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Einfach nur Weihnachten

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19.08.2003
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Einfach nur Weihnachten

Einfach nur Weihnachten

Das Brummen der Schiffsdiesel rollte vom Meer her auf den Strand und drängte durch alle Gassen bis hinauf ins Oberdorf, das unmittelbar vor den aufragenden Felsen des Küstengebirges lag. Von diesen reflektiert, wurde es zu einem Blubbern, das wie ein wabbelndes Netz über allem lag.
Da war kein Unterschied zwischen Himmel und Erde, zwischen nah und fern. Dschanas Augen suchten vergeblich nach Halt. Doch da war nichts. Nicht der Schimmer eines Lichts, sie fühlte sich verloren in diesem absoluten Schwarz. Zwölf Jahre alt war sie und lebte seit dem Tod ihrer Eltern beim Großvater.
Der war hinaus gegangen. Sie war ihm gefolgt, auf die Stufen hinausgetreten, vorsichtig tastend. Der seit Tagen wütende Sturm zerzauste ihre Haare. Nur wenige Schritte von ihr entfernt sammelte der Großvater Holzscheite auf, das wusste sie. Die Gewissheit seiner Nähe machte sie stark, ließ keine übermäßige Angst aufkommen vor der Bedrohung da draußen; und doch, die Anspannung ließ sie den Atem anhalten.
„Es ist alles gut“, vernahm sie plötzlich neben sich und spürte mit Erleichterung seine Berührung, als er zurückkehrte.

Es war Krieg auf dem Balkan, Krieg. Selbst ihre kleiner Ort, weit im Süden Dalmatiens, bisher doch so geborgen in der Umarmung des Biokovogebirges, war mit einbezogen. Große, graue Schiffe versperrten den Weg auf die Adria. Seit Wochen hatte sich kein Fischer gewagt hinauszufahren. Seit Wochen waren sie zudem bei Dunkelheit in ihren Häusern gefangen, Großvater, sie und all die Anderen in ihrem Dorf. Seitdem die Kriegsschiffe in ihrer Bucht ankerten, hatten sie Fenster und Türen mit Decken und Laken verhangen, dass abends nicht ein Lichtstrahl nach außen käme. Laken und Decken, so weich und wohlig, waren zur Barriere geworden, kaum zu überwinden.

Das Flackern der Kerze, die Großvater wieder angezündet hatte, ließ Dschana durchatmen. Zwei Holzscheite würden das Feuer im Ofen wach halten, wie ihre Hoffnung, der Weihnachtsmann möge ihren einzigen Wunsch erfüllen – heute am heiligen Abend.

„Ich mag den Krieg nicht, Opa“, sagte sie mit Tränen in den Augen, „ich will das nicht!“
„Eigentlich will ihn niemand“, antwortete er und zog sie eng an sich.
Sie löste sich aus seiner Umarmung, und während ihr eine Träne herabkullerte, fragte sie ihn ärgerlich: „Aber, wenn keiner das will, warum gibt es so etwas Böses?“
„Weißt du“, versuchte er zu erklären, „es fehlt den Menschen oft an Mut, sich zum Guten zu bekennen. Das Böse ist ein Harlekin, gaukelt den Menschen vor in seiner Lotterie auf der Gewinnerseite zu sein, ohne Einsatz. Das Gute verlangt, es fordert, das Gute verschenkt sich nicht.“
Dschana zeigte ein gezwungenes Lächeln: „Das verstehe ich nicht, Opa.“
Wieder zog er sie an sich und streichelte ihr über das Haar.
„Das ist auch nicht leicht zu verstehen, doch sei gewiss, dass Gute gewinnt letztendlich immer. Schon bald werden wir diesen Krieg vergessen haben.“
Sie wollte Großvater gerne glauben. Und wenn auch der Weihnachtsmann nicht direkt die Geschenke brachte, so konnte er doch Wünsche erfüllen, da war sie sich sicher.

