständig etwas Neues an pränataler Vorsorge einfallen.
Da Musik das werdende Gehör schulen sollte, beschallte er unser Ungeborenes mit den guten alten Klassikern wie Coldplay, Jack Johnson oder Keane. Als Zeichen meiner Anerkennung, wollte ich es ihm gleichtun und legte Marilyn Manson auf.
Ein gellendes: „Willst du einen Abortus einleiten?“ war sein Dank. Ich zog mich zurück wie ein Hund, den man nicht am Mittagstisch haben wollte.
Leon ging sogar soweit, dass er sich einer so genannten Stillgruppe anschloss. Für mich klang das nach Sekte. Er sprach von irgendeiner uralten Tradition, der man sich verpflichtet fühlte. Ich hatte keine Ahnung, aber ließ ihn gewähren.
Obwohl mir der Nutzen, die Konsistenz eines Säuglingsstuhls interpretieren zu können, schleierhaft blieb, hieß ich im Großen und Ganzen Leons Eifer gut. Einer musste schließlich Bescheid wissen, wenn das Kind erst einmal da wäre.
Was mich allerdings beunruhigte, war die Tatsache, dass Leon etwas aus dem Leim zu drohen schien. Als ich seine Bauchröllchen verschmitzt mit: „Du musst nicht für zwei essen“, kommentierte, drehte er sich beleidigt weg.
„Ich glaube, wir sollten jetzt los“, sagte er und wippte nervös mit dem Fuß, als ich nach meinen Zigaretten suchte.
Dachte er, wir könnten in einen Stau geraten? Gemeinsam stiegen wir in den Beamer und zwei Sekunden später in der Klinik wieder aus.
„Hoffentlich würde alles gut gehen“, dachte ich plötzlich und versuchte meine Aufregung vor Leon zu verbergen.
Es sollte schon Eltern gegeben haben, die mitten im Kreissaal umgekippt waren. Sofort wischte ich meine Bedenken weg, schließlich hatten wir einen der besten Entbindungsandroiden gebucht, den es zu kriegen gab.
„Eine Geburt wie im Bilderbuch“, struntzte der Android und legte mir den Winzling in den Arm.
„Wir nennen sie Leonie“, sagte ich und Leon lächelte seelig.
Stolz betrachtete ich unser Kind. Ich hatte mir so sehnlich ein Mädchen als Erstgeborene gewünscht, die eine würdige Nachfolgerin für meine Firma sein würde.
Wir schwebten auf Wolke sieben und die Kleine entwickelte sich prima.
Ich weiß nicht, ob es an dem Laufband oder an dem Duftwässerchen lag, das Leon sich nach der Geburt zugelegt hatte. Jedenfalls fand ich ihn schärfer als Chili.
In der Firma achtete ich darauf, dass, wenn der Bildschirmschoner ansprang, für jedermann das Konterfei von Leon und Leonie gut sichtbar war.
Irgendwann las ich einen Artikel, dass, seit die WBC (World-Birth-Control) im Jahre 2125 nur noch die excorporale Schwangerschaft zugelassen hatte, die Geburtenrate wieder angestiegen und die Scheidungsrate gesunken war. Ich fragte mich zwar, was das eine mit dem anderen zu tun hatte, aber konnte nur bestätigen, dass wir mit unserer neuen Rolle als Vater und Mutter überaus glücklich waren.