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Eine wirklich alberne Geschichte
und vielleicht sogar über die Liebe ...
Für morgan
Es war einmal ...
... eine raue Herbstnacht. Wind peitschte Regen gegen das Dickicht und die Blätter der Bäume. Die Äste wiegten sich im Stakkato, der Kraft der Naturgewalten hörig und ächzten unter der Last des Sturmes. Die Nacht war so rau, dass sogar die Blitze vor Angst in das Unterholz des Waldes schossen, nur um dem Furcht einflößenden Donnern entkommen zu können. Jeder Waldbewohner hatte sich in sichere Zuflucht begeben. Außer dieser einen Eule und ...
... Brogomil, der Kutscher der Dunklen Gestalt, musste den widrigen Umständen trotzen und ließ seinen Einspänner den schlammigen Waldweg durchfurchen. Das Ziel war eine unscheinbare Hütte am Ende einer Lichtung, mitten im Nirgendwo.
Lichtungen sind im allgemeinen gut zu finden. Nur leider haben Herbstnächte den bemerkenswert hinderlichen Nachteil, dass sie verflucht dunkel zu sein belieben.
Zu allem Überfluss hatte Brogomil den ausgeprägten Orientierungssinn einer Bratpfanne.
Die Burg Bullahbüh entsprach der herzoglichen Norm und stand auf einem schicken Bergkamm, welcher sich an eine recht ansehnliche Schlucht schmiegte und einen faszinierenden Blick auf die reißenden Gewässer des hiesigen Flusses bot. Die Verortung des Kastells auf einen Berggrat hatte den ungemein praktischen Vorzug, dass auf einen Henkersplatz verzichtet werden konnte, da die Verurteilten einfach über die Burgmauern geworfen wurden. Die Zeit bis zum unvermeidlich tödlichen Aufprall dauerte indes so lange, dass zwischen dem Schreien Luft geholt werden musste. Freilich wurden die Geworfenen vorher über diesen Umstand in Kenntnis gesetzt.
Hexen hingegen wurden immer noch auf die althergebrachte Art und Weise verbrannt oder mit Schleudern gegen umliegende Felsen katapultiert.
»Mutter?« Prinz Hubert, Anwärter auf den Thron von Bullahbüh, schwankte unsicher über einen mit unheimlich dicken Wandteppichen, Rüstungen und grotesk anmutenden Tierköpfen geschmückten Gang.
Der Prinz hatte neue Puffärmelärmel, welche die Sicht und seinen Bewegungsspielraum ein wenig einschränkten.
»Mutti, wo seid Ihr?«
Die Herzogin saß im großen Kaminsaal und klöppelte an einem neuen, mit sonderbaren und unfassbar unglaubwürdigen Heldentaten verzierten Gobelin. Geknüpfte Lügen in diversen Farben und unvergleichlicher Flauschigkeit.
»Mutter! Ich bin entrüstet!« entschied der Prinz energisch und nestelte an seinen Ärmeln herum.
»Das bist du doch immer, Sohn«, entgegnete die Regentin mit stoischer Gelassenheit.
»Aber diesmal geht es eindeutig zu weit, Mutter. Ich verbitte mir diese Heldentaten!« Der Prinz stemmte demonstrativ die Fäuste in die Hüften, um seinem Unmut mehr Präsenz zu verschaffen. Hierbei sei erwähnt, dass Hubert recht dünn ausgefallen war, eine typische - jedoch zu jener Zeit hoch moderne - Prinz-Eisenherz-Frisur trug und eine Strumpfhose anhatte, die von Purpurtönen vergewaltigt und durch Karreemuster strategisch unterstützt worden zu sein schien. Infolgedessen gab Hubert eine recht lächerliche Figur ab. Wenn man nun noch bereit war, die Puffärmelärmel hinzuzufügen, ergab sich ein optisches Gebilde von höchster Geistesarmut.
Die Fürstin sandte ein Stoßgebet gen Kronleuchter.