Dschana hatte ihren Kopf auf Großvaters Schoß gelegt und die Augen geschlossen.
Wie herrlich war es noch im vorigen Jahr gewesen. Ihre Großtanten waren gekommen, hatten Kuchen mitgebracht. Auch Nachbar Petar, Opas Freund, war dabei. Der hatte erzählt, wie er oben in den Bergen dem Weihnachtsmann begegnet war. Dem war an seinem Schlitten eine Deichsel gebrochen, und da Nachbar Petar Schiffszimmermann war, konnte er den Schaden reparieren. Als Dank durfte er mit dem Weihnachtsmann Geschenke verteilen und Petar wusste von dieser Reise die schönsten Geschichten zu erzählen, von China, Afrika und dem Land wo die Rentiere zu Hause sind.

Plötzlich richtete sie sich auf. Großvater war eingenickt.
„Opa!“, rief sie übermäßig laut, „Opa!“
Der alte Mann blinzelte sie an.
„Hat der Weihnachtsmann auch Angst vor dem Krieg?“
„Nein, … nein, bestimmt nicht!“, sagte Großvater, und da seine Antwort so zögerlich kam, hakte sie nach.
„Glaubst du, er kommt heute zu uns? Es ist so dunkel, er kann uns doch gar nicht finden.“
Großvater lächelte sein liebevolles Lächeln und nahm sie bei den Schultern.
„Es wird ein Licht geben, kleine Dschana, dem sich kein Mensch entziehen kann und auch die dort auf den Schiffen sind Menschen. Auch sie feiern Weihnachten.“
Dschana war skeptisch. Noch vorhin waren über den Schiffen Leuchtraketen aufgestiegen, so wie fast jeden Abend. Im rot flackernden Licht waren die sich in Richtung Küste drehenden Geschütztürme zu erkennen. Die Sirenen hatten sie in die Schutzräumen getrieben. Doch auch heute hatten die dort draußen nicht geschossen, es hatte Entwarnung gegeben, nachdem grüne Signale vom Leitschiff ausgesendet waren.

Obwohl Dschanas Augen durch Blinzeln ihre Müdigkeit zu verdrängen suchten, schlief sie ein, so wie Großvater. - War es das Frösteln oder Großvaters Stimme, die sie zurück in die Wirklichkeit holten?
„Dschana!“, hörte sie, „Dschana, es ist Weihnachten!“
Sie rappelte sich hoch. Großvater hatte die Haustür geöffnet, und bevor sie erschrocken protestieren konnte, sagte er: „Komm, mein Schatz, wir wollen feiern.“
Ihr Zögern beantwortete er mit einem auffordernden Kopfnicken.

Als sie hinaustrat, konnte sie nicht glauben, was sie sah. Schwaches Licht fiel aus Häusern und rechts und links öffneten sich weitere Türen. Es waren so Viele im Freien, wie sie es in den letzten Wochen nicht gesehen hatte. Und alle zog es bergauf. Großvater wartete an der Hausecke, und als sie ihn erreichte, verschlug es ihr den Atem. Oben, auf dem Felsvorsprung im Olivenhain, gab es eine kleine Fichte, kaum größer als sie selbst. Ein Leuchten ging von ihr aus, das alle anzog. Dort angekommen sah sie, dass die Äste des Bäumchens von Kerzen übersäht waren. Es waren dicke und dünne, ganz schlanke und winzig kleine, rote, blaue und weiße. Immer mehr Dorfbewohner kamen und stellten Kerzen auf die Äste, bis kein Platz mehr war und sie die Felsen damit schmückten. Der Sturm, als wüsste er um die Bedeutung dieses Moments, beschränkte sich auf ein Wehen.

Alle waren da, alle aus ihrem Dorf. Jeder hatte etwas mitgebracht und legte es nun am Bäumchen ab. Die Großtanten brachten Kuchen und Petar ein Glöckchen vom Schlitten des Weihnachtsmanns. Großvater hatte eine Flasche Rotwein und einen Schinken mitgebracht.
Und dann war da dieses Geräusch vom Meer her, dieses Tum, Tum. Sie schossen Leuchtraketen ab. Und als dann ihre Bucht in sanftes Grün getaucht wurde, jubelten sie und Dschanas Wunsch war in Erfüllung gegangen: Es sollte einfach nur ein richtiges Weihnachten sein.

