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26.11.2024
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Epantau

Nach einigen Stunden Flug zum Planeten Epantau ist ein sanftes Rütteln zu spüren, als der Transporter die obersten Schichten der Atmosphäre passiert. Das Dunkel des Alls ist nun leicht ins rötliche verschoben, der Planet erfüllt den Sichtbereich der Fenster fast vollständig. Doch trotz des majestätischen Anblicks drängt sich nur ein Passagier ans Fenster. Es ist ein junger Mann mit kurzem braunem Haar und schlichter Kleidung aus häufig anzutreffender Recycling-Kunststofffaser. Der dünne, hellblaue Pullover erscheint lila im immer rötlicher werdenden Licht. Neben ihm sitzt ein kräftiger älterer Herr mit ergrautem, militärisch anmutendem Kurzhaarschnitt in eine Fachzeitschrift vertieft. Wie er scheinen alle anderen Passagiere unbeeindruckt zu sein von der näherkommenden Wolkendecke, die an ein endloses Meer roter Früchte erinnert.
Ein sanfter Gong ertönt, gefolgt von einer Durchsage. "Sehr geehrte Passagiere. In etwa einer halben Stunde erreichen wir den Weltraumhafen von Epantau, pünktlich um 13:45 Uhr Ortszeit. Bitte prüfen Sie vor dem Aussteigen Ihre Uhren auf das richtig eingestellte Datum und die richtig eingestellte Uhrzeit.“ Der junge Mann reißt sich vom Fenster los und sieht kurz auf seine Armbanduhr. „Am Standort des Weltraumhafens schreiben wir Montag den sechzehnten April zweitausendzweihundertfünfundzwanzig. Die Temperatur beträgt 12°C im Schatten bei Windstille und bedecktem Himmel." "Mama guck mal da unten, die Wolken" übertönt plötzlich eine aufgeregte Kinderstimme die Durchsage. "...die vorgeschriebenen Hygieneregeln auf Epantau. Wir weisen Sie ausdrücklich darauf hin, dass die hiesige Bevölkerung noch..." "Die Wolken sind rot Mama. Guck mal, gleich tauchen wir durch." Ein hellrotes Flimmern hastet einige Momente lang über die weiße Decke und die weißen Wände der Fluggastkabine und verschwindet ebenso schnell wie es gekommen ist. „…die örtlichen Behörden großen Wert auf die Einhaltung…" „Mama, hast du das gesehen? Wir sind wuusch durch die Wolken geflogen.“...daher Verständnis dafür, dass Zuwiderhandlungen nicht toleriert werden können und..." "So viele Raumschiffe Mama, so viele Raumschiffe! Du guckst ja gar nicht Mama, guck doch mal raus." ...wieder an Bord begrüßen zu dürfen und wünschen Ihnen nun einen angenehmen Aufenthalt auf Epantau."
Die Durchsage endet aber außer dem jungen Mann scheint sie niemand bemerkt zu haben. Er sitzt noch immer mit konzentriertem Blick weitere Informationen abwartend. Als einige Momente lang keine weiteren Informationen durchgesagt werden tippt er seinem immer noch in seine Fachzeitschrift vertieften Nachbarn gegen den kräftigen Oberarm. "Verzeihen Sie bitte, darf ich Sie kurz stören?" Dieser lässt seine Zeitschrift sinken und sieht über seinen Brillenrand hinweg dem jungen Mann entgegen. Mit einem wissenden Lächeln gibt er ein zustimmendes Geräusch zur Antwort.
"Haben Sie die Durchsage mitbekommen? Ich habe nicht alles verstanden was man wegen der hiesigen Bevölkerung beachten soll." Das Lächeln des Älteren wird etwas breiter, wobei etliche Falten um die Mundwinkel und die Augen herum zum Vorschein kommen. "Das ist Ihre erste Reise nach Epantau, stimmts?" "Ja“ erwidert der junge Mann mit verdutztem Blick. „Sieht man mir das so leicht an?"