»Himmel, werd endlich erwachsen.«
»Aber ich fühle mich nicht bereit für die Ehe. Ich kenn die Frau doch überhaupt nicht. Was ist, wenn sie nicht mein Typ ist?«
»Jede Frau ist dein Typ, Sohn.«
»Wie jetzt? Und was ist, wenn sie mich nicht mag?«
»Die finanzielle Seite ist bereits geregelt, Sohn.«
»Na, das freut mich ja ungemein. Aber warum dieses Gerette? Das ist nicht nur albern, sondern obendrein noch völlig überholt.«
Die Herzogin seufzte, knüpfte aber ungehindert weiter an dem Bild eines Drachentöters, welcher mit Hilfe von Marmorkuchen und diversen Feinrippschlüpfern den Sieg errang.
»Das ist nun mal der Lauf der Dinge«, erklärte die Herzogin gelangweilt und stickte ein weiteres, erstaunlich unwahres Detail der Heldentat. »Du bist ein Prinz und hast gefälligst eine Prinzessin zu retten ...« Sie schnaufte. »... welche sich für gewöhnlich in den tödlichen Klauen eines übel riechenden Drachen befindet. Hoch oben auf der Höllenschlundfeste. Oder da, wo es eben grauenvoll und gefährlich ist.« Sie hielt kurz inne und ließ den Blick über diverse Gemälde schweifen, auf denen sämtliche Urahnen in ziemlich lächerlichen Posen abgebildet waren. Herzog Holgi III. beispielsweise, hielt eine Art Echse in den Armen und lächelte dem Betrachter mit grenzdebilem Selbstverständnis entgegen. Bei eingehender Betrachtung stellte sich die Frage, ob das Kriechtier das Monster oder die Gerettete war.
»Wie sieht das denn aus, wenn wir einen Prinz haben, der Single ist?«
»Modern, Mama! En vogue und bahnbrechend.«
»Das hast du doch wieder in irgend so einem Käseblatt gelesen.«
»Aber ich will nicht irgendjemanden retten, den ich überhaupt nicht kenne, nur weil es die Tradition so vorsieht.«
»Aber so steht’s geschrieben und so wird’s gemacht.«
»Aber ich will lieber singen!« Er drehte eine Pirouette. »Und den ganzen Tag tanzen ... Hach!«
»Wenn du das noch mal machst, versohl ich dir den Hintern, schick dich ohne Abendbrot ins Bett und enterbe dich!«
Hubert versuchte die Arme zu verschränken, um seinem Trotz den nötigen Nachdruck zu verleihen, scheiterte jedoch an den aufgeblähten Armen.
»Aber ich habe nicht die Absicht, dieses Mädchen zu retten«, schnaubte er.
Die Monarchin verdrehte die Augen.
»Tust du ja auch nicht.«
»Nicht?«
Prinz Hubert kämpfte gegen die Ärmel, die langsam seinen Kopf umschlossen.
»Wenn ich mich schon dieser lächerlichen Verpflichtung, äh, verpflichten muss, wieso bin ich dann noch hier und ...« Er holte Luft und füllte die Lungen mit Sarkasmus.
»... stürme nicht das Verlies der Verdammnis und strecke das Monster nieder, welches sich an der holden Maid zu schaffen macht, oder wie auch immer das so gehandhabt wird?«
Stille.
Die Hellebarde einer Ritterrüstung sank langsam quietschend und schließlich scheppernd zu Boden.
»Sohn, hast du dich schon mal im Spiegel betrachtet?«
»Ja, Mutter, hab’ ich und ich muss sagen, dass mir Puffärmelärmel eine aparte Androgynität verleihen und obendrein sehw guw fu Geficht ftehen.« Der Prinz hatte die Ignoranz eines geisteskranken Mungos und den Verstand eines frisch lackierten Holztisches. Außerdem war er einer der wenigen Menschen in diesem unendlich weiten Universum, die mit der eigenen Kleidung einen Kampf auszufechten hatten.
»Und deswegen habe ich einen Profi zur Rettung entsendet«, begründete die Herzogin und untermalte ihren Entschluss mit einem erneuten Verdrehen der Augen.
»Gnh. Und welcher Grandseigneur, wenn ich fragen darf, soll an meiner Statt das Wagnis bestehen?«
»Madame Cecile Bolivar de Estragon.«
»Komischer Name für einen Mann ...«
Aus Prinz Huberts Ärmeln puffte die Luft heraus.
Hackbert Hucklepuck wärmte sich gerade sein achtes Bier über dem Feuer auf, als ein verängstigter Blitz hinter der Hütte Schutz suchte.
