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Ende - Anfang

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24.04.2003
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Ende - Anfang

"Leider ja, Herr Messler."
Kein gespieltes Bedauern in seiner Stimme. Das ist ein aufrichtiger Arzt.
Mir gelingt sogar ein Lächeln.
"Ich wusste, dass der Husten nicht normal ist. Die ganze Zeit über hab ichs gewusst."
Doktor Gerarts beugt sich über den Schreibtisch, und faltet die Hände wie zum Gebet.
"Ihnen kann ich sowieso nichts vormachen", sagt er. - "Selbst wenn die Kasse sich beteiligen würde, und Sie den Rest bezahlen könnten."
Ich nicke.
"Grob geschätzt ... wie lange noch?"
"Das hängt davon ab, ob Sie in der Klinik, oder lieber zu Hause bleiben möchten. Ich persönlich empfehle Ihnen vorerst Letzteres."
"Ich ..."

***

Margrit kommt aus der Küche, begleitet vom wohligen Duft des Sauerbratens, der im Ofen schlummert.
"Und?"
Ich brauche nichts zu sagen, und gerade dann, im unpassendsten Augenblick, als sie mir in die Arme fällt, muss ich sie auch noch von mir wegdrücken, weil der Husten wiederkommt.
"Ich werde ins Krankenhaus gehen. Du wirst das nicht mitmachen", keuche ich atemlos, nachdem der Anfall sich gelegt hat.
"Aber ..."
"Ich bin im Esszimmer. Der Braten riecht wirklich lecker."
Sie tischt wie üblich viel zu viel auf. Die ganze Familie könnte mitessen und es blieben Reste übrig.
Margrits Blick auf mir ruhend, nehme ich zwei Kartoffelknödel, eine Scheibe Fleisch und jede Menge Rotkohl.
Meine Hände zittern dezent. Jetzt werde ich auch noch nervös.
"Nimmst du dir auch was, oder willst du dabei zusehen, wie mir der Bart wächst?"
Margrit steht auf und schmeißt die Serviette auf den Tisch.
"Mir ist der Appetit vergangen."
"Na bitte, dann geh doch. Ich kann auch alleine essen!"
Das sollte man doch genießen; ob mit oder ohne Frau.
Es ist wichtig, die Knödel erst in kleine kleine Teile zu schneiden, um sie dann mit der Gabel platt zu drücken, damit die Soße besser aufgesaugt werden kann, und die Kartoffeln mehr Aroma kriegen, und es ist noch viel ... wichtiger ... dass ...
"Margrit! Komm bitte her, es tut mir Leid!"

***

"Aber Sie hatten mir doch geraten, zu Hause zu bleiben."
"Vorerst, Herr Messler. Das ist zwei Monate her. Sagten Sie selbst nicht, dass Sie Ihrer Frau das nicht antun wollten? So waren Ihre Worte."
"Aber ... so schnell?"

***

"Wir sind schonmal draußen, Mutti. Den Koffer hab ich. Denk bitte an den Kulturbeutel. Zahnpasta hab ich extra eingepackt."
Ich will Claudia energisch an den Schultern schütteln, sie anschreien, dass sie endlich aus ihrer Traumwelt erwachen soll, in der alles ganz prächtig ist und medizinische Wunder zur Tagesordnung gehören.
Statt dessen schaffe ich es gerade noch, mich zurück zur Tür zu schleppen.
"Margrit ... Margrit, kommst du bitte mal ..."
Die Attacken werden immer schlimmer.
"... zu mir?"
Lieber Himmel, das Weib könnte ein Elephant sein, so wie sie die morschen Stufen runtergetrampelt kommt.
"Jetzt mal ganz ruhig. Noch lebe ich ja."
"Was ist denn los?"
Ich fasse all meinen Mut zusammen.
"Ich will nicht, dass du mitfährst."
"Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein."
"Doch, und ich verbiete dir, mit ins Krankenhaus zu kommen. Wäre ja noch schöner, wenn du neben dem Bett sitzt und rumheulst. Du bleibst hier, oder ich bleibe hier."
"Nein."
"Doch. Sonst bleibe ich hier. Ich schwöre dir, sonst bleibe ich hier."
"Dann fahr jetzt halt und ich komme in ein paar Stunden nach."
"Wenn du das tust, dann wirst du den hier nicht bekommen."
Ich greife in die Tasche der zerknitterten Stoffhose.
"Was ist das für ein Schlüssel?"
"Das sage ich Claudia. Wenn du jetzt oder später kommst, dann wirst du nie erfahren, was das für ein Schlüssel ist."
"Claudia wird es mir sagen, das weißt du doch wohl."
Ich nehme Margrit in den Arm. Trotz meiner krächzenden Stimme gelingt mir gerade jetzt ein sanftes Flüstern, wie ich es nicht mehr für möglich gehalten hätte.
"Schatz, ich will nicht, dass du mich sterben siehst."
"Ach, du blöder Idiot!"
"Bitte, hör doch zu heulen auf."
"Ja, ja, ich bleib hier. Gib mir einen Kuss, du Trottel. Ich liebe dich, das weißt du doch, oder?"

***

Das Telefon klingelt. Margrit nimmt ab.
"Frau Messler? Doktor ..." - Sie legt auf.

Unter der Couch versteckt. Aber erst, wenn der Anruf kommt.

Eine kleine Schatulle.
Sie steckt den Schlüssel ins Schloss und im Inneren liegt ein vergilbter Zettel.
Vorsichtig faltet Margrit ihn auseinander.

Hallo Margrit.
Würdest du gerne mal was mit mir unternehmen?

Kreuze bitte an:

Ja
Nein
Vielleicht


Sie wischt sich die Tränen aus den Augen, und das große X neben dem Vielleicht ist ohnehin kaum noch zu erkennen. So lange her.
Dann nimmt sie einen Stift und umrahmt das Wort ´Ja´.

"Du alter Sturkopf. Hast den Brief all die Jahre lang aufbewahrt."

Margrit gibt dem Papier einen Kuss.

 

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