 

Hallo Jadro,
Weihnachten und Krieg wollen nicht zusammenpassen. Und dennoch gibt es den Krieg. Auch dieses Jahr, irgendwo auf der Welt ängstigen sich Kinder zu Tode anstatt sich des Lebens zu erfreuen.

Lieben Gruß
Goldene Dame

 

Hallo Jadro,

vielleicht ist das jetzt ein ganz persönlicher Effekt, aber ich war erstaunt, dass Dschana so kindlich nach dem Weihnachtsmann fragt, ich dachte an eine junge Frau. Nicht nur deshalb fände ich eine Beschreibung der Person angebracht, schließlich ist sie die Hauptperson.
Weihnachten und Krieg ist ein bitteres Thema, aber ein wichtiges. Natürlich ist Krieg zu allen Jahreszeiten unmenschlich, doch, wie deine Erzählung zeigt, kollidiert an Weihnachten besonders das menschliche mit den schlechten Seiten des Menschen.

Kleinkram:

Felsen des Biokovogebirges, die Szene.

- dieses Nachgestellte „die Szene“ plus die ungewohnten geographischen Hinweise machen den Satz schwer lesbar

„Es ist alles gut“, vernahm sie plötzlich neben sich und registrierte mit Erleichterung, wie er an ihr vorbeistrich.

- als er.
- „vorbeistreichen“ erinnert mich an Jägersprache, eher an ein Tier.

L G,

tschüß… Woltochinon

 

Hallo Woltochinon,
wenn Du in 2004 bei mir unter der Rubrik Kinder nachschaust, findest Du einige Geschichten mit Dschana und dem Großvater (das zur Erklärung; für mich sind sie ‚alte Bekannte’). Jede Geschichte steht natürlich für sich, und so ist deine Anmerkung absolut richtig, ich werde Dschana ein wenig beschreiben.

Gruß
Jadro

 

Hallo Jadro,

vielleicht liegt darin der Hauptsegen des heutigen Weihnachtsfestes, dass es, wenn auch nur für kurze Zeit, Kriegswaffen zum Schweigen bringen kann.
Man mag diesen Frieden auch als Heuchelei empfinden, da er nicht zum Nachdenken führt, sondern die Waffen nur eine Feuerpause haben. Aber immerhin beschert er ein paar Stunden der Ruhe.
Möge die Besinnlichkeit besser genutzt werden.
Zwei Details:

bis hinauf ins Oberdorf, dass unmittelbar vor den aufragenden Felsen des Küstengebirges lag
es ließe sich ja ersetzen
kaum überwindbar.
ich persönlich würde eher den Infinitiv mit zu bevorzugen
Sie löste sich aus seiner Umarmung und während ihr eine Träne herabkullerte fragte sie ärgerlich:
ich nehme an, sie fragte "ihn"

Eine schöne Weihnachtsgeschichte.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo sim,
danke für die Korrekturvorschläge. Über deinen knappen Kommentar habe ich mich gefreut, denn genau das sollte es sein, einfach eine schöne Weihnachtsgeschichte.

Weihnachtliche Grüße
Jadro

 

Hi Jadro!

Nicht schlecht, die Weihnachtsgeschichte. Ich nehme an, du versuchst die Kriegs-Weihnachts-Thematik Kindern nahezubringen, die etwa so alt sind wie die Protagonistin.

Zu diesem Zweck wäre es vielleicht besser, den Kriegsaspekt noch ein wenig durch sie reflektieren zu lassen. Das Gespräch mit dem Großvater wird sie ja vielleicht ein wenig verwirrt haben. ;)

An den Anfang hast du einen viel zu langen Satz gesetzt, der ein bisschen abschreckend wirken könnte. Du weißt ja, der Leser entscheidet sich an diesem Punkt, ob er weiterlesen will oder nicht.

Ansonsten finde ich die Symbolik von Sturm und Dunkelheit sehr gut ( nur gegen Ende hapert es bei der Logik etwas: Muss es nicht windstill sein, damit Kerzen im Freien brennen können? ).
Ebenso bringst du es gut rüber, wie Dschana ihre Hoffnung aus Petars Weihnachtsmanngeschichte schöpft.
Da fällt mir allerdings ein: Wo auf der Welt glauben zwölfjährige Kinder noch an den Weihnachtsmann? ;)
Ich würde die Prot etwas jünger machen, um die Unplausiblität zu vermeiden.

