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Eine Weihnachtsgeschichte ...
Ich bin gekommen, um euch von meiner übrig gebliebenen Kleinfamilie zu verkünden, bestehend aus meiner Oma, meiner Mutter und mir. Zwar sehen wir uns das ganze Jahr hindurch; im Dreierpack, als Miniaturmischpoke, mit dem zum Scheitern verurteilten Bemühen, sich gegenseitig nicht auf die Füsse zu treten, gibts uns aber nur, manchmal, bei Geburtstagen und, stets, zu Weihnachten ...
Der Ablauf eines Familienabends ist dabei meist derselbe; in Watte packen, erste Gewitterwolken, Donner, Blitz, und Hagel, vorzeitiger Abbruch des Trauerspiels zufolge eines Wetterinfernos apokalyptischen Ausmasses. Meine Mutter, zerfressen von diversen nicht aufgearbeiteten Traumata, die Beziehung zu Vater und Schwester betreffend, meine Oma, stets loyal zu ihrem patriarchalischen Ehemann, als dessen Überbleibsel nunmehr hilfloses Zielobjekt für den töchterlichen Pfeilregen, ich, dazwischen, unentschlossen, zwar natürlich auf Omas Seite, und doch im Bestreben, den Tanz der Dämonen meiner Mutter, deren Existenz ich nachzuvollziehen in der Lage bin, nicht vollends zu entfachen ...
Irrenhaus ...
In diesem Jahr nun hat die Mutter beschlossen, der gemeinsame Weihnachtsabend sei auswärts zu verbringen, weil sie sich die heimischen Essensvorbereitungen ersparen wollte, deren Aufwand in eindeutigem Missverhältnis zum desaströsen Ausgang der Abende zu stehen pflegt. Meinetwegen hätte man auf die Alibiveranstaltung auch ganz verzichten können, doch hätte dies seitens meiner paranoiden Mutter - man kann sich zwar 364 Tage im Jahr auf die Nerven gehen, aber zu Weihnachten gehört die Familie zusammen! - doch wieder nur zu einem Aufschrei geführt, dessen volle Breitseite die Oma abgekriegt hätte ...
Na, dann ...
"Die schlichte Feier beginnt mit einem feinen Nachtessen. Eine Weihnachtsgeschichte, Singen und Musizieren runden das Zusammensein ab.
Herzlich willkommen sind junge, mittelalterliche und ältere Menschen (...) alle, die sich angesprochen fühlen und den Weihnachtsabend im Kreise einer grossen Familie verbringen möchten.
Wir erwarten Sie um 19 Uhr im katholischen Pfarreizentrum ..."
Na, danke ....
Also, Heilig Abend, halb Sieben, raus aus dem Haus, wir wohnen zwar praktisch gleich um die Ecke und sind motorisiert, aber Mutter will ja auf keinen Fall zu spät kommen, in der Öffentlichkeit toben oder weinen, klar!, wenns denn sein muss, aber zu spät kommen, niemals!, und rein ins Pfarreizentrum.
Wir sind, natürlich, wie immer, wenns nach dem Kopfe meiner Mutter geht, so ziemlich die Ersten. Begrüssen der anderen Frühzeitigen, zwei alte Jungfern, unbehagliche Atmosphäre, man kennt sich schliesslich nicht und will auch nicht wirklich was voneinander wissen. Dann trudelt nach und nach der Rest der betagten Gästeschar ein, insgesamt etwa 30 Alterswarzen, Generation 70 plus, weisses Haar, Brillengestelle, Blümchenkleider, Perlenketten. Ein eindeutiger Frauenüberschuss, nur nützt der hier keinem. Der Mann, der, als eine Art Animateur, durch den Abend führen wird, stellt sich bei allen einzeln vor, er ist sympathisch, bebrillt, von liebenswerter Trotteligkeit und trägt eine Krawatte mit Comic-Nikoläusen. Ob Pfarrer, oder nicht, habe ich auch nach dem Besuch der Homepage des Vereins nicht verstanden, ist aber natürlich auch wurscht. Irgendwo, wohl in der Küche, soll ein weiterer Mitarbeiter rumwuseln, den der Hausfreund meiner Mutter, ihr Nachbar, das wandelnde, oder wohl eher tippelnde Schwulenklischee, mal, wie sie erzählt, zum Essen eingeladen haben will. Plötzlich muss ich an meinen Kinderarzt denken, der, wenn er mich im Hüftbereich untersuchte, die etwas angespannte Situation stets mit dem Spruch "Keine Sorge, ich hab schon zu Mittag gegessen ..." aufzulockern versuchte. Woher will ich eigentlich wissen, dass er in jenen Momenten nicht dennoch Appetit verspürte ..?!
Unsinn!, weg damit!
Wir setzen uns. Mir gegenüber wird eine sympathische Greisin hingepflanzt, die alleine gekommen ist, weil ihr Mann im Krankenhaus liegt. Sie ist fast schwerhörig, ich tue mein Bestes. Neben ihr sitzt eine Alte, die wirkt, als sie habe sie keinen Plan davon, was hier abläuft geschweige denn, auf welchem Planeten sie sich befindet. Sie fährt mit der Hand immer wieder über etwas leblos Pelziges auf ihrem Schoss. Bevor ich meine, sie habe einen ausgestopften Tierkadaver, etwa ihren Ex-Fiffi, mitgebracht, erkenne ich einen etwas eigentümlich aussehenden Schal ...
Ich guck mich um, wirklich niemand aus meiner Altersklasse hier ..?! Mein Blick wird doch noch fündig; weiblich, um die dreissig, dick, aber immerhin. Später stellt sich heraus, dass es sich um die Sekretärin des Animateurs handelt, was die Veranstaltung für sie zu einer Art Betriebsfeier macht, mit gelegentlichem Aushelfen. Und ich bin doch der einzige Depp ..!
Das Essen beginnt, mehrere Gänge, dazwischen immer wieder, das Versprechen wird wahr gemacht, Singen und Geschichten vorgelesen bekommen. Der Animateur setzt an, will von "Wünschen" während der "Adventszeit" berichten, seine holprige Erzählweise lässt meine Gedanken nach wenigen Sätzen abschweifen. Später gibts die Geschichte des "Räubers Horrificus" aufgedrückt, des "furchtbarsten Räubers in der ganzen Wüste", und seiner Begegnung mit der Jungfrau Maria samt Kinde. Wenn er den Schurken spricht, senkt der Animateur seine Stimme, allerdings nur zu Beginn, dann scheinen Konzentration und/oder Stimmvermögen zu schwinden und der Rest wird in sonor gleichbleibendem Tonfall vorgebetet, weshalb ich auch hier nicht weiss, wie das Ganze ausgeht ...
Nächster Gang, das Essen wird immer besser! Eine sehr junge, ziemlich attraktive Frau streckt mir Teller und ihren Ausschnitt entgegen. Ich bin überrumpelt ob dieses unverhofften Ästhetikschocks inmitten eines Meeres der Verwitterung, will protestieren, da entschwindet sie, freiwillige Helferin, auch schon wieder in die Küche. Der nächsten Bedienung, die vorbei kommt, glücklicherweise in dem sich heute Abend hier gehörenden Alter, biete ich sogleich an, in der Küche mit anzupacken, doch mir wird gedankt und man werde, bei Bedarf, auf mich "zurück kommen" ...
"Wollen wir jetzt "Oh, du Fröhliche" singen ..?" fragt der Animateur in die heitere Runde.
Nein, wirklich nicht!
Keine Widerrede. Was nun?! Ich mag nicht singen, höchstens ausnahmsweise mal genauer auf den Text achten, bin ja jetzt selber Schriftsteller, doch wird das vielleicht als Beleidigung aufgefasst, die Gesangsbeteiligung möglicherweise als Anerkennung, als Applaus für die heutigen Annehmlichkeiten verstanden ... Feige halte ich mir das Blatt mit den Texten der an diesem Abend zu absolvierenden Lieder, etwa zehn an der Zahl, vors Gesicht, bedecke mich, verstecke mich vor potentiellen Kritikerblicken. Plötzlich steht der Kellner, ungefähr in meinem Alter, mit einer Frisur wie Atze Schröder nachm Wolkenbruch und von jener Art sektiererischer Ruhe, die mir stets etwas Unbehagen bereitet, hinter mir, verharrt eine Weile und zeigt mir dann, wo im Text wir uns grade befinden. Ich bedanke mich artig und weiss bis heute nicht, ob ers ernst meinte ...
Zwischendurch gibts auch immer wieder was auf dem Klavier vorgespielt, die Solistin, ein weisshaariger Pudel von sympathischer Zurückhaltung, erhebt sich für ihre Einsätze von der Tafel und gibt, bevor sie sich ans Klavier setzt, einige Sätze über Werk oder Komponist zum Besten, dabei stets leicht nach vorne gebeut, als wolle sie sich schon vorab beim Publikum für die nachfolgende Belästigung entschuldigen. Ich muss unverweigerlich an Herrn Weber aus "Ödipussi" denken, den Hausfreund von Loriots Mutter mit schütterer Beethoven-Frisur, der mit dem alten Drachen "musiziert", die Hemden ihres Sohnes bügelt und vor seinen Klaviereinlagen das höchst interessierte Publikum mit nicht ganz kurzen Vorträgen über das zu erwartende Liedgut beglückt ...
Endspurt. Dessert, wiederum köstlich, Gratulation an dieser Stelle an den Koch!, bald darauf lichten sich die Reihen, man muss ins Bett, ich verabschiede mich, lauthals, von meiner Tischnachbarin. Später wirft meine Mutter der Oma noch vor, diese habe Frau Soundso, die meine Mutter doch immerhin kenne, nicht "wirklich freundlich" gegrüsst, was für ein Schwachsinn!, und es gibt zwischen den beiden einen kurzen Disput darüber, wie viel Geld in das vorwurfsvoll unübersehbar am Eingang platzierte Säckel zur dankbaren Unterstützung des eigentlich kostenlosen, mit meiner Kirchensteuer finanzierten Abends gelegt werden soll, dann endet das Abenteuer, welches erstaunlich unspektakulär über die Bühne gegangen ist. In die Küche wurde ich bis zuletzt nicht beordert. Fragt sich, wer mehr an mir verpasste; der Bekannte des Hausfreundes meiner Mutter oder die junge Bedienung ...
Meine Oma und ich besuchen noch, wenn wir schon mal hier sind, die gleich nebenan stattfindende Mitternachtsmesse, die wir allerdings nicht bis zum Ende durchhalten, als einzige Besucher der rammelvollen Kirche, wies scheint. Vorwurfsvolle Aura einer tumb stummen Publikumsmasse zum Trotze verschwinden wir nach etwa einer Stunde aus dem Hintereingang, zu dem wir uns anlässlich des allgemeinen Gewühls bei der Hostieverteilung hingeschlichen haben, und ab!
Den nächsten Familienkrach, aus den altbekannten Gründen, gabs vor wenigen Tagen.
Weihnachten mal aussen vor gelassen.
Das Fest der Liebe ...