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Einsam
Saul saß auf seinem dreckigen, von Brandflecken überzogenen Sessel, und schaute in das alles verschluckende Dunkel hinein.
Er war allein.
Das einzige, was dieses triste Schwarz in diesem winzigen Raum durchstieß – Mein Gott ... es ist ja so dunkel ... so dunkel und einsam – war die kleine Schreibtischlampe, die direkt vor ihm an dem Tisch thronte.
Die Lampe sah genauso verloren aus, wie er, der nun in diesem schwachen Lichtkegel saß und sein Messer betrachtete. Alleine im Dunkeln ... so muss es wohl sein
Fast schon apathisch schaute er auf sein Messer, womit er nun das Licht der schwachen Schreibtischlampe reflektierte, geistesabwesend damit herumspielte.
Er schaute sich in seinem Zimmer um ... sein kleines Reich.
Ein beängstigend winziger Raum ... kahl und kalt.
Nur der Sessel, der Tisch mit dieser verdammten Schreibtischlampe, die grauen mit Moos überzogenen Betonwände und er ... er ganz allein.
Er mit seinem blankgeputztem Messer ... Gott in diesem Raum, über seinen eigenen Verstand und über sich selbst.
Wenn ich hier Gott bin, dann wohl der traurigste, den es jemals gegeben hat.
Man hatte ihn verlassen ... im stich gelassen, und nun war er einsam.
Er fühle sich, als würde sein Kopf gleich explodieren, oder als würde sein Brustkorb aufspringen und mit vielen kleinen Blutspritzern dieses Herz auskotzen ... Zentrum all seiner Probleme und seiner Sorgen.
Es ist ja so schwer ...
Wenn das Herz aufhört zu schlagen, dann erklärt man die Leute für tot ... aber wie nennt man dann solche wie mich?
Saul lachte immer über solche Begriffe wie „Herzschmerz“, aber im Grunde waren diese Begriffe mehr als richtig ... erstaunlich und unbegreiflich, warum sich der gesamte Schmerz gerade an diesen Ort ansammelte und einen fast umbrachte.
Viel Schlimmer als der Tod ...
Aber für solche Schmerzen gab es keine Pflaster ... keine Medizin.
Man konnte sie nicht heilen, nur ertragen. Keine Möglichkeit, sie zu entfernen.
Ich bin Gott ...
Wieder blickte er auf sein Messer herab, – es leuchtet so schön – und das Schreibtischlicht in all seinen Facetten wiederspiegelte.
Saul konnte darin ein Regenbogen erkennen, mit all seinen Farbtönen.
Dem kühlen und beruhigendem Blau, das helle leuchtende Gelb und das warme Rot, und all den fantastischen Abstufungen dazwischen .... hier gab es kein schwarz ... nur Wärme.
Die Wärme, die er so sehr vermisste.
Eine einsame Träne lief ihm die Wange herunter , fiel auf den Boden und wurde sofort vom alles nehmenden Schwarz verschluckt.
„Warum ist es hier nicht rot?“, murmelte Saul vor sich hin, während er weiter abwesend mit seinem Messer spielte.
Weil du alleine bist ... weil es kalt ist ... und weil du ein Versager bist ...
Saul schaute überrascht hoch, obwohl er schon genau wusste, woher diese Stimme kam, aber sie war doch so echt gewesen.
„Aber warum ist es so dunkel und kalt?“, fragte Saul wieder in das große schwarze Dunkel hinein.
Das weißt du ganz genau ...
Wieder floss eine Träne aus Sauls Auge ...
„Pass doch auf, wo du hier rumstehst ...“, erklang plötzlich eine erboste Mädchenstimme hinter ihm ... oder war es vor ihm?
Er wusste es nicht, denn sie schien so weit weg, so verdammt weit weg.
Hahaha, und es wird immer kalt und dunkel bleiben in deinem kleinen Raum ...in deinem kleinen verdammten Raum.
Diesmal klang die Stimme gehässig ... und aus Sauls Trauer wurde plötzlich Wut.
„Nein, das bleibt es nicht!“, schrie er auf, während er dabei wild mit seinen Händen fuchtelte und sich dabei in den Finger schnitt.
Schmerz hellte auf und wanderte von seinem Finger aus durch seinen gesamten Körper.
Doch dieser stechende Schmerz war mit etwas anderem verbunden ... etwas viel schönerem.
Es fühlte sich warm an, während ein paar vereinzelte Bluttropfen sein Finger hinunterliefen.
Interessiert beobachtete er seinen Finger, als hätte er in seinem gesamten Leben noch nie so etwas gesehen und flüsterte: „Ich bin Gott ... hier bin ich Gott!“
Er genoss die Wärme, die anfing, sich in seinem gesamten Körper auszubreiten.
Wieder ertönte eine gedämpfte Stimme von ganz weit weg, diesmal eine Jungenstimme: „Hey, hier wollen auch noch andere durch!“
Saul achtete nicht auf diese Stimme ... seine ganze Aufmerksamkeit galt nun dem Schmerz, dem Blut und dieser wunderbaren Wärme.
E r zog sich sein Pullover aus –Hattest du vorher ein Pullover an, mein Junge? – und legte seinen linken Unterarm auf sein Schoß, während er mit dem rechten das Messer fester umgriff.
Langsam setzte er das Messer an seinen Arm an und flüsterte mit einem zufriedenen Grinsen: „Ich bin hier Gott ... ich muss nicht leiden ... ich will nicht leiden.“
Wieder ertönten von irgendwo anders eine Stimme ... nein, direkt mehrere.
Er konnte die Stimmen nicht auseinanderhalten, wollte es auch nicht.
Mit Desinteresse bemerkte er lediglich, dass ihm ein paar dieser Stimmen bekannt vorkamen: „Hey, verpiss dich jetzt hier ... sach mal, ist der weg? ... SPINNER ... lasst den doch mal ... geh dran vorbei ... der reagiert nicht.“
Blut quoll aus dem Schnitt, den er sich unbewusst an seinem Unterarm zugefügt hatte ... viel Blut. Doch nun fühlte er keinen Schmerz, nur diese wunderbare Wärme.
Mach deinem Schmerz ein Ende ...
„Hey Leute, er heult ...“
Saul bemerkte, dass der Raum um ihn herum größer wurde, dass die Dunkelheit immer mehr wurde. Die Wände waren bereits nicht mehr zu erkennen. Es gab nur noch ihn auf dem Sessel, die kleine schwache Lampe auf dem Tisch und sein Messer. Ansonsten nur noch endlose Leere.
Wieder schnitt er sich in den Unterarm und verzog sein Gesicht zu einem wahnsinnigem Grinsen ...
Es wurde immer dunkler um ihn.
Mach dem Schmerz ein Ende, bevor es zu spät ist ... bevor die Lampe erlischt ...
Langsam hob Saul das Messer, mit der Spitze zu ihm selber gerichtet, nach oben und ergriff es mit beiden Händen, genoss immer noch die Wärme.
„Hey ... der ist total weggetreten ...“
Mach es .... mach es ....
Sauls wahnsinniges Grinsen verschwand.
„Ich bin Gott!“, schrie er, so laut er konnte und rammte sich das Messer bis zum Griff ins Herz.
Auch jetzt verspürte er keinen Schmerz.
Er ließ sich in die Sessellehne fallen und betrachtete die Schreibtischlampe, die nun rot zu leuchten schien und genoss die Wärme und den verschwindenden Schmerz, der sich an seinem Herz angesammelt hatte und nun gemeinsam mit dem hervorquellendem Blut seinen Körper zu verlassen schien.
Alles um ich ihn herum wurde schwarz ... nur noch das Rot der Lampe war zu sehen ...
Nur noch Rot ...
Du bist Gott .... ich bin Gott ...
Das Licht der Lampe verlor seine Konturen und mischte sich mit der Dunkelheit.
Es begann sich um Saul zu drehen, ihm wurde schwindelig.
Die wirren Stimmen vom Nirgendwo bekamen plötzlich Körper, die sich um ihn herum ansammelten.
„Oh mein Gott, was ist mit ihm?“, fragte ein hysterisches Mädchen zu seiner Rechten.
Saul war nicht erstaunt darüber, dass nun die ganzen Leute um ihn herum standen, denn das taten sie wohl schon die ganze Zeit während seiner geistigen Abwesenheit, während er sein eigener Gott war ... Gott seines Verstandes.
„Er hat ein Herzinfarkt!, schrie ein schlaksiger Typ, den er schon seit der 5 Klasse kannte, fast unvermittelt in Sauls Trommelfell.
Langsam schaute Saul nach oben, und las das große rot leuchtende Schild, auf dem „Cafeteria“ stand.
Hier war er also ... kein Schreibtisch mit Lampe ... kein Sessel.
Nur er auf dem Boden der Cafeteria, der es nun genoss, dass das alles verschluckende Dunkel wiederkam, und diesmal sein Werk vollendete ... am Ende war Nichts.