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Ente

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13.04.2006
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Ente

E N T E

Ganz allmählich wurde es in unseren nordischen Gefilden kalt. Bei Kälte assoziierte ich grundsätzlich neben vielen anderen Dingen, Ente! Und ahnte gleichzeitig, es wird wieder schwierig mit einem eigenem Entenbraten. Ich fragte mich jedes Jahr aufs neue, wieso gelang mir nie ein Entenbraten? Diesmal war alles anders. Wir hatten die Vogelgrippe. Stimmte gar nicht, wir hatten sie noch nicht, wir sprachen nur davon. Doch die hysterischen Deutschen sperrten vorsorglich Enten, Puten und Hühner ein. Nein, nicht die langbeinigen Puten. Die standen unter Artenschutz und durften ständig frei herumlaufen.
Als ob das die Enten meiner Eierlieferantin vom Dorf wussten, fraßen sie plötzlich nicht mehr. Dringend suchte sie nun Abnehmer für die Enten, da ihre Kühlkapazitäten begrenzt waren. Nur- wer nahm jetzt schon eine Ente, die für Weihnachten bestimmt war? Ich? Sofort? Hmm, ja, klar, sofort. Und ich nahm sie. Sofort.
Die Ente war fett. Gelb schimmerte die Fettschicht unter der großporigen Entenhaut durch. Der Schlund sah aus wie ein degenerierter Penis und auch der Stietz war extrem gelb und groß. Gott sei dank sah ich keine Federn. Ich bereute bereits, dass ich dieses fette Tier genommen hatte. Aber auch mein Kühlfach war voll, die Ente vor drei Tagen geschlachtet, es musste also sofort gehandelt werden.
Äpfel, Beifuß und Backpflaumen brauchte ich. Die Füllung gelang mir immer. Die Backpflaumen ersetzte ich diesmal durch getrocknete Feigen, da bekam dieses Tier eine exotische Note! Mein halber Arm verschwand im Leib des Tieres und holte den Beutel mit den Innereien heraus. Dann mit Salz und Pfeffer eingerieben, innen und außen, Beifuß in das Innere gegeben und mit Äpfeln und Feigen gestopft. Zunähen? Nein, da waren noch diese unhygienischen Zahnstocher aus Holz, die taten es auch. Sah aus wie geklammert, das fette Tier, und die 'Naht' hielt hoffentlich die Hitze aus und riss nicht. Im fertigen Zustand hätte das dicke Tier dann eine Narbe, aus der die köstliche Füllung sickern würde.

Während ich die Kartoffeln schälte, dachte ich darüber nach, was mich am Kochen so faszinierte. Es waren die relative Ungenauigkeit und der Mangel an Disziplin! Sollte man in der Küche versagen, waren die Folgen nicht allzu schlimm: Enttäuschung, vielleicht ein Anflug von selten geäußerter Unzufriedenheit. Ich mag Kochbuchautoren, die von einer 'Handvoll' reden, eine 'Prise', davon dieses oder jenes 'großzügig untermengen'. Die Autoren geben alternative Zutaten an und ermuntern zu Experimenten. Ich war nie die ganz ordentliche Köchin und kochte immer nach 'Gefühl'. Der Erfolg gab mir Recht!
Ganz besonders mochte ich es, wenn Gäste mitkochten und wir dazu ein Glas Wein tranken. Man betrank sich nicht, sondern wurde nur inspiriert, einfach lockerer- auch im Umgang mit den Zutaten.
Nur der Entenerfolg stand noch aus und die Frage, ob ich jemanden einlade, stand an.
War sehr kurzfristig, stimmte, aber ich konnte es probieren.
„Bist du verrückt? Ich esse doch nicht mitten in der Woche Ente!! Ich sehe selber schon aus wie eine Ente!“ Stimmt, dem war nichts hinzuzufügen, klar, das war Beate!
“'Wie jetzt? Du hast eine Ente gebraten? Ist es wieder soweit und dann mitten in der Woche? Brauchst du ein Erfolgserlebnis? Klappt es mit dem Liebhaber nicht mehr?“ fragte Monika. Gott, ich wäre nie so vermessen, mich mit ihren Entenerfolgen zu vergleichen. Sie war für ihre Enten berühmt. Die waren einfach göttlich im Geschmack, im Aussehen und in der Konsistenz sowieso!! Aber sie konnte auch nicht kommen, sie ging an dem Abend ins Theater, wie sagte sie gleich, mit dem, na, du weißt schon! Ich wusste es natürlich nicht.
Begießen- das A und O des Gelingens! Und ich begoss das fette Tier wie eine Weltmeisterin. Inzwischen mochte ich sie. Ich nannte sie Gundel. Nach zwei Stunden im Ofen war die Haut leicht gebräunt und die Flüchten schon völlig vertrocknet. Ich verstand das nicht. Wieso waren die schon wieder so vertrocknet? Mehr Gießen ging doch gar nicht! So fing es immer an. Mein Bauchgefühl meldete sich, nicht etwa vor Hunger, nur so ein diffuses Grummeln. Dann fiel mir Renata ein und ich rief sie an.
“Also, doch, ja, ich würde gerne Ente essen. Aber du weißt doch, meine Naturheilerin berät mich jetzt bei meiner Ernährung. Fett soll ich ganz weglassen. Und ich habe diese Woche doch schon den Schokoriegel gegessen!“ hörte ich sie sagen.
„Wie? Einen ganzen Riegel? Ist ja Wahnsinn! Da sind deine ganzen esoterischen Erfolge ja fast zunichte. Du hast es deiner Heilerin aber nicht gesagt, oder?“ fragte ich sie.
„Was denkst du denn? Natürlich nicht! Aber ich hab ein ganz schlechtes Gewissen. Deshalb, also, du verstehst, also, wie gesagt, hm, also, ich kann das nicht machen. Obwohl- ich wollte immer mal schon deinen Entenbraten probieren.“
Sie wollte immer schon mal meinen Entenbraten probieren. Wie schamlos sie lügen konnte! Ich wollte mir schon einen Termin bei ihrer Heilerin holen. Blieb also nur noch mein größter KochFan- mein Mann!
Ich setzte die Kartoffeln auf, um alles zeitgleich fertig zu haben. 'Gundel' war schon recht braun und knusprig. Sah aber trotzdem irgendwie trocken aus. Ich hockte mich vor meinen Herd und flehte sie an: „Gundel, das ist unsere Chance! Du kannst mir heute zu einem langersehntem Erfolg verhelfen. Reiß dich zusammen, halt deine Säfte innen!“
Gundel schmorte in ihrer pergamentenen Haut vor sich hin und kümmerte sich nicht um mein Flehen. Ich wollte mich nicht vom Äußeren täuschen lassen. Wobei, der erste Eindruck, gut, okay, galt wohl nicht bei gebratenen Enten.
Plötzlich ging das Licht aus. Was war das denn? Wieso ging das Licht aus? Und die Backröhre war dunkel. Kein Strom! Ich rannte wie eine Besessene nach nebenan und fragte nach. Ebenfalls kein Strom! Keiner wusste etwas, aber alle regten sich erst einmal auf.
Und meine Ente? Was sollte ich machen? Nichts, ich konnte wirklich nichts machen. Ich starrte auf 'Gundel', sah, dass die Naht an einer Stelle geplatzt war und hörte das Telefon klingeln. Es war der Chef von einem Restaurant drei Straßen weiter, ein guter Bekannter, der fragte, ob wir nicht Lust hätten, heute Abend zum Essen zu kommen. Er wollte an diesem Abend die Saison mit einem Entenessen eröffnen. Ich sagte sofort zu. Mit aufgeplatzter Naht und dreiviertelgar lag 'Gundel' im Ofen. Von einem gelungenem Braten war ich weit entfernt. Mir fiel plötzlich ein Spruch aus meiner Kindheit ein: Jeder hat drei Wurf...oder Enten??? Jedenfalls so ähnlich.
Ich lächelte, klappte die Ofentür zu, schnappte mir Jacke, meinen verdatterten Mann und freute mich auf die Ente im Restaurant.

 

Puhhh.

Hallo Jurewa!

Sagen wir mal so: Ich könnte mir schon vorstellen, das eine Zeitschrift den Text drucken würde.
Dein Erzählstil lässt sich gut lesen.
Aber für mich verwöhnten Vielleser ist er ziemlich trocken.
Klar, es muss nicht immer Mord und Totschlag sein, und das hier ist Alltag, alltäglicher geht’s fast schon nicht.
Es kommt darauf an welche Zielgruppe du erreichen willst. Von daher ist der Text nicht schlecht, denke ich.
Nur wenn ich jeden Morgen meine Tasse Kaffee verschütte, finde ich nichts Ungewöhnliches daran, wenn es anderen auch passiert … oder gerade dann … ? :lol:

Gruß Charly

 

Hallo Charly,

das ist eben die Frage, was es bedeutet, wenn du jeden Morgen deinen Kaffee verschüttest. Demenz? Alzheimer? Oder eben nur Alltag.
Und, wenn wir ehrlich sind, ist der Alltag nicht banal? So richtig banal?
Es sei denn, du verschüttest Kaffe oder kannst keine Ente zubereiten. Dann ist die Banalität des Alltages unterbrochen.
Etwas zumindest.
Ciao!
jurewa

 

Hi Jurewa

gefällt mir, Deine Geschichte :thumbsup:
Ich stimme CharlyM zu, dass der Erzählstil etwas trocken ist, bin aber klar der Ansicht, dass er für Deine Geschichte - Schilderung eines Kocherlebnisses - genau richtig ist. Weiter finde ich, dass Deine Geschichte über einen bemerkenswerten Textfluss verfügt. Habe im Übrigen Lust bekommen, selber mal eine gestopfte Gundel äh Ente zuzubereiten, wird aber schwierig bei meinem Miniaturofen. Gut gemacht!

Noch ein kleiner stilistischer Vorschlag:

Und meine Ente? Was sollte ich machen? Nichts, ich konnte wirklich nichts machen. Ich starrte auf 'Gundel', sah, dass die Naht an einer Stelle geplatzt war und hörte das Telefon klingeln!

Hier würde ich mit der Frage "Und Gundel?" beginnen, da Du der Ente zuvor ja einen Namen gegeben hast, sogar mit ihr sprichst, die Ente also sozusagen nicht mehr als anonymes Tier beschreibst.

Ciao!
palerider

 

Hallo Palerider,

auch dir danke für Hinweise. Bin mir noch nicht sicher, ob ich deinen Vorschlag gut finde :confused: werde es wohlwollend prüfen!

Ciao!
jurewa

 

Hallo Jurewa

Hm, deine Geschichte lässt mich etwas gespalten zurück. Einerseits ist da der gute Schreibstil, der mich bei der Stange hielt, andererseits dachte ich zeitweise an Kochen mit Tim Melzer.

Mit den Einladungsversuchen kam dann etwas Fahrt auf, leider ist der Schluss etwas arg konstruiert und funktioniert mMn nicht ganz.

Welcher Küchenchef würde so kurzfristig Gäste in sein Restaurant einladen?
Idee: Vielleicht haben ja ein paar Leute abgesagt.

Gruss dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Jurewa,

solange es noch so kalt ist, dass man sich in das Ententhema vertiefen mag …


In der Abteilung ‚Horrorgeschichten für Vegetarier’ könnte deine Geschichte sicher stehen, natürlich stünden in so einer Rubrik noch ganz andere Texte.

Als Alltagsgeschichte hat mir dein Werk gut gefallen, wird doch mit einem Augenzwinkern so manche Thematik berührt, die nicht nur beim Entenbraten zum Tragen kommt:

„Wir hatten die Vogelgrippe. Stimmte gar nicht, wir hatten sie noch nicht, wir sprachen nur davon.“

ein Hinweis auf die typischen berechtigten und unberechtigten Hysterien, die uns durch unser alltägliches Leben begleiten.


„Gott, ich wäre nie so vermessen, mich mit ihren Entenerfolgen zu vergleichen“

Hier das bekannte Konkurrenzdenken, auf ‚Entenbratenebene’ genau so nervig wie bei Auto, Haus, Boot.


„Sie wollte immer schon mal meinen Entenbraten probieren! Wie schamlos sie lügen konnte! Ich wollte mir schon einen Termin bei ihrer Heilerin holen!“

Ja, ja - die höfliche Unehrlichkeit, immerhin mit etwas Selbsterkenntnis.


„Während ich die Kartoffeln schälte, dachte ich darüber nach, was mich am Kochen so faszinierte. Es waren die relative Ungenauigkeit und der Mangel an Disziplin!“

Der Undeterminierte Anteil des Kochvorgangs setzt sich zu hundert Prozent durch, das kann die Frau dank ihrer Einstellung nicht groß aus der Bahn werfen.

„Nur der Entenerfolg stand noch aus und die Frage, ob ich jemanden einlade, stand an.
War sehr kurzfristig, stimmte, aber ich konnte es probieren.“

Diese Spontaneität passt gut zu der Frau, die Ungenauigkeit und Mangel an Disziplin liebt. (Schöne rhetorische Wendung: stand aus – stand an).


„Inzwischen mochte ich sie. Ich nannte sie Gundel!“

Nette Idee, passt gut zu der Köchin.

„schnappte mir meine Jacke und meinen verdatterten Mann und freute mich auf die Ente im Restaurant.“

- Der Mann taucht sehr unvermittelt auf.


Änderungsvorschläge:


Und bei Kälte assoziierte ich grundsätzlich neben vielen anderen Dingen, Ente! Und ahnte gleichzeitig,

- „Und“ doppelt

Ich bereute bereits, dass ich dieses fette Tier genommen hatte. Aber auch mein Kühlfach war voll, die Ente vor drei Tagen geschlachtet, es musste also sofort gehandelt werden.

Mein halber Arm verschwand im Inneren des Tieres und holte den Beutel mit den Innereien heraus. Dann mit Salz und Pfeffer eingerieben, innen und außen, Beifuß in das Innere gegeben und mit Äpfeln und Feigen gestopft

- Wiederholung, vielleicht: verschwand im leib des Vogels

das fette Tier dann eine Narbe

- dreimal „fette Tier“

„Stimmt, dem war nichts hinzuzufügen, klar, das war Beate!“

- Bis hier hin sind es im Großabsatz („Während …“) etwas viele ‚!’, wirklich! (Generell da etwas ‚abspecken’).


„Brauchst du Erfolg?“ fragte Monika.“

- günstiger finde ich: … brauchst du ein Erfolgserlebnis? Hast du etwa Liebeskummer?


„Begießen, das A und O des Gelingens!“

Begießen - das A und O des Gelingens! (Nur ein Vorschlag)

„Jeder hat drei Wurf...oder drei Enten???“

- Wurf … oder


L G,

tschüß Woltochinon

 

Hallo Wolto,

ich sitze ahnungslos am PC, guck, was andere so produzieren und stoße plötzlich auf meine 'Ente'! Ich habe richtig Herzklopfen bekommen und musste dann lachen. Frag jetzt bitte nicht, warum, ich hätte keine Antwort ;-)))!

Danke, dass Du dieses 'fette Tier' noch einmal rausgekramt hast und danke vor allem für die netten Kommentare.
Deine Anmerkungen für Veränderungen lese ich mir in aller Ruhe durch und übernehme sie. Vielleicht ;-))!
Du warst ein netter 'letzter Kunde', heute, so kurz vor Ladenschluss, okay, ich höre auf, bin albern.
Danke und ganz lieben Gruß,
jutta

 

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