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Eine Verabredung
Nehmen wir mal an:
Ein Mann und eine Frau gehen auf dem Fußweg spazieren.
Oberflächliche, eher männliche, Beobachter würden behaupten, dieser Mann hat die Nähe einer solchen Frau nicht verdient. Sie ist einfach zu schön für sein – sagen wir – bodenständiges Wesen. Das sagen die Oberflächlichen, die den Mann nicht kennen, die selbst gern neben der Frau gehen und liegen würden.
Was aber sagt die Frau?
Warum läßt sie sich von ihm durch die Straßen führen, warum lässt sie sich überhaupt auf ihn ein, wo sie doch an jedem Finger einen jüngeren, attraktiveren haben könnte .
Nun, wir werden das nicht erfahren, vielleicht ist sie ja nicht interessiert an kurzer Oberflächlichkeit. Möglicherweise ist die Jugend eine Zeit, die sie am liebsten überspringen würde und sich darum zu älteren Männern hingezogen fühlt. Vielleicht ist es, weil sie nie einen richtigen Vater hatte. Es ist müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.
Bekannt ist nur, dass der Mann sie gestern im Supermarkt ansprach, als sie gerade dabei war, die Einkäufe in die Tüte zu verfrachten, und wohl in der Stimmung, sich zu verabreden.
Beobachten wir also die beiden ein wenig aus der Ferne, die einen mit Interesse, die anderen mit Neid. Sie lässt sich bereitwillig unterhaken und er scheint sich wohl zu fühlen, sie so durch die Gassen zu lenken. Er unterhält sie mit Anekdoten aus seinem Leben und es herrscht bereits eine Vertraulichkeit, die den einen das Herz erweitert, den anderen eher zusammenzieht.
Und nun passiert etwas Überraschendes. Vor den beiden taucht ein nicht zu übersehender Haufen Hundekot auf. Nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend, ja man könnte sogar sagen alltäglich, aber dieser sitzt so zentral auf dem Gehweg, dass er schon fast eine Identität annimmt. Statt aber nun die Frau an sich zu ziehen und sie um dieses Hindernis herumzumanövrieren, dies eventuell sogar zu nutzen, um ein erstes Mal intensiver auf Tuchfühlung zu gehen, ihre Hüfte zu spüren, passiert nichts dergleichen. Der Mann bleibt plötzlich stehen. Mit der Frau im Arm, vor dem Hundehaufen.
Wären sie ein altes Ehepaar wäre dies nichts Außergewöhnliches. Er würde dies vielleicht zum Anlass nehmen, um auf den Verfall der guten Sitten zu sprechen zu kommen, vom Hundehaufen zu seinem Nachbarn und zu dessen Kindern und dann zur Lage der Nation im Allgemeinen und dem Rentenproblem im Speziellen. Und sie würde dies stoisch hinnehmen, da sie wüßte, dass er das ab und zu braucht. So als Ventil, weil er dann auch viel ausgeglichener ist und nachts weniger schnarcht. Aber hier, beim ersten Date, scheint sich etwas anzubahnen. Einige werden frohlocken und sagen, sie hätten es doch gewusst. Solch ein Wicht und diese Frau ...
Nun der Mann scheint sich nicht beirren zu lassen, er beugt sich hinunter, zieht die untergehakte Frau notgedrungen mit und sagt: “Nun schauen Sie sich das einmal an. Ich möchte nur wissen, wer hier der Hundehalter ist.“
Also doch, werden die meisten sagen. Er kann es nicht lassen, er kann nicht über seinen Schatten und diesen Haufen springen. Er ist scheinbar schon in diesem Alter und er muß hier und jetzt beginnen, auch wenn die beiden kein Ehepaar, sondern nur ein Pärchen beim ersten Date sind.
Doch statt zu schweigen und sich so seine Gedanken zu machen, sagt das Mädchen: “Das bin wohl ich.“
So, nun ist die Bombe geplatzt. Die Neidischen reiben sich die Hände. Das ist ein tiefer, tiefer Schlamassel, da hilft ihm selbst die göttliche Halbglatze nicht mehr raus. Und während die anderen noch staunen über die Offenheit des Mädchens, übersehen sie leicht das Lächeln, das über das Gesicht des Mannes huscht. Denn dieser ist hierüber weder bestürzt noch peinlich berührt, seine Begleiterin in solch eine Lage gebracht zu haben.
Er hat es offenbar gewusst. Er hat vielleicht gesehen, wie sie am Vortag mit dem Hund unterwegs war, wie dieser sich urplötzlich hinhockte und sie nach allen Seiten blickend, dann wieder auf den Hund, dann wieder wegblickend, da dieser immer noch angestreckt hockend an jenem Orte sich erleichterte. Anscheinend weiß sie aber nicht, was er schon weiß.
„Es ist der Hund meiner Nachbarin“, flüstert sie. Es ist ihr nicht angenehm, so zu beichten, einem Mann, den sie noch gar nicht kennt, aber sie bricht nicht ab. „Sie ist schwer krank. Sie hat Krebs und ich helfe ihr mit dem Haushalt. Dass der Hund an dieser Stelle ... ist mir unangenehm.“
Sie sucht nicht nach weiteren Ausflüchten, versucht keine Argumente zu bringen, was man trotzdem hätte unternehmen können. Sie hält seinem Blick stand und die meisten werden denken, dass sie sich nun umdreht und weinend die Straße hinunterläuft. Ihr ist auch danach, denn es ist ihr sehr peinlich.
„Ich weiß“, sagt er, „ich wohne hier. Ich habe Sie gestern vom Fenster aus gesehen.“
Na fein. So blöd kann man gar nicht sein! Jeden Augenblick werden ihr die Tränen in die Augen schießen. Wie sie ihn anschaut, erst erstaunt, dann mit einer tiefen Traurigkeit und nun beginnen ihre Augen zu blitzen.
Ah. Jetzt wird sie es ihm geben. Die Neidischen freuen sich, darauf haben sie gewartet. Sie haben es ja schon die ganze Zeit geahnt. So ein Mistkerl, er hat es mit Absicht getan, er hat sie mit Absicht diese Straße entlanggeführt, in diese Situation, beim ersten Date schon zum Weinen gebracht. Aber diese Frau ist Dynamit. Das wird sie sich nicht bieten lassen. Sowas hat sie doch gar nicht nötig! Gleich wird sie ihm eine Ohrfeige verpassen und dann fünf anderen Männern die Herzen brechen.
Noch während sich alle in ihrer Schadenfreude wälzen, beginnt er wieder zu sprechen, noch bevor sie an dem Punkt ist, wo es aus ihr herausbricht, sie ihr Dynamit entzünden kann.
“Ich bin Tierarzt“, sagt er. „Ich muß Ihnen sagen, dass der Hund sehr krank ist. Wenn er weiter falsch ernährt wird, stirbt er in ein bis zwei Wochen.“
Wieder ändert sich ihr Gesicht. Die ganze Entschlossenheit wandelt sich in Hilflosigkeit. „Aber ich nehme doch immer dieses Dosenfutter, wie sie es mir aufgeschrieben hat.“
„Ja“, sagt er mit Blick nach unten, „das kann man sehen. Der Hund, er braucht Trockenfutter. In den nächsten Tagen muß er eine sehr strenge Diät halten. Es ist sehr wichtig, dass diese eingehalten wird, sonst kommt jede Hilfe zu spät.“
Sie schluckt, kann aber die Tränen nicht zurückhalten.
„Es ist meine Schuld. Sie hängt so an ihm, wenn sie aus dem Krankenhaus kommt und der Hund... Es wird ihr das Herz brechen.“
Er legt seinen Arm um sie.
„Das kriegen wir schon wieder hin. Lassen Sie uns nach oben gehen und dann koch ich uns erst mal einen Kaffee. Dann schreibe Ihnen genau auf, was er bekommen muß und morgen bringen Sie ihn mal her.“
Er öffnet die Tür, während sich das Mädchen dankbar an ihn schmiegt. Dann schließt sich die Tür vor unseren neugierigen und neidischen Blicken.