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Eiszeit

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02.11.2001
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Eiszeit

Endlos, dieses Geknirsche weit oberhalb dieser tausend Salzwassermeter.Ein Geschramme ist das, ein Schrammen und Ächzen,ein sich Eis im Eis zerbrechen, ein Tosen und ein Walzen, Eisschiefer, Eisplatten, Eistürme, Eis in unerträumten Formen, weitab aller Begriffe und Vorstellungen, Formationen undefinierbar und schön dabei, nur scheinbar formlos, darunter das Stöhnen, Singen, Kommunizieren der Wale, ein vergessenes Ineinander einer bis zu unerahnten Tiefen ölverpesteten Scheinwelt. Weint da nicht die See? Oben dieses Eisschollengetue mit seinen ewigen Flüchtigkeiten, schon wenige Meter darunter der Stahl des Eisbrechers, der ganze Walrossherden ansatzlos mit seinem abgrundtief hässlichen Schiffsschraubengestampfe unter deformierte Eisberge, Eisplatten, Eisschollen drückt, presst, tötet. Ein blutiges, blutendes Nordmeer tut sich auf und wogt selbstgefällig. Diese Eiskristalle in dicken Schichten auf der Kommandobrücke des sich gegen Eisbarrieren abmühenden Schiffes, Eiskristalle wie Spinnennetze übereinander, gewachsen, verwoben. Und seht doch dort, schon fast gefrierendes Blut aus dem aufgerissenen Leib der Robbe, vorhin auf den Tatzen des Eisbären, der da König ist draußen in dieser beinharten Eiswüste, ein weißer wandernder Fleck im unendlichen Nirgendwo einer erstarrten Welt. Jetzt schnell die endgültigen Aufnahmen, Photographien für etwas Späteres in der Nähe warmer Feuer. Ewiges falsches Licht einer durch den Zwang des ewig Scheinen müssens schwachen Sonne. Keine Nacht, keine Nischen, kein Dunkel da draußen. Erfrorene Schreie versunkener, gestrandeter Schiffsbesatzungen. Darüber der Eispanzer. Verzahnte Grabplatten auf dem Gewoge der See.

Möven, die inmitten ihres Gelächters das Schiff eskortieren. Weit weg ist das Land jetzt. Ein Wind, sagen wir beizeiten Sturm dazu, treibt Wolkenbänke tief und hässlich und unablässig gegen das Schiffsgetöse. Cognakgeruch, flaue Wogen einer gestundeten Wärme. Männer weit weg von den Frauen, ihrem Hafen, Forscher, Walschlächter. Welch nutzloser Aufbruch.Bärte, eisverfilzt im Kondensat des Ausatmens. Wo sind die Wale? Das Eis bricht doch unter uns, wir hören doch recht. Das Echolot, ja. Das Nordmeer verlangt unsere Zeit, unsere Geduld. Andererseits, das wußten wir beim Betreten dieses Schiffes. So schnell kein Fangschuss, kein harpunieren. Doch eben deshalb, Harpunen, Torpedos, die gesamte uns zur Verfügung gestellte Technik, alles scharf und bereit. Alles wartet im Bauch des Schiffes. Und alles schriftlich vereinbart für den Geist unseres Forscherteams. Nur wenige, nicht seltene Kreaturen aus der Nordmeertiefe diesmal, noch nicht wirklich schützenswert, beteuern unsere Statistiken. Ein paar Kilogramm Gewebeproben, Gehirn, Innereien, fein getrennt und in Glasgefäßen aufbewahrt. Der Tonnenrest, wenn schon da und anfallend, dann eben Hundefutter, nahrhafter Beisatz in den gestapelten Dosenbergen unserer Einkaufsmeilen.Kein Pottwal, kein Blauwal. Wir vergnügen uns redlich an diesen noch vorhandenen Restbeständen von Finnwalfamilien. Das geht schon noch. Das Nordmeer ist groß und weit und verzeiht.

Die Laune des Schlächterteams wird besser mit jeder zusätzlich getrunkenen Flasche. Sie sagen heißer Tee dazu und meinen das Vergessen können dieser Endzeit draußen. In ein paar Stunden wird sich die aufgebrochene Fahrrinne wieder geschlossen haben, der rostverfärbte Schnitt quer über die Bauchdecke des Nordmeeres ohne Narben zu hinterlassen, zugewachsen sein. Der Eiswind rüttelt an Seilwinden, Geländerstreben. Die Männer grölen. Nordlandlieder. Schon im Fieber der herannahenden Ereignisse werden die Erlebnisse vergangener erfolgreicher Forschungsfahrten mitgeteilt, geschrieen. Lautstarke Überlieferung stattgefundener Gemetzel. Anekdoten über Größe und Stückzahlen. Männlichkeitswahn auch im Nordmeer immer dabei. Der Jagdtrieb, ja. Sie haben sich vor niemandem zu verantworten. Sie betrinken sich mit derselben Konsequenz, mit der sie den letzten Walen nachstellen. Eiszeit ist in ihren Hirnen.

Für Japan und Norwegen.Für uns alle.

 

Hallo Aqualung,

vermutlich ein Text mit Hintergedanken. Das Sterben der Wale allein scheint nicht gemeint. Gegensatz von Oben und Unten, von Menschen und Tieren. Echolot das Verbindungsstück. Jagdtrieb der Menschen, Fehlen von Verantwortung, Abstumpfung des Gewissens durch Sich-Betrinken. Ein telegrammartiger Stil, viele Aneinanderreihungen von Begriffen. Versuch, durch Wortschöpfungen und Wortwiederholungen mit "Eis-" das Gefühl der Kälte rüberzubringen. Endzeitstimmung. Dazwischen blitzt irgendwo ein "falsches Licht" auf, vielleicht Zeichen von trügerischer Hoffnung.

Die Frage, die bleibt, was sind die Hintergedanken des Textes? Wonach zielt die Schreibabsicht? Wenn in unserer Zeit, ich meine: der neuesten, jemand von der Zerstörung der Umwelt redet, dann meint er vermutlich sehr viel mehr.

Viele Grüße

Hans Werner

 

In der Kürze liegt die Würze, das scheinst Du zu beherzigen, Aqualung. Ich habe eher den Eindruck, daß diese Erzählung nur eine eindeutige Aussage hat, und zwar auf das bezogen, was sie beschreibt. Aber ich kann mich natürlich irren, aber das spielt auch nur eine untergeordnete Rolle. Ich habe es genossen, die Bilder aufzunehmen und mußte gleichzeitig schlucken, als ich mir vorstellte, was als nächstes kommen würde. Nun, so empfindet man nun einmal, wenn man die Natur mag. Ich würde gern mehr von Dir lesen.

 

Deine Kritik hat Recht.Danke,Roswitha,für die Art,wie du die Geschichte gelesen und daraus Vieles erkannt hast.Ich verspreche dir mehr.

Liebe Grüße - Robert

 

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