Er erschrak und verschüttete die Hälfte auf sein Knäckebrot.
»Scheißwetterverfluchtekackenocheins!«
Hucklepucks Hütte - die aus Zeit- und Kostengründen aus Dreck anstatt aus Lehm errichtet worden war - trotzte den Naturgewalten mit heroischer Abgebrühtheit, was an ein Wunder grenzte, da sich das Domizil weder dieser Eigenschaft bewusst war, noch eines Verstandes vergegenwärtigen konnte und sich in Wirklichkeit nur aus einigen Stöcken, Blättern und einem mächtigen Haufen Wildschweinscheiße zusammensetzte.
Hackbert Hucklepuck war Profijungfrauenretter und galt als die Nummer Eins im gesamten Lande. Er verhalf Prinzessinnen aus der Gefangenschaft von Trollen, Seeungeheuern, Schwiegermüttern, beziehungsweise Monstern oder Lebensgemeinschaften ohne vertragliche Regelung. Sein Auftreten war knallhart und orientierte sich am grazilen Geschick einer Dampframme, wohingegen seine Ausdrucksweise an die Form und Konsistenz eines Kuhfladens erinnerte.
»Scheiße!«
Brogomil zügelte das Pferd und stoppte die Kutsche. Ein leicht schimmerndes Licht drang durch die tosende Unwirtlichkeit.
»Hier muss ich richtig sein«, vermutete Brogomil und starrte auf ein Schild an einem schludrig zusammengezimmerten Briefkasten, der wie ein hohler Holzstamm aussah und sich bei genauerer Betrachtung auch als ein solcher entpuppte.
›Hackbert Hucklepuck – Lizensierter Prinzessinnenbefreier. Bitte keine Werbung!‹
Brogomil klappte die Stufen unter dem Ausstieg hervor und klopfte an die Wagentür.
»Sind da, gnä Herr.«
Der Fahrgast trat hinaus. Schwärze umhüllte die Gestalt, so schwarz, als wenn im gesamten Universum das Licht ausgeknipst worden war. Regen und Sturm flohen vor Entsetzen und überließen einer Stille das Feld, die jederzeit bereit war, einen Hörsturz zu verursachen.
Brogomil verneigte sich indessen und deutete mit dem Finger auf das Licht, welches sich zögernd aus diversen Stöcken, Blattwerk und Wildschweinmist drängte.
»Das da? Der wohnt da doch nicht etwa drin, oder?«
Brogomil erhob sich und blickte auf den architektonischen Griff ins Klo.
»Man sagt, er sei der Beste, Herr.«
»Aber da kann man doch unmöglich drin wohnen.«
»Hatte letztes Jahr mehr als einhundert Prinzessinnenbefreiungen. Nur drei Frauenzimmer wurden durch Feuer und lediglich eine durch hysterisches Gekreische unbrauchbar. Versicherungen haben aber gezahlt.«
Der pechschwarze Schemen wendete sich Brogomil zu.
»Also gut. Stock.«
»Stock? Wozu den Stock, Herr? Ich würde das Stilett nehmen, ist unauffälliger und außerdem ...«
Die Erscheinung öffnete ihren Mantel, entblößte eine knochige Hand und gab Brogomil eine Kopfnuss.
»Ich brauche ihn zum Anklopfen, nicht zum Meucheln, du Idiot!«
»Oh, klar.«
Die Unheimlichkeit nahm den Stock entgegen, stapfte lautlos zur Hütte hinüber und pochte an die Stelle, wo sie die Tür vermutete.
»Wer is denn ditt uff eenmal? Und dett um die Uhrzeit!«
Hackbert schob ein paar Äste beiseite und stand einer schwarzen Kapuze gegenüber. Er mochte keine Kapuzen und noch weniger mochte er Menschen, die sich unter Kapuzen verbargen. Von unter schwarzen Kapuzen verborgenen Menschen ganz zu schweigen.
»Ick koof nüscht. Und schon jar nich um die Uhrzeit, Kumpel.«
»Verzeiht...«
»Ick verzeih hier jarnüscht, du Flitzpiepe. Mach dir mal schleunigst vom Acker oder ick klopp dir deine blöde Kapuze samt Omme vonne Schultern, du Kackstiefel!«
Hackbert trank einen Schluck warmes Bier, welches ein betörendes, der Umgebung und Situation angemessenes Odeur verströmte. Zwei, drei Rülpser komplettierten das aromatische Prunkstück. Irgendwo im Hintergrund brach eine Eule in schallendes Gelächter aus.