Mit dem Gesichtsausdruck eines Großvaters der seinem Enkel beim Spielen zusieht erwidert der Ältere:
"Sagen wir mal so. Niemand der schon mal hier gewesen ist nimmt diese Durchsage ernst, glauben Sie mir." Er reicht seinem jüngeren Nachbarn die Hand und sagt: „Mein Name ist Montgomery McKinley. Ich bin Einsatzleiter eines Sicherheitsdienstes auf Epantau.“ Sein jüngerer Nachbar ergreift die Hand und erwidert: „Ich heiße Eugen Kaczinksi. Ich bin Kunststudent auf einer Studienreise. Ich habe ein Stipendium gewonnen.“
„Sie interessieren sich für die Kunst von Epantau? Davon habe ich ja noch nie gehört.“ Eugen setzt sich etwas aufrechter hin und erwidert mit stolzem Lächeln: „Ich bin auch einer der Ersten die die Möglichkeit dazu haben. Bisher wurde das Thema sehr vernachlässigt, das soll sich nun ändern.“ „Und welche Kunst wollen Sie sich ansehen? Bilder?“ „Gemälde, ja. Hauptsächlich. Aber wenn sich die Möglichkeit ergibt auch Anderes. Waren Sie schon öfter auf Epantau?“ fragt Eugen, worauf Montgomery kurz auflacht und erwidert „Öfter als mir lieb ist. Ich bin immer vier Wochen am Stück hier, dann fliege ich zur Erde zurück und hab eine Woche frei.“
Einen Augenblick später wendet sich Montgomery wieder seiner Zeitschrift zu. "Glauben Sie mir. Machen Sie sich keine Gedanken über die Durchsage das ist Energieverschwendung." Eugen scheint die Worte einige Momente auf sich wirken zu lassen. "Aber in der Durchsage war die Rede von Hygieneregeln. Davon hör ich zum ersten Mal" gibt er bedenken. Montgomery lässt seine Zeitschrift wieder sinken, winkt ab und verzieht dabei geringschätzig das faltige Gesicht. "Ach was. Die machen jedes Mal so ein Brimborium. Vertrauen Sie mir, das ist völlig überzogen." Erneut wendet er sich seiner Lektüre zu und wieder vergehen einige Momente.

Mit etwas höherer Stimme setzt Eugen erneut an: "Können Sie mir nicht einen Tipp geben um was es in der Durchsage geht?" Als wäre er inmitten eines wichtigen Gedankens unterbrochen worden, atmet Montgomery tief durch und senkt seine Zeitschrift zum dritten Mal. Das Großväterliche ist aus seinem Gesicht verschwunden. "Hören Sie, ich verstehe Sie ja. Als ich das erste Mal hier ankam ging es mir genauso wie Ihnen. Der lange Flug, ein anderer Planet, nichtmenschliche Bewohner. Man hat keine Ahnung was einen erwartet." Erst in dem Moment scheint ihm Eugens unsicherer Blick aufzufallen. Er atmet erneut durch, beugt sich ein wenig nach vorn und fügt mit ruhigerer Stimme hinzu: "Es geht eigentlich nur um Folgendes. Die Bewohner von Epantau waren damals noch nie mit den Krankheitserregern der Erde konfrontiert. Niemand wusste genau wie Ihre Gesundheit auf eine große Zahl regelmäßiger Besucher von der Erde reagieren würde, also reglementierte man die Anzahl der Flüge auf das Notwendigste und entwickelte sehr strenge Hygieneregeln zum Schutz der Bewohner.“ Er macht mit dem Arm eine wegwerfende Geste und lässt sich wieder in die Sitzlehne fallen. „Aber in den letzten vierzig Jahren hat sich das Immunsystem der Bewohner vollständig an die Keime der Erde gewöhnt, die Hygieneregeln sind hinfällig geworden." Als wolle er einer weiteren Frage seines Nachbarn zuvorkommen setzt er schnell nach: "Die Durchsage muss aus rechtlichen Gründen bei jedem Flug durchlaufen, weil die epantauische Regierung beim Festlegen der Hygieneregeln auf eine feste Mindestdauer der Durchsage von fünfzig Jahren auf jedem Flug bestanden hat.“ Montgomery zieht einmal kurz die Schultern hoch und lässt sie wieder fallen. „Aber jeder weiß, dass sie veraltet ist. Sie wollen einen Tipp von mir? Entspannen Sie sich. Genießen Sie Ihr erstes Mal auf einem anderen Planeten.“ Montgomery rückt sich seine Brille zurecht und scheint eine bestimmte Stelle in seiner Zeitschrift zu suchen. „Epantau wird Ihnen gefallen.“ Er wedelt beiläufig mit der Hand als er hinzufügt: „Rote Wolken, grüne Meere und so weiter." Als er die Stelle wiedergefunden hat atmet er noch einmal tief durch und vertieft sich wieder.

