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Eine kleine Katze
Eine kleine Katze
Es war schon fast Mitternacht, als die kleine Katze der lieben Miss Kramer aus ihrem kleinen Nickerchen wegen einem für einen Haustiger jedenfalls undefinierbaren Geräusch von draußen erwachte. Eine ganz normale Katze, schwarz mit weißen Pfoten und weißem Schwanzende. Das so übertrieben gepflegte Fell schimmerte matt im Mondlicht, welches durch das offene Wohnzimmerfenster schien. Die 63 Jährige Miss Kramer hatte sich fest vorgenommen, im nächsten Monat wieder an dem städtischen Wettbewerb für Haustiere teil zu nehmen, nachdem sie letztes Jahr zum vierten Mal in Folge nur die Silbermedallie gewonnen hatte. Gott verfluche diese immer korrupter werdende Jury.
Die alte Dame vergaß wohl an diesem Abend unüblicher Weise, es zu schließen. Der Grund? Nun, das kann man sich ja denken. Aber das interessante war: Sie beging an diesem Tag tatsächlich einen Heldenakt. Die alte rette einem Mädchen unter ihrem Fenster das Leben, indem sie dem vermeidlichen Angreifer mit einem schönen, alten Blumentopf den Kopf einschlug. Das war ein Wurf! Unvergleichlich!
Sie erzählte es der ganzen Nachbarschaft, immer und immer wieder! Mrs. Kramer war sichtlich stolz auf sich. Wie sie es schaffen konnte, aus der Entfernung noch zu treffen, wäre selbst jedem Ballistiker ein Rätsel. In Wirklichkeit aber war der Bösewicht der Freund des Mädchens, der sie nur zum Lachen gebracht hatte, was die Alte drei Stockwerke höher mit ihrem doch eigentlich noch gut funktionierenden Gehör unerklärlicher Weise als Schrei interpretierte. Der Topf brachte dem Jungen, es war wirklich kein schöner Anblick!, einen Schädelbasisbruch ein und seiner Freundin einen dreitägigen Aufenthalt in der psychiatrischen Klinik Edinburgh, nachdem ihr Begleiter genau sechs Stunden und 21 Minuten nach seinem Zusammenstoß mit dem zweckentfremdeten Tongefäß an einer Hirnschwellung gestorben war.
Ganze 16 Jahre hatte er in dieser Gesellschaft, die doch sonst so von verrückten, alten Omas nie genug bekam, die nur darauf warteten, dem nächsten Vorbeikommenden einen Blumentopf samt Pflanze auf den Kopf zu werfen, überleben können. Schon fast eine Glanzleistung. Was wohl seine Eltern über diesen Erfolg sagten?
Am nächsten Morgen stand der Vorfall in den Zeitungen: "Junger Mann von Blumentopf getötet- Flugzeugunfall?" Wer konnte sich bloß solchen Schwachsinn ausdenken. Also wirklich! Blumentöpfe aus Flugzeugen? Das war zu viel. Nur nicht für den listigen Fuchs, der sich einen Tag zuvor in den Hauptcomputer der Firma hackte, um ein bisschen Schabernack an den Berichten zu treiben. Doch das interessierte Miss Kramer herzlich wenig. Sie hatte auch keinen Fernseher oder dergleichen in ihrer im typischen Stil der 70er Jahre eingerichteten Wohnung. "Medien sind Mord für den gesunden Menschenverstand", sagte sie immer. Lügen über Lügen. Lieber las sie einen ihrer Taschenromane, die sie im Zeitungsstand um die Ecke bei ihrem Enkel erwerben konnte. Der Junge musste sich dort als unterbezahlte Aushilfskraft über Wasser halten. Als hätte er kein Zuhause! Nun, das war ja auch der Fall. Sein Vater warf ihn kürzlich aus seiner Wohnung. Aber das ist ja auch verständlich, wenn die eigene Ehefrau ihren Heißhunger nach Frischfleisch so ganz plötzlich am eigenen Sohn stillen musste, nachdem sie erfahren hatte, dass ihr 3. Ehemann impotent war.
Schade nur, dass sich die beiden, der Junge und die liebe Mrs. Kramer, sich vorher noch nie in ihrem Leben begegnet sind. Keiner von beiden wusste, dass sie verwand waren. Was für ein Zufall, nicht wahr?