»Äh, aber Ihr seid doch Hackbert Hucklepuck, Retter der Jungfrauen ...«
»Du sagst et.«
»... Beschaffer der Mamsellen ...«
»Jenau.«
»... HÜTER DES HEILIGEN GRALS ...« Die Stimme rumpelte durch das Unterholz und bohrte sich zum Erdkern.
Hackbert beäugte scheel seinen Holzbecher, in dem warmes Bier der Geschmacksleere freien Lauf ließ.
»Nun ja, äh ...«
»... Befreier der gemarterten Seelen hübscher Maiden, welche in trostloser Gefangenschaft eines schauderhaften, gar übel riechenden Scheusals darben, eingekerkert in dreckigen, von Ungeziefer wimmelnden Türmen, hinter den sieben Bergen, bei den sieben ...«
»Ja, ja, dett bin ick allet! Aber halt die Jusche und komm uffn Punkt!«
Die Geisterhaftigkeit räusperte sich und straffte den Umhang.
»Verzeiht. Nun, äh, wollt Ihr mich nicht vielleicht hereinbitten, dann könnten wir die, nun, Formalitäten klären und ...«
»Is unjünstich. Nich uffjeräumt.«
»Oh, nun gut. An der frischen Waldluft lässt es sich eh viel besser verhandeln.«
»Verhandeln?! Nix da, Freundchen. Ooch wenn ick so ausseh, aber ick bin inne Jewerkschaft. Bei mir jibt dett feste Preise, plus ’ne Jewinnbeteilijung von fünfzich Pro...«
»Fünfundzwanzig!«
»... fünfundzwanzich Prozent. Noch ne Unterbrechung deinerseits, und du schlürfst die Luft durch de Schnabeltasse, klar?«
»Entschuldigt vielmals.«
»Kannste dir klemmen, Keule. Also, denn ma her mit die Fakten. Wie heißt denn die Jute? Von watt isse entführt worden - Drache, Troll, anderweitijet Unjeheuer? Wo steckt se – inne Höhle, Jrotte, Festung? Wann wollta se wiederhaben? Kann se heile bleim? Soll se heile bleim?«
»Nun«, stellte der Kapuzenmann fest und kramte ein paar Blätter unter seinem Gewand hervor. »Dies ist der Vertrag. Hier sind alle relevanten Informationen inkludiert, sowie die üblichen Anweisungen. Spektakulär retten, Brüllen, Waffen abenteuerlich einsetzen – der Standardsatz an Heldentaten eben.«
»Allet klar. Und inkludiert – logisch.«
Die Ungeheuerlichkeit zog einen klimpernden Beutel hervor.
»Dies ist ein Vorschuss von einem Drittel des tariflichen Satzes. Spesen werden nur zu einem Grundanteil und auch nur nach Vorlage von Quittungen übernommen.«
»Du siehst aber nich aus, als ob de am Hungertuch nagen würdest«, meinte Hackbert argwöhnisch und stocherte der schwarzen Gestalt im Bauch herum. Ein ungemein hohles Gefühl. Für beide Seiten.
»Nun, meine Auftraggeber sind recht wohlhabend. Ich hingegen mache mir nichts aus Mammon.«
»Und aus Essen scheinbar ooch nüscht, wa?« Hucklepuck grunzte vergnügt. »Willste vielleicht n Knäcke? Is mit Bier jetränkt.«
Obwohl das Antlitz unter einer Kapuze verborgen war, konnte man einen angewiderten Gesichtsausdruck wahrnehmen. Die Eule lachte schon wieder.
»Ach, da wäre noch eins. Bitte haltet den vorgegebenen Termin EXAKT ein.« Wieder eine Unterholzdurchrumpelung der Stimme. Die Eule hielt sich den Bauch und fiel vom Ast.
»Wir, äh, vermuten, dass noch ein anderer, äh, ›Held‹ hinter der Prinzessin her ist. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass Ihr zur vorgegebenen Zeit am richtigen Ort eintrefft.« Der Umhang wandte sich zum Gehen.