Eugens Blick wandert einige Male zwischen seinem Sitznachbarn und dem Seitenfenster hin- und her. So als ob ihm die Antwort nicht genügen würde, er sich aber doch nicht für weiteres Nachbohren entscheiden könne. Plötzlich hält er inne als wäre ihm etwas Wichtiges wieder eingefallen.
Er greift unter seinen Sitz und holt eine schwarze Umhängetasche hervor die er sogleich öffnet. Er sieht hinein und beginnt mit der Hand tief in der Tasche zu wühlen. Ein paar Augenblicke später zieht er ein graues Datenmodul in der Größe seines Daumens hervor, wobei ein Dutzend kleiner Gegenstände aus der Tasche fallen und rings um seine Füße herum liegen bleiben. Er grummelt verärgert, legt das Datenmodul neben sich auf die Sitzfläche und beginnt damit die herausgefallenen Gegenstände wieder einzusammeln, indem er sich umständlich nach unten beugt. Etwa eine Minute später setzt sich Eugen wieder aufrecht hin. Er lässt die angehaltene Luft langsam entweichen und verstaut die letzten Gegenstände wieder in seiner Umhängetasche. Schließlich nimmt er das Datenmodul von der Sitzfläche und steckt es in seine Hosentasche. In dem Moment ertönt eine weitere Durchsage. "Sehr geehrte Fluggäste. In etwa 15 Minuten erreichen wir unser Ziel. Bitte achten Sie darauf Ihr…“ „Mama, ich kann schon den Raumhafen sehen, der ist ja riesig“ „…Handgepäck zu verstauen, da Sie diesen laut Hygieneregeln immer erreichbar bei sich zu tragen haben. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt auf Epantau." In der Sitzreihe vor Eugen setzt gelassene Betriebsamkeit ein. Reißverschlüsse die geöffnet und wieder geschlossen werden und das Kramen und Wühlen in Taschen ist zu hören. Eugens Blick auf diese Passagiere ist jedoch durch deren Rücklehnen versperrt. Er dreht sich ein Stück in seines Nachbarn Richtung und späht zwischen seiner und Montgomerys Sitzlehne hindurch, zu den Passagieren in der Reihe hinter ihm. Hier und dort scheinen kleine medizinisch anmutende Fläschchen oder Döschen aus Umhängetaschen herausgeholt und in Jackentaschen oder Hosentaschen verstaut zu werden. Eugen setzt sich wieder normal hin, sein Blick huscht ratlos entlang der eigenen Sitzreihe.

Schließlich wandert sein Blick zu Montgomery der gerade seine Hand aus der Hosentasche zieht als hätte er etwas hineingesteckt. "Sie sagten die Hygieneregeln wären veraltet" zischt Eugen leise." Montgomery sieht ihm verständnislos entgegen. "Das sind sie ja auch." "Aber die Durchsage." Eugen unterbricht sich einen Moment, zeigt unsicher auf Montgomerys Hosentasche und flüstert. "Ich habe doch gesehen, dass sie etwas eingesteckt haben. Das sah aus wie ein Desinfektionsmittel." Sein Nachbar grinst breit und zieht einen Inhalator aus seiner Hosentasche. "Sie meinen das hier?" Er lacht kurz auf. "Entspannen Sie sich, sie sind ja ganz blass um die Nase. Die Hygieneregeln sind veraltet, das sagte ich doch schon.“ Mit deutlich höherer Stimme setzt Eugen nach. "Ich habe kein Desinfektionsmittel mitgenommen, das hat mir niemand gesagt. Haben Sie nicht noch eins für mich? Bitte, ich will mir diese Chance auf Epantau nicht kaputt machen." Ein plötzlicher Ruck geht durch die Kabine als der Transporter am Raumhafen aufsetzt. Das Lächeln verschwindet aus Montgomerys Gesicht. "Ich habe kein Desinfektionsmittel." "Und die anderen?" gab Eugen etwas lauter zur Antwort. "Ich habe genau gesehen wie sie etwas in ihre Jacken gesteckt haben. Genau wie in der Durchsage angewiesen." Montgomerys Gesicht verhärtet sich. Mit schneidender Stimme erwidert er: "Sie meinen so ein Desinfektionsmittel wie das hier?" Er hält Eugen den Inhalator entgegen und steckt ihn wieder in seine Hosentasche. "Sie sollten sich wirklich langsam beruhigen.“
