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Einig Vaterland
Natürlich alles mit KI geschrieben. Ehe ich hier geoutet werde, gebe ich es lieber gleich zu. Asche auf mein Haupt. Ich befinde mich mitten in einer Schreibblockade, und mir fällt von allein absolut nichts mehr ein.
Also gebt mir keine Schuld. Wenn sich einer aufregt, dass ich ständig mit dem Strom meiner literarischen Ergießungen in Nebenarme mäandere, bitte sich an ChatGPT wenden. Ich habe bloß in den prompt eingegeben: Schreibe eine Geschichte im Stil von Saul Bellow, wo Stockholmsymdrom, Besetztes Haus, unerfüllte Liebe, Ost und West drin vorkommen. Dann kam Folgendes zustande:
Seid begrüßt meine Leser. Vielen Dank, dass ihr mein „Niederschwelliges Angebot“ annehmt. „Was ist das wohl?“, dachte ich, als ich diese obskure Wortschöpfung mit Potential zum Unwort des Jahres erstmals vernahm?
Und zwar kam sie aus dem Mund von dem Chef des Kiezcafés in der Wühlischstraße, wo ich arbeitete, und in dem es auch sechzehn Schlafplätze gab.
Am niederschwelligsten ist ja eigentlich Musik im Radioapparat. Aber auch Literatur im Internet. Ne Webseite zu öffnen, kriegen ja wohl die Meisten noch hin. Da kommt es nicht auf Outfit, Alter, gesellschaftliche Stellung an. Man muss niemanden kennen, was ja bei Konzerten wichtig ist. Dort allein rumzustehen, kann schon doof sein.
Ich weiche mal wieder zu weit ab vom rechten Weg. Lasst uns endlich zum eigentlichen Thema, das, wovon die Überschrift kündet, kommen.
Einmal stand auf der anderen Seite der Ampelkreuzung in der Scharnweber einer, den ich aus einem besetzten Haus hier in der Nähe kannte, in dem ich aber seit dem Ende der Neunziger nicht mehr war. Ich erkannte ihn an seinen großen braunen Augen wieder. Er schmunzelte. Ich glaube, er hat mich auch wiedererkannt.
Seine Haare, früher rehbraune Korkenzieherlocken, die bis zur Schulter reichten, waren inzwischen grau geworden aber immer noch lang und verfilzt.
Eine Weile war ich mit meiner Freundin oft in dem Café, das unten im Haus drin war. Wir haben aber nie zusammen geredet. Höchstens: „Machst du mir ein Flens“, denn er gehörte zu Denjenigen, die Anfang der Neunziger Jahre häufig hinter dem Tresen des Besetzercafés standen. Er wirkte zu der Zeit immer so, als wenn er wunschlos glücklich ist.
Ich habe ihn mal vor langer Zeit mit einem Kind auf dem Arm auf der Warschauer Straße gesehen. Die Kleine wird jetzt fast dreißig sein und er Großvater. Warum hat es sich eigentlich so eingeschliffen, dass man immer automatisch von jemandem denkt, der Kinder und Enkel hat, dass sein Leben glücklich und erfüllt ist und annimmt, dass er eins mit der Welt sein muss? So, als wenn die Kinder die Eltern retten. Eigentlich kennen wir ja das mit der harmonischen Familie von unseren eigenen Elternhäusern ganz anders und wollen trotzdem bei Anderen nur das sehen, was wir sehen wollen.
Denkklischees, die den Held*innen von Hedwig Courths Mahler zur Ehre gereicht haben würden, geistern durch unsere Köpfe.
„Wo wollte er eigentlich einmal hin, als er Neunzig in sein Besetztes Haus zog? Haben sich seine Träume erfüllt?“, frage ich mich. „Oder ist alles irgendwie erstarrt, bewegt sich nichts mehr. Ruht man sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit aus?
Hielten sie sich da immer noch an dem fest, was sie mal waren oder mal zu sein glaubten, setzten sich in den besetzten Wohnobjekten immer mehr die negativen Kräfte durch, übernahmen die Macht wie in „Farm der Tiere“, wo ringelschwänzige Wesen die Herrschaft eroberten?