Sie löste sich aus seiner Umarmung, und während ihr eine Träne herabkullerte, fragte sie ihn ärgerlich

Kommas einsetzen.

Guten Rutsch! :thumbsup:

Ciao, Megabjörnie

 

Hallo Megabjörnie,
es ging mir bei dieser Geschichte weniger darum, etwas über den Konflikt Krieg/Weihnachten herauszuarbeiten. Das würde den Rahmen einer solch kleinen Kg sprengen. Vielmehr ist es mir darauf angekommen zu zeigen, dass trotz aller ‚Verwilderung’ der Sitten - und der Krieg ist wohl der Extremfall – gleich auf welcher Seite eines Konflikts Menschen stehen, diese häufig doch gleiche Wünsche und Träume haben und dass Weihnachten, als Fest der Liebe und Hoffnung, dies den Kontrahenten bewusst macht.

Auch im Süden Kroatiens, wo diese Geschichte spielt, gibt es bei Kindern in Dschanas Alter Zweifel an der realen Existenz des Weihnachtsmanns. Dennoch ist ihre Lebensweise, ihre Naturverbundenheit und der damit verbundene Glaube an Übersinnliches, gerade in ländlichen Gebieten und in den kleinen Fischerorten an der Küste, eine ganz andere, als hier in Mitteleuropa. Und selbst hier soll es Menschen geben, die in scheinbar aussichtslosen Situationen mit einem Blick nach oben Hilfe erhoffen.

Was die Logik anbelangt - Ende des vorletzten Absatzes heißt es:
„Der Sturm, als wüsste er um die Bedeutung dieses Moments, beschränkte sich auf ein Wehen.“

Danke Dir für Deinen Kommentar.
Ein gutes, neues Jahr

Jadro

 

Auch im Süden Kroatiens, wo diese Geschichte spielt,

Hm, das überrascht mich. Irgendwie hatte ich gedacht, dass der Erste Weltkrieg dabei der Hintergrund sei.
Ich nehme an, du hast die Benennung des Schauplatzes deshalb ausgespart, weil die Thematik so universell ist. Aber wenn du schon Eigenheiten der dortigen Gesellschaft einbringst, dann könntest du auch gleich erwähnen, wo die Geschichte spielt und auch das ganz spezielle Flair des Settings stärker herausarbeiten. Es wäre sicher faszinierend.

 

Hallo Megabjörnie,
es ist richtig – habe oben schon in ähnlichem Zusammenhang geantwortet. Da jede Geschichte für sich steht, gehören Szenerie und Umstände dazu – da ich aber schon so einige Geschichten um Dschana und Großvater geschrieben habe, befürchtete ich, es könnte Langeweile aufkommen.

Dazu die Frage: Sollte ich diese Geschichte entsprechend erweiter - bringt das etwas?

Gruß
Jadro

 

Hm, also ohne jetzt die anderen Geschichten zu kennen - und ich wusste gar nicht, dass es die gibt - weiß ich natürlich nicht, was du schon mal eingebaut hast.
Aber wenn du nicht direkt eine Serie draus machen willst, solltest du jede dieser Geschichten behandeln, als würde sie für sich allein stehen. Du kannst ja versuchen, das Spezielle an der südkroatischen Kultur immer wieder auf neue Art herauszustellen, damit sich auch deine Stammleser nicht langweilen. Das hängt natürlich auch davon ab, wie gut du die Leute da unten wirklich kennst.

 

Nu ja, da ich dort (kurz vor Dubrovnik) etwa acht Jahre gelebt habe, fällt es mir nicht schwer, immer wieder neue Fassetten dieser herrlichen Landschaft und der Menschen dort herauszustellen. Also werde ich mich daranmachen einen Kulisse für die Handlung zu bauen.

Danke Dir.
Gruß
Jadro

 

Ich glaube die Ergänzung der Geschichte ist so ausreichend.

Jadro

 

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