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Elvis has entered the building
Elvis betrat das Hotel mit einem Gefühl der Erleichterung, wie auch des Hungers. Seit dem Frühstück hatte er bloß zwei Hamburger und gerade mal ein Pfund Fritten verdrückt. Aber er hatte sich vorgenommen abzunehmen, und was er sich vornahm, das pflegte er auch einzuhalten.
„Willkommen im Hotel California“, flötete die junge Frau an der Rezeption und schenkte ihm ein Lächeln, für das nicht wenige Männer gemordet hätten.
„Hi“, sagte Elvis, darum bemüht, so cool und abgeklärt wie früher zu wirken.
Doch rund dreißig Jahre fast völliger Isolation auf einer kleinen Pazifik-Insel hatten seine sozialen Fähigkeiten stark beeinträchtigt.
„Ich brauche ein Zimmer und ’ne ganze Menge Liebe!“
„Gerne“, entgegnete die Rezeptionistin. „Für die Zimmer bin ich zuständig und für die Liebe mein Chef. Soll ich ihn holen?“
Elvis blinzelte verstört. „Äh, nein. Mein Name ist Presley. Elvis Presley.”
Sie schrieb den Namen ins Gästebuch und pflückte einen Schlüssel vom Board hinter sich. „Angenehm, Mister Presley. Ich gebe Ihnen Zimmer elf. Reimt sich fast auf Ihren Namen: Elfis. Hihi!“
„Ja, sagt Ihnen denn mein Name überhaupt nichts?“
Die junge Frau musterte ihn eingehend. „Sollte er das?“
Ein paar Sekunden lang herrschte völlige Stille im Foyer. Dann stieß sie ein Lachen aus. „Jetzt hab’ ich’s: Sie sind der Holzmichl, stimmt’s?“
Elvis pustete einen Schwall Ärger aus. „Was? Ich bin der King of Rock’n’Roll!“
Er marschierte ein paar Schritte rückwärts, breitete die Arme aus und sang: “Let’s rock, everybody, let’s rock … everybody in the whole cell block.”
Sein Hüftschwung geriet schon beim Ansatz ins Stocken.
„Mist“, dachte er frustriert. „Ich bin echt zu fett.“
Ungerührt runzelte die Frau die Stirn und betrachtete ihn, als wäre er geistesgestört. Vor dreißig Jahren hätten ihm selbst die eingefleischtesten Feministinnen kreischend ihre Slips vor die Füße geworfen und wären danach kollektiv in Ohnmacht gefallen. Heute wurde er nicht einmal mehr erkannt. Da hätte er gleich zu Hause auf Tonga-Wonga bleiben oder tatsächlich sterben können.
„Seltsam“, meinte sein Gegenüber plötzlich. „Einer unserer Stammgäste behauptet ebenfalls der King zu sein. Nun ja: Unter Ihresgleichen werden Sie sich bestimmt noch wohler fühlen!“
Sie rundete den unlustigen Scherz mit einem gekünstelten Lachen ab. Genau so hatte Johnny Carson in seiner Show gelacht, obwohl er hinter den Kulissen nur Verachtung für seine Musik übrig gehabt hatte.
Elvis bedankte sich, nahm den Schlüssel und suchte die Hotelbar auf. Es waren nur zwei Gäste anwesend. Der eine saß mit dem Rücken zu ihm an einem der runden Tische, der andere schüttete an der Theke Bier in sich hinein, als wollte er es irgendjemandem wegsaufen.
Der Typ kam ihm bekannt vor. Elvis kniff die Augen zusammen, vermochte jedoch nicht zu erkennen, um wen es sich handelte. Das war der Beweis: Er wurde nicht nur alt, er war bereits alt. Früher hätte er noch von der Bühne aus sehen können, ob die Mädchen in der zehnten Reihe ihre Büstenhalter noch trugen oder ihm bereits zugeworfen hatten. Jetzt konnte er nur noch die Umrisse des Typen ausmachen. BH schien er jedenfalls keinen zu tragen.
Elvis schlenderte wie ein Cowboy zur Theke und nahm neben dem Gast Platz.
Er bestellte einen Martini und grüßte den Typen am Nebenhocker. Zunächst hatte er ihn für einen Penner gehalten, aber als er sich ihm zuwandte, erkannte er ihn unzweifelhaft. Nein, bitte nicht diesen aufgeblasenen Angeber!
„Willkommen! Du hast die Pforten der Erkenntnis durchschritten, Mann“, sagte Jim Morrison und prostete ihm mit einem höhnischen Grinsen zu.
Na, wunderbar: Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Wenigstens machte Morrison einen ordentlich ramponierten Eindruck. Aufgeschwemmt waren sein Gesicht und sein einst schlanker Körper. Andererseits verband sie dies, bemerkte Elvis und blickte trübe in seinen Martini.
„He, da schwimmt eine Fliege drin.“
„Das ist keine Fliege, sondern die Kirsche“, klärte ihn Morrison auf.
„Oh“, machte Elvis und musste zugeben, dass der Klugscheißer Recht hatte.
Schweigend nippte er an dem Getränk, während Morrison erneut ein Bier bestellte.
„Ich trinke dieses hier auf Densmore“, sagte er und leerte es zur Hälfte mit einem einzigen gewaltigen Zug.
Der Kerl musste fünf Lebern haben, dachte Elvis. Wahrscheinlich saß der seit Jahren an dieser Bar und soff sich den letzten Rest Verstand weg. Sein gewaltiger Arsch war vielleicht schon mit dem Barhocker symbiotisch verwachsen.
„Dachte, du wärst tot.“
Elvis schreckte hoch. „Ahm. Nein, habe ich nur vorgetäuscht. Ich brauchte ein wenig Abstand von diesem ganzen Rummel. Wenn du mal dich selbst als Wackelfigur in einem schrottreifen Ford gesehen hast, beginnst über den Sinn deines Daseins nachzugrübeln.“
Morrison brummte etwas Unverständliches. Dann fügte er hinzu: „Ich lag hackezu in der Badewanne und wollte nur meinen Rausch ausschlafen. Eine meiner Freundinnen hielt mich für tot und holte einen Arzt, so einen verfickten Froschfresser, der deinen Arsch nicht vom Kopf unterscheiden konnte. Na ja, bei manchen meiner Betthasen ging es mir ähnlich. Oft wusste ich nicht, ob ich gerade Oral- oder Analverkehr gehabt hatte. Jedenfalls erklärte mir dieser Hirni, ich sei tot, weil sein Pulsmesser nix anzeige. ‚Monsieur Morrison, es tu’ mich leiden, aber sie seien tot’. Einen Moment lang war ich sauer, doch dann sagte ich mir: ‚Jim, das ist doch klasse! Jetzt kannst du dich endlich aufs Verfassen von Gedichten konzentrieren und musst nicht mehr den Sänger einer verkackten Band geben.“
Elvis verzog die Lippen: Für ein so ungehobeltes Geplapper hätte ihm seine Mutter den Mund mit seiner eigenen Pisse ausgewaschen. „Und? Biste berühmt geworden mit deinen Gedichten?“
„Nein. Dabei bin ich, ohne arrogant wirken zu wollen, ein begnadeter Lyriker! Willst du mal hören? Mein letztes Gedicht heißt: ‚Verfickte Hurenschlampen am Asphalt der Kotze’.“
„Äh. Ein andermal vielleicht.“
Morrison zuckte mit den Achseln und trank den Rest Bier leer. „Und wie läuft’s bei dir so?“
„Ganz gut. Verkaufe noch immer so viele Platten wie früher. Allerdings habe ich nichts davon, weil meine Rechte an einen anderen verkauft wurden. Außerdem hat mich das Mädchen an der Rezeption für den Holzmichl gehalten.“
Morrison runzelte die Stirn. „Ja, lebt der denn noch?“
Hinter ihren Rücken schabten die Beine eines Stuhls auf dem Linoleum.
„Ja!“; rief eine krächzende Stimme. „Ich lebe noch! Ich leeebe! Aber ihr beiden, ihr seid doch nur Einbildung! Euch gibt´s doch gar nicht!“
„Komm, Opa“, sagte die junge Frau neben ihm. „Wir gehen lieber wieder nach Hause, bevor du dich über Elvis und die anderen wieder aufregen musst.“
„Aber da sitzen doch Elvis Presley und so ein Hippie an der Bar!“
Das Mädchen schüttelte den Kopf. „Elvis ist schon lange tot. Komm jetzt. Manchmal frage ich mich wirklich, warum ich ausgerechnet Frank Sinatras Enkelin sein muss.“