So was kenne ich von meinem eigenen Freundeskreis, wo eingeschliffene Verhaltensweisen einfach immer wieder rekapituliert werden, wo sie immer noch denken, dass alles beim Alten ist, obwohl sie sich total verhärtet haben, nur noch über Geld reden und noch nicht mal ihrer besten Freundin fünf Euro borgen würden, und man auf Partys allen Diskussionen ausweicht und Widersprüche künstlich glättet, so nach dem Motto: „Reg Opa nicht auf. Du weist, er hat´s mit dem Herzen“. Irgendwie erlebte ich aber, dass gerade durch dieses Vermeiden von Auseinandersetzungen die Freundeskreise auseinanderbrachen. Sich nie die Meinung sagen, bringt es auch nicht.
Das riss aber schon ein, da waren wir noch in unseren Zwanzigern. Mit dem Geist vom Woodstockfestival sah es flau aus. Das Lebendige in den Beziehungen zwischen uns fehlte, war mit der Zeit verlorengegangen. Alles war erstarrt. In einer Form, die sich nicht mehr änderte. Gerade die Widersprüche halten die Sache ja am laufen, sind die Triebkraft, verhindern Stagnation. Es war wohl aus, was sich keiner getraute einzugestehen. Eine Jugendbewegung, der der Idealismus verlorengegangen ist, der ihre Triebkraft war, und der sie zusammenhielt. So ähnliches wie bei uns wird sich bei den Besetzern über die Jahre auch abgespielt haben.
Wovon lebt er eigentlich? Von seinem Outfit her würde ich ihn für einen Sozialarbeiter halten. Aber sie haben alternative Firmen gegründet, hat mir mal jemand erzählt.
Er wohnt noch immer in diesem Haus, was Anfang der Neunziger mal besetzt wurde. Inzwischen haben sie Verträge. Jetzt leben sie ziemlich isoliert von der Umgebung. Schmoren im eigenen Saft. Ob ihnen das bewusst ist? Schade. Wirkten aber mal so verheißungsvoll. Voller Möglichkeiten.
Er gehörte zu denen, die offener schienen als die meisten. Aber auch er hat sich auf eine Art irgendwie von der Umgebung abgeschottet und lebt innerhalb der Hausgemeinschaft mit ihren Streitereien, Auseinandersetzungen, Gruppierungen, Hierachien aber auch mit der Solidarität. Vielleicht haben sie nicht die Welt gerettet, aber über Jahre feste Freundschaftsbande im Haus entwickelt, auch wenn sie enttäuschend wenig Wirkung auf ihre Umgebung haben. Da ist er auf eine Art zehnmal besser dran als ich. Wahrscheinlich lebte er da noch, weil er ein extrem sympathischer Kerl ist, der sich gut einfügen kann, auf den sich alle einigen können. Ich wäre da schon lange rausgeflogen.
Langsam, 35 Jahre nach Beginn der Besetzungen, fangen nach und nach die Leute, die zu der Zeit daran beteiligt waren, an, Bücher zu schreiben. Der eine war sogar bloß drei Monate in der Szene und hat lustigerweise trotzdem darüber ein Buch veröffentlicht.
Finde ich total interessant, mal die andere Seite zu hören. Ich hielt es eigentlich immer dem Desinteresse meiner Landsleute geschuldet, dass man damals kaum welche aus dem Osten in den alternativen Wohnprojekten antreffen konnte. Besonders in Friedrichshain. Deshalb war ich baff, als ich in dem Roman eines „Ehemaligen“ las, dass Einheimische, die gerne mitbesetzen wollten und sich bemühten dort Aufnahme zu finden, zu Beginn der Neunziger gar nicht erst durch das strenge Plenunm kamen. Das verhindert frische Einflüsse. Was ist das eigentlich? Ein Tribunal? Die spanische Inquisiton?