Wie dem auch sei. Zwei Tage darauf erschienen zwei Polizisten vor ihrer Wohnungstür und fragten sie, was sie denn am 23. September zwischen 18 und 20 Uhr getan habe. Die zwei Beamten hatten den Tipp von der verstörten Freundin des Toten bekommen, in diesem Haus wohnte der Teufel höchst persönlich, welcher dem gottesfürchtigen Mädchen das Leben zur Hölle machen wolle. Und wie Miss Kramer auch niemanden von der Nachbarschaft verschonen konnte, so durften sich auch die zwei Gesetzeshüter ihre Heldentat anhören. Nur leider war deren Reaktion nicht gerade die, welche sich die Heldin erhofft hatte. Eine Woche später zog sie aus ihrem trauten Heim ins städtische Frauengefängnis um. Drei ein halb Jahre wegen Todschlag mit Rücksicht auf ihr Alter. Leider konnte sie nicht die Chance nutzen, ihre doch so ungerechte Strafe, da sie immer der Meinung blieb, sie hätte ein Menschenleben gerettet, abzusitzen, denn nur knapp einen Monat später verirrte sich die Rasierklinge eines verwirrten Küchengehilfen, der, so wird es fünf Tage später im Bericht eines Psychologen heißen, schon seit drei Jahre an extremer Schizophrenie gelitten hatte, in ihren davon abgesehen ziemlich leckeren Nachmittagsmarmorkuchen.
Zur Beerdigung sechs Tage später erschien nur der Junge aus dem Zeitungsladen an der Ecke, in seinen Armen ihre geliebte Hauskatze. Miss Kramer verfasste drei Monate vor ihrem Tod ihr Testament. Man konnte ja nie sicher genug sein- zu dem Pech des Jungen, wie sich bald herausstellen würde. Darin stand, dass ihr gesamter Besitz ihm zufiel. Dazu gehörte auch ein netter Bündel Geld in ihrem Schmuckkästchen, Eine Schöne Schatulle. Ursprünglich im Besitz der Freundin der Großmutter Mrs. Kramers schien es ihr nichts auszumachen, den Besitzer zu wechseln. Vor Allem, nachdem die Freundin eines schrecklichen Todes, woran Mrs. Kramers Großmutter nicht ganz unschuldig war, starb. Fünf Tausend Pfund! Das war eine Menge Geld für einen kleinen Ex- Sohn, beziehungsweise Ex- Stiefsohn eines impotenten Alkoholikervaters und einer versauten Stiefmutter- Schlampe! Und was machte man damit am besten? Natürlich versaufen!
Ihr Enkel nahm sich den besten Flug nach Süden. Gleichgültig, wohin. Hauptsache warm. Nur an diesen Urlaub sollte er sich noch lange erinnern. Länger, als ihm lieb war. In einer der sehr vielen heißen Nächte, die er dort erleben konnte, bekam der ehemalige Zeitungsverkäufer das wundersamste Geschenk, das ihm jemals gemacht wurde. Nur vermochte er dies natürlich in diesem Moment noch nicht zu wissen. Guten Tag, mein Name ist AIDS. Willkommen in der Hölle jedes Schürzenjägers. Glückwunsch: Sie haben Positiv.
Doch das alles interessierte doch keine Katze. Miezi, so wie sie von ihrem Herrchen genannt wurde, Miss Kramer ist einfach kein besserer Name eingefallen, streckte sich nur genüsslich und legte sich wieder schlafen. Die Katze, die das Geräusch, welches sie aus ihrem Schlaf gerissen hatte, als Einzige gehört hatte, sollte nie erfahren, dass es der Schuss einer der vielen Pistolen ihres Nachbarn Mr. Stuart war. Eine originale Walter PPK. Er nahm sich just in diesem Moment das Leben, nachdem er erfahren musste, dass sein so alles geliebter Sohn dabei erwischt wurde, wie er den kleinen Kinder der Kindertagesstätte am Ende der Straße etwas zeigte, was sie noch nie gesehen hatten und auch nie mehr vergessen würden.
Die letzten Wolken verzogen sich und ließen die Sicht auf einen sternenklaren Himmel frei, so wie es nur selten in dieser Gegend vorkam. Die Katze träumte schon wieder von einem leckeren Mäuschen, oder noch besser: Fisch, ihr Lieblingsgericht. Miss Kramer träumte schon lange nicht mehr. Sie hatte es irgendwie verlernt, man konnte es sich nicht erklären und das Blut Mr. Stuarts lief nur so in Strömen auf den teuren Teppich in seinem Wohnzimmer.