- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 12
Eins und eins und eins ...
Zunächst hatte Ally es für eine gute Idee gehalten: ihre Schwester einzuladen, dazu Ina, eine Frau aus dem Internet-Forum, das Ganze zu einem kreativen Nachmittag mit Frauenpower. Klar, Basteln ist spießig, aber eins wollte sie schon immer mal ausprobieren: hatte ihr die Schule damals den Laternenbau richtig beigebracht? Herbstlich-bunte Blätter hatte sie schon gesammelt, und jetzt ging es an die Umsetzung.
Klingeln, Moni kam: ihr langes dunkles Haar zu einem Vogue-Knoten aufgenudelt, dazu ihr grell-lila Wintermantel, der auch im kommenden Jahrzehnt keine modische Hitliste anführen würde. Sie rieb sich die Hände, machte sich über Allys Tee her und besah sich dann die Utensilien ihrer Schwester auf dem Tisch.
„Was willst du denn ... herstellen?“ Ein schräger Blick nach oben begleitete ihre Suche nach dem passenden Synonym. Kreative Tätigkeiten waren in ihrem Bekanntenkreis hoch im Kurs, basteln spießig.
„Einen Lampion!“ Stolz präsentierte Ally ihr die Camembert-Schachtel, die sie eigens dafür aufgehoben hatte.
„Ach, du auch?“ Sie zog Seidenpapier und einen Drahtlampenschirm aus einer Designer-Plastiktüte mit der Aufschrift Künstlerbedarf. „Das soll ein Vulkan werden. Bald sind ja die Martinsumzüge.“
Zweites Klingeln, Ina kam, die dunklen langen Haare schüttelnd. Dann entledigte sie sich lachend ihres grell-lila Wintermantels. Ein erstaunter Blick auf Monis Ungetüm, dann die Frage: „Kann es sein, dass wir den gleichen Mantel ...?“
„Das ist meiner.“ Moni stand plötzlich hinter ihrer Schwester und begrüßte Ina begeistert. Ally konnte sie noch gerade einander vorstellen, und schon fielen sie in ein munteres Fragen- und Antwort-Spiel über Marken, Geschäfte und Ähnliches ein.
Ally holte Ina einen Tee aus der Küche und blieb einen Moment im Türrahmen stehen. Ein unbekannter Besucher würde die beiden für Schwestern halten und sie, Ally, mit ihrem blonden Igelkopf nicht wirklich zuordnen können. Außenseiter, Außenseiter hallten in ihrem Kopf längst vergangene Kinderstimmen.
Moni fing ihren Blick auf. „Is was, Ally?“.
“Nee, nix.“ Sie übernahm Monis Satz, mit der Sprechpause, um wieder aktiv zu werden. „Was willst du denn ... herstellen, Ina?“
„Ach, was ganz Einfaches. Ich bin nicht gut im ... kreativem Tun.“ Schräger Augenaufschlag als Begleitung. Sie kramte eine Packung mit Stanzteilen aus ihrem Stoffbeutel.
„Ein Flugzeug?“ Ally stellte ihr den Becher hin. „Wozu das denn?“
„Als Laterne. Ist doch bald St. Martin ...“
„Eins und eins und eins ...“, ulkte Moni.
Ina fuhr fort: „ Man kann ja heutzutage nicht mehr mit so ...“ Sie sah verunsichert auf Allys Utensilien.
„Klassisch!“, strahlte diese. „Ich mache das Papier lichtdurchlässig ...“ Dabei verteilte sie mit einem Pinsel Öl. „Dann klebe ich Blätter auf, fertig. Als Boden und oberen Rand die Käseschachtel, ein bisschen Draht, und dann könnte man sogar eine richtige Kerze einsetzen.“
„Klassisch“, wiederholte Ina. Mit einer leichten Hebung in der Stimme, als wäre es eine Frage. Sie tauschte mit Moni Blicke aus.
„Na ja, ich will halt eine gute Tante sein.“
„Wie, Tante ...?“ Moni hatte den Mund beim Trinken zu früh geöffnet, und Tee rann ihr über die Unterlippe. „Ich dachte, es wäre für Kati!“
„Kati? Die war doch schon zu alt dafür, als ich ihren Vater überhaupt kennen gelernt habe. Damals hat sie eine Fackel getragen und sich beschwert, dass sie nicht den Martin spielen durfte, obwohl sie viel besser reiten konnte. Und jetzt geht sie nur noch der Jungens wegen hin.“
„Aber du kannst das nicht deinem Neffen geben“, setzte Moni wieder an. „Meine ist künstlerisch wertvoll, und überhaupt, ich bin seine Mutter.“
„Streitet euch doch nicht. “ Ina sah zwischen den beiden unfertigen Laternen hin und her und dachte nach. Ihr Näschen zuckte, und sie zeigte auf Allys Laternentorso: „Du könntest das doch für dich behalten, mit einer Lichterkette in die Wohnung stellen...“
„Oh ja, dort drüben in die Ecke.“ Auch Moni schien begeistert. „Sei mir nicht böse, Ally, aber es ist mir besonders wichtig, jetzt nach der Trennung von Oliver.“
„Das kann ich verstehen.“ Ina setzte sich weiter für Moni ein. „Da willst du zeigen, dass du noch seine Mutter bist. Ich wachse ja erst mal in diese Rolle hinein ...“ Sie strich sich den Rock glatt, einen schlichten dunklen wie Moni ihn trug.
„Du bist schwanger?“ Zwei Fragen wie aus einem Mund.
„Nein, was Ernstes mit ’nem geschiedenen Mann.“
„Ach so, der mit der zickigen Ex.“ Ally trumpfte mit ihrem Wissensvorsprung auf. „Der hat ein Kind?“
„Ja, einen ganz süßen Jungen. Hinnerk sieht aus wie ein Engel, mit seinen blonden Löckchen. Hat er von Oli.“
„Hinnerk, Oli?“ Moni erstarrte. Ein böser Verdacht keimte in ihr auf.
Drittes Klingeln, ein Engelchen kam mit Getrappel zur Tür herein, schwerere Schritte folgten im Hausflur.
„Hallo Ally, hallo Mama!” Kurzes Stutzen. „Ach, Ina, du auch hier?” Dann wieder völlig begeistert: „Schaut mal, was ich habe. Einen Mond für unseren Laternenumzug. Hat Papa gekauft, für einen Euro.“