Da fällt mir ein Kurzfilm ein, ein Abschlussfilm von der Hochschule, der mal zusammen mit anderen Arbeiten im Fernsehen gezeigt wurde. Eine junge Frau braucht unbedingt eine Wohnung. Da fällt ihr Blick auf den Aushang einer WG an einer Straßenecke.
Zum Besichtigungstermin sind schon haufenweise Leute da, die sich vorstellen wollen. Als sie dran ist, und vor den Tisch tritt, an dem die Bewohner der WG sitzen, übrigens sehr gut getroffen in ihrer Hippness und Coolness, gespieltem Multikulti, vorgetäuschter Toleranz und ihrem falschen Elitebewußtsein – in Wirklichkeit sind sie stockkonservativ und hart wie Kruppstahl -, lässt sie ihrer Phantasie freien Lauf und spinnt sich einen ab über die vielen Sprachen, die sie spricht, ihre Uniabschlüsse, dass sie militante Veganerin ist und schon als weltweite Entwicklungshelferin gearbeitet hat.
Hinterher geht ihr die Muffe, dass sie einer in einer der vielen Sprachen anspricht, die sie angeblich beherrscht. Zur Sicherheit behauptet sie sogar von sich, Bi zu sein. Irgendwie glauben sie ihr nicht so richig, und lehnen sie ab. Sie schließt sich darauf in einem der Zimmer ein und weigert sich herauszukommen. Das ist das Ende des Films.
Aus dem Studentenfilm hätte ich einen richtigen Film gemacht. Die Schauspieler, die so real ihre eingebildete Überlegenheit rüberzubringen verstehen, hätte ich gleich mitübernommen. Solche Typen verdienen es, mal so richtig verarscht zu werden.
Zu der Truppe um den Autor* des Romans - alles Westdeutsche - hatte sich ein netter Lehrling aus Hohenschönhausen gesellt, der zu Hause rausgeflogen war. Eigentlich sollte er geschaßt werden. Sie stimmten ab darüber. „Behalten wir ihn. Er ist unser Quotenossi“, sagten die, die die Mehrheit bildeten, er fand Gnade und durfte bleiben.
Wenn man sich bei den Leuten nach der Legalisierung erkundigte, taten sie immer ganz geheimnisvoll. Bestimmt dachten sie, ich bin beim Verfassungsschutz. „Es sind immer die Harmlosesten“, sagt man ja. Es sind nicht immer die Harmlosen und Unauffälligen. Bei der Roten Flora, einem selbstorganisierten, linken Centrum, waren die Spitzel welche, die gut vernetzt waren und überall mitmischten. Die eine, in Wirklichkeit bei der Polizei, gründete dort sogar eine lesbische Taekwondo Gruppe. In ihrer Ausbildung hatte sie Nahkampfunterricht gehabt. Habe ich mal in einer Reportage gesehen.
Ein anderer Ex-Besetzer ergriff ebenfalls die Feder und ließ seine Erinnerungen freien Lauf. Er schrieb, dass er jetzt ein schlechtes Gewissen hat, weil sie damals die Kontaktversucher derer abgeblockt haben, die Anschluss suchten. Ist ja fast so, als wenn ein Schwarzer beim Klu Klux mitmachen will.
Wenn er das nicht gut fand, warum hat er das gemacht. Auch so´ne Art Diskriminierung. Ich, an seiner Stelle, hätte nicht nicht im Traum dran gedacht, mich dem Gruppenzwang zu unterwerfen.
Mitläufertum hat uns Deutsche schon mal fast in den Untergang geführt. Ich stürze mich schließlich nicht ins Besetzerleben, um gegen meine innersten Überzeugungen zu handeln. Und die sind nun Mal: Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit.
Die Begegnung mit dem Hausbesetzer an der Ampel, den ich in Jahren kurz nach der Wende oft gesehen hatte, läßt mich an jemand anderen denken. Da war doch mal was. Man war ich verknallt! Auch er ein Besetzer.
