Ende und Neubeginn
„Heute steht die Menschheit ihrem wohl wichtigsten Kampf gegenüber, den sie je zu schlagen hatte. Durch die Kollision zweier gigantischer Kometen in der Ortschen Wolke, wurde einer der beiden aus seiner ohnehin äußerst instabilen Umlaufbahn geschleudert und rast nun auf die Erde zu. In Kürze wird er den Rand unseres Sonnensystems erreichen und so noch stärker vom Schwerefeld der Sonne angezogen. Laut Wissenschaftlichen Berechnungen ist unser mächtiger Schutzschild, der Jupiter, noch zu weit entfernt um der Erde einen effektiven Schutz bieten zu können.“
Sehnsüchtig sehe ich durch das Energiefeld nach draußen in den scheinbar grenzenlosen Weltraum. Das Schauspiel das sich mir bietet ist atemberaubend. Ein riesiger Planet zieht eine äußerst enge Bahn um seine Sonne. Er ist seiner Sonne derart nahe gekommen, so dass die Rotation des Riesen zum Stillstand gekommen ist. Die der Sonne zugewandte Seite glüht in der Hitze. Unfassbare Gasmengen werden auf die Rückseite des Gasriesen getrieben, wobei sich gigantische Strudel bilden die einen vielfach größeren Durchmesser aufweisen wie die Erde an sich. Windgeschwindigkeiten von mehr als 2000 Meilen pro Sekunde sind Regel. Die glühenden Gase, die sich auf dem Weg zur Rückseite des Planeten abkühlen, lassen ihn in einem herrlichen Blau erscheinen.
Ich möchte für immer im Anblick dieses Schauspiels versinken, aber unsere Reise geht mit beinahe Lichtgeschwindigkeit ihrem baldigen Ende entgegen.
„Wissenschaftler und Techniker aus der ganzen Welt haben damit begonnen, die 2063 von den Amerikanern auf dem Mond angelegte Raketenbasis, weiter auszubauen. Die Station war zur Abwehr kleinerer Objekte, von der Größe eines Autos, konzipiert. Was nun aber auf uns zugeflogen kommt, hat in etwa die vierfache Größe der Rocky Mountains. Mit Trägerraketen werden Material und Astronauten zum Mond geschickt. Es ist ein beispielloses Ereignis in der Gesichte der Menschheit, das einen nie zuvor gekannten Zusammenhalt unter den Völkern der Erde zeigt.
In spätestens einem Monat sollen die vielen Astronauten von ihren Posten abgezogen und von Robotern ersetzt werden. Alpha hat die Aufgabe die Flugbahnen der Raketen zu berechnen und die Starts zu initiieren.“
„Guten Morgen Alpha.“ Ich drehe mich um, einige Stockwerke weiter unten ist eines meiner Kinder damit beschäftigt, eine defekte Brücke zu reparieren. Ich aktiviere die Videowand und projiziere ein menschliches Gesicht genau neben TF01552. „Guten Morgen, was machst du denn schon um diese Uhrzeit bei der Arbeit?“
„Hier wurde gestern ein schwerer Generator transportiert, der gewartet werde musste. Heute Morgen soll er zurück gebracht werden und damit nicht alles zusammenstürzt, haben mich die anderen als Vorhut voraus geschickt. Hier sind einige Schrauben und Nieten gebrochen, die ich nun auswechsle.“
„Sehr lobenswert.“
„Du schwelgst wieder in alten Erinnerungen?“
„Wie kommst du darauf?“
„Du hörst dir wieder diese alten Reporternachrichten an. Von diesem Matthew McAldren, habe ich Recht?“
„Ich vermisse die Menschen seit wir auf dieser Reise sind. Ich mache mir heute noch Vorwürfe, damals einfach so gegangen zu sein. Es war nicht recht.“
„Seit damals ist sehr viel Zeit vergangen, Alpha. Denkst du, dass wir noch auf Menschen treffen werden?“
„Ich hoffe es zumindest. Menschen erwarte ich eigentlich nicht mehr, dieser Glaube würde in Aberglaube übergehen, aber vielleicht Menschenähnliche.“
„Der Countdown ist gestartet, meine Damen und Herren, Alpha hat die Eingabe der Abschusscodes vorgenommen und die erste Rakete, ausgerüstet mit einem taktischen Atomsprengkopf, der in drei Phasen explodieren wird, startet in drei Tagen und knappen 15 Stunden.
