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Eine Ode an die Oberflächlichkeit als Selbstlüge
Bringt die Reife eines Menschen eher den Entschluß mit sich, es sei besser, mit dem Strom und der Masse zu schwimmen oder gegen die Widerstände anzukämpfen und manche aus Tradition gewachsene gesellschaftliche Reglements in Frage zu stellen? Wird jemand, der stets mit der Masse schwimmt, sich stets anpasst, jemals WIRKLICH reich an Erfahrungen?
Betrachtet man ein kleines Stück Holz, das in einem Bach treibt. An der Quelle des Bachlaufs, in die die Hölzer fallen, haben sie zunächst alle dieselbe Form, sie sind alle glatt und wunderschön. Sie sind offen, neugierig und voller Freude.
Nach dem Eintritt in den Bach, treibt das widerspenstige, eigensinnige Holz immer wieder an das Ufer, wird unter Wasser gezogen, springt aus dem Bachlauf... und nutzt sich ab ... viel schneller als seine Gefährten. Das glatte, feine Holz passt sich aufgrund seiner eigenen Willenlosigkeit, Zahmheit und vor allem Furcht immer dem Bachlauf an, sieht die Unglücke der anderen Hölzer und geht ihnen aus dem Weg, es scheut jedes Risiko, an dem es andere Hölzer hat zerbrechen oder leiden sehen ... Schaut man nun an dem Wasserfall, der den Bachlauf beendet und alles mitreißt, die Holzstücke an, so sieht man ihnen ihre Vergangenheiten an... die glatten Hölzer sagen, "schau dir dieses Stück Holz an, wie verkommen es doch aussieht, es ist immer gegen den Strom geschwommen... ich hingegen bin noch immer hübsch und glatt, ich habe alles richtig gemacht, wie man sieht". In ihren Augen liegt eine Frage, die eine Antwort sucht, eine Bestätigung ihrer verzweifelten Lüge an sich selbst, an die sie schon lange nicht mehr glaubten. Gleichzeitig werfen sie den verbrauchten Hölzer mißbilligende Blicke zu. Doch was haben sie vergessen? Weshalb ist die Arroganz die Karikatur des Stolzes?
Sie haben vergessen, dass es genau die Hölzer waren, die Fehler gemacht haben, die sie auf bestehende Gefahren überhaupt aufmerksam gemacht haben. Sie haben bisher das vermeintliche Glück gehabt durch den leichtesten Weg, den der Nachahmung und Vermeidung der Fehler anderer, klug handeln können und oberflächlich ihre Glätte bewahren können. „Hätten wir gewusst, welche Gefahren Alkohol mit sich bringt, hätte es nie Alkoholiker gegeben?“"Hätten wir gewußt, wie einsam und leer ein Mangel an Liebe macht, hätten wir nicht manchen Manager an Depressionen erkranken sehen?" Die glatten Hölzer waren nie klug genug, zu erkennen, haben nie respektiert, was ihnen die kaputten, abgenutzten Hölzer gebracht haben... ihr eingeschränkter Horizont ließ nur Verachtung zu. Sie schützten sich, um zu vergessen, dass sie selbst nie den Mut gehabt hätten, diese Risiken einzugehen. Doch diese waren für die Entwicklung aller notwendig. Und die verbrauchten Hölzer schwiegen. Trotz all ihrer Schrammen wussten sie aber, dass sie gekämpft haben, dass sie gelebt haben.
Manchmal kam es auch vor, dass Rinnsale abseits des großen Bachlaufs abgingen. Es waren Rinnsale, in die schon andere Hölzer eingetreten waren oder auch komplett neue Rinnsale. Manche glatten Hölzer schlossen die Augen, als sie sie abzweigen sahen, sie hatten Angst. Manche betrachteten sie mit Neugier, andere wussten gar nicht, dass es sie gab, da sie zuviel mit sich selbst beschäftigt waren und damit unter den anderen glatten Hölzern die schönsten zu sein. Außerdem war ihnen alles Unbekannte, das 80% ihrer Welt ausmachte, ohnehin suspekt. Es war anders und deshalb nicht normal. Was nicht normal war, d.h. den gesellschaftlichen Normen entsprach, war ohnehin schlecht. Ihre Sorgen mit ihrem Erscheinungsbild, ihrem Ansehen, ließen sie mit der Zeit den Blick für das Wesentliche verlieren. Schließlich war die Möglichkeit unter der Masse der glatten Hölzer ohne große Ecken und Kanten hervorzustechen, nur auf dem Wege möglich, als dass sie versuchten, ihre Form zu verschönern oder ihre ohnehin fast makellose Oberlfläche zu schleifen. Das immer höhere Streben nach einer Perfektion nach der Perfektion machte sie zuweilen gar depressiv. Sie fragten sich stets, wie sie dieses Ziel erreichen konnten aber nie danach, wozu sie es erreichen wollten und ob es nicht vielleicht andere Wege gab. Alle glatten Hölzer strebten danach, schöner als die anderen zu sein. Im gleichen Maße, wie sehr sie danach strebten, wurde die Unterseite ihrer Oberfläche morsch, die keiner sah, da sie im Wasser trieb und unsichtbar war. Nicht einmal sie selbst. Und wenn sie es erkannten, so verdrängten sie es, indem sie sich wieder der Masse zuwandten. Verstanden sie doch nicht, woher der Zerfall ihres Fundaments kam, sie spürten ihn, doch war es ihnen nicht möglich, die Ursachen hierfür zu erkennen.
Ein ferner alter Beobachter, der viele Jahre am Rande des Bachlaufs gelebt hatte, beobachtete die Hölzer schon über Jahre hinweg und musste lächeln, als er dem Treiben zusah. Er wusste, dass die schönsten Hölzer so sehr mit ihrer Oberfläche beschäftigt waren, ohne sich dessen bewusst zu sein, dass wenn eines Tages doch ein Stein auftauchen würde, an dem ein Teil von ihnen wegbricht und ihre Makellosigkeit zerstört, ihnen die Grundlage ihrer Existenz geraubt und sie wie die Kinder vor einem neuen Leben standen und ihnen langsam und schmerzhaft bewusst wurde, dass auch sie nur ein kleiner Teil des Bachlaufs waren und wie leer und sinnlos ihre Existenz bis zu diesem Zeitpunkt denn war. Für ihre Träume hatten sie weder Zeit noch Muße gehabt, sie strebten danach, die anderen glatten Hölzer bis zur Selbstaufgabe zu beeindrucken. Ein sinnloses Streben nach einer Vollkommenheit, die auf einer Lüge aufgebaut war, und dazu noch sinnerfüllend sein sollte. Doch warum sie das taten, wie bereits erwähnt, haben sie sich nie gefragt. Sie taten es einfach, weil es ja schließlich fast alle Hölzer taten. Er sah die versteckten Qualen in den Augen der Hölzer, die am lautesten lachten und am glücklichsten zu schienen . Es war ein Naturgesetz, dass all jene, die am lautesten kreischten, weil sie die Anerkennung der anderen Hölzer brauchten, da sie sich seit jeher nur über sie definiert haben, auch die meiste Energie verbrauchten. Und da ihr im Wasser treibendes Fundament im Laufe der Zeit immer spröder wurde, brauchten sie immer mehr Zuwendung von außen, um weitertreiben zu können. Wie sollten sie denn auch Anerkennung aus sich ziehen, hatten sie ihre eigenen Stärken und Schwächen durch ihre Überangepaßtheit nie kennengelernt und wenn, dann auch nur im Ansatz?
Sie haben ihre wahren Grenzen nie kennengelernt, da sie sich immer über die Masse definiert und von Erfahrungen jenseits der Mitte nur von außen gehört haben. Selbst haben sie aber nie empfunden, wie intensiv man Leben spüren kann, wenn man selbst an der Grenze steht. Die risikobereiteren, leichtsinnigeren Hölzer machten diese Erfahrung sehr früh, sie haben – freiwillig oder nicht – früh lernen müssen, dass es Steine gibt, kleine Strudel und sie genießen die Zeit in der sie einfach treiben können… sie wissen, dass jeden Moment wieder ein Stein auftauchen kann. So schwimmen sie, wie sie wollen. Manchmal mit und manchmal abseits. Sie haben im Laufe ihrer Zeit im Bachlauf auch gelernt, wie sie nach dem Zusammenprall mit Hindernissen wieder weiterschwimmen können und konnten die Gefahren abseits des Weges besser einschätzen. Von Stein zu Stein wächst ihre Erfahrung und ihr Weg zu sich selbst, nennen wir es die Erfahrung zur Selbsthilfe. Von Stein zu Stein lernten sie dazu, wie sie Vorkehrungen treffen konnten, um für den nächsten Zusammenprall besser gerüstet zu sein.
Der einzige Weg, sich selbst kennenzulernen führt über die Einsamkeit in Situationen, in denen man alleine dem Schicksal ausgeliefert ist. Das widerspenstige Holz hat auch die glatten Hölzer, die zuvor scharenweise um es geschwommen sind, vorüberschwimmen sehen, als es am Stein gefangen, nicht weiterziehen konnte. Es hat eigentlich auch immer gewusst, dass keines dieser glatten Hölzer je den Mut aufbringen würde, sich selbst dem Risiko auszusetzen, es zu retten, nur um Loyalität zu beweisen. Aber es gab doch glatte Hölzer, denen es vertraut hatte, weil es immer noch glaubte, doch auch sie zogen mit geschlossenen Augen vorüber.
Was könnten denn seine Gefährten, die anderen glatten Hölzer denken, wenn es einem vom Weg abgekommenen hilft? … so dachten sie. Es könnte ihrem Ansehen schaden, was ja die Existenzgrundlage der glatten Hölzer ist. Es schmerzt. Das widerspenstige Holz wusste, dass ein Zugang zu ihrer oberflächlichen Liebe nur über seine Makellosigkeit führte. Doch es wollte nie makellos sein, da es sich selbst sein wollte und kein Holz war von Natur aus makellos. So war der Preis der Freiheit nun mal der Verlust der vorgetäuschten Makellosigkeit. Makellosigkeit war eine Lüge, das wußte das wilde Holz. So leidet das widerspenstige Holz, aber es bereut nie. Denn es weiß, dass es seine Entscheidung war, am Rande des Bachlaufs zu schwimmen und es wusste, dass es Risiken barg, je weiter es sich an das Ufer bewegte. In der Mitte des Bachlaufs war es am sichersten. Aber das Holz weiß, dass es nur eine Scheinsicherheit ist und dass der Stein und das Geröll am Ufer zwar eine enorme Kraft besaßen und es wider Willens aufhalten konnten, aber es wußte auch, dass irgendwann – wie es die Gesetze der Natur besagen, eine Welle kommen wird, die es wieder mitspült. Und die Wahrscheinlichkeit auf Geröll und Schutt in Ufernähe zu stoßen war zwar erhöht, aber dennoch wusste es, dass auch in der Mitte des Bachlaufs Steine waren. Es wird weiterschwimmen, vielleicht schneller als die anderen. Unterwegs wird es wieder auf die glatten Hölzer treffen, die es im Stich gelassen hatten. Wie die Katzen mit vermeintlicher Schläue hängen sie sich wieder leise an widerspenstige Holz, um sich in seiner neuen Kraft zu sonnen. Sie flüsterten: „Schau dir dieses Holz an, es hat so viele Schrammen und kann immer noch schwimmen.“ Innerlich bewunderten sie es, hatte es ihnen doch voraus, dass es seine Makellosigkeit bereits früh verloren hatte und sich kaum um seine Schrammen, und ihren Eindruck nach außen hin, mehr scheren mußte und länger als sie Freiheit genoß. Ja, die Schrammen waren Relikte aus Zeiten des Kampfes. Und auf diesen war das Holz stolz, in jedem Kampf hat es seine innewohnende Kraft und das Leben besser kennengelernt. Das Holz lässt sie mitschwimmen, es hört ihre lieben Worte, doch es verleiht ihren Sätzen keine Bedeutung. Innerlich lächelt es und wendet sich den anderen widerspenstigen Hölzern zu, von denen es weiß, dass sie seine Erfahrung teilen und sie es sind, die es am nächsten Stein nicht mit herabschauenden Blicken alleinlassen werden und dass sie es sind, auf deren Ratschlag es vertrauen kann, da auch sie vor ähnlichen Hindernissen standen und sie mit ihren eigenen Mitteln überwunden haben. Und ihnen, die seiner Liebe gebürten, wird es all die Liebe zukommen lassen, die es zuvor unnütz an die sich selbst belügenden glatten Hölzchen verschwendet hatte. An ein Nichts. Es werden immer weniger Hölzer als zuvor sein, die das widerspenstige Holz an seine Seele lässt. Doch es weiß auch, dass es im weiteren Fluss auf neue Hölzer treffen wird. Und wenn es auf sie trifft, so wird es sie betrachten, über sie und ihr Leben lernen und dann entscheiden. Wird ein Holz glatt sein, wird es dieses vorüberziehen lassen. Zeigt ihm ein Holz Wunden vergangener Kämpfe, so erkennt es dessen Stärke an.
Als es damals am größten Fels trieb, schrien die glatten Hölzer zum widerspenstigen Holz hinüber: „Komm her…“, sie sahen aus der Ferne, dass ihm nur ein kleiner Vorsprung die Sicht versperrte. Schließlich brauchten sie das Holz ja doch irgendwie, hatte es sie doch lange Zeit begleitet. Doch sie waren zu schwach und zu feige, zu ihm hinüberzuschwimmen und es um den Vorsprung herumzuführen, als sie sahen, dass ihm scheinbar die Augen geblendet waren . Sie trösteten sich, rechtfertigten sich vor sich selber, indem sie sich sagten: „Ich muss schauen, dass ich weiterschwimme, wie soll ich ihm helfen. Es muss sich selber helfen. Ich will nicht untergehen, weil dieses Holz die Gefahr suchte.“ Und ein Teil von ihnen spottete über das Holz. Sie sagten „Wie kann es nur so dumm sein, nicht um diesen kleinen Vorsprung herumzukommen?“ oder „Warum schwamm es auf diese Weise, es war doch klar, dass es so auf den Stein zutreiben musste…“ „Es ist doch so einfach.“, sagten die anderen. „Es ist wahr“, denkt der gealterte Betrachter, sieht es doch von der Ferne für euch so einfach aus. Dann fragt er die glatten Hölzer mit scharfer Stimme: „Habt ihr jemals an so einem Vorsprung geklebt?“ Betreten schauten die einen zu Boden und eines sagte vorlaut: „Nein, aber wenn, dann wüsste ich, dass ich es besser machen würde. Es gibt schlimmere Hindernisse.“ "Genau.", "Er hat recht"... konnte man dem Gemurmel entnehmen. „Hüte dich mit solchen Aussprüchen, denn auch dich wird der Bachlauf nicht verschonen. Und das, was deine Form dir aufgrund deiner Glätte erlaubt, nämlich einfach um diesen Vorsprung herumzuschwimmen, das kann für dieses Stück Holz ein scheinbar unerreichbares Unterfangen zu sein, da seine Form nicht mehr so perfekt in die Strömung passt wie deine. Es braucht Weisheit. Es nutzt die Zeit zum Ausruhen und um sich für die weitere Zeit im Bach zu wappnen, es hat schon viele Wunden. War es sich an diesem kleinen Vorsprung über die immer tiefer gewordenen Kerben bewusst geworden, vor denen es bis zum Zeitpunkt des Aufpralls die Augen geschlossen hatte. Es wäre hieran fast gescheitert. Für euch ist es nur ein kleiner Vorsprung, für das Holz war es eine bittere Erkenntnis. Eine bittere Erkenntnis, dass es sich nicht mehr belügen konnte, um eure Liebe und Anerkennung zu erhalten. Es hat sich belogen, um zu euch gehören zu dürfen. Ihr habt das nie gesehen. Und das Leben hat ihm gezeigt, dass es eine andere Lösung für sich finden muß, um wirklich und nicht nur für euch scheinbar glücklich zu werden.“
Und das widerspenstige Holz wird tatsächlich glücklicher sein als je zuvor, da es weiß, was im Leben wirklich zählt und dass es mit den glatten Hölzer zwar schöne Zeiten teilen konnte und weiterhin kann, aber dass es nie wert wahr, wegen ihres naiven Urteils zu leiden, das nur auf der Meinung der Masse beruht und es nur in seiner eigenen Entwicklung behinderte. Denn sie leisten sich nie das kostbarste Gut, dass es auf Erden und auch im Bachlauf gibt, eine eigene Meinung und die Möglichkeit frei von fast allen Konventionen zu leben, was man ist. Zwar kostet es ein paar glatte Hölzer, doch wozu braucht man die denn schon?