Ich glaub, die Liebe ist sowas wie ein Katalysator. Auch die unglückliche. Ich für mein Teil wachse jedenfalls immer völlig über mich hinaus. Böse Zungen würden sagen: drehe durch. Das kann durchaus auch positive Aspekte beinhalten. Jedenfalls treibt man sich in dem Zustand immer nächtelang in der Gegend umher, lernt einen Haufen Leute kennen, redet sich um Kopf und Kragen. Betrunken und bekifft, ohne etwas angerührt zu haben. Man lebt in diesem Zustand der erwartungsvollen Liebe extrem intensiv. Meine beste Freundin sagt ja nie was Geniales.
Aber einmal kam von ihr: „Jeder Verliebte ist naiv“. Soviel Einsicht hätte ich ihr gar nicht zugetraut. Man ist tatsächlich in einem kindlichen Zustand und fängt sich mitleidige Blicke ein, auf die man aber nichts gibt.
Proust ist ja mein Lieblingsautor, aber an ihm schockt mich, dass er die Liebe seziert mit dem Skalpell wie eine Probe auf einem Objektträger unter dem Mikroskop. Er, als Schwuler, hat den Vorteil, sich sowohl in die Frau als auch in den Mann hineinversetzen zu können. Er trägt von beiden Geschlechtern Anteile in sich. Den traurigsten Satz, den ich mal bei ihm gelesen habe, lautet sinngemäß: „Wenn man an den Geliebten denkt, fühlt man, dass er auch an einen denkt. In Wirklichkeit ist es aber so, dass unsere Gedanken nur an ihm abprallen und wieder zu uns zurückkehren.“ Das darf man keinem Liebenden zu lesen geben, geht mir aber öfter in ähnlichen Sitationen durch den Kopf.
Was macht der eigentlich heute so?, frage ich mich, „Besetzt er immer noch Häuser?“ und schmeiß einfach mal seinen Namen in Mr. WeltWeits aufgesperrten Wolfsrachen, der auch gleich zuschnappt und ihn verschluckt.
Im Gegenzug speit er ein Foto aus. Als ich das Foto von ihm erblickte, übermannte mich wieder der Anspruch, den ich damals hatte: Gut drauf zu sein. Was immer das auch ist. So gut drauf, wie ich meiner Meinung nach sein musste, um ihm zu gefallen. Das wollte ich zu der Zeit, heute schon lange nicht mehr. Ich sah mich bemüßigt zu lügen. In Wirklichkeit kassierte ich Stütze. War natürlich ein bisschen peinlich. Irgendwie hatte ich die falschen Klamotten an, hörte die falsche Musik. Aß das Falsche.
In Punkto Coolness war bei mir noch Luft nach oben. Mit meiner Gutdraufheit, man könnte auch Hippness dazu sagen, schleifte es mächtig. Ich glaube, als der absolute Szenetyp muss man vollkommen oberflächlich sein und die Fähigkeit haben, alles an sich abprallen zu lassen.
Andauernd will ich jemandem gefallen. Manchmal denke ich, dass ganze Leben ist ein einziges Stockholmsyndrom. Man versucht sich andauernd mit allen zu arrangieren und so zu sein, wie man denkt, dass sie einen haben wollen. „Sie versuchen auch immer es jedem Recht zu machen“, hat der Psychofritze in der Samariterstraße zu mir gesagt. Er hatte mich durchschaut.
Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut, ein müder Typ mit Strickjacke, die an den Ellenbogen Lederflicken hatte. Ich hatte eigentlich den Eindruck, er interessiert sich gar nicht für mich. Er schrieb immer mit dem Bleistiftstummel etwas auf einen Zettel. Was wohl? Das ist total verrückt bin?
Mit der Schreiberei ist es ja noch belämmerter. Ständig versucht man sich bei jemandem einzuschmeicheln, den man gar nicht kennt, imaginäre Leser zu umgarnen
Genau dieses Syndrom, dass die Leute in Stockholm entwickelten, die mit den Bankräubern eingeschlossen waren, überkam mich jetzt, als ich beim googeln war. Irgendwie wollte ich wieder so sein, wie ich dachte, dass er mich haben will. Das versuchen Verliebte wohl immer, sich so hinzumodeln, dass sie der vermuteten Erwartungshaltung des Angebeteten entsprachen.