Er öffnet den Sicherheitsverschluss seines Gurtes mit der einen Hand, in der anderen hält er seine Zeitschrift. „Halten Sie lieber ihren Inhalator bereit.“ Er nickt in Eugens Richtung. „Den haben Sie doch schon rausgekramt, oder?“ Montgomery steht auf während Eugens Blick ihm entgeistert folgt. Eugen stammelt: „Inhalator? Nein, das war ein Datenmodul mit meinem Reisebericht.“
Montgomery beantwortet Eugens Bemerkung mit einem solch bohrenden Blick, dass Eugen zurückweicht. Montgomery deutet mit dem Zeigefinger auf eine Stelle in seiner Fachzeitschrift und zieht die Augenbrauen verächtlich nach oben, als er Eugen herablassend anfährt:
„Sind Sie einer von den Besserwissern die glauben sie bräuchten die Einweisung vor dem Flug nicht, hä?“ Eugen sieht ihm angstvoll entgegen ohne zu antworten. Montgomery fährt wütend fort: „Muss ich mein Leben riskieren um euch Spinnern den Kragen zu retten?“

Ohne eine Antwort abzuwarten schüttelt er den Kopf und lässt einen Stoß Luft zwischen seinen Zähnen entweichen und scheint sich zu beruhigen. „Dann kann ich Ihnen nur raten so schnell wie möglich einen Rückflug zu nehmen.“ Montgomery schüttelt noch einmal mit dem Kopf und entfernt sich. „Einweisung?“ stammelt Eugen verdattert. Als wäre ein geheimes Kommando gegeben worden ist im nächsten Augenblick das Klicken unzähliger Sicherheitsverschlüsse zu hören. Überall um Eugen herum stehen Passagiere auf. Umhängetaschen und Handtaschen werden über Schultern gestreift, Jacken angezogen, Gespräche setzen ein. Noch immer sitzend beobachtet Eugen hilflos wie sich der Mittelgang in Windeseile mit Passagieren füllt die zügig dem Ausgang entgegenstreben. Erst als sich der Mittelgang zunehmend leert schnallt auch er sich ab. Er steht auf und spricht spontan eine vorbeikommende Mutter an, die an einer Hand von einem Mädchen voran gezogen wird und in der anderen Hand zwei vollgestopfte Taschen trägt. Dabei klopft er ungeschickt seine Hosentaschen ab als wolle er zeigen, dass diese leer sind.
„Verzeihen Sie bitte, ich bin zum ersten Mal auf Epantau. Gab es beim Raumhafen auf der Erde eine Einweisung für die Fluggäste? Ich habe nicht gewusst, dass es eine gibt.“ Die Frau sieht ihn im Vorübergehen verwundert an. „Ja, es gab eine. Jeder Flug nach Epantau muss eine machen.“
Sie macht Anstalten ihrer Tochter zu folgen. Der junge Mann hält sie am Arm. „Bitte warten Sie. Ich habe die Einweisung nicht mit gemacht.“ Die Frau bleibt stehen, sieht ihm einen Moment überrascht in die Augen und lacht kurz auf. „Na klar.“ Sie stellt die Taschen ab, ihre Tochter bleibt stehen und dreht sich neugierig um. „Die Einweisung ist Pflicht für alle Passagiere, bei jedem Flug.“ Sie kneift verärgert die Augenbrauen zusammen. „Warum gehen Sie nicht einfach hin wie wir anderen auch?“ Sie deutet mit dem Arm auf ihre Tochter.
