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Eine neue Währung
Im Schwarz des Alls schweben zwei Giganten wie Monde ohne Umlaufbahn und nähern sich einander.
„Kannst du deine Schulden endlich bezahlen?“
„Ja, in einer neuen, von mir geschaffenen Währung.“
Das All ist noch nie so pleite und so tonlos gewesen. Die Gier nach Leben über Leben, was eine Zufriedenheit mit Glücksgefühlen ohne Schmerzen in unverletzbaren Körpern, verbunden mit ewiger guter Laune, hätte werden sollen, hat zwei Kolosse entstehen lassen, deren Raffgier und Fressrausch die noch gebliebenen Energieträger, Baustoffe und Geschöpfe umso wertvoller werden ließ. In Jahrmillionen sind kugelförmige Schichten aus hochwertigen Stoffen von innen nach außen bis zu einem gegenwärtigen Radius von etwa viertausend Kilometern gewachsen. An Steuer- und Verschaltungsstellen sind Hohlräume ausgespart, je nach Bedarf so winzig wie ein Mikrochip oder so groß wie ein Weltraumschiff. Die Riesen wollen weiter zunehmen, denn Vermehrung haben sie zugunsten von Wachstum aufgegeben. Im Mittelpunkt jeder Kugel liegt ein Steuerzentrum, ein gestückeltes Bewusstsein, mit Verbindungen zu gleichmäßig verteilten Sinnen, die an der Oberfläche überwiegend Rezeptoren und Sender für Wellen aller Art und an den Wänden der inneren Schichten regulierbare Sensoren bilden.
„Womit bezahlst du?“
„Mit etwas Ungewöhnlichem, etwas Besonderem.“
„Womit!“ schreit der Metallkoloss.
„Auf den ersten Blick wirst du den Wert nicht erkennen.“
„Ich warne dich. Ich könnte dich sofort auslöschen.“
„Das kannst du nicht. Aber trotzdem bezahle ich. Ich möchte den Streit beenden.“
Es rumpelt im Inneren des Metallkolosses, als würde er Geräte oder Waffen verschieben.
„Zeig endlich, womit du bezahlst!“
„Gleich.“
Die Metallkugel staunt, wie an der Oberfläche des anderen Riesen Material auseinander fließt und sich eine runde Öffnung bildet. Rotes Licht dringt nach Außen. Es raschelt, wie wenn Bälle aneinander rieben. Kleine Kunststoffwesen zwängen sich wie Gummigurken mit zwei Beinchen durch das Loch. Auf der dunklen Oberfläche laufen sie so unsicher, als dürften sie zum ersten Mal nach draußen, rutschen auf dem glatten Material des Giganten und fallen beinahe ins Leere. Doch sofort bilden sie aus der Mitte ihres Körpers Fortsätze, die sie nach allen Seiten auf den Boden setzen, um zu bremsen und sich fest zu saugen.
Der Metallkoloss lacht: „Die sind ja aus dem gleichen Zeug wie du. Ich lasse mich nicht betrügen.“
„Warte!“, sagt der Kunststoffgigant, „die neue Währung wird dich aus der Einsamkeit holen.“
„Deine Währung zerfetze ich gleich!“ Der Metallkoloss öffnet eine Luke.
Die Kunststoffkugel bleibt ruhig. Sie bildet an ihrer Oberfläche einen Greifarm mit acht im Kreis angeordneten Fingern, der sich in alle Richtungen bewegt, und zieht damit die zwölf Kleinen durch die Öffnung wieder in ihr Inneres.
„Und jetzt?“, fragt der Metallgigant, nachdem das Loch verschlossen ist.
„Ich will diese Kleinen, die ultimativen Sklaven und Unterhalter, nicht verlieren. Sie riechen so frisch. Die Steuerung stammt von Menschen des Planeten Erde. Die Menschen konnten denken. Aus ihnen habe ich erstaunlich treue Diener herstellen können.“
„Sowas brauche ich nicht.“
„Sie dachten aber selten“, korrigiert die Kunststoffkugel, „und zudem habe ich das Denken verändert. Das Dienen ist geblieben.“
„Das klingt schon besser.“
„Sie dienen in einem Kunststoffmaterial, das alle Bewegungen zulässt. Sie frieren nicht ein, wenn es kalt wird, und sie schmelzen nicht, wenn es heiß wird. Sie schweigen, wenn sie gefährliche Regionen erkunden sollen.“
„Metall ist am zuverlässigsten. Ich will keinen Kunststoff. Bezahle mit einem im All bewährten Zahlungsmittel. Mit Edelmetallen!“
„Alle Metalle verrosten. Hier hast du was Haltbares.“
„Ich brauche Edelmetalle! Ich muss weiter wachsen! Such weiter!“
„Du weist doch, dass fast das gesamte Edelmetall unseres Universums in dir verbaut ist. Die Menschen hatten die letzten Metallwährungen. Jetzt sind sie selbst zu einer Währung aus Kunststoff geworden.“
„Das ist ein Frevel. Ich bleibe bei Metall. Schaff es herbei! Geh in ein Nachbaruniversum! Alles andere und virtuelle Währungen akzeptiere ich nicht.“
„Verbindungen aus Nichtmetallen waren auf manchen Planeten Leitwährungen.“
„Brennbar, leicht zerfallend und stinkend.“
„Nein. Energiereich! Und nicht salzig.“
„Für mich unbrauchbar.“
„Mein Körper ist inzwischen vollkommen aus Kunststoff, wie du siehst. Er ist robust und flexibel. Sinne überall. Ich fühle mich wohler als zuvor.“
„Wenn du nicht mit einer von mir anerkannten Währung bezahlst, ist das dein letzter Körper gewesen.“
„Drohe nur. Meinen Körper kannst du nicht mehr verletzen. Ich schicke dir jetzt ein paar Sklaven. Ich möchte dir Lebenssinn zurückgeben.“
„Was meinst du?“
„Mann und Frau. Musik …“
„Das ist vergangen.“
„Nicht für immer.“
Der Metallriese überlegt.
„Also gut, wirf sie zu mir, ich werde sie analysieren.“
Nochmals entsteht ein Loch auf der Kunststoffkugel. Vier Kunststoffwesen rollen so schnell heraus, dass sie sich nicht mehr festhalten können. Sie fliegen zu dem Metallkoloss, der sich etwas dreht und dort, wo an seiner Oberfläche Vertiefungen sind, klappen zwei Metallplatten surrend nach innen. Das Tor öffnet die Sicht in einen düsteren Raum, der nur dazu geeignet zu sein scheint, Tote zu lagern.
„Vergrößere deine Gravitation, sonst entgleiten die Sklaven,“ schreit die Kunststoffkugel, „ich habe meine Gravitation bereits verringert.“
Während die vier kleinen Wesen durch das Tor schweben, versuchen sie, sich an den Platten festzuhalten. Doch die Schwerkraft des Metallgiganten zieht sie weiter ins Innere, durch mehrere Schichten oder Stockwerke hindurch; jede Ebene aus einem anderen Metall; grau, schwarz oder glänzend. Die Kleinen gleiten durch Räume aus Platin, Silber, Titan oder Gold. Weiter innen landen sie in einem Raum aus Aluminium. An den Decken, Wänden und Böden wuchern Leitungen, Hebel, Pumpen und andere Geräte aus den verschiedensten Metallen und Legierungen.
„Verständige dich mit ihnen über zeta-Wellen“, sagt die Kunststoffkugel.
„Verstanden!“
„Kannst du ihnen befehlen?“
„Noch nicht, sie reagieren nicht auf meine Wellen. Die Sklaven sind zu klein und zu leicht. Nein …, jetzt fressen sie meine Energie. Warum sind sie so hungrig?“
„Füttere sie noch nicht! Bleib hart! Der Umbau eines Menschen in einen brauchbaren Sklaven hat Kräfte aus knapp werdenden Energieträgern erfordert. Das Verhältnis von Energie zu Körpermaße musste ich klein halten. So konnte ich nur leichte Menschen verwenden, die auch jetzt ohne viel Futter auskommen.“
„Du hättest sie alle in Metall umwandeln sollen. Dann kämen wir ins Geschäft.“
„Teste die Kleinen doch erst mal. Sie biegen und krümmen sich so, wie es deine Metalle nicht können.“
„Sie reagieren immer noch nicht. Ich werde sie zu einer Plane ausdehnen und versuchen, sie als Oxidationsschutz zu verwenden, denn Rost macht mich krank.“
„Dazu sind sie zu schade.“
„Deine ganzen Schulden wirst du mit denen bei mir sowieso nicht begleichen können.“
„Ich kann dir Tausende solcher Sklaven geben. Über hundert Räume sind bei mir mit ihnen gefüllt. Sie wuseln und wedeln und machen mich glücklich.“
„Glücklich? Das geht doch gar nicht ohne Metall.“
„Glück ist materialunabhängig. Lass uns diesen alten Streit endlich beenden, wo doch das Weltall bedrohlich leerer wird. Fast alles Leben haben wir abgeschöpft. Du das metallische, ich das andere. Diese Menschensklaven sind mein einzig mögliches Zahlungsmittel. Sie helfen bei der Arbeit und zeigen mir lustige Spiele. Ihren Planeten hatten sie so durchwühlt, verstrahlt und ausgelaugt, dass ich ihn in einem schwarzen Loch entsorgt habe. Wir beide könnten die letzten Denker und Herrscher sein.“
„Du schwätzt mir wertlose Sklaven auf, um deine Schulden los zu werden.“
„Nur noch virtuelle Schulden! Ich zahle, weil es mein Wunsch ist, friedlich zu leben.“
„Wunsch nach Frieden? Du hattest meine Melodien, die metallensten Klänge, gestohlen, die Musik des Universums vernichtet, mit der Energie der Melodien Kunststoffe gebaut, das All stumm und freudlos gemacht.“
„Schau in die Zukunft! Den einen Sklaven gebe ich dir, weil ich Melodien in seinem Gedächtnis fand. Ich habe sie ihm gelassen. Harmonische Melodien, Klänge mit Mustern, ohne Krach. Baue Kontakt mit dem Sklaven auf. Zieh die Melodien aus ihm. Dieser Sklave kann dich für alle verschwundenen Melodien entschädigen.“
„Ja. Wieder Melodien, Töne und Klänge in diesem tonlosen Universum! Ich wäre so froh, wenn du recht hättest, dann wäre dieser Sklave meine Musikerin.“
„Warum?“
„Ich brauche Melodien in Moll.“
„Ich verstehe, dir fehlt ja das weibliche.“ Die Kunststoffkugel hat ihr erstes Ziel erreicht und fährt fort: „Der große Sklave, den letzten, den ich gebaut habe und dessen störrische Gedanken schwer herausziehbar waren, und die zwei kleineren, die bei dir sind, lassen sich nicht von der Musikerin trennen. Als er auf dem Umbauplaneten ankam, sah er schon irgendwie anders aus; Außenteile fehlten und unebene Krusten klebten an ihm. Er pulsierte beim Umbau. Weil er zu schwer war, hatten ihn die Sklaven wegen meinen Vorschriften bereits aussortiert. Er wollte aber nochmal gewogen werden und das taten wir am nächsten Tag. Erstaunlich, dass er leichter werden konnte. Ich nenne ihn den Dicken.“
Der Metallkoloss wackelt. An der Oberfläche bilden sich Splitter. Die Sprachwellen schwächeln.
„Mir wird übel“, stöhnt der Metallriese. „Deine Sklaven …“
Die zwei kleineren der vier Kunststoffwesen fummeln an Hebeln im Inneren des Metallkörpers, im Edelstahlraum. Die Musikerin und der Dicke versuchen, sie davon abzuhalten. Es geht nicht. Mit kleinen Fortsätzen, die wie Beulen entstehen, aber gleich wieder verschwinden, drücken und hämmern die zwei kleinen Sklaven wie besessen auf die Tasten und Sensoren an den Wänden.
„Ich fühle mich wie verknotet und etwas zieht mich zusammen. Meine Orientierung verschwimmt“, jammert die Metallkugel.
„Wie kann ich dir helfen?“ fragt die Kunststoffkugel.
„Du hinterhältiges Plastikweib! Deine Sklaven verändern meinen Schwerkraftgenerator.“ Der Metallkoloss verliert eine Antenne.
Die Kunststoffkugel sendet zeta-Wellen zu den Kleinen. Es nützt nichts.
„Wirf sie hinaus!“, brüllt sie zum Metallkoloss.
„Ich kann nicht mehr. Warum erkenne ich das erst jetzt? Deine Sklaven sind Waffen. Du willst mich zerstören! Und hast dazu diese Teile in mich gebracht“, schreit der vibrierende Riese.
„Ich bringe dir einen Polymerisator. Den musst Du über die vier Sklaven stülpen, damit jeder in ein steifes Makromolekül verwandelt wird.“ Die Kunststoffkugel nähert sich.
„Gleich werde ich dich mit meinen Geschossen und Strahlen durchlöchern“, droht der Metallkoloss. „Ich lasse mich nicht weiter von dir betrügen.“
Die Kunststoffkugel antwortet nicht, sie traut sich sogar noch näher heran. Der Metallkoloss dreht sich um seine Achse.
„Ich werde die Kleinen stabilisieren. Öffne deinen Metallpanzer!“ Aus der Kunststoffkugel erscheint bereits ein Arm, der ein trichterförmiges, gelbes Kunststoffgebilde, den Polymerisator, hält.
„Verschwinde damit!“ Der Metallkoloss fürchtet an die Kunststoffkugel geklebt, verschleppt und versklavt zu werden.
„Ich möchte nicht zu Kunststoff werden!“
„Vertraue mir! Die vier, die ich dir gegeben habe, sind selbständig geworden, weil sie Menschenanteile besitzen! Das ist noch nie vorgekommen. Ich versichere es.“
„Lügnerin!“ Die Bewegungen des Metallkolosses werden ruhiger. „Deine vier kleinen Spione habe ich gerade in einen Thoriumkäfig gesperrt. Darin kann ich sie mit Elektronen beschießen.“
„Auf keinen Fall! Nein! Das lädt sie doch auf. Sie fallen auseinander!“
„Bleib weg!“ Die Metallkugel zuckt. Zwei Platten kippen nach außen und öffnen die Sicht in einen Raum, der orange glüht. Die Kunststoffkugel gibt kein Anzeichen von Angst und schweigt, denn Metall kann gar nicht so heiß werden, um ihr zu schaden. Dann knallt es, kurz, aber so laut, dass den vier Sklaven das Trommelfell geplatzt wäre, wenn sie noch eines gehabt hätten. Sie werden an die Wand des Käfigs geschleudert. Aus dem Inneren schießt der Metallkoloss ein leuchtendes Langgeschoss zum Mittelpunkt der Kunststoffkugel.
„Mein Gravitationsneutralisator wird dich unter meine Kontrolle bringen“, freut er sich.
Blitzschnell formt die Kunststoffmasse ein Loch, durch welches das Geschoss gerade hindurch passt und unverändert am anderen Ende herausfliegt, um danach als Weltraumschrott weiterzutreiben.
„Blödes Plastik!“, kreischt der Metallriese gereizt, „gleich bekommst du noch mehr.“ Es folgt eine Schusssalve. Intensiv und knallig. Kugeln aus verschiedenen Metallen, große und kleine, aus Stahl, Uran, Platin oder Thorium krachen aus Löchern des Metallriesen. Die Kunststoffkugel lacht. Immer dort, wo ein Geschoss auftreffen sollte, bildet sich sofort ein Loch. Die Kugel wird zum Sieb. So bleibt das Kunststoffwesen unverletzt, während sich eine Dusche aus Metallgeschossen durch die Löcher ergießt.
„Es ist sinnlos, spar deine Energie und Metalle“, mahnt die Kunststoffkugel.
„Ich werde dich auslöschen!“
„Sieh doch, was ich aus mir machen kann.“ Aus der Kunststoffkugel wachsen an zwei gegenüberliegenden Stellen Fortsätze, die immer länger und dünner werden, während die Löcher zufließen.
„Du musst wissen, dass ich aus dem flexibelsten aller Materialien bin.“ Der Kunststoffgigant wird zum Stab.
„Ultraviolettstrahlen werden dich zerbröseln!“, dröhnt es aus dem Metall und schon trifft dunkelviolettes Licht auf den Kunststoff. Aber es passiert nichts. Der Kunststoff bleibt hart.
„Dann werde ich mein ganzen Strahlenspektrum durchprobieren“, heult der Metallkoloss. Grünes Laserlicht, Röntgenstrahlen, Gammastrahlen. Der Kunststoffgigant wackelt nur und formt sich zur Kugel zurück.
„Infrarotstrahlen werden dich erhitzen und zum Schmelzen bringen.“
„Danke für die Energie“, sagt die Kunststoffkugel, während sie sich wegschlängelt. „Ich habe Polymerkomplexe, um jede Art von Strahlung zu absorbieren und als Energie zu speichern. Du hast mir gerade einen Teil deines Lebens geschenkt.“
Der Metallkoloss verlässt den Schauplatz als brüchige Hülle, in der er vier Kunststoffwesen festhält. Er ahnt nicht, dass sein weiteres Leben von diesen Sklaven abhängen wird.
Siegerin ist die Kunststoffkugel. Sie hat lediglich vier Sklaven verloren und genug Stoff erhalten, um neue Pläne auszudenken. Ihr flüssiges Kunststoffgehirn sprudelt.