»Man sieht sich. Oh, und äh, schicke, nun ... Hütte.«
»Wohl Tomaten uff de Oogen, wa? Dett isn Haus!«
»Pfffffffffffffffffffft ...« Eine Tanne fing Feuer und entschied sich innerhalb von Sekundenbruchteilen zu Asche zu konvertieren.
»Mir ist langweilig. Darf ich deine Amme fressen?«
»Nein! Und hör auf, dich zu bewegen!«
Grumt, ein Mietdrache, lag bäuchlings vor seiner Höhle auf dem Höllenschlundberg und stützte den Kopf in die Pranken. Prinzessin Margrit saß an einer Staffelei und schwang unentwegt den Pinsel über die Leinwand. Manchmal schürzte sie die Lippen, nahm mit dem Malgerät Maß, unterstützte ihre künstlerische Kreativität, indem sie sich auf die Zunge biss und den Kopf neigte. Ihr Kindermädchen Lotte saß derweil gefesselt an einem Baumstamm und wechselte in unregelmäßigen Abständen ihren Bewusstseinszustand, untermalt durch infernalisches Gekreische.
»Kann ich’s schon sehen?« Grumt pustete Rauch zwischen den Vorderzähnen hindurch.
»Nö!«
»Ich könnte dich verbrutzeln.«
»Aber dann wirst du das Bild mitverbrutzeln.«
»Kann ich jetzt deine Gouvernante essen, Margrit?« Er sah Lotte an und machte Schmatzgeräusche. »Ich hab ja solchen Hunger.«
»Iiiiihhhhaaaaarghhhhh!«
Die Dienerin fiel wieder in Ohnmacht.
»Nein, die wird nicht gegessen.«
»Ach, komm schon. Gerade jetzt würde sie es doch gar nicht merken«, argumentierte Grumt und schnaubte überdrüssig kleine Stichflammen aus der rechten Nüster.
»Hör mal, wir warten jetzt, bis der Held kommt, dich«, sie malte Gänsefüßchen in die Luft, »›tötet‹, meine Aufwartung macht, befreit und so weiter.«
Grumt legte die Stirn in Falten und wartete auf den entscheidenden Punkt in Margrits Argumentation.
»Und weiter?«
»Wie und weiter?« Margrit linste grimmig hinter der Staffelei hervor.
»Zofe. Fressen. Mordshunger. Klingelt's?«
»Ja, ja, du kannst sie haben. Nachdem mich der Held hier abgeholt und mich dem Prinzen übergeben hat, brauche ich sowieso keine Anstandsdame mehr. Dann kannst du mit ihr machen, was, nun, Drachen eben so mit Menschen zu tun gedenken.«
»Wir fackeln ihnen zuallererst die Nasenhaare weg, spucken dann kleine Feuerbälle in die Augen, beißen ihnen die primären Geschle...«
»Ja, ja, wie auch immer. Hauptsache ich bekomme nen steinreichen Prinzen.«
Grumt riss die Augen auf und pfiff staunend durch die Schneidezähne, die ungefähr hundert Prozent seines Gebisses ausmachten.
»Jungejunge, wenigstens bist du ehrlich.«
»Ach Mist, du sollst doch stillhalten!«
Der Sturm hatte sich gelegt, jedoch war sie durchnässt und fror. Madame Cecile Bolivar de Estragon, hockte in einem Gebüsch, ganz in der Nähe der Höhle des Drachen Grumt. Noch war es nicht soweit, aber es wurde Zeit, dass es langsam mal Zeit wurde. Der Angriff musste auf die Sekunde genau passen. Das Überraschungsmoment musste auf ihrer Seite sein. Blitzschnell würde sie agieren müssen. Eine tödliche Auseinandersetzung. Sie platzte bald vor Aufregung. Außerdem war der Dornenbusch als Versteck äußerst unbehaglich.
Hackbert Hucklepuck stapfte laut pfeifend den Pfad am Höllenschlundberg hinauf. Leises Anschleichen stand nicht im Vertrag, also ließ er es ordentlich krachen. Seine Idee war, sich unmittelbar vor dem Angriff und der daraus resultierenden heroischen Tat, zu verstecken, damit eine halbwegs natürliche Reaktion vom Drachen zu erwarten waren. Er kannte Grumt nur zu gut. Manchmal, wenn er keine Lust hatte oder den Vorabend wieder einen Drauf gemacht hatte und sich vor Kopfschmerzen kaum bewegen konnte, lag er einfach nur da und ächzte und jaulte so lächerlich, dass die Auftraggeber ihr Geld zurückverlangten.
