Eine Tube Handcreme
Eine Handcreme. Keine besonders große, eine Handcreme eben. In einer schönen Tube, ist wirklich sehr ansehnlich. Man sieht ihr sofort an, die ist für die Schönheit da. Die macht das bestimmt gut, die könnte man nehmen. Tun aber nur wenige. Irgendwas stimmt dann doch nicht, könnte die Farbzusammenstellung auf der Verpackung könnte es sein. Orange mögen nicht sehr viele, „Apotheker“ steht auch noch drauf, so etwas wollen die wenigsten Leute sehen, wenn sie an „Happy Derm“ und Lipgloss vorbeigehen. Passt dann doch irgendwie nicht und man nimmt die Tube mit der Kamille oben drauf, die so frisch grün strahlt. Schade irgendwie. Wenn die wüssten…
Macht sich aber gut, die Handcreme. Da, auf dem Regal, wo sie schon ziemlich lange steht. Ist von ganz hinten nach vorne gerutscht, endlich kann sie auch mal was sehen. Hat aber doch ziemlich lange gedauert. Sie weiß um ihr Äußeres Bescheid, die Handcreme. Sie weiß auch, dass es nun auch noch ein Weilchen dauern wird, bis sie endlich wer mitnehmen wird. Solange genießt sie mal den Ausblick. Aha, so viele Nachbarn. Alle sehr hübsch, sehr hübsch anzuschauen, so von außen. Ob dies bringen? Da sind kleine, dicke, dünne, feine, teure, eher billige, welche mit Händen drauf, andre mit Blüten und wieder andere mit Gesichtern. Lieber nicht runterschauen, scheint ja doch ziemlich hoch zu sein. Eigentlich auf einer gut erreichbaren Höhe, unsre Handcreme. Interessierte sehen sie bestimmt, auch wenn sie sie dann doch nicht nehmen. So ein Podest wäre dann auch nichts für die Handcreme, will sich ja nicht präsentieren, wie ein Stück Fleisch. Die ganzen Aktionen, Sonderangebote, wie sie glitzern, funkeln und hübsch verpackt sind. Vielleicht noch ein Schleifchen dran? So und so viel Prozent gratis, so und so viel kann man sparen, schnell zugreifen, limited edition, Aktion zum Muttertag, schnell noch an die Mutter denken. Dann wieder ein ganzes Jahr nicht. So ein Plakat wird uns dann schon wieder dran erinnern. 8. Mai, Muttertag.
Wer kommt denn da? Da kommt doch wer, die Creme hört es doch ganz genau. Hört sich irgendwie nach Hühnerpflasterkäufer an. Klingt irgendwie so, also hätte der Kommende Schmerzen, hinkt vielleicht. Müsste sich vielleicht größere Schuhe kaufen, aber wer will eine Frau mit Schuhgröße 40? Die Creme aber unterstellt niemandem was. Eine Handcreme hat andere Dinge im Kopf.
Pause, Nacht, Nichts, grelles Licht, Nichts, Pause.
Da grabscht wer. Ganz unsanft, hätte die Handcreme wirklich nötig. Packt sie richtig, so als wäre sie irgendetwas. Das machen so viele Leute, sie tapsen und packen etwas an. Der Grabscher liest sich kurz die Hinterseite durch, als ob der Lieblose etwas von Tocopherol oder Calendula Officinalis verstehe. Bringt es denn was, dass der Fassende es sich durchliest, kurz ein kluges und interessiertes Gesicht macht, um die Handcreme dann doch nur wieder wegzustellen? Grabscht dann nach der Kamillencreme, die ist allen ein Begriff.
So unsensibel, stellt die Handcreme ganz schief ins Regal. Eine Ecke schaut raus, schaut wirklich weit heraus. Richtig auffällig, tanzt aus der Reihe, wirklich aufdringlich, passt so gar nicht ins System. Stellt man sich an das Ende des Regals und schaut seitlich darauf, sieht man ganz deutlich die Ecke herausstehen. Das ist ihr jetzt aber unangenehm, muss sich die lächelnde Kassiererin kurz vor Feierabend noch mit der Handcreme rumschlagen und wieder ordentlich hinstellen. Wirklich, sehr unangenehm das Ganze.
Endlich, kein grelles Licht mehr, hat ja wirklich sehr geblendet. Da kommt wieder dieses Schlürfen. Muss die Kassiererin sein. Wer denn sonst, ist ja bald Nacht. Sieht die Tube natürlich sofort, ist ja nicht richtig angeordnet. Die Kassiererin nimmt sie sanft in die Hand. Wiegt sie hin und her, kommt einem Schaukeln nahe. Die Tube schläft dabei fast ein, wird dann aber doch noch umgedreht. Aufmerksam wird die Rückseite studiert, die Kassiererin lächelt ganz kurz, „Da wird sich Mutter freuen.“