Auch er, genauso wie der, der mir an der Ampelkreuzung gegenübergestanden hatte und jetzt wahrscheinlich schon Großvater war, wohnte mal in diesem Haus bei mir um die Ecke, das nur ein paar Monate nach Mauerfall besetzt wurde. Vielleicht hat auch er heute schon Enkel.
Ich kannte ihn aus dem Hausbesetzercafé, wo er ebenfalls in den Neunzigern hinter dem Tresen arbeitete. Wir kamen ins Gespräch. „Ich bin Musiker“. Er zeigte mir die CD von seiner Band. Er schien etwas jünger zu sein als ich. Die meisten Männer, die ich kannte, lehnten eine ältere Freundin ab.
Neugierig, wie ich war, kaufte ich mir die CD. Richtig Scheiße. Der achte Aufguß von Ton Steine Scherben, bloß ohne Genialität. Ich habe es noch nie geschafft, sie zu Ende zu hören. Trotzdem ich verliebt war. Auf der Rückseite übrigens er drauf. Durch die CD kenne ich auch seinen Namen. Ich sah schwarz für die Zukunft seiner Band. Da würde er sich wohl ein anderes Standbein suchen müssen. Vielleicht waren sie live besser?
Zum Glück liest er das sowieso nie. Sonst hätte ich einen Feind mehr. Aber wie der Typ aussah. „Milch und Honig“, hätte meine Oma gesagt. Da konnte man schon ins Träumen kommen.
Und wirklich haben sie sich bald darauf aufgelöst. Das erfuhr ich übrigens aus einem Artikel im Netz.
Manchmal denke ich, ich habe damals viele Bands getroffen, die nur spielen, eine Band zu sein. Und nicht wirklich vorhatten, das durchzuziehen. Einer aus Kaiserslautern, auch ein Hausbesetzer, hat mir mal erzählt, dass sie in der Projektwoche auf dem Gymnasium mal eine Punkband gründeten. So ähnlich kamen mir viele Bands in den besetzten Häusern vor.
In der Nacht, in der ich den Musiker traf, radelte ich ziemlich angetörnt von den billigen, weil dort im Vergleich zur Umgebung nur halb so teuren, Cola-Whiskeys in dem Café nach Hause und legte mich prompt in der Frankfurter Allee lang. Jemand hatte Eisenstangen auf den Fahrradweg gelegt.
Ich machte einen Salto in der Luft und krachte auf den Asphalt. Warum ich mir nichts weiter getan habe, ist mir bis heute nicht klar. Die Trumbunkenen stehen wohl unter einem besonderen Schutzstern. Was gibt es übrigens Genialeres, als total besoffen zu sein?
Als ich am nächsten Tag zu Hause erwachte, musste ich an ihn denken. Mir war aber klar, dass unser Gespräch nur freundschaftlich, unverbindlich abgelaufen war. Jemand, der so gut aussah wie er hatte bestimmt andere Möglichkeiten. Außerdem gehörte ich nicht zu den Besetzern.
Sie kamen fast alle aus Westdeutschland. Ich war aus Mecklenburg-Vorpommern, also eine Provinzpommeranze, lebte aber schon seit vor der Wende in Ostberlin.
Im Frühjahr 90, ein paar Monate nach dem Fall der Mauer, wurden hier in Friedrichshain plötzlich massig Häuser besetzt. Das waren alles Gebäude, die zu Ostzeiten schon auf Abriss standen. Jetzt konnte man überall bunte Spruchbänder sehen, und Leute mit struppigen Rastas liefen rein und raus. Ich konnte die Leute schlecht einschätzen. Schaumschläger? „Das Politische ist dort alles nur Gerede und Getue“, sagte mal jemand zu mir.
