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Ente
E N T E
Ganz allmählich wurde es in unseren nordischen Gefilden kalt. Bei Kälte assoziierte ich grundsätzlich neben vielen anderen Dingen, Ente! Und ahnte gleichzeitig, es wird wieder schwierig mit einem eigenem Entenbraten. Ich fragte mich jedes Jahr aufs neue, wieso gelang mir nie ein Entenbraten? Diesmal war alles anders. Wir hatten die Vogelgrippe. Stimmte gar nicht, wir hatten sie noch nicht, wir sprachen nur davon. Doch die hysterischen Deutschen sperrten vorsorglich Enten, Puten und Hühner ein. Nein, nicht die langbeinigen Puten. Die standen unter Artenschutz und durften ständig frei herumlaufen.
Als ob das die Enten meiner Eierlieferantin vom Dorf wussten, fraßen sie plötzlich nicht mehr. Dringend suchte sie nun Abnehmer für die Enten, da ihre Kühlkapazitäten begrenzt waren. Nur- wer nahm jetzt schon eine Ente, die für Weihnachten bestimmt war? Ich? Sofort? Hmm, ja, klar, sofort. Und ich nahm sie. Sofort.
Die Ente war fett. Gelb schimmerte die Fettschicht unter der großporigen Entenhaut durch. Der Schlund sah aus wie ein degenerierter Penis und auch der Stietz war extrem gelb und groß. Gott sei dank sah ich keine Federn. Ich bereute bereits, dass ich dieses fette Tier genommen hatte. Aber auch mein Kühlfach war voll, die Ente vor drei Tagen geschlachtet, es musste also sofort gehandelt werden.
Äpfel, Beifuß und Backpflaumen brauchte ich. Die Füllung gelang mir immer. Die Backpflaumen ersetzte ich diesmal durch getrocknete Feigen, da bekam dieses Tier eine exotische Note! Mein halber Arm verschwand im Leib des Tieres und holte den Beutel mit den Innereien heraus. Dann mit Salz und Pfeffer eingerieben, innen und außen, Beifuß in das Innere gegeben und mit Äpfeln und Feigen gestopft. Zunähen? Nein, da waren noch diese unhygienischen Zahnstocher aus Holz, die taten es auch. Sah aus wie geklammert, das fette Tier, und die 'Naht' hielt hoffentlich die Hitze aus und riss nicht. Im fertigen Zustand hätte das dicke Tier dann eine Narbe, aus der die köstliche Füllung sickern würde.
Während ich die Kartoffeln schälte, dachte ich darüber nach, was mich am Kochen so faszinierte. Es waren die relative Ungenauigkeit und der Mangel an Disziplin! Sollte man in der Küche versagen, waren die Folgen nicht allzu schlimm: Enttäuschung, vielleicht ein Anflug von selten geäußerter Unzufriedenheit. Ich mag Kochbuchautoren, die von einer 'Handvoll' reden, eine 'Prise', davon dieses oder jenes 'großzügig untermengen'. Die Autoren geben alternative Zutaten an und ermuntern zu Experimenten. Ich war nie die ganz ordentliche Köchin und kochte immer nach 'Gefühl'. Der Erfolg gab mir Recht!
Ganz besonders mochte ich es, wenn Gäste mitkochten und wir dazu ein Glas Wein tranken. Man betrank sich nicht, sondern wurde nur inspiriert, einfach lockerer- auch im Umgang mit den Zutaten.
Nur der Entenerfolg stand noch aus und die Frage, ob ich jemanden einlade, stand an.
War sehr kurzfristig, stimmte, aber ich konnte es probieren.
„Bist du verrückt? Ich esse doch nicht mitten in der Woche Ente!! Ich sehe selber schon aus wie eine Ente!“ Stimmt, dem war nichts hinzuzufügen, klar, das war Beate!
“'Wie jetzt? Du hast eine Ente gebraten? Ist es wieder soweit und dann mitten in der Woche? Brauchst du ein Erfolgserlebnis? Klappt es mit dem Liebhaber nicht mehr?“ fragte Monika. Gott, ich wäre nie so vermessen, mich mit ihren Entenerfolgen zu vergleichen. Sie war für ihre Enten berühmt. Die waren einfach göttlich im Geschmack, im Aussehen und in der Konsistenz sowieso!! Aber sie konnte auch nicht kommen, sie ging an dem Abend ins Theater, wie sagte sie gleich, mit dem, na, du weißt schon! Ich wusste es natürlich nicht.
Begießen- das A und O des Gelingens! Und ich begoss das fette Tier wie eine Weltmeisterin. Inzwischen mochte ich sie. Ich nannte sie Gundel. Nach zwei Stunden im Ofen war die Haut leicht gebräunt und die Flüchten schon völlig vertrocknet. Ich verstand das nicht. Wieso waren die schon wieder so vertrocknet? Mehr Gießen ging doch gar nicht! So fing es immer an. Mein Bauchgefühl meldete sich, nicht etwa vor Hunger, nur so ein diffuses Grummeln. Dann fiel mir Renata ein und ich rief sie an.
“Also, doch, ja, ich würde gerne Ente essen. Aber du weißt doch, meine Naturheilerin berät mich jetzt bei meiner Ernährung. Fett soll ich ganz weglassen. Und ich habe diese Woche doch schon den Schokoriegel gegessen!“ hörte ich sie sagen.
„Wie? Einen ganzen Riegel? Ist ja Wahnsinn! Da sind deine ganzen esoterischen Erfolge ja fast zunichte. Du hast es deiner Heilerin aber nicht gesagt, oder?“ fragte ich sie.
„Was denkst du denn? Natürlich nicht! Aber ich hab ein ganz schlechtes Gewissen. Deshalb, also, du verstehst, also, wie gesagt, hm, also, ich kann das nicht machen. Obwohl- ich wollte immer mal schon deinen Entenbraten probieren.“
Sie wollte immer schon mal meinen Entenbraten probieren. Wie schamlos sie lügen konnte! Ich wollte mir schon einen Termin bei ihrer Heilerin holen. Blieb also nur noch mein größter KochFan- mein Mann!
Ich setzte die Kartoffeln auf, um alles zeitgleich fertig zu haben. 'Gundel' war schon recht braun und knusprig. Sah aber trotzdem irgendwie trocken aus. Ich hockte mich vor meinen Herd und flehte sie an: „Gundel, das ist unsere Chance! Du kannst mir heute zu einem langersehntem Erfolg verhelfen. Reiß dich zusammen, halt deine Säfte innen!“
Gundel schmorte in ihrer pergamentenen Haut vor sich hin und kümmerte sich nicht um mein Flehen. Ich wollte mich nicht vom Äußeren täuschen lassen. Wobei, der erste Eindruck, gut, okay, galt wohl nicht bei gebratenen Enten.
Plötzlich ging das Licht aus. Was war das denn? Wieso ging das Licht aus? Und die Backröhre war dunkel. Kein Strom! Ich rannte wie eine Besessene nach nebenan und fragte nach. Ebenfalls kein Strom! Keiner wusste etwas, aber alle regten sich erst einmal auf.
Und meine Ente? Was sollte ich machen? Nichts, ich konnte wirklich nichts machen. Ich starrte auf 'Gundel', sah, dass die Naht an einer Stelle geplatzt war und hörte das Telefon klingeln. Es war der Chef von einem Restaurant drei Straßen weiter, ein guter Bekannter, der fragte, ob wir nicht Lust hätten, heute Abend zum Essen zu kommen. Er wollte an diesem Abend die Saison mit einem Entenessen eröffnen. Ich sagte sofort zu. Mit aufgeplatzter Naht und dreiviertelgar lag 'Gundel' im Ofen. Von einem gelungenem Braten war ich weit entfernt. Mir fiel plötzlich ein Spruch aus meiner Kindheit ein: Jeder hat drei Wurf...oder Enten??? Jedenfalls so ähnlich.
Ich lächelte, klappte die Ofentür zu, schnappte mir Jacke, meinen verdatterten Mann und freute mich auf die Ente im Restaurant.