»Ah, ’n Dornenbusch. Daruff kommt der nie.«
Hackbert schob seine Ausrüstung, die aus sehr realistisch wirkenden Gummi- und Holzwaffen, einem Fässchen warmem Bier, sowie einem dicken, fetten Knüppel bestand, in den Busch. Dann kroch er, laut fluchend, hinterher.
»Äh, hallo?«
Hackbert drehte sich erschrocken zur Seite und ließ sich von einigen Dornen ein ansehnliches Muster in die Wange gravieren, bevor er in das hübscheste Gesicht schaute, dass er jemals erblickt hatte.
»Wie, äh ... Äh!«
»Du kannst dich doch nicht einfach hier reinzwängen, siehst du nicht, dass ich hier ’ne Rettung am Starten bin?« Cecile deutete auf ein Brotmesser und zwei Zahnstocher, als ob dies die unfraglichsten Beweise für ihr Tun darstellten.
»Wattn, willste dem Drachen ’ne Stulle schmiern und ihm denn die Stücken ausm Jebiss friemeln?« Hackbert verfluchte seine unproduktiven Gedankengänge.
Cecile kramte ein Blatt hervor und deutete auf das Wort ›Vertrag‹.
»Ich bin berechtigt, diese Prinzessin, um Mitternacht aus den Klauen von Grumt, Mietdrachen Nummer 45, offizielles Mitglied der Helden- und Monstervereinigung, zu befreien. Jegliche Behinderung durch andere Helden ist hiermit ausgeschlossen.«
Hucklepuck glotzte in die blauen Augen von de Estragon. Sabber, mit einer gehörigen Portion süßen Verliebtheit, zog lange Fäden und quellte über Dornen und Dreck.
»Willste mit mir jehen?«
Madame Cecile Bolivar de Estragon begutachtete Hucklepuck mit gewissem erotischem Interesse. Immerhin hatte er eine gar unanständige Art und Weise, seinem Charakter Ausdruck zu verleihen. Diese Schnodderigkeit törnte sie tierisch an.
»Diese Ziege wird Ihnen jetzt das Salz, welches ich Ihnen zuvor auf die Fußsohlen aufgetragen habe, ablecken.« Karl arretierte die Fußfesseln und lächelte dem zu Marternden aufmunternd zu.
»Die Zunge eines Geißbocks ist förmlich für das Entfalten des Kitzelreizes prädestiniert, wissen Sie?« dozierte Karl begeistert. »Lachen Sie ruhig so laut sie können, das erschöpft Sie frühzeitig und sie werden während der Streckbanksession ohnmächtig sein. Meinen Kunden rate ich ja immer zum Presslachen, das führt schnell zu Sauerstoffmangel, Blutdruckabfall und somit zu rascher Besinnungslosigkeit. Probieren Sie es doch einfach mal aus.« Er führte die Ziege an die Füße. Argwöhnisch schnüffelte diese an ihrem Betätigungsfeld und meckerte zufrieden.
»Also, viel Spaß dann.«
Die Ziege fing an zu lecken und gepeinigtes Gelächter ließ die Folterkammer erbeben.
Karl war groß, unnachgiebig, sadistisch veranlagt und eine Seele von Mensch. Prinz Hubert verbrachte jede freie Minute im Folterkeller und lauschte den Geschichten und Weisheiten des Meisters der Pein.
Prinz Hubert hatte den Kopf in die Hände gelegt und passte sich mimisch hervorragend den armen Seelen des Kerkers an.
»Mutter will mich schon wieder als Helden vorführen«, stöhnte er.
Karl schürte das Feuer unter dem Po einer Ehebrecherin.
»Meinst du, sie schafft es dieses Mal?«
»Weiß nicht.« Der Prinz zuckte leidvoll mit den Schultern. »Bisher wollte kein Held mit mir in Verbindung gebracht werden.« Er hielt kurz inne und stieß einen Seufzer aus. »Sie meinten, ich wäre aus evolutionstechnischen Gründen unvorteilhaft ausgestattet und somit nicht auf ein Heldenstück übertragbar. Hat wohl irgendwas mit Genen zu tun, glaub ich.«
»Ach, mach dir mal keine Sorgen. Dieser Held wird den Vertrag spätestens aufkündigen, wenn er dir gegenübersteht. Glaub mal.« Karl klopfte Hubert mit einer Art väterlicher Zuneigung auf die Schultern und schauderte.
»Nein, diesmal ist es eine Frau«, sagte Hubert niederschmetternd.
Karl erstarrte und begriff schlagartig.
»Oh.«
»Ja, einer Frau wird es egal sein, ob ich so bin, wie ich bin.«
»Vielleicht ist sie ja vom anderen Ufer und fühlt sich durch deine Physis in ihrer Ehre gekränkt?« versuchte Karl zu argumentieren, scheiterte jedoch an mangelnder Kenntnis der fortschreitenden, gesellschaftlichen Entwicklung.
»Ich dachte, Puffärmelärmel stärken mein Selbstbewusstsein ...«
»Niemandes Selbstsicherheit wird durch aufblasbare Ärmel gestärkt, mein Prinz!« Wo Karl Recht hatte, hatte Karl Recht.
Hucklepuck starrte Cecile immer noch an und wartete gebannt auf eine Antwort.
»Also gut«, meinte sie nachdenklich und ohne jegliche Hintergedanken. »Lass es uns hier machen!«
»Watt?«
»Sex.«
»Oh!«
»Nun?«
»Gnh.«
»Männer!« Die Abfälligkeit in Ceciles Stimme wurde durch ein erfreuliches Jauchzen in Vergessenheit geschickt, als Hackbert zum Küssen überging.
Wenn Verträge gebrochen werden, können schlimme Dinge passieren ...
»Okay, die Zeit ist rum!«
»Nein, nur noch ein paar Pinselstriche«, bettelte Margrit.
Grumt schnaubte Glut und Funken auf die Staffelei, die sich in anderweitige Aggregatzustände umgestaltete. Die Prinzessin hielt einen tropfenden Pinsel in Händen und lächelte verlegen.
»Ich schenke dir Gold und Edelsteine und Samt und Seide und ...«
»Hattest du schon mal Völlegefühl von Rubinen oder Sodbrennen von zu viel Gold?«
»Äh, nein.«
»Also ...«
Grumt schnappte die Prinzessin und schluckte sie in einem Stück.
Die Zofe schüttelte ihren Geist in die Realität zurück, erblickte die verkohlten Überreste der Staffelei, vernahm gedämpfte Schreckensschreie, erblickte einen Drachenbauch, aus dem es verdächtig nach Hilfe schrie, entdeckte die gierigen Augen des Drachen ...
»Hallo, appetitliche Lotte!«
... und schubste ihr Bewusstsein zurück ins Land des Genickschusses. Aber nicht, ohne vorher infernalisch zu kreischen.
»Iiiiihhhhaaaaarghhhhh!«
»Warum haben die Menschen eigentlich Sex miteinander, Herr?«
Die Unheimlichkeit runzelte die Stirn und linste auf den Masterplan.
»Weil es so in der Anleitung steht«, erwiderte er und beobachtete die Früchte seiner Arbeit, die sich im Dornenbusch wälzten.
»Vielleicht hat es etwas mit Instinkt zu tun.«
»Instinkt, aha.«
»Manche reden auch von Gefühlen. Aber das glaube ich nicht. Körperflüssigkeiten lautet hier das Stichwort.«
Brogomil rümpfte die Nase.
»Zeugung von Nachkommen. Eine, äh, Form von Eier legen«, erklärte der Schemen der unglaublichen Dunkelheit.
»Das ist ja widerlich«, kommentierte Brogomil abgestoßen.
»Nun, jeder bekommt das, was er verdient.«
»Und sie lebten glücklich, bis an ihr Lebensende ...«
Der Schatten sah Brogomil schief an. Jedenfalls neigte sich die Kapuze.
»Wo hast du das denn her?«
»Hab ich mal gelesen. Fing mit ›Es war einmal ...‹ an.«
»Ts, wie unwissenschaftlich ...«