Ich wollte unbedingt den anderen Teil Deutschlands kennenlernen. Die Möglichkeit schien sich mir zu bieten, ohne dass ich erst lange rumreisen musste. Das damals war für mich die neue Zeit.
Besetzte Häuser waren schon immer mein Traum gewesen. Das ich das noch erleben durfte.
Der Glaube an die bürgerliche Familie war mir, da ich meinen Vater gar nicht kannte, gründlich geschwunden. Andere Lebensformen mussten gefunden werden. Mir schwebte ein romantisches Miteinander von Leuten, die sich gegenseitig halfen, vor. Ich habe die Besetzer nicht bewundert, nein, ich war die Bewunderung selbst. Leider wurde uns Einheimischen bald klar, dass sie wenig Interesse an uns hatten. Sie waren sich selbst genug. Schade. Total verschenkte Möglichkeiten.
Wahrscheinlich waren die Vorurteile, in denen sie erzogen waren, die meisten stammten ja vom Bürgertum ab, hatten auch schon eine soziale Auslese durch das Gymnasium durchlaufen, in einem Haus war mal ein ganzer Flügel nur von Studenten der Fakultät Asienwissenschaften besetzt, einfach zu stark. Und außerdem verstanden sich Ost und West nicht, obwohl auf beiden Seiten die gleiche Sprache gesprochen wurde. Vierzig Jahre, obwohl wir alle noch lange nicht vierzig waren, waren unsere beiden Staaten getrennt gewesen. Die paar Monate von November 89 bis Frühjahr 90 konnten daran auch nichts ändern.
Eine bekannte Schlagersängerin von uns, ausgerechnet sie ging mir unter den ganzen Schlagerfuzzis am meisten auf den Sack – der Horror hat einen Namen, den ich aber nicht nenne, auf ihrer Internetseite steht: das ist Lebenslust, Freude am Gesang und an der Show. Ihre Herzlichkeit, ihr Charme und ihre ... , das lässt ja schon Schlimmes befürchten - hat mal in einer TV-Sendung das Treffendste über die Wende gesagt, was ich je gehört habe: „Wir alle haben einen Identitätsverlust erlitten.“
Diese Frau galt als die Intellektuelle unter den Schlagersägern. Vielleicht war sie das auch. Dann muss sie ja mächtig unter ihrer Zwiegespaltenheit gelitten haben, denn die Texte ihrer Songs waren das Verlogenste überhaupt. Das durchschaute sie bestimmt. Es ist schon schwierig, wenn man den Quatsch, den man macht, selber nicht ernst nehmen kann.
Wir hörten auch ganz andere Musik in unserem sozialistischen Lager als die westdeutschen Hausbesetzer und waren noch in den Sechzigern bei Janis und Jimi. Auch ein bisschen in den Siebzigern. Aber nur der Anfang. 71,72 lasse ich noch gelten. Was danach kam, interessierte mich nicht so sehr.
So ging es den Tschechen auch. Dort war die Hippiewelle ebenfalls noch lebendig, viel lebendiger als in der DDR. Bei uns ebbte die Hippiewelle schon vor Mauerfall langsam ab. Im Westen dagegen war sie praktisch nicht mehr existent.
In den Neunzigern traf ich in Prag mal auf ein große Gruppe Jungen und Mädchen, alle angezogen wie Crosby-Still-Nash and Young auf dem Woodstockfestival. Sie kamen von einem Konzert im Kongreßzentrum. Ein weißes Ufo, was in einem Park gelandet war. Geniales Teil. Sollte sich der Pragbesucher nicht entgehen lassen.
Ich liebe Prag. Alle Blueser aus dem Osten, bei uns „die“ alternative Jugendbewegung in den Siebzigern und Achtzigern, liebten Prag. Besonders das Essen. Knödel mit Schweinsbraten. Und die Klobása, so´ne Art gebratene Knackwurst, die sie an jeder Straßenecke brutzeln. An die süßen Hörnchen darf ich gar nicht denken. Und jede windschiefe Bretterbude führte herrliches, kaltes Bier vom Fass.
Bei uns in der DDR gab es dagegen kein kaltes Bier. Das habe ich mal einem Kollegen erzählt, der aus Bonn stammt. Er staunte. „Das allein schon wäre für mich ein Grund gewesen, die Mauer niederzureißen.“
Ich weiß noch, wie ich dort mal draußen saß vor einem Ausschank, abseits vom Zentrum Prags. Mit mir eine Gruppe von Leuten, die einem fahrenden Volk angehörten. Die Frauen waren noch jung, aber sahen extrem geschafft aus. Auch Kinder waren dabei, darunter Zwillingsmädchen.
Ich staunte über ihre Kinderliebe, denn als eines der beiden Zwillinge aufs Knie fiel, weinte der ganze Stamm mit. Ein alter Mann, der dort wohl so eine Art Chef war, betrachtete mich aufmerksam mit Menschenkennerblick, aber nicht unfreundlich. Ich spürte, was er dachte. Mit der Lebenserfahrung, die ihm sein Alter verliehen hatte, erkannte er hellsichtig, dass auch ich nicht dazugehörte.
In einer Kneipe in der Altstadt von Prag, zu der mich ein Mann mitgenommen hatte, der mich auf der Straße angeredet hatte: „Ich weiß, wo es dir gefällt“, sangen abends alle Bob Dylan Songs zur Gitarre. Das waren die Jungen und Mädchen, die mir schon am Nachmittag begegnet waren.
Ich kam mir vor wie in der DDR in den Achtzigern. Jetzt, im Berlin nach der Wiedervereinigung, waren mit einmal alle Dylan Fans verschwunden.
Ich war ein beinharter Stones und Scherben Fan. Die waren dort bei den Autonomen längst out. Ständig liefen die Dead Kennedys. Sie nervten mich. Waren aber gerade total angesagt. Ich hörte mal vor ein paar Jahren im TV, dass Jello Biafra erzählte, dass er und seine Bandkollegen jetzt nur noch über Anwälte miteinander reden. Geld? Auch sie hatten scheinbar nicht den Stein des Weisen gefunden. „Schadet euch gar nichts“, dachte ich schadenfroh. „So wie ihr meine Gehörgänge immer malträtiert habt.“
Trotzdem probierten ich und meine Kumpels aus dem Osten immer wieder Kontakte zu ihnen zu knüpfen. Bald musste ich mir eingestehen, dass die Hausbesetzerszene nichts für mich war. Da änderten auch einige kurzfristige Liebesbeziehungen nichts dran. Im Gegenteil, sie machten mir nur klar, dass ich mir etwas vormachte.
Es waren ganz merkwürdige Beziehungen. Beziehungen, die meist gar nicht erst anfingen. Genauso lief es mit mir und dem Musiker, den ich hinter dem Tresen vom Besetzercafé kennengelernt hatte. Fast jeden Tag ging ich in die Hausbesetzerkneipe. Er war auch oft da. Und ich hoffte.
Mir war glasklar, dass es sich nur um Tage handeln könnte, bis aus uns beiden ein Paar wird. Er redete mich nicht an, registrierte aber mein Kommen, wie ich wahrnahm. Wenn er mit dem Fortschreiten des Abends immer bekiffter wurde, starrte er ununterbrochen zu mir rüber. Wenn ich zur Toilette wollte, musste ich über seine ausgestreckten Beine rüber klettern. Er zog sie nicht zurück.
Einmal, nachts auf der Frankfurter, fuhr er auf dem Fahrrad an mir vorbei, eine schwarze Kapuze bis in die Stirn gezogen. Das stand ihm ganz phantastisch. Er sah bedeutungsvoll zu mir rüber. „Kam er von einer anderen Frau?“, fragte ich mich „oder von der Band-Probe.“
Irgendwie wurde mir klar, dass es immer so bleiben würde. Es waren schon ein paar Monate vergangen. Nichts hatte sich entwickelt. Wem nützt die Liebe in Gedanken? Vielleicht genügte ihm das?
Proust hat mal gesagt: „Liebe ist kein haltbares Gefühl“. Das erlebte ich jetzt auch. Mit einmal war er mir gleichgültig. Es hatte wohl zu lange gedauert.
Ich sah ihn danach noch manchmal hier in der Gegend. Er wirkte immer sehr interessiert, wenn er mich sah. Warum ernten die Leute die Kirschen nicht, wenn sie reif sind? Im Internet hatte er mit Anderen zusammen jahrelang eine Website zu politischen Themen, auf denen sie regelmäßig Beiträge veröffentlichten. „Wenn ihr mich fragt: langweilig. Zu hochgestochen in der Ausdrucksweise.“ Vielleicht hat ja auch er ein Buch geschrieben über seine Besetzerzeit.
Fazit: Keine westdeutsche ostdeutsche Wiedervereinigungsliebe.
An meiner Kritik an seinen musikalischen Leistungen ist es nicht gescheitert. Da hätte ich ihm sowieso keinen reinen Wein eingeschenkt. So naiv war ich auch nicht mehr. Ich glaube, er wollte schon. So sehr irrte ich da nicht. Irgendwas musste ihn daran hindern. Ich hatte den Eindruck, dass ich ihm gefiel, so was spürt man, aber er sah im Grunde, dass ich da nicht reinpasste, dass wir zu unterschiedlich waren und wollte mich nicht verletzen.
„Was ist jetzt eigentlich mit Saul Bellow, den du auch mit in den prompt eingegeben hast? Hat die KI ihn vergessen?“, werdet ihr euch fragen.
Hat sie nicht, aber ihn einfach an´s Ende ran gehängt. Hier ihre Antwort:
Ein anderes Thema, was mir auf dem Herzen brennt, wo ich momentan gerade schwer damit beschäftigt bin, meine Gedanken in den Leser interessierende Formen zu gießen. - Wenn das mal nicht ´ne Formulierung ist? - ist: wann schreibe ich endlich so wie Saul Bellow, mein Vorbild? Eigentlich liebe ich nur die Geschichten von ihm. Die Romane sind mir einfach zu wesensfremd. Es geht um Männer in mittleren Jahren, die an der Uni unterrichten. hat also gar nichts mit mir zu tun. Meistens liest man ja Sachen, wo man sich drin wiedererkennt.
Bei der wievielten Frau war er wohl gerade, als er „Zetland“, meine Lieblingsstory, die sich um ein junges, jüdisches Intellektuellenpärchen dreht, geschrieben hat?
Mann, war der Typ oft verheiratet. Fünfmal. Er scheint alles mitgenommen zu haben, was bis drei nicht auf dem Baum war. Und alle seine Exen und die jeweiligen alleinerzogenen Kinder heben ihn in den Himmel. So muss das sein. Die Männer, mit denen ich mal kurz oder lang verbandelt war, müssten sich eigentlich auch glücklich preisen, dass sie mir mal über den Weg gelaufen sind und das Vorrecht hatten, meinen weisen Worten lauschen zu dürfen. Stattdessen ...
Ich wunderte mich bloß, dass seine Frauen alle sonst was studiert hatten und trotzdem auf ihn reinfielen. „Bildung ist also auch kein Weg zur Befreiung der Frau“, dachte ich.
Ich hatte mich sowieso schon vorher mal darüber gewundert, als ich in einer Reportage aus dem arabischen Raum sah, wie eine Wissenschaftlerin tiefverschleiert vor einem Mikroskop hockte. „Trotz ihrem Studium, ihrem hohen IQ macht sie das mit“, wunderte ich mich
Irgendwie werden Bellow und Schriftsteller, die ähnlich gelagerte Themen behandeln, wohl am meisten von Männern im mittleren Alter verehrt, die von jungen Frauen träumen, und es nur zu gern lesen, dass Professoren von ihren Studentinnen angebetet werden.
*Wir waren die neue Zeit
Andreas Baum