Einfach so
Beim Warten auf den Lift hatte er das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Als er sich im Lift umdrehte sah er sie - schlank, knapp seine Größe, die dunklen Haare kurz gehalten. Kurz darauf trafen sich ihre Blicke für einen Augenblick, er blickte in zwei braune Augen, wie er sie seit seiner Jugend nie wieder gesehen hatte. Ein leichter Schauer fuhr über seinen Rücken.
Sie war mit zurückhaltender Eleganz gekleidet, etwas aufregend, aber nicht aufdringlich. Im gedämpften Licht des Liftes wirkte Ihre Figur fast mädchenhaft, obwohl ihr Gesicht verriet, daß ihr Leben bisher nicht ohne Aufregung verlaufen war, wenngleich er ihr Alter nur schwer zu schätzen vermochte. Nur mit Mühe konnte er ein Seufzen unterdrücken, als sie in der 8. ausstieg.
Als er später auf sein Zimmer kam, war es für eine Fahrt in die nächtliche Stadt zu spät, fand er, aber andererseits hatte er noch keine Lust, zu Bett zu gehen. Die richtige Zeit für einen Schlaftrunk, sagte er sich, erfrischte sich kurz und fuhr dann hinunter zur Hotelbar.
Ein freudiger Schreck durchfuhr ihn, als er an der Bar die Frau aus dem Lift sah. Jetzt trug sie ein Kleid, daß sehr schön ihre Kniee und auch einen guten Teil ihrer wohlgeformten Beine sehen ließ. Sein Herz klopfte schneller als er sich den freien Hocker neben ihr angelte. Sie warf ihm einen kurzen Blick zu, einen Blick, aus dem er zu lesen glaubte, daß er nicht unwillkommen war. Nun ja, schließlich war er ein Mann in den besten Jahren, kein Adonis zwar, aber auch nicht unattraktiv. Guter Durchschnitt halt, welchen Grund sollte eine Frau von ihrer Erscheinung haben, sich ausgerechnet von ihm angezogen zu fühlen? Während er seine Scotch schlürfte musterte er sie aus den Augenwinkeln. Sie trug einen Ring. "Na wennschon!" dachte er, verwarf den Gedanken jedoch sofort wieder. So sieht man nicht aus, wenn man unglücklich ist. Wahrscheinlich gehörte sie zu den Kongreßteilnehmern, die heute angereist waren. Sie hatte wohl das abendliche Gespräch mit ihrem Ehemann schon hinter sich und nahm nur noch einen Drink an der Bar, um danach seelig in ihrem Bett zu schlummern.
Vor Jahren schon hatte er das Rauchen aufgegeben, nicht auf Anraten des Arztes (der qualmte selber wie ein Schlot), sondern einfach so, aus einer Laune heraus. Das Feuerzeug, das ihm seine Frau am letzten Geburtstag vor der Trennung geschenkt hatte, trug er noch immer bei sich. Warum, wußte er nicht, wahrscheinlich eine dieser sentimentalen Geschichten.
Die Unbekannte griff zur Schachtel, die vor ihr lag, nahm eine Zigarette heraus und kramte dann heftig in der Handtasche. Er war schneller - und als sie sich zu ihm herüber beugte, um sich Feuer geben zu lassen, spürte er die aufregende Mischung menschlicher Haut und eines edlen Parfüms. Sie dankte mit einem kurzen Nicken, und eine innere Stimme sagte zu ihm: "Nutze diese Chance!", doch er war unschlüssig, wie er sich verhalten sollte, und dann war da auch noch dieser Ring...
Der Barpianist spielte einen langsamen Walzer, als sie ihn unvermittelt ansprach: "Hätten Sie Lust, mit mir zu tanzen?" Schon wollte er sich entschuldigen, denn er war kein besonders geschickter Tänzer und überdies war es schon eine Weile her, daß er zum letzten Mal getanzt hatte. Doch da war wieder die innere Stimme, diesmal gab er ihr nach. Noch bevor sie die Tanzfläche erreichten war der Walzer vorbei, statt dessen spielte der Pianist einen Slowfox. Beim Tanzen hatte er nicht das Gefühl, daß sie großen Abstand zu ihm halten wollte. Erstaunt fragte er sie: "Was sagt Ihr Mann dazu?" "Mein Mann", antwortete sie mit einem Lächeln, "mein Mann interessiert sich mehr für seine beiden Geliebten als für mich." "Schwer verständlich bei so einer attraktiven Frau!" gab er zur Antwort. Sie zuckte nur leicht die Schulter. Er lud sie zu einem Drink ein. Diesmal trank sie auch Scotch. "Ein starkes Getränk!" sagte er. "Halten Sie mich für schwach?" fragte sie. "Nein, nein!" beeilte er sich zu antworten. "Mögen Sie starke Frauen?" "Das kommt darauf an, was man unter Stärke versteht." "Ich mag starke Männer die Halt geben, sowohl seelisch, als auch körperlich!" "Körperlich ist kein Problem!" meinte er und ließ seinen Bizeps unter dem Sakko anschwellen. "Ich weiß" sagte sie mit Blick auf seine Hände. "Wer solche Hände hat kann einer Frau bestimmt viel Freude geben!" "Versuchen Sie’s!" warf er kurz hin, wer weiß, welcher Teufel ihn ritt. Doch anstelle der erwarteten Empörung erntete er nur einen langen Blick aus ihren dunklen Augen, dann glitt sie leicht vom Barhocker, wobei ihr Kleid wieder ihre schönen Beine zeigte, und hielt ihm stumm ihre Hand entgegen.