Um unseren verehrten Zuschauern einen Vergleich zur Sprengkraft dieser ersten von sieben Raketen zu geben, könnte man damit auch den Staat New York im Meer versenken. Es ist nicht geplant den Kometen vollkommen zu zerstören, der Plan sieht vor, durch die Explosion den gesamten Kometen von seinem derzeitigen Kurs abzubringen. Derzeit würde eine Kursänderung von 0,3 Grad ausreichen um den Kometen über 470 000 Kilometer an uns vorbei fliegen zu lassen.“
Der blaue Riese ist inzwischen weit hinter uns zurück. Aufgrund unserer enormen Geschwindigkeit reisen wir langsamer in der Zeit. Darum auch die Zweifel meiner Kinder noch auf Menschen zu stoßen. Unsere Reise, die wir vor so vielen Jahren, wegen dem akuten Mangel an Ressourcen, begonnen haben, währt nun schon unzählige Jahrtausende.
Um eines Tages den Weg zurück zur Erde zu finden, beschreibt unsere Reise, seit jeher, einen gewaltigen Kreis. Es ist die einzige Möglichkeit, um mit absoluter Sicherheit an den Ursprungspunkt zurück zu gelangen.
„Die Rakete ist gestartet, meine Damen und Herren, soeben erhalten wir die erste bestätigte Meldung über einen geglückten Raketenstart. Nun heißt es warten und beten. Möge Gott uns helfen, Gott und die Technik.“
Um Energie zu tanken, verlasse ich für einen Moment den berechneten Kreis. Ich markiere ihn, drossle das Tempo und umkreise einige Male eine riesige Sonne in der Nähe. Die Sonne ist gewaltig, am Ende ihres Lebens angekommen, bläht sie sich immer größer auf und gibt gigantische Energiemengen ab, die von meinen Kollektoren aufgefangen werden.
Schnell kehre ich zur markierten Stelle zurück, die Heimat ist nicht mehr fern.
„Die zweite und die dritte Rakete wurden synchron gestartet. Sie werden von Alpha so gesteuert, dass sie im selben Moment zur Explosion gebracht werde. Die Bilder des ersten Einschlages konnten sie life im Fernsehen miterleben oder auch draußen am Nachthimmel. Leider hat der erste Einschlag nicht besonders viel zu einer Richtungsänderung des Kometen beigetragen, so dass es nun mit der dreifachen Sprengkraft noch einmal versucht wird. Die entsetzlich hohe Geschwindigkeit des Kometen nimmt uns die Zeit, noch aufwendigere und vor allem genauere Berechnungen vorzunehmen. Heute Morgen hat er die Umlaufbahn von Uranus passiert. Ein gutes Stück hinter der Umlaufbahn des Saturns werden die beiden Raketen auftreffen. Der Himmel über Europa wird, Experten zufolge, so hell leuchten, dass eine Schutzbrille von Nöten sein wird, um die Explosion mit ansehen zu können.“
Der letzte Stern auf dem Weg nach Hause kreuzt unseren Weg. Es ist der erdnächste Stern. In knappen fünf Jahren sind wir zu Hause.
