Mitglied
- Beitritt
- 20.08.2001
- Beiträge
- 420
- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 9
Eine Philosophie über das Angeln
Ich angle jetzt schon seit vielen Jahren. Ich komme immer zu der selben Stelle, einem kleinen Gebirgssee, der zu allen Seiten von hohen Bergen eingeschlossen ist. Der kleine Fluß, welcher den See speist, entspringt irgendwo zwischen den felsigen Höhen. Keine Industrie ist in der Nähe, nichts, was das Wasser hier verseuchen könnte. Daher schwimmen auch die schönsten Fische in dem klaren Wasser. Früher habe ich dicke Karpfen und Hechte herausgezogen, ich sag’ Ihnen, die waren wirklich groß. Und geschmeckt haben die!
Früher war ich hier ganz alleine, doch heute stehen des öfteren andere Angler am Ufer oder mit ihren lächerlichen Gummihosen in dem nicht sehr tiefen Uferwasser. Der See ist groß genug, um einigen Anglern genügend Platz zu bieten, daher hat mich noch keiner von denen gestört. Nur einmal, da ist einer zu mir herüber gekommen. Der hat mich für senil gehalten, glaube ich.
Er kam herüber, ließ sich unaufgefordert neben mir ins Gras fallen und begann zu schwätzten. Mal davon abgesehen, daß ich Leute, die beim Angeln reden generell nicht leiden kann, war mir dieser doch besonders unsympathisch. Er trug einen Hut mit einer Fasanenfeder, und auch aus seinem Reden erkannte ich, daß er Angeln wohl mit Jagen verwechselte. Naja, ich bin nun mal kein unhöflicher Mensch, daher sprach ich mit ihm und protestierte nicht einmal, als er seine Pfeife anzündete. Nachdem er mich schon einige Minuten, in denen er bedächtig den Rauch auspustete, beobachtet hatte, kam er endlich zur Sache. Eher beiläufig machte er mich darauf aufmerksam, daß ich wohl meine Angel neben mir in den Boden gesteckt, doch irgendwie die Angelschnur vergessen hatte. Also klärte ich ihn erst mal darüber auf, worum es beim Angeln überhaupt ging. Ein wahrer Angler wirft nicht seine Angel aus, um einen großen Fisch zu fangen. Er möchte einige Zeit in der Natur verbringen, frische Luft atmen, Ruhe genießen. Wenn man dabei etwas fängt, ist dies eine große Belohnung. Aber mal ehrlich, guten Fisch kann man in jedem zweitklassigen Lebensmittelladen kaufen. Es ist allein das Entspannen und der Frieden, den man beim Angeln erfahren kann, der mich hinaus treibt. Das beantwortete ihm noch nicht seine Frage, warum ich ohne Schnur angle. Erst sträubte sich alles in mir, doch da ich eh nichts besseres zu tun hatte und ihn ohnehin nicht wieder los wurde, erzählte ich ihm die Geschichte, die mir vor einigen Jahren passiert war.
