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Einmal ist keinmal!
Einmal ist keinmal!
Es war wieder mal so ein regnerischer Frühlingssonntag in München. Robert, ein hochaufgeschossener junger Mann mit Stoppelbart stand mit einer angezündeten Zigarette unter einer Überdachung eines französischen Restaurants mit dem merkwürdigen Namen „Derechef“. Er war vor einigen Minuten aus der gegenüberliegenden Haustür mit der Hausnummer 20 herausgetreten. Das Restaurant würde erst in zwei Stunden öffnen und so nutze er die Gelegenheit sich im Schutz vor der Nässe eine weitere Zigarette zu gönnen.
Er wusste nicht wie die Frau hieß, bei der er diese Nacht geschlafen hatte. Wahrscheinlich hatten sie sich gestern Abend in irgendeiner Disko im Vollrausch des Alkohols gefunden, waren zu ihr gegangen und waren am Ende im Bett gelandet. Sie hatten sich zuvor nie gesehen; hatten keinerlei Beziehung zueinander. Der Sex war weder schön noch aufregend. Jeder bekam das was er wollte, nicht mehr und nicht weniger. Danach sind sie erschöpft eingeschlafen. Er versuchte in Betrachtung des Zigarettenqualms ihren Namen in Erinnerung zu rufen, gab aber schon nach kurzer Zeit das Grübeln auf. Es war ihm aber auch egal wer diese Frau war. Sie war für ihn viel mehr Mittel zum Zweck, den er nicht immer unbedingt suchte, sondern der einfach in seine Alltagsroutine einfiel.
Angefangen hatte alles mit den verdammten Drogen. Vor ein paar Monaten hatten ein paar Freunde für eine Party etwas „Gras“ besorgt gehabt und hatten Robert überreden können auch mal an dem gebauten Joint zu ziehen. „Einmal ist keinmal!“ hatte ihm die Gruppe zugerufen, bevor er sich das ekelige Ding in den Mund schob und kräftig daran zog. Seitdem war der „grüne Giftstoff“, wie sie Marihuana in seinem Kreise nannten, nicht mehr aus seinem Leben wegzudenken. Jeden Tag nach der Arbeit stellte sich bei ihm dieser Drang, diese Sucht, danach ein. Er hatte zwischenzeitlich versucht dies mit einer Vermehrung von Zigaretten zu unterdrücken, doch immer wieder griff er zum kleinen grünen Tütchen. Er wurde faul und begann auch während der Arbeit zu kiffen. Da hatte er noch einen festen Ausbildungsplatz als Industriemechaniker. Als sein Chef das mit dem Kiffen herausbekam, wurde sein Vertrag gekündigt. Ihm war es ganz recht gewesen, denn er hatte sowieso keine Lust mehr auf die Arbeit. Nunmehr hatte er Zeit für andere Angelegenheiten die ihm wichtiger erschienen und auf die er mehr Bock hatte.
Er warf den glimmenden Zigarettenstummel in den benachbarten Gullydeckel, knöpfte die Jacke bis zum Kinn zu und marschierte ihm Eiltempo die Straße entlang. Es war früh am morgen, die Straßen wie leer gefegt. Er versuchte die Orientierung zu finden, musste aber feststellen keine der umliegenden Straßen je gehört zu haben und so irrte er eine Weile durch den Münchener Außenbezirk ehe er die S-Bahn-Station „Otterfing“ finden konnte. Am Bahnsteig stand nur ein junger Mann, gut gekleidet, wahrscheinlich ein paar Jahre älter als er. Als die S-Bahn einfuhr sprang Robert hinten in ein leeres Abteil, lehnte sich auf den unbequemen Bänken zurück, legte die Füße auf die gegenüberliegende Sitzfläche und schloss die Augen. Dass er in der S-Bahn so ruhig und gelassen sitzen konnte verdankte er auch nur seiner ständigen Routine. Als er noch offiziell als Auszubildender galt, besaß er um zur Arbeit zu kommen einen gültigen Fahrschein. Nach der Vertragskündigung erlosch die Gültigkeit. Vor etwa einem Monat fuhr er das erste Mal schwarz, war völlig aufgeregt gewesen und hatte sich ständig nach einem Bahnschaffner umgeschaut. Mittlerweile waren vier Wochen vergangen, er war nie einem Kontrolleur aufgefallen, das Schwarzfahren war, wie so vieles, mittlerweile tägliche Alltagsroutine geworden. Und immer wieder hörte er die Worte „Einmal ist keinmal!“ und versuchte damit seine Handlungen vor sich selber zu legitimieren.