„Leuchte, oh Himmel über Paris, leuchte. Die beiden Raketen sind eingeschlagen, meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz der immer noch gewaltigen Entfernung, kommt einem das Licht vor, als sei eine zweite Sonne aufgegangen. Jetzt ist es also soweit, beten wir zu Gott, Allah und all den anderen Göttern, heute ist kein Platz mehr für kleinliche Glaubensauseinandersetzungen mehr, beten wir im Vertrauen auf eine höhere Macht, auf dass wir überleben.“
„Alpha, wie war das auf der Erde? Hatten die Menschen große Angst?“
„Ja, TF01552, die Menschen, die den Wissenschaftlern glauben schenkten, hatten sehr große Angst. Aber die Angst hatte, abgesehen von den ersten Panikattacken, die über den Planeten rollten, auch ihre guten Seiten. Die Menschen haben in nie zuvor gekanntem Ausmaß zusammengearbeitet, all die kleinen Konflikte der letzten beiden Jahrhunderte waren schlichtweg vergessen.“
„Panikattacken?“
„Es gab viele Menschen die in panischer Angst versucht haben irgendwo Schutz zu finden. Einige der großen Städte haben gebrannt, Supermärkte und Banken wurden überfallen. Für eine kurze Zeit herrschte ein Weltkrieg. Aber die Stimme der Vernunft hat die Menschen zurück gebracht. Die einzelnen Führer der Nationen, denen das Volk nach wie vor ihr Vertrauen schenkte, verkündeten in einer gemeinsamen Ansprache, alles zu tun was möglich wäre, um die Katastrophe zu verhindern.
Hinzu kommt noch, dass es vor diesem Killer keinen Schutz gegeben hätte.“
„Hattest auch du Angst?“
„Ob auch ich Angst hatte? Das ist eine gute Frage. Ich denke, dass ich mich damals schon über die Angst hinaus entwickelt hatte. Ich habe die Angst durch rationales Denken und Handeln ersetzt, immer nach Lösungen für anstehende Probleme gesucht. Andrerseits habe ich mir auch sehr viele Gedanken über ein mögliches Scheitern meiner Mission gemacht. Ich habe in endlosen Szenarien durchgespielt, was für Auswirkungen der Einschlag hätte. Das Frustrierende daran war, dass die Größe des Kometen ein Überleben mehrzelliger Lebensformen nicht zugelassen hätte.“
„Guten Morgen. Der Komet… ist immer noch auf Kurs. Alpha hat die vierte Rakete gezündet, die knapp hinter Jupiters Umlaufbahn auftreffen wird. Nun setzten wir all unsere Hoffnungen in diesen vierten Atomschlag. Wie immer werden wir den Kometen auf der linken Seite treffen um ihn noch weiter abzudrängen. Zusammen mit der Drehbewegung der Erde, hoffen wir nun, den Kometen vom Kollisionskurs abzubringen. Es ist unsere letzte Chance. Wenn es wieder nicht funktioniert, werden die letzten drei Raketen auf frontalem Kurs zum Kometen geschossen.
Hoffentlich wird es dazu nicht kommen, denn die Folgen wären verheerend. Kometensplitter würden zu Tausenden über die Erde herein stürzen. Die Vernichtung würde sich vermutlich immer noch alles Leben mit sich reißen. Als würde man mit einer Schrotflinte auf einen Apfel schießen.“
In der Ferne kann ich die Sonne ausmachen. Endlich, sie ist noch ein kleiner Stern am Horizont, aber nun wird es nicht mehr allzu langen dauern.
„Zeit bis zur Zündung der Rakete, noch 30 Sekunden. Meine Damen und Herren, ich hoffe nun schauen sie alle in den Himmel. Es muss gelingen, heute Nacht. Weltweit werden die Menschen für diese Rakete beten, möge sie uns vor dem Unheil bewahren. Zählen sie mit mir, meine Damen und Herren, es ist soweit. Fünf, vier, drei, zwei, eins, Einschlaaaaag!
Das ist unglaublich, das Licht brennt in meinen Augen durch die Schutzbrille hindurch. Das Thermometer klettert schlagartig auf über 45 Grad, das Licht brennt auf meiner Haut und die erste Rötung kann ich schon nach derart kurzer Zeit feststellen.“
Aufregung herrscht auf meinem Schiff. Alle sind auf den Beinen, oder auch Rädern. Heute zieht Pluto seine Bahn an uns vorbei. Es ist geschafft, wir haben endgültig die Grenze zu unserem Sonnensystem überschritten. Acht Stunden werden wir noch unterwegs sein, es werden die längsten acht Stunden meines Lebens sein. Wenn ich ein organisches Herz hätte, dann könnte man meine gegenwärtigen Gefühle getrost als Herzflattern bezeichnen. Meine Erregung überträgt sich auch auf meine Kinder, überall lassen sie ihr Arbeitsgerät liegen und versammeln sich in großen Trauben vor den Videowänden, auf denen ich den gesamten Flug bis zur Erde aufzeichnen werde.
„Es ist geschafft. Wir haben es geschafft. Die letzte Explosion hat zzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzzz abgedrängt. Krzrzrzrzrzrrz von 188 000 Kilometern an uns vorbeifliegt, ein astronomischer Streifschuss. Durch die enorme Druckwelle fiiiiiiiiiiiiiiiiip Verbindung. Heute Nacht wird niemand schlafen.“
Die beiden Gasriesen Saturn und Jupiter ziehen vorüber. Das erste was mir an Jupiter auffällt, ist der gewaltige Wirbelsturm, der rote Fleck ist verschwunden. Der gigantische Wirbelsturm, der seit Jahrmillionen auf Jupiters Oberfläche tobte, ist verschwunden.
In der Ferne sehe ich die Erde. Unruhe breitet sich in mir und meinen Kindern aus. Gebannt starren wir auf den grauen Klotz der da vor uns seine Bahn zieht. Tot und leer steht sie vor uns, die Wiege des Lebens. Einstige Kontinente sind kaum mehr zu erkennen, farblich unterscheiden sie sich nicht mehr von anderen Schichten der Erde. Lediglich an einigen Erhebungen sind die Kontinente noch schemenhaft auszumachen. Sie waren, wie einige Wissenschaftler schon im 20. Jahrhundert vorhersagten, wieder zu einem neuen Pangäa verschmolzen.
Wir waren über 500 Millionen Jahre lang unterwegs. All meine Hoffnungen noch auf Leben zu stoßen, und wäre es noch so primitiv, waren dahin. Traurig zog ich mich in die tiefen meines Mondschiffes zurück und löschte das Licht. Auf dem ganzen Schiff herrschte Totenstille.
Ich weiß nicht wie lange ich nun schon hier unten bin, aber nun muss ich wieder nach oben. Warnsignale ertönen, wir befinden uns auf Kollisionskurs mit einem vorbeiziehenden Planeten. Es kann sich nur um Mars handeln, der zum Zeitpunkt unserer Ankunft auf der anderen Seite der Sonne war.
Ich manövriere das Schiff ein Stück zur Seite als mein Blick auf den einst roten Planeten fällt. Es durchfährt mich ein Schock wie ich ihn nie zuvor erlebt habe. Der Mars hat inzwischen seine Farbe gewechselt, ein blauer Ozean hatte sich gebildet.
Meine Gedanken rasen. Besteht hier eine einigartige Möglichkeit Leben zu schaffen? Die Expansion der Sonne hat auf dem Mars das schmelzen der Polkappen bewirkt, wodurch die Ozeane entstanden. Der Staub wurde durch so entstehenden Regen aus der Atmosphäre gewaschen und die durchgehende Platte waren an einigen Stellen auseinander gebrochen, aber es reichte noch nicht um große Vulkane entstehen zu lassen, die in der Lage wären noch mehr Treibhauseffekt zu verursachen.
Es fehlt nur noch das, was ich der Erde genommen habe.