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Elfenreigen
Irgendwas stimmte nicht.
Es roch feucht und auf irgendeine Weise nach Wald oder frisch besprengten Pflanzen. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass sich die Luft nur schwer einatmen ließ. Sie war zäh, ja das trifft es wohl am ehesten.
Aber da er sich so schlapp und müde fand, kam er Situation in der er sich befangen glaubte, entgegen und atmete ganz ruhig und flach.
Der Traum mußte es gewesen sein, der den Geruch und das Gefühl nachschleppte. Ihm war erinnerlich, dass er ja bei seiner Schwester, deren Geburtstag gestern gefeiert wurde, das gräßliche Gemälde „Elfenreigen“, das sie als Geschenk von ihrem Mann für das Schlafzimmer bekommen hatte, ansehen mußte. Es hing direkt über dem Ehebett und war mit einem üppigen goldfarbenem Rahmen versehen.
Darauf tanzten in alberner Pose halb nackt aber dennoch artig verhüllte junge Damen um einen Fliederbusch.
Er mußte auch jetzt noch in sich hinein lächeln über solch einen naiven Tand.
Aber das war so Mode in des II. Friedrich-Wilhelms Kulturkaiserreich.
In zwei Monaten würde ein neues Jahrhundert anbrechen; er hatte jetzt schon an der Laudatio auf die neue, fortschrittliche Zeit gearbeitet, die er vor seinem erlauchten Kollegium in der Universität halten würde.
Nach dem Sieg über die Franzosen ging es nur noch aufwärts mit dem deutschen Kaiserreich. Und der junge Kaiser ist ein fortschrittlicher Monarch.
Er erinnerte sich seiner hingeworfenen Worte „... machen se man...“, als er ihm erklärte, dass Deutschland, so es denn in einen neuen Krieg hinein getrieben sein würde, nicht nur mit der besten Marine der Welt werden kokettieren können, sondern mit den ausgefeiltesten physikalischen und chemischen Waffen.
Und er war höchst persönlich als Wissenschaftler vom Kaiser verpflichtet worden.
Der nächste Krieg würde mit Sicherheit kurz und siegreich.
Jetzt begann sein Rücken zu schmerzen aber er mochte sich nicht wenden, diese Lage – auf dem Rücken mit bequem verschränkten Händen über der Brust – war sehr angemessen und diszipliniert. So also blieb er eben liegen.
Er wußte nicht genau, ob er die Augen geöffnet hatte oder nicht.
Aber da sein Schlafzimmer immer völlig abgedunkelt war, hätte man ohnehin nichts erkennen können.
Irgendein das Labor besuchender Major fand sein „Morphinosol“ unkriegerisch. Obgleich man es sehr gut per Granate hinter die feindlichen Reihen befördern konnte. Statt dessen bevorzugte er diese Komposition aus einem Chlorderivat. Und stellte sich gleich bildhaft vor, dass man diese Munition mit einem gelben Kreuz versehen könne, damit die Gemeinen wissen: aha, dass ist das Zeug, mit dem man den Feinden die Lungen zersetzen kann und wird GELBKREUZ heißen.
Der Mann hat keinen Stil!
So dachte er verärgert, aber er werde dem Kaiser sein „Morphinosol“ schon schmackhaft machen. Es hat eine viel effizientere Wirkung und man könnte reichlich Gefangene machen, nach dem die betäubende Wirkung aus der Granatenfüllung nachlässt. Gewiss, die Rohstoffe zur Herstellung einer einzigen Granate übersteigen das Gelbkreuz Zeug um ein achtfaches; hat der Kaiser aber nicht verkündet, dass er keine Kosten und Mittel scheuen wird um das deutsche Reich vor jedwedem feindlichen Interesse zu schützen...?!
Außerdem werde er sich beim Minister auf seine militärischen Vollmachten berufen, ist er denn nicht auch ein Reserveoberleutnant ?!.
Er fand es unangenehm, dass sein linkes Bein sich so taub und kühl anfühlte. Deshalb zog es die Knie an.
Dabei stieß er direkt über sich auf einen harten Widerstand als ob sein Deckbett...
Etwas radikal Absurdes ging in diesem Augenblick durch seinen Kopf und er mußte hastiger atmen. Sein Herzschlag erhöhte sich um ein vielfaches.
Es gelang ihm aber nicht ausreichend Luft zu schöpfen, so dass er pustete.
Durch die Nase einatmen und den Mund kräftig ausatmen – dabei löste er seine bisher über der Brust gefalteten Hände und tastete links und rechts neben sich das Bett ab.
Es war kein Bett.
Unter dem dünnen seidigen Stoff fühlte er weder eine Matratze noch über sich ein daunengefülltes Deckbett.
Und wieso hatte er einen Anzug an?!
Die Elfen tanzten um den Fliederbusch und lächelten ihn an, nein sie lachten.
Das Morphinosol: tiefe Bewußtlosigkeit bis zum Koma, mehrere Stunden lang, hatte er am Abend in das schwarze Laborbuch notiert als er das Versuchsschaf beobachtend untersuchte.
Er fluchte mit dem letzten Atem, der ihm noch blieb: Sie werden das Gelbkreuz verwenden, das Gelbkreuz.....