Er musste einige Stationen fahren, versuchte ein wenig zu dösen. Ins Abteil stiegen in den nächsten zwei Stationen weitere Fahrgäste hinzu. Eine ältere Frau setzte sich provokant auf die von ihm gegenüberliegende Bank, sodass er meine Füße herunter nehmen musste. Er entgegnete der Dame einen bösen Blick und zugleich stieg der Hass gegen diese Frau in ihn auf. Er war nie ein aggressiver Mensch gewesen, war nie handgreiflich geworden, doch in diesem Augenblick reifte der Hass in ihn heran. Warum musste sich diese Frau ausgerechnet auf diese Bank setzen, es waren doch noch so viele frei? Während die S-Bahn Station um Station abfuhr, glotze jeder von ihnen, abwertend dem anderen gegenüber, aus dem Fenster. Am Ostbahnhof stieg die ältere Frau dann aus, warf ihm einen letzten Blick zu und humpelte förmlich aus der Bahn heraus. Ihr verlorenes Portmonai fiel ihm erst einige Sekunden später auf, als sich ein Mann ihm gegenüber setzen wollte. Reflexartig und selbstbewusst griff er zu, nahm die Briefbörse so selbstverständlich an sich wie es nur ging. Er hätte aussteigen können und der Frau ihr Portmonai zurückgeben können, doch er tat es nicht.
Während der letzten Stationen glaubte er die Geldbörse in seiner Brusttasche pochen und schlagen zu hören, ganz so wie ein lebendes Herz. Er stieg „Ismaning“ aus, versuchte dabei wie in einem Theater so natürlich wie es nur ging aus der Bahn zu steigen. Sein eigenes Herz fing nun an zu rasen. Auch wenn er der älteren Dame keine Sympathien entgegen bringen konnte, so wusste er selbstverständlich, dass das was er gerade tat zur unter „Diebstahl“ einzustufen war. Deswegen auch fühlte er sich im Besitz des Portmonais als schuldig. An einer unbeobachteten Stelle auf dem Weg zu seiner Wohnung holte er die braune Lederbörse heraus, griff darin nur nach dem Geld, steckte dieses ein und warf dann das Portmonai in einen nahe stehenden Strauch. Er wollte gar nicht den Namen der Frau wissen, auch nicht wo sie wohnte, geschweige denn weitere Details aus ihrem Leben. 120 € konnte er ihrem Portmonai entnehmen, für einen Mann mit seinem Status viel Geld. Der neue Besitz fühlte sich gut an, seine Angst war verronnen, keine 200 Meter mehr und er war zuhause, dann würde er sich erst einmal einen Joint drehen, den Fernseher anwerfen und das Leben genießen.
In der Montagsausgabe des Münchener Tagesblatt vom 26.03. stand auf der Titelseite geschrieben: „Junger Mann stirbt beim Übertreten einer Roten Ampel. Der 20 jährige Robert D. starb am Sonntag morgen bei einem Verkehrsunfall. Der Junge Mann übersah eine rote Fußgängerampel und wurde frontal von einem Opel Corsa getroffen. Er erlag noch am Unfallort seinen Verletzungen!“
Roberts Leben endete mit dem Bruch des Leitsatzes „Einmal ist keinmal!“ Für ihn war das eine Mal tödlich!