Einsam
Die Hitze im „Bistro Italia“ war unerträglich, hervorgerufen durch die vielen Menschen, die dicht gedrängt an den viel zu kleinen Tischen saßen. Es war Samstag Abend und wie gewöhnlich viel los, und obwohl es noch nicht spät war, wurde es draußen schon dunkel, wie es immer früh dunkel wurde, wenn das Jahr sich dem Ende zuneigte. Geschneit hatte es in diesem Winter noch nicht, aber die Fensterscheiben waren jeden morgen gefroren und es wurde von Tag zu Tag kälter.
In der linken hinteren Ecke des Restaurants saß eine Gruppe junger Menschen, die sich angeregt unterhielten, gelegentlich zu Elena hinübersahen, tuschelnd die Köpfe zusammensteckten und dann laut und ausgelassen lachten.
Elena überlegte sich, ob sie auch mit Freunden einfach so an diesem Tisch sitzen und lachen könnte, aber ihr fiel niemand ein, mit dem sie ausgehen könnte.
Sie fühlte sich unwohl.
Sie machte diese Arbeit erst seit zwei Wochen, aber sie hasste sie bereits jetzt.
Sie hasste es, wenn sie an der Theke stand und den vielen Blicken ausgesetzt war, sie hasste es, dass sie sich beim Servieren der Getränke oft noch so ungeschickt anstellte und sich beim Kassieren oft verrechnete – Und sie hasste ihre Arme, die jetzt einfach so neben ihr hingen, als wäre nichts. Es kam ihr blöd vor, wie sie da so hingen, selten waren ihr ihre Arme so bewusst, sie wusste nicht, wohin damit und sie ärgerte sich darüber.
Sie stellte sich hinter die Bar und begann, die Gläser abzuspülen.
Die Blicke der vielen fremden Menschen brannten auf ihrer Haut, sie spürte es, wie sie angestarrt wurde und es war ihr peinlich, inmitten eines Lokals zu stehen und Gläser zu spülen, aber es war nun mal ihre Arbeit.
Auch der Mann, der alleine an der Theke saß, sah sie an.
Er war groß, und älter als Elena, viel älter. Vielleicht Anfang vierzig, aber durch die Glatze sah er noch älter aus. Sie vermied es, ihn anzusehen, aber manchmal schielte sie doch zu ihm hinüber.
Sie hatte Angst vor ihm, obwohl er nie redete, sie hatte Angst vor allen Männern mit kahlrasiertem Kopf.
Er war Stammgast.
Er kam jeden Abend um die selbe Uhrzeit, er trank jeden Abend stillschweigend seine Tasse Kaffee und dann ging er wieder.
Er kam jeden Abend allein. Elena hatte ihn noch nie mit einem Freund gesehen.
Als sie die Gläser an ihren Platz zurückstellen wollte, glitt ihr eines davon aus der Hand – Zum zweiten Mal in dieser Woche. Sie konnte nichts dagegen tun, sie ließ es einfach fallen. Sie sah ihm nach und sah es am Boden in tausend Stücke zerbersten.
Es war laut.
Wie eine Explosion.
Wahrscheinlich kam es ihr lauter vor, als es in Wirklichkeit war.
Die Leute an Tisch acht lachten, der Rest des Lokals sah erschrocken zu ihr hin. Der Mann an der Bar starrte wieder auf seine Tasse.
Elena versuchte, die Scherben schnell wegzuwischen, aber der Chef hatte es gehört und kam fluchend aus der Küche gestürmt.
Seine Augen funkelten wilder als beim letzten Mal, als sie das Glas hat fallen lassen, und er schrie sie an. Sie solle gefälligst besser aufpassen und sofort das zerbrochene Glas wegräumen. Er schrie sie einfach an, vor all den Gästen, vor den Leuten an Tisch acht und vor dem Mann an der Bar, und es war ihm völlig egal, dass alle zuhörten.
Er verschwand wieder in der Küche. Elena war den Tränen nahe. Sie hasste diese Arbeit!
Sie setzte sich in die Hocke auf den Boden und begann, den Rest der Glassplitter aufzukehren.
„Es ist immer schwer, irgendwo eine neue Arbeit anzufangen.“ –
Elena schreckte hoch. Es war das erste Mal, dass einer der Gäste mit ihr redete und sie wusste nicht, was sie sagen sollte – Noch dazu der Glatzenmann, der so gefährlich aussah.
„Naja, ich hab auch schon viel Verschiedenes gemacht. Musste mich immer umgewöhnen. Es dauert eine Weile, bis Du alles fehlerfrei kannst, mach Dir nichts draus.“
Er sah sie mit einem Blick an, den sie nicht richtig zuordnen konnte. Vielleicht war es Freundlichkeit, aber er lächelte nicht und seine Augen standen dicht beieinander, was ihn nie besonders freundlich aussehen ließ. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte und sah weg.
Er starrte wieder auf seine Tasse und Elena warf die Scherben in den Mülleimer.
Er sah eigentlich nicht besonders traurig aus, dachte sie. Er sah aber auch nicht glücklich aus. Er starrte einfach seine halbleere Tasse an und verzog sein Gesicht keinen Millimeter, es war schwer, zu sagen, was er dachte oder fühlte.
Elena stellte sich wieder an die Spüle.
„Ich bin Verkäufer. Weißt Du, mir passieren ständig irgendwelche Dinge. Ich gebe Geld falsch zurück oder räume Sachen falsch in die Regale. All sowas. Menschen machen Fehler, das ist kein Grund, sich zu schämen.“
Er sah sie an, als würde er auf eine Antwort hoffen, aber sie sah weg.
Wieso konnte er sie nicht einfach ignorieren, wie alle anderen auch?
Sie sagte nichts und sah in ihr Spülwasser, das bereits schmutzig war, und auch der Mann war nun wieder still.
Er trank seinen letzten Schluck Kaffee, legte ihr das Geld auf den Tisch und ging.