Eine schnelle Bewegung
Ich lasse mir ein heißes Bad ein, in den Wasserstrahl gieße ich Badeschaum, Fichte. Ich liebe diesen Geruch. Schon als Kind hatte ich immer in einem Meer von Fichtenwasser gebadet. So kann ich mich richtig entspannen. Ich ziehe mich aus und lege mich in die Wanne. Die Musik dringt laut aus dem Wohnzimmer. Phantom der Oper, mein Lieblingsmusical, ich kann bei nahezu allen Liedern mitsingen. Das tue ich auch lauthals. Mit geschlossenen Augen bin ich völlig in die Musik vertieft. Ich denke an nichts und niemanden
Nach einiger Zeit ziehe ich den Stöpsel. Ich bleibe sitzen bis das Wasser völlig abgelaufen ist und nur noch ein klein wenig Schaum meinen Körper bedeckt. Der Schaum hat einen roten Stich von dem Blut. In meinen blauen Bademantel eingewickelt, lege ich mich in mein Bett. Ich bin erschöpft und schlafe sofort ein.
Ich öffne ein Auge, dann das andere. Es ist schon sehr hell, ich muss lange geschlafen haben. Immer noch im Bademantel gehe ich zu Türe. Ich öffne. „Hey, hast du mich vergessen? Wir wollten doch zusammen frühstücken. Naja, jetzt bin ich ja hier und wir essen einfach bei dir. Hier, ich hab sogar Brötchen mitgebracht. Da sagst du nichts mehr, was?“ Er gibt mir einen Kuss auf die Wange und eilt in meine Küche. Ich fühle mich völlig überfahren. Am besten ich setze mich einfach an den Küchentisch, um richtig wach zu werden. Carlo setzt Kaffee auf, stellt die Brötchen in einem Korb auf den Tisch, Marmelade, Butter, Käse, setzt sich zu mir. „Na, hast wohl ziemlich lang gemacht gestern, so wie du aussiehst…“ Ich brumme nur etwas Unverständliches vor mich hin. „Ja ja, ich weiß. Du magst es nicht, wenn man so viel redet am frühen Morgen und wenn man dir dann noch so nette Komplimente macht, streikst du sowieso.“ Wie Recht er doch hat. Er kennt mich eben.
Ich habe solche Kopfschmerzen, warum kann er nicht wieder gehen? Ich gebe mir doch alle Mühe unausstehlich zu sein und habe noch nicht ein Wort seit seiner Ankunft gesprochen. Er erzählt mir von seinem Job, dem ganzen Stress dort, seinem Fußballspiel am nächsten Wochenende, obwohl er doch weiß, dass ich Fußball nicht leiden kann. Von dem Ferienhaus in Norwegen, er will mit mir dorthin fahren. „Ich freue mich schon wahnsinnig. Wir zwei alleine in dieser wunderbaren Landschaft, das wird der Urlaub meines Lebens, unsres Lebens. Oder?“ Ich lächle ihn an. Das heißt, ich ziehe meine Mundwinkel nach oben. Seine Augen leuchten. Er liebt mich. Er liebt mich tatsächlich.
Er berichtet mir von Norwegen, ich war noch nie dort. Er schon. Die Wälder, die Elche, das Meer, wunderschön. Es folgen einige Reiseberichte aus früheren Jahren. Ich weiß nicht genau. Reisen mit seinem besten Freund, Reisen mit seinen Eltern in der Kindheit, Reisen mit seiner Frau. Dieses Schlagwort reißt mich aus meinen Gedanken, weckt mich schlagartig. „Mir ist übel, sei mir nicht böse.“ Ich schließe mich im Badezimmer ein. Carlo ist im ersten Moment so verdutzt, dass er sitzen bleibt.
Ich setze mich an den Badewannenrand. Habe ich geträumt? Sie steht vor mir, in meiner Wohnung, schreit mich an. Er liebe nur sie und ich sei nur ein billiges Flittchen, bald kommt ein neues, aber sein Herz gehöre nur ihr. Sie wirft mir abscheuliche Dinge an den Kopf, die mir die Tränen in die Augen treiben. Sie schreit, ich schreie und weine. Was fällt ihr ein? Warum verletzt sie mich so? Das Recht hat sie nicht! Aber was, wenn es stimmt? Was, wenn er mich nur ausnutzt und mich nicht liebt? „Er braucht Abwechslung, aber mehr ist da nicht, verlass dich drauf. Er wird dich schneller abservieren, als du schauen kannst. Nur weil er in dein Bett gehüpft ist, wird er nicht sein Leben mit dir verbringen!“ Verzweiflung macht sich breit in mir. Ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Durch einen Schleier erkenne ich ihre Gestalt, wild gestikulierend beschimpft sie mich. Sie soll doch still sein! Kann sie nicht ihren Mund halten? Sei einfach still! Ich gehe in die Küche, weg hier, damit ich sie nicht mehr anhören muss. Ich lasse mich nicht provozieren und eine Person wie sie verletzt mich auch nicht. Sie geht mir nach, schimpft weiter, schreit. Der Messerblock vor mir, ich ziehe ein Messer. Sie dreht sich gerade weg von mir und bekommt es nicht mit. Ich hebe meine Hand und lasse sie fallen, mit aller Kraft. Ich spüre den Widerstand. Ich lasse das Messer los. Sie dreht ihr Gesicht zu mir, möchte schreien, die Augen blicken mich erschrocken an, sie fällt zu Boden, ein Blutsee auf meinen Fliesen.
Mein Magen rebelliert. Ich beuge mich über die Toilettenschüssel. „Ist alles in Ordnung bei dir, mein Schatz?“ Carlo steht vor der Badezimmertüre. „Ja. Bitte geh jetzt.“ „Ich melde mich morgen wieder bei dir, wenn’s dir besser geht, ja?“ Er geht und zieht die Wohnungstüre hinter sich zu.
Der Blutsee auf den Fliesen. Gut, dass es nur Fliesen sind, lässt sich alles wieder säubern, mein Teppich wäre ruiniert. Ich bringe ihren Körper weg, in den Keller. Ich tue es ohne nachzudenken und wie in Trance. Meine Fliesen sind wieder sauber. Sie hat es verdient, sie tut mir auch nicht leid. Ich habe zwar nicht geplant, dass es so ausgeht, aber wenn es eben sein muss.
Ich gehe mit viel Mühe ins Schlafzimmer und lege mich in mein Bett. Ich schlafe bis morgen durch und dann werde ich Carlo anrufen. „Pack deine Sachen, wir fahren nach Norwegen. Sofort.“