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Eisfisch

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12.08.2004
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Eisfisch

Als Henry ein Eis aus dem Kühlschrank nahm, war die Welt noch in Ordnung. Drei Minuten später nicht mehr. Er hatte sich gerade durch die dicke Schokolade gelutscht, da merkte er, daß die Eiskonsistenz eine andere war. Ein Blick auf die Videorekorderuhr bestätigte seinen Verdacht. Stromausfall!
Er sprang zum Aquarium und sah die Bescherung. Die Tropenfische Schumi und Mika schwammen friedlich nebeneinander, mit den Bäuchen nach oben. Ein Anblick der ihrem Besitzer die Tränen in die Augen trieb. Nicht nur, daß er seine beiden Mitbewohner verloren hatte, nein er wurde das Gefühl nicht los, über´s Ohr gehauen worden zu sein.
Er nahm das Aquarium, rammte es in seinen Golf und fuhr zur Zoohandlung. Deren Besitzer, Herr Petty, hielt persönlich die Stellung, wohl auch, weil sein letzter Azubi mit der Königsphyton durchgebrannt war. Henry stellte das Aquarium auf den Tisch und schaute Petty vorwurfsvoll an.
„Und?“ fragte Petty, der die Probleme seiner Kunden kannte. „Haben sie sich endlich gepaart?“
„Sie sind tot!“ schluchzte Henry.
„Zu viel Sex?“, Petty war Single.
„Nein, zu wenig Strom!“
„Und?“, das war seine Lieblingsfrage, die mit einer zweiten, herausfordernden zu begleiten pflegte. „Vielleicht dieses Mal ein Hamsterpärchen?“
„Ich will mein Geld zurück. Sie haben mir ein Notstromaggregat zum Aquarium verkauft, für den Fall eines Stromausfalles und nun das hier.“ Henry schaute wehmütig auf Mika, der Schumi ein letztes Mal überholte
„Was denn?“
„Sie sehen doch, daß es nicht funktioniert hat!“
„Ich sehe, daß etwas nicht funktioniert hat“, Petty senkte das Kinn und blickte bedeutungsschwanger über seine Brille. „Wie lange war denn der Strom weg?“
Henry dachte nach. Das Eis war also schon angetaut und die Uhrzeit im Videorekorder bereits gelöscht gewesen.
„Ziemlich lange.“
„Aha und haben sie mal auf die Packungsbeilage geschaut? Was steht da?“, Petty holte mit geübtem Griff ein Vergleichsexemplar aus dem Regal. „Zwei Stunden.“
„Zwei Stunden bloß? Aber da hätte ich doch gar keins gebraucht, weil das Wasser so schnell gar nicht abkühlt.“
„Das haben Sie gesagt“, Petty schob die Brille mit einem Grinsen nach oben.
„Aber Sie haben es mir doch verkauft.“
„Jawoll.“
„Dann hätten Sie mich auch aufklären müssen, daß es gar keinen Sinn macht, weil auch Tropenfische noch bei 25 Grad Wassertemperatur überleben können und innerhalb von zwei Stunden kühlt das Wasser nicht um fünf Grad ab.“
Petty hob die Arme und ließ sie wie eine Hampelmann fallen.
„Es gibt auch Leute, die kaufen Bauchwegtrainer oder Sessellappen.“
„Sessellappen?“
„Klingt gut, oder?“
„Ja aber was ist das?“
Petty schlackerte mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich hab sowas nicht.“
„Warten Sie!“, Henry schnellte nach vorn. „Hier stimmt was nicht. Wenn der Strom drei Stunden ausgefallen wäre, dann hätte das Aggregat mindestens zwei Stunden laufen müssen und die restliche Stunde fällt die Temperatur nicht so stark. Das hängt natürlich von der Umgebungstemperatur ab und dem Wärmekoeffizienten des Wassers. Aber theoretisch könnte der Strom ...warten sie, wenn wir annehmen, daß bei mir 23 Grad im Zimmer sind“, er begann einige Zahlenkolonnen auf den Kassenbon zu schreiben, „ und ich hatte ja kein Fenster offen und die Heizung auf halb drei... der Strom könnte mindestens 5,65 Stunden weg bleiben und Mika und Schumi müßten trotzdem überleben. So viel war´s aber nicht, weil ich neun Uhr Seminar hatte und schon 14.20 Uhr wieder zu Hause war.“
„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Und Ihre Wohnzimmertemperatur geht mich gar nix an“, Petty fingerte sich nervös an der Schürze herum.
„Ich sage, daß hier was faul ist.“
„Genau, vielleicht das Futter.“
„Auch das habe ich bei Ihnen gekauft!“
„Na gut“, Petty schaute seufzend auf den Kassenbon. „Wollen Sie ein neues Gerät?“
„Wozu, die Fische sind tot!“
„Oh. Wie wär´s mit einer kostenlosen Seebestattung?“
„Sie!“, Henrys Augen verengten sich. „Ich will sofort wissen, was hier gespielt wird! Sie schalten jetzt mal das Aquarium ein und dann simulieren wir den Stromausfall.“
Petty fühlte sich unwohl. „Wollen Sie nicht lieber einen Hamster mit Laufrad, ich hätte da ein Sonderangebot...“
„Nein!“, bellte Henry. „Meine Fische sind tot und ich will wissen, warum.“
Sie schlossen das Aquarium an. Die Lampe erhellte das Wasser und die Unterwasserarchitektur kam voll zur Geltung. Henry hatte für seine beiden Lieblinge ein kleine Höhle gebaut und daneben sogar einen kleinen Wald mit Unterwasseralgen angelegt. Die Männer schauten fasziniert auf das Panorama.
„Das Wasser ist schön sauber“ lobte Petty.
Henry blieb finster.
„Und jetzt Stromausfall!“
Er zog den Stecker. Es wurde kurz dunkel, dann zeigte ein leises Brummen an, daß irgend etwas arbeitete. Die Lampe begann wieder zu brennen.
„Es geht“, rief Petty überrascht. „Vielleicht schlafen sie nur. So ne Art Starre.“
Er griff ins Aquarium, um einen Fisch herauszuholen.
Doch kaum hatte er das Wasser berührt, begann er zu zucken und zu vibrieren, wie ein Zitteraal. Es gab einen kurzen Knall und Petty verschwand hinterm Ladentisch. Die Lampe war ausgegangen. Henry beugte sich über den Tresen.
„Alles okay?“
Etwas Rauch stieg aus der wirren Frisur des Verkäufers. Er murmelte etwas auf afghanisch.
„Oh schauen Sie!“, Henry blickte fasziniert ins Wasser. „Sie leben wieder! Sie haben sie gerettet! Sie haben sie ins Leben zurückgestoßen. Das Gerät hat einfach einen Defekt.“
Tatsächlich Schumi war schon abgetaucht, um in der Höhle zu meditieren und Mika drehte oben noch ein paar Übungsrunden. Henry nahm sein Aquarium und eilte nach Hause, um sich mit seinen Fischen eine Wiederholung der Sesamstraße anzuschauen. Später erwachte Petty aus einer seltsamen Starre und hatte das Gefühl, das sehr weit im Osten etwas Wunderbares existierte. Eine Stadt, die so ähnlich klang wie Kaffee. Dahin mußte er, das war klar. Beim Barte des Propheten, warum hatte er eigentlich kein Kamel im Angebot?

 

Moin macsoja,

Irgendwie hatte ich während des Lesens ständig Michael Palin im Hinterkopf, der John Cleese weismachen will, daß dessen Papagei noch lebt. Okay, dieser Sketch von Monty Python hat mit deiner Geschichte wenig zu tun, aber irgendwie hats mich dran erinnert.
Deine Geschichte hat mir nach einem etwas lahmen Einstieg ab dem Moment, in dem er die Zoohandlung betritt, ziemlich gut gefallen. Der Dialog ist lebhaft und mit ein paar guten Ideen gespickt. Liest sich einfach schln locker runter und unterhält dabei.

Drei Minuten später nicht mehr. Er hatte sich durch die dicke Schokolade gelutscht
Drei Minuten? Also, ich bin da deutlich schneller... Bis dahin ist das Eis doch geschmolzen, Stromausfall hin oder her ;)
Der Besitzer ein gewisser Herr Petty war höchstpersönlich da.
"war da" liest sich unschön. Vorschlag: "stand höchst persönlich hinter dem Tresen".
„Zu viel Sex?“, Petty war Single.
„Nein!“, bellte ihr Besitzer. „Zu wenig Strom!“
Hier würde ich (was reine Geschmackssache ist) die Anhängsel ("sagte er") weglassen. Macht den Dialog schneller und den Gag prägnanter.
Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden. Und Ihre Wohnzimmertemperatur geht mich gar nix an“, Petty fingerte sich nervös an der Schürze herum.
Guter Gag. Vor allem nach dem langen Absatz mit der Rechnung.
um sich mit seinen Fischen eine Wiederholung der Sesamstraße anzuschauen.
Ich weiß nicht so recht. Sesamstraße finde ich hier arg albern.

 

Wir ham kein Schmul!

Merci an g & g,

for beackering le text.

@gbwolf
Es war so:
Bauchweg = Waschbrett = vorher Waschbär und der lebt doch wohl am Bach, weil wo soll er sich denn sonst waschen?

Anders kann ich mir den Fehler eigentlich nicht erklären :Pfeif:

@gnoebel
Habe nach Michael Palin (dachte kurz an Michel Platini) gegoogelt. Ja den hab´ ich mal im Fernsehen gesehen. An den Papagei (war der blau?) kann ich mich auch finster erinnern. War etwas steif der Gute...

Die 3 Minuten, nun...ich habe da so diese Lidl-Eisboxen mit dem günstigen 12er-Eis-Sparpack. Eh man da das richtige (das ist auch immer eine knifflige Entscheidung) Eis raus hat und dann an der Plastikverpackung gefummelt, diese in die grüne Tonne getan, sich im Sessel drapiert und durch die Schokolade gelutscht (ich nage da ein Loch rein und sauge, wie ne Mücke auf Entzug) hat, da vergehen schon 2,83 Minuten. Na gut, ich geb´s zu, ich hab´ aufgerundet. :schiel:

Im Sex-Dialog habe ich das Bellen rausgenommen (ich glaube Du hattest schon bei der Tricolore sowas rythmisches angemerkt ;)). Den Single lasse ich auf jeden Fall drin, den mag´ ich selber sehr :D

Naja ich hatte so im Gefühl, das Sesamstraße besser als Wiederholung käme, als "Arielle die Meerjungfrau", weil das zu offensichtlich ist.
Ich finde das Kamel bissl albern, naja aber paßte zur Zoohandlung.:jack:

noch mal besten Dank für Eure Zeit

mac

 

:rotfl: Hi mac,

dachte, ich muss mich mal wieder bei einer deiner Geschichten melden. Was soll ich sagen:

:D :D :D

Wunderbar skurril. gnoebel hat recht, es erinnert ein wenig an Monty Python, aber das ist nur ein Kompliment (zumindest aus meinem Mund).

„Oh. Wie wär´s mit einer kostenlosen Seebestattung?“

:rotfl:

Eine Stadt, die so ähnlich klang wie Kaffee.

:lol:

Es ist selten, dass ich mich bei einer Humnor-Geschichte so amüsiere, Respekt!

Liebe Grüße,

Ronja

 

Hi mac,

eine witzige kleine Geschichte :D

Und was sagt sie uns?
Traue dem Verkäufer nicht, weil er nicht die Wahrheit spricht. :shy:

Ein Glück das dein Prot so ein kühler Rechner ist, sonst wären gleich beide weg vom Fenster gewesen. Mika undSchumi.

lieben Gruß, coleratio

 

Hallo macsoja

Ich hatte einzig 2 Stolperer beim Lesen:
1. Erkennen des Stromausfalls.
Hatte Henry für das Kühlschranklämpchen auch ein Notstromagregat? Oder ist es schon lange defekt? Auf jeden Fall würde ein dunkler Kühlschrank bei mir die Stromausfallarmglocken schrillen lassen.

2. Transport des Aquariums, tja wie soll ich sagen.
Er "rammte" es ins Auto. Das hört sich nach Beulen und einem kapitalen Lackschaden an.
Angesichts der Grösse (ich stelle mir da so ein mittleres Teil von 50x20x30cm) und des Wasserinhalts
(nicht ganz gefüllt 25 Liter), macht das mit Glaswänden, Boden, Lampe und Wasserpumpe so um die 35 Kg. Na, das ist nicht gerade leicht. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich müsste das Ding ins Auto "wuchten".

Aber sonst hat mir die Geschichte ganz gut gefallen, die Dialoge sind witzig, die Geschichte hat Tempo.

Die Männer schauten fasziniert auf das Panorama.
„Das Wasser ist schön sauber“ lobte Petty.
Henry blieb finster.
Das hat mir besonders gefallen, weil es die Stimmung im Laden beschreibt ohne sie zu beschreiben.
(Wenn du weisst, was ich meine.)

Textkleinkram:
voll zu Geltung
- zur

Gruss dotslash

 

Merci für die Kommentare :thumbsup:

Interessant finde ich, daß jeder andere Zitate rausfischt, das heißt, der Text spricht die verschiedensten Humorarten an oder Ihr sucht immer neue Textstellen.
Ja und ich mag´ die rollenden Smileys :D

@felsenkatze
Bei welchen Geschichten amüsierst Du Dich denn normalerweise? :confused:

@coleratio
Äh Moral? Mmh... Wie wär´s mir: Geh in keinen Zooladen. Hol alles im Lidl

@dotslash
Der Strom ist ja wieder da. Er war nur zwischenzeitlich weg, sonst hätte er´s nicht erst nach 3 Minuten gemerkt.
Ja der Transport ist schon so ne kleine (nach likata umschau) satirische Überhöhung, denn eigentlich schwappt ja dann auch das Wasser an jeder Kreuzung auf die schönen Bezüge.
Und ob nun rammen oder wuchten, eigentlich müßte man Wasser ablassen ;)
Wozu man wütend oder in besonderen Situationen in der Lage ist, das wurde schon im Übersinnlichkeitsthread diskutiert ;)

Das hat mir besonders gefallen, weil es die Stimmung im Laden beschreibt ohne sie zu beschreiben.
(Wenn du weisst, was ich meine.)
Vielen Dank für die Analyse, freut mich besonders, denn das versuche ich so gut es geht in allen Geschichten. Nur Handlung und Dialoge und etwas Charakterisierung, um das Tempo nicht zu stoppen.

Wow erst der zweite Textfehler, das ist ja fast unglaublich.

Nochmals danke an alle und bis später

mac

 

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