Ich saß damals an der selben Stelle wie jetzt, da ich dem Mann erzählte, was mir widerfuhr. Meine Angel, damals noch mit einer Schnur versehen, steckte neben mir im Boden. Der Schwimmer befand sich einige Meter draußen auf dem See. Ich beobachtete ihn, wie er sanft in den vom Wind geworfenen Wellen auf und ab wippte. Entspannt lehnte ich mich ins grüne Gras zurück und blickte in den blauen Himmel. Schon nach wenigen Minuten trug mich die Ruhe davon in das Land des Schlafes. Friedlich schlummernd lag ich auf der Wiese, nicht bemerkend, wie der Schwimmer unregelmäßig wippte. Erst als ein Fisch angebissen hatte und die Schnur auszog, wurde ich wach. Schnell ergriff ich die Angel und holte den Fisch Meter für Meter heran. Er konnte nicht sehr groß sein, leistete er mir doch kaum Widerstand. Ich zog ihn heraus und war enttäuscht. Er war kaum zehn Zentimeter groß, und als Mahlzeit absolut ungenießbar. Doch ich konnte daraus einen Köder machen, also behielt ich ihn und befreite ihn von dem Hacken. Der kleine Fisch zappelte in meiner Hand. Ob er dies nur tat, weil er keine Luft mehr bekam, oder auch weil er Angst hatte, kann ich nicht sagen. Plötzlich bemerkte ich einige Luftblasen auf dem Wasser in der Mitte des Sees. Nicht das ich ein abergläubischer Mensch wäre, oder jemand, der sich von irgendwelchen Legenden einlullen ließe, doch in dem Moment fiel mir eine Geschichte ein, die mir Jahre zuvor von einer alten Bewohnerin eines nahen Dorfes berichtete wurde. Es war die Legende eines Monsters, das in dem See wohnt und alle Lebewesen, die in dem Wasser schwimmen, beschützt. In der Tat waren an diesem See schon einige Menschen verschwunden, was ich bis dahin eher auf die gefährlichen Strudel als auf ein Ungeheuer geschoben hatte. Doch was ich in den nächsten Augenblicken erlebte, brachte mich dazu, meine Vorstellungen zu überdenken.
Ein gewaltiger Kopf erhob sich aus dem Wasser, mit einem Maul, in dem ich bequem verschwinden konnte. Zwei graue Augen starrten mich böse an, als der massige, mit grünen, moosbewachsenen Schuppen versehene Kopf mir immer näher kam. Ich konnte nur einen langen Hals ausmachen, der sich weiter und weiter aus dem Wasser reckte. Das Monster hielt seinen Kopf wenige Meter von mir entfernt, und ich rechnete schon damit, daß es mich im nächsten Moment packen und verschlingen würde. Der Fisch entglitt meinen Fingern und fiel in den mit Wasser aus dem See gefüllten Eimer. Das Monster warf einen Blick auf den Eimer, sah dann zu mir und hernach auf das Wasser. Ich dachte nicht lange nach, sondern nahm den Eimer, ging zum Ufer und kippte ihn dort aus. Binnen Sekunden war der Fisch in den Tiefen verschwunden. Das Monster beugte sich zu mir herunter, stieß einen Laut aus, der meine Haare zu Berge stehen ließ und verschwand dann wieder in der Mitte des Sees. Ich blieb zurück, den Eimer in der Hand, den Mund offenstehend und auf die Luftblasen blickend.
Dann ein Ruck an meinem linken Arm. Ich öffnete die Augen und starrte in den blauen Himmel. Was für ein verrückter Traum! Langsam zog ich den Fisch heran, der mir kaum Widerstand leistete. Wie ich dazu kam, von diesem Monster zu träumen, kann ich nicht sagen, doch als ich den Fisch aus dem Wasser zog, wurde mir anders. Es war der aus meinem Traum, den ich zu einem Köder verarbeiten wollte. Also nahm ich den Traum als eine Art, na sagen wir, göttliche Eingebung, löste den Fisch von der Angel und ließ ihn schwimmen. Seitdem habe ich nicht mehr mit Schnur geangelt.
Der Mann fand die Geschichte äußerst amüsant. Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß sein Schwimmer langsam in einem ufernahen Schilf verschwand und war heilfroh, daß ich ihn dadurch endlich los wurde. Ich kann Leute, die mich beim Angeln stören, nun mal nicht leiden. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, daß es Zeit war, mich auf den Heimweg zu machen. Im nächsten Dorf gibt es einen Laden, die haben wunderbaren Fisch, und ich versprach meiner Frau, ihr einige Heringe mitzubringen. Ich packte meine Sachen zusammen und verließ den See. Ich konnte den Mann, der mich so unsanft gestört hatte, im Gras liegen sehen. Leise wünschte ich ihm schöne Träume.