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Ende Ruhe

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21.04.2002
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Ende Ruhe

Nie mehr.
Er würde nie mehr vor IHNEN weinen.
Genug ist genug.
Die Qualen mußten endlich enden.
Endlich Ruhe. Ruhe. RUHE.
Keine fruchtlosen Versuche mehr, mit IHNEN zu reden. Keine Eltern mehr, die seine Probleme nicht verstanden und ihn noch mehr in die Ecke drängen. Keine Lehrer, die ihm noch die Schuld zuschieben wollen. Keine Mitschüler, die ihn im Stich lassen. Keine Spießbürger mit ihren dümmlichen, abschätzenden Blicken.
Nur Ruhe.
Klar, es gab einige, die er enttäuschen würde und nicht wollte: die Großmutter, den einzigen Freund... vielleicht auch die Eltern, vielleicht auch sein kleines, großes Ego.
Aber es waren ja nicht viele.
Und sie mußten verstehen.
Nie wieder Spott und Niedertracht und Erpressung mit seinen eigenen Gefühlen. Keine abschätzigen Blicke. Kein Mädchengekicher. Keine Angst mehr vor Bloßstellungen. Keine niederträchtigen Witzeleien. Keine Sachen mehr, die verschwanden, und die er suchen mußte. Keine gehetzte Angst mehr, vor den Eltern seine ständigen Verluste kommentieren zu müssen. Keine Schuldzuweisungen mehr. Keine Lästereien. Kein peinlicher Sportunterricht. Keine diffamierenden Zeugniskommentare mehr.
Nie mehr.
Nur Ruhe.

Das Abschleppseil aus dem Keller ließ sich leicht an dem Haken im Klassenraum einhängen.
Sorgfältig knotete er es zur Schlinge, bevor er es sich um den Hals legte.
Dann stieß er den Tisch unter sich um.
Und baumelte.
Er machte sich schwer, um sein Gewicht optimal auszunutzen.
Das Seil drückte ihm langsam die Luft ab.
Eine freundliche Schwärze umhüllte ihn, lullte ihn ein, ließ ihn hinweggleiten, alles um ihn wurde RUHIG...

Es hatte eine fürchterliche Panik gegeben, als die Schüler den Toten sahen. Viele fingen an zu heulen wie Bombenalarmsirenen. Einer schlug auf einen Mitschüler ein, den er für schuldig hielt. Tische, Stühle, Mitschüler wurden umgerissen. Das Chaos lichtete sich erst wieder, als die meisten im Schockzustand ins Krankenhaus abtransportiert wurde.

Als sie ebenfalls gehen wollte, traf die Lehrerin den stellvertretenden Schulleiter. „Na, wenigstens war’s kein Steinhäuser“, sagte dieser.

Es wurde kein Abschiedsbrief gefunden. Nur ein Zettel in seiner Tasche, auf dem Folgendes stand:

„I’m just a poor boy – nobody likes me“
und
„I Hate myself and I want to die“.

Dieser Text ist Chris gewidmet. Ohne dich hätt' ich's damals nicht geschafft, du hast was gut bei mir.

 

Hallo Mad Scientist,

die Widmung am Ende macht es mir schwer, auf diesen Text so zu reagieren, wie ich normalerweise auf Suizidtexte reagiere.
Aber auch sonst hebt sich dein Text schon auf angenehme Weise von ihnen ab, da er nicht aus der Ichperspektive den eigenen Untergang zelebriert.
Gerade den Wunsch nach Ruhe, der Auslöser ist, finde ich sehr treffend. Im Grunde mal einfach das Gehirn abschalten, nichts von außen hören, nichts von innen. Eine Form der Erholung finden, manchmal sogar, ohne sich der Endgültigkeit bewusst zu sein.
Zynisch, wie er selbst nach dem Tod noch abgewertet wird, auch wenn der Name Steinhäuser mir dabei wie Schall und Rauch erscheint.
Einer der Suizidtexte, die mir plausibel erscheinen.

Lieben Gruß, sim

 
Zuletzt bearbeitet:

Was ich sehr positiv finde, ist die komprimierung der Ereignisse. Du beschränkst dich auf das Wesentliche ... keine weinerliche pseudo-philosophie, kein Ritzen oder eine melodramatisch gescheiterte Liebe ... sehr untypisch für eine solche Story. Gerade die Widmung gibt mir zu denken - überrascht mich aber leider auch nicht, da wohl die meisten jungen Autoren durch diese Problematik zum Schreiben geführt werden. Aber die wenigsten machen so lange weiter, bis sie gekonnt schreiben können ... eine gute Ausnahme. Respekt - ich habe noch nie eine derartige Distanz zu mir aufbauen können, als ich über sowas geschrieben habe.
Erdrückend auch der Bezug zu Nirvana und Cobain am Ende - lässt mich persönlich an einige schaurige Erinnerungen denken. Ich hoffe, dass du es geschafft hast, von dem Thema Abstand zu nehmen - vollständig loskommen ist ja meist unmöglich.

 

Hallo Mad Scientist,

auch ich muss sagen, dass diese Geschichte mir besser gefällt, als Suizid-Geschichten es üblicherweise tun. Du schreibst nicht als Ich-Erzähler und nennst die Fakten, anstatt dich im Weinerlichen zu verlieren.

Dennoch einige Vorschläge:

Er würde nie mehr vor IHNEN weinen.
Ich finde die Großbuchstaben immer sehr unglücklich, bei dir tauchen sie an mehreren Stellen auf. Vielleicht gelingt es dir, die Betonung und Wichtigkeit durch den Text auszudrücken?

Außerdem fände ich es gelungen, wenn du einige Details noch näher beleuchtest, noch mehr von seinem Alltag und seinen Demütigungen zeigen würdest. Du benennst einige Sachen (Sportunterricht, Schule, Eltern), ein wenig mehr Tiefe könnte ich mir gut vorstellen.

Liebe Grüße
Juschi

 

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