„Wissen Sie wie anstrengend es für die Kleine ist eine Stunde lang still dazusitzen und der Einweisung zu folgen? Und Sie drücken sich einfach?“
Das Mädchen zieht stärker an ihrem Arm. "Komm endlich Mama, beeil dich. Papa ist schon ausgestiegen. Ich will auch endlich aussteigen." Die Frau hebt die Taschen wieder an. „Aber das ist Ihnen egal, oder?“ Mit einem Kopfschütteln wendet sie sich ab und geht weiter in Richtung des Ausgangs. „Aber ich wusste nichts von einer Einweisung“, ruft Eugen entschuldigend hinterher. „Na klar“ gibt die Frau in abfälligem Tonfall zur Antwort ohne sich umzudrehen.
Eugen sieht ihr einen Moment nach und bemerkt dann auf der gegenüberliegenden Seite die letzten drei Passagiere. Die zwei weißhaarigen Greise und der deutlich jüngere Begleiter in blauer Uniform gehen dem Ausgang entgegen.
Eugen ruft ihnen zu und eilt ihnen nach. "Einen Augenblick bitte, warten Sie bitte kurz." Das Trio scheint ihn nicht zu hören. Wenige Meter vor dem Ausgang erreicht Eugen sie. „Bitte warten Sie einen Moment, ich brauche Ihre Hilfe.“ Die Passagiere wenden sich ihm neugierig zu. „Es gab diese Durchsage wegen der Hygieneregeln. Sind die Hygieneregeln noch aktuell?“ Der Uniformierte antwortet sichtlich irritiert. „Nein. Das ist eine automatische Durchsage, die ist nicht mehr gültig. Warum fragen Sie?“ „Sind sie sicher?“ Eugen deutet mit dem Arm in Richtung der leeren Sitzreihen. „Ich habe gesehen wie die Leute etwas aus ihrem Handgepäck geholt und in ihre Jackentaschen gesteckt haben als die Durchsage es verlangt hat.“ Die drei sehen ihm verständnislos entgegen als könnten sie seine Sprache nicht verstehen. „Nach der zweiten Durchsage kurz vor der Landung, verstehen Sie?“ Einer der Greise antwortet mit dünner Stimme: „Das waren bestimmt Inhalatoren die sie gesehen haben.“
„Sehr geehrte Fluggäste. Bitte verlassen sie umgehend den Transporter damit das Reinigungspersonal mit der Reinigung beginnen kann“ tönt die automatische Stimme über die leeren Sitzreihen.
Das Trio wendet sich ab und geht wieder Richtung Ausgang. „Bitte. Nur noch einen Moment. Was hat es mit der Einweisung vor dem Flug auf sich?“ Der jüngere Begleiter schickt die beiden Greise voraus und bleibt stehen. Als die beiden Alten außer Sichtweite sind, wendet er sich Eugen zu und rückt die Jacke seiner blauen Uniform mit den goldenen Knöpfen zurecht, so als hätte er eine unliebsame Pflicht zu erfüllen.
„Sie meinen die Einweisung im Raumhafen auf der Erde, oder? Jeder Passagier muss vor dem Flug daran teilnehmen.“
Eugens Blick fällt einen Moment lang auf das kleine Namensschild an der zugeknöpften Jacke des anderen. „Monsieur Chabergné. Bitte glauben Sie mir. Von einer Einweisung habe ich erst auf dem Flug erfahren. Ich habe nicht daran teilgenommen.“
Monsieur Chabergnés Blick verengt sich als er seinen Kopf etwas zur Seite dreht ohne dabei Eugen aus den Augen zu lassen.
„Wie haben Sie es geschafft an der Kontrolle vorbei an Bord zu kommen?“ Eugen erwidert mit fast hysterischer Stimme: „Kontrolle? Was? Da war keine Kontrolle! Was ist hier eigentlich los?“ Monsieur Chabergné zuckt plötzlich zusammen als hätte er sich erschreckt. Er zieht den Kopf ein Stück ein, macht einen kleinen Schritt auf Eugen zu und erwidert mit fast flüsternder Stimme. „Nicht so laut. Das Reinigungspersonal müsste gleich hier sein.“ Er holt hastig ein kleines Gerät aus seiner Brusttasche hervor und umschließt das daran befindliche Mundstück mit den Lippen. Er betätigt eine Taste und atmet ein was mit einem zischenden Geräusch aus dem Gerät kommt. Er verstaut das Gerät wieder in seiner Brusttasche und fügt in unaufgeregtem Ton hinzu: „Sie waren noch nie auf Epantau, stimmts?“ Eugen verneint die Frage mit der entsprechenden Kopfbewegung. Monsieur Chabergné wirft einen kurzen Blick in Richtung Ausgang. „Wir haben nur noch Minuten bis einheimisches Reinigungspersonal hier ist. Wenn Sie die Einweisung wirklich nicht absolviert haben ist es sehr gefährlich für Sie sich auf Epantau aufzuhalten.“

Die automatische Durchsage tönt ein weiteres Mal über die leeren Sitzreihen:
„Sehr geehrte Fluggäste. Bitte verlassen sie umgehend den Transporter damit das Reinigungspersonal mit der Reinigung beginnen kann.“ „Ich kann Ihnen das jetzt unmöglich alles erklären.“ Monsieur Chabergné legt die flache Hand auf die Stirn als müsse er angestrengt nachdenken. Als hätte er einen Entschluss gefasst nimmt er die Hand wieder runter und sagt entschieden: „Alleine ist es zu gefährlich für Sie. Sie sind nicht vorbereitet.“ Aus Richtung des Ausgangs ist das rasselnde Geräusch von Rollen auf unebener Metalloberfläche und langsame, schwere Schritte zu hören. Er ergreift Eugens Oberarm und sagt in eindringlichem Tonfall: „Hören Sie mir genau zu. Sie dürfen sich ihnen nicht nähern. Verstehen Sie? Vermeiden Sie auf jeden Fall Blickkontakt mit den Bewohnern und sprechen Sie sie bloß nicht an. Wenn möglich versuchen Sie nicht gesehen zu werden. Für Sie besteht Lebensgefahr.“ Der Ausgang beginnt sich zu verdunkeln. Eugen sieht zu dem im Takt der Schritte wankenden Schatten der mit jedem Schritt größer wird und sieht dann seinem Gegenüber hilfesuchend in die Augen. „Lebensgefahr? Ich verstehe nicht“ stammelt er.
Monsieur Chabergné sieht an Eugen vorbei: „Da. Schnell. Gehen Sie da rein und verriegeln Sie die Tür von innen.“ Noch ehe Eugen etwas erwidern kann schiebt ihn der Uniformierte durch die geöffnete Tür in die Bordtoilette. Die Tür wird ins Schloss geworfen wo sie nach kurzem, blechernem Klappern ruhen bleibt. „Verriegeln Sie die Tür von innen“ dringt die gedämpfte Stimme von Monsieur Chabergné durch die Tür. Augenblicke später ist nochmal Monsieur Chabergnés Stimme zu vernehmen. Er scheint mit jemand anderem zu sprechen. „Meinem Bekannten ist der Wurmlochtransit nicht bekommen. Er braucht einen Moment für sich und frisches Wasser. Sobald es ihm besser geht verlassen wir den Transporter.“ Keine Antwort. Die Schwere der näherkommenden Schritte ist durch den Klang von zwei Hufen auf metallenem Untergrund fast spürbar.
Etwas bleibt direkt vor der Tür stehen. Kurz darauf lässt eine kräftige Bassstimme die dünne Tür im Schloss vibrieren: „Der Flug nach Epantau kann anstrengend sein.“ Eugen verriegelt, bemüht keine Geräusche zu verursachen, die Tür. Er tritt einige Schritte zurück und hält die Luft an, den Blick zur Tür gerichtet. „Da haben Sie Recht“ ist wieder Monsieur Chabergné zu hören. „Es wird aber nicht lange dauern.“ Die fremde Stimme macht ein tiefes Geräusch das nach Zustimmung klingt.
Die langsamen Schritte entfernen sich und verstummen schließlich. Einige Augenblicke später verhaltenes Klopfen an der Tür. „Hören Sie? Sie können rauskommen. Schnell.“ Eugen öffnet die Tür und tritt heraus. Im hinteren Teil des Transporters bewegt sich eine riesige Gestalt. Sie hat den beiden Menschen den Rücken zugewendet. „Ist das einer der Bewohner?“, flüstert Eugen. Monsieur Chabergné legt beschwörend den Zeigefinger auf die Lippen und flüstert. „Ja. Er fängt an die Kabine zu reinigen. Darum müssen wir schnell verschwinden.“ Eugen folgt ihm auf leisen Sohlen die letzten Meter den Flur entlang bis zum Ausgang des Transporters. „Einen Moment.“ Monsieur Chabergné bedeutet Eugen mit einem Handzeichen, dass er stehen bleiben soll. „Wir müssen vorsichtig sein.“ Er späht zum Ausgang hinaus und sagt schließlich in fast normaler Lautstärke: „Ich bin übrigens Claas.“ Er reicht Eugen die Hand, die dieser sofort ergreift. „Eugen.“ „Wir haben Glück. Die anderen Mitarbeiter des Reinigungstrupps sind noch nicht da. Folge mir einfach, aber nicht rennen.“

Claas passiert zügig den Ausgang und verlässt die metallene Rampe des Transporters, Eugen folgt ihm. Sie gehen durch einen kurzen, abfälligen Gang dessen Wände, Decke und sogar dessen Boden den rötlichen Schein der epantauischen Athmosphäre hereinlässt. Im Gehen fragt Eugen während er die Hand an der Wand entlang streifen lässt: „Durch diesen Gang gehen die Bewohner? Sie scheinen ziemlich schwer zu sein.“ „Das ist epantauisches Bioglas“ erwidert Claas knapp. „Das hält wesentlich mehr aus als das irdische.“ Im nächsten Augenblick erreichen sie ein massives zweiflügliges Tor durch dessen weit aufgesperrte Torflügel das Innere einer etwa 10 Meter breiten Halle zu sehen ist. „Wir müssen auf die andere Seite kommen“ bemerkt Claas und nickt in Richtung der gegenüberliegenden Wand der Halle. Die Wände sind hier undurchsichtig, jedoch dringt durch die gläserne Decke der gleiche rötliche Schimmer wie im Gang zuvor. „Wo wollen wir eigentlich hin?“ fragt Eugen. „Ich arbeite in einem kleinen Geschäft, da bist du erstmal sicher.“ „Und das Geschäft ist da drüben?“ Eugen wagt einen Blick auf die andere mit einer Reihe von Geschäften gesäumten Seite. Die Geschäfte sind alle ungewöhnlich hoch und haben ebenso ungewöhnlich hohe Eingangstüren. Einige der Schaufenster sind bunt dekoriert, andere sind in tristem grau gehalten. In der Mitte der Halle stehen vier aufragende in engen dunklen Stoff gehüllte Wesen zusammen. Jedes auf zwei langen, muskulösen und bis zu den Knien vom Stoff verhüllten Beinen, die in so etwas wie mehrgliedrige Hufen enden. Die Köpfe der Wesen heben sich nur wenig von den Rümpfen ab und erheben sich so nur ein wenig über den Stoff. Ein Hals ist nicht erkennbar. Über der flachen Stirn verteilt sind bei jedem der Wesen einige silbrig funkelnde Punkte wie dezenter Schmuck sichtbar. Große Pranken mit dicken Fingern sitzen an den Enden langer, kräftiger Arme die fast bis zum Boden reichen. Die breiten lippenlosen Münder bewegen sich kaum erkennbar, die tiefen Stimmen sind nur als leises Raunen vernehmbar. „Sind das Einheimische?“ fragt Eugen leise. „Ja. Siehst du die kleinen Metallplättchen in den Stirnvertiefungen? Es sind Studenten.“ „Die sind noch nicht ausgewachsen?“ entfährt es Eugen. „Sie sehen aus als könnten sie ein Pferd heben.“ „Sie könnten das Pferd nicht nur hochheben, sie könnten es vorher sogar zu Fuß fangen.“ erwidert Claas trocken. „Und ja“ er nickt in Richtung der Gruppe „diese Epanti sind noch nicht ausgewachsen. Ein ausgewachsener Epanti ist bestimmt einen Meter größer und bringt locker 800 Kilogramm auf die Waage.“ Eugen weicht ein Stück in den Gang zurück. Claas scheint Eugens Bewegung bemerkt zu haben und sieht ihn mitleidig an. „Halte sie aber nicht für Monster oder so etwas. Es sind intelligente harmonieliebende Wesen die keiner Fliege etwas zu Leide tun. Sie wollen auch dir nichts Böses. Es ist nur…“ Claas unterbricht sