- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 11
Eine Nacht für die Ewigkeit
Eine Nacht für die Ewigkeit (bearbeitet)
„Was denkst du gerade?“, fragte er, und zog sie an sich. Er drückte ihren Kopf an seine Brust und küsste sie sanft auf das noch nach Shampoo duftende, honigblonde Haar.
Sie sog tief seinen Duft ein. Seine Haut roch einfach wunderbar, so perfekt.
„Im Moment denke ich gar nichts“, antwortete sie und drückte sich eng an ihn.
Doch das war gelogen.
Sie wünschte sich, in ihn kriechen zu können, an ihm fest zu wachsen, während sie seinem Herzschlag und ruhigen Atem lauschte.
Sie selbst atmete ruhig, spürte aber das brodeln in ihrem Magen, sie war hier, bei ihm.
Endlich, angekommen an einem Ort den sie so lange gesucht hatte. All die Zeit, wo sie sich nur geschrieben hatten, hatte sie begonnen seinen Charakter auszumalen, hatte geträumt wie es sein würde bei ihm zu sein, wie es wäre ihn zu küssen. Aber immer mit dem unterbewussten Gedanken, dass es niemals passieren würde. Aber jetzt war sie hier.
Trotzdem fühlte sie sich schlecht und traurig, da sie genau wusste, dass dieser Moment zu kurzweilig war, um sich glücklich zu fühlen.
Sie hatte ihn schon mit dreizehn flüchtig gesehen, aber bewusst wahrgenommen hatte sie ihn erst mit dreiundzwanzig. Sie hatte sich ein Bild von ihm gemacht, ohne ihn zu kennen.
Lediglich die Briefe hatten ihn zu einem Menschen geformt. Einem ehrgeizigen, dominaten Menschen, der seinen Mitmenschen selbstbewusst und voller Durchsetzungskraft entgegen tritt, aber wundervoll und charmant ist, zu der Person, die er liebt. Er war genau die Mischung, von der sie dachte, dass sie nicht existiert, die sie sich erträumt hatte.
Er lächelte sie an. Sie strich ihm sanft durch sein Gesicht und zog mit den Fingern die wundervollen Grübchen an seinen Mundwinkeln nach, die schon bei einem Schmunzeln sichtbar wurden. Er lächelte immer sehr viel, dass wusste sie. Er hatte diesen speziellen Humor, ihm viel immer eine neckische Bemerkung ein. Sie schaute auf seinen Mund.
Er hatte so einen wundervollen Mund, sie wollte ihn stundenlang küssen. Tagelang. Jahre.
Den Augenblick genießen? Wie konnte sie das, wenn sie doch genau wusste, dass ihre Wege sich in wenigen Stunden wieder trennen würden? Am nächsten Morgen, wenn er in die nächste Stadt fuhr und sie ihren Weg nach Hause fand, dann würden sich ihre Wege trennen, wahrscheinlich für immer. Aber sie wollte mit ihm gehen, auf seinem Weg.
„Wollen wie ins Bett gehen, es ist schon spät?“. Damit schob er sie von sich und fing an, sich zu entkleiden. Sie verharrte und blickte ihn an. Er war so schön, seine nackte Brust war glatt und muskulös. Ein winziges Muttermal machte ihn sexy. Sie wollte ihn anfassen, in seinen nackten Armen liegen. Die Wärme von seiner nackten Haut auf ihrer spüren. Eine Strähne seines nassen, blonden Haars fiel ihm in die Stirn. Er musste geduscht haben, bevor sie angekommen war.
Tränen stiegen in ihr auf, und sie wandte sich schnell ab, damit er ihr nicht in die Augen sehen konnte, denn dann würde sie ihre Tränen nicht zurück halten konnte.
Warum hatte sie das getan? Warum konnte sie nicht einmal im Leben ehrlich zu sich selbst sein? Dass sie nur sexuelles Interesse an ihm hätte, das hatte sie bis vor einigen Stunden selbst noch geglaubt. Sie hatte sich doch nur selbst belogen, als sie sich eingeredet hatte, dass die Gefühle für ihn eben nur Schwärmereien waren. Und das nur um ihn einmal zu küssen, mit ihm allein zu sein. Wahrscheinlich hätte es um einiges länger gedauert, vielleicht hätten sie sich auch nie getroffen, aber sie hätte zumindest ein ehrliches Gefühl dabei gehabt.
Als sie sich zu ihm ins Bett legte, drehte er sich zu ihr und streichelte ihr mit den Fingerspitzen über den Bauch. Es fühlte sich so gut an, sie bekam eine Gänsehaut und legte ihren Kopf auf seine Brust, aber die Trauer des Verlustes war stärker, und legte sich darüber wie eine undurchdringliche Stahlwand. Sie konnte ihre Gedanken nicht auf das Jetzt und Hier konzentrieren, sie sah sich bereits wieder zuhause, alleine.
Sie beschwor sich den Augenblick zu genießen und fühlte seine Hände auf ihrem Körper, aber es wollte nicht so richtig klappen. Und dann war der Augenblick vorbei.
„Schlaf gut“, sagte er und schaute sich noch einmal an. Sie glaubte in seinen Augen Wärme zu sehen, aber nur kurz, dann war es weg. Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen, und drehte sich dann um.
„Du auch“, antwortete sie so normal wie möglich und kuschelte sich an seinen nackten Rücken. Seine Muskeln versteiften sich. Er wollte das nicht. Kein Wunder, schließlich hatte sie auch keine von seinen Erwartungen erfüllt. Sie hatte ihm was vorgegaukelt und war selbst überzeugt gewesen, dass sie die Sache auch so durchziehen könnte, aber wie sollte sie sich auf Sex konzentrieren, wenn das Gefühl der Liebe für ihn so stark im Vordergrund stand. Davon hatte er natürlich keine Ahnung. Davon, dass sie fast jede Nacht von ihm träumte, davon dass sie selbst tagsüber ständig abwesend war, weil sie an ihn dachte. Oder davon, dass sie schon unbewusst seine Eigenschaften annahm. Vielleicht würde er es in den nächsten Wochen merken. Dann, wenn er eine wirre E-Mail nach der anderen bekommen würde, in welcher sie sich ständig widersprach, ihn anflehte, und dann wieder sagen würde, er sei ihr egal.
Geschrieben aus Sehnsucht und dem Schmerz der bitteren Erkenntnis das sie es total falsch angegangen war, und nun niemals das bekommen würde, was sie sich so sehr wünschte.
Und er würde ihre Wünsche nicht erfüllen, denn er empfand nichts für sie. Für ihn wäre es völlig belanglos, wenn er eine ihrer Mails erst nach drei Wochen beantwortet, oder auf ihre Sms einfach mal gar nicht reagiert. Aber sie würde jedes Mal Angst bekommen, ihn zu verlieren. Obwohl sie ihn doch schon verloren hatte, als sie auf seine sexuellen Andeutungen eingegangen war.
So oft war sie traurig gewesen, er hatte immer die richtigen Worte gefunden um sie wieder aufzubauen. Sie hatten zusammen Späße gemacht, die Betreffs der Mails waren zu einen richtigen Wettbewerb zwischen ihnen geworden, wer den Originellsten findet, aber heute Abend hatte sie nur haltlosen Mist erzählt. In seinen Augen hatte sie die Enttäuschung gesehen, als sie auf seine ernsten Fragen mit niveaulosem Quatsch geantwortet hatte.
„Was denkst du jetzt“, hatte er sie gefragt, nachdem er ihr offenbart hatte, dass er in einer festen Beziehung lebt. Sie wusste das bereits vorher, aber anstatt ernsthaft zu antworten, hatte sie nur „knutschen“ gesagt. Etwas starb in seinen Augen. Das Feuer, was am Anfang, als er ihr die Tür geöffnet hatte noch da war, erlosch langsam.
Natürlich, er wusste ja auch nicht, dass sie in ihn verliebt war, und deshalb ihr Kopf wie leer gefegt gewesen war, als er sie angelächelt hatte.
Während sie sprach, hatte sie schon gemerkt, dass sie total flachen Unsinn erzählte. Sie fühlte sich unwohl, und merkte ihm an, dass er innerlich die Augen verdrehte.
Sie schlief unruhig, wurde immer wieder wach, und schaute auf den schlafenden Körper neben sich. War es draußen noch dunkel? Wie spät ist es? Die dunklen Vorhänge hielten jedes Licht von draußen ab. Als sie ihn so ruhig atmend ansah, spürte sie wie die Zeit wie Sand langsam durch ihre Finger rann.
Sie versuchte dieses Bild von ihm in ihr Gehirn zu brennen, diesen Augenblick fest zu halten, aber sie sah sich jedes Mal nur wieder in ihrem Auto nach Hause fahren. Sie stand auf, ging ins Bad und duschte.
Als sie zurück kam und sich wieder neben ihn legte drehte er sich um und nah sie kurz in den Arm. Hier wollte sie für immer bleiben, versteinern, wenn sie dafür nur etwas länger bei ihm bleiben könnte.
Durch das halb geöffnete Fenster hörte sie wie der Autolärm auf der Straße zunahm. Es würde bald Morgen werden.
Wohl fühlte sie sich überhaupt nicht, denn er erwiderte ihr Gefühl nicht.
Er hatte nicht richtig zugehört, als sie ihm ihren Mist erzählte von ihrem Ex Freund und ihrer Arbeit, sie spürte dass er ihr nur noch Standartfragen stellte, um es hinter sich zu bringen. Sie hätte ihm von Anfang an die Wahrheit sagen müssen. Da sie Aufgrund einer Lüge hier war, konnte es niemals eine Zukunft geben, in welcher Form auch immer. Eine Zeit lang ginge das vielleicht gut, aber die Plattform, auf der sie stand, würde um sie herum brechen, denn sie konnte ihm nicht ewig vorgaukeln ihn nur als Sexobjekt zu betrachten, denn ihre Gefühle würden durchbrechen, wenn sie ihn mit einer Anderen sehen würde, wenn sie merkte das er Spaß hatte, ohne sie.
Sie wünschte sich so sehr ehrlich zu ihm sein zu können.
Aber er würde ihr die Lüge niemals verzeihen.
Irgendwann war es dann so weit, der Wecker klingelte. Sie tat so, als würde sie noch schlafen, dabei war sie hellwach.
„Guten Morgen, gut geschlafen?“, fragte er und stand auf.
„Och ja“, antwortete sie.
„Hast du überhaupt geschlafen?“, grinste er.
„Klar“, antwortete sie knapp.
Er verschwand im Bad. Sie sah ihm hinterher. Ein letztes Mal nackt, wunderschön. Schnell schlüpfte sie aus dem Bett und zog sich vollständig an. Um elf musste er an der Rezeption sein, dort würde er abgeholt, jetzt war es zehn vor.
Am besten wäre es, zu gehen, solange er noch im Bad ist, überlegte sie. Damit würde sie sich die Peinlichkeit des Abschieds ersparen. Aber sie blieb auf der Bettkante sitzen, und wartete.
Kurz darauf kam er aus dem Bad, noch immer nackt bis auf seine Unterwäsche.
„Hey, du bist ja schnell“, sagte er, als er sah, dass sie bereits angezogen war und streifte sich seine Jeans über. Ein nacktes, warmes, duftendes Bein nach dem anderen verschwand.
Dann zog er sein Shirt an und mit der nackten Brust verschwand auch das kleine Muttermal.
„Joa“, antwortete sie kurz. Sie wünschte sich woanders hin, gleichzeitig wollte sie für immer bei ihm bleiben. Aber nicht so. Sie wünschte sich nur einen Hauch von Verliebtheit von seiner Seite aus zu spüren, aber seine Augen blieben kalt. Er kramte seine Sachen zusammen, achtete kaum auf sie.
„Na, besonders glücklich siehst du aber nicht aus!“, bemerkte er, während er sich weiter anzog.
„Na, soll ich jetzt vielleicht auf dem Tisch tanzen?“, erwiderte sie, schnippischer als sie es wollte.
„Tja, das wäre toll, nur leider habe ich keine Zeit mehr“.
Da war es, er hatte es gesagt und stand nun bereist neben der Tür, ein deutliches Zeichen, dass sie nun verschwinden sollte. Sie stand auf und ging auf ihn zu. Sie stellte sich dicht vor ihm auf die Zehenspitzen, er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Schnell ging er einen Schritt zurück, es war ihm sichtlich unangenehm.
„Na, dann komm mal gut nach Hause“, sagte er gelockert, während er sie zur Tür begleitete.
Sie wollte ihm so viel sagen, so viel fragen, ihm zuhören und mit ihm zusammen über das Leben philosophieren, aber alles, was sie über die Lippen brachte, war: „Bis bald!“.
Dann schloss sich die Tür hinter ihr. Sie ging den Flur entlang und drehte sich vor dem Aufzug noch einmal um. Vierhundertelf besagte die kleine Messingtafel an der Tür. Vielleicht kam sie irgendwann mal wieder her, alleine. Er war schließlich in diesem Raum gewesen, sie würde auf seiner Seite des Bettes schlafen und unter der Dusche stehen, wo er einst gestanden hatte. Sie fühlte sich Augenblicklich so leer und verloren, wie niemals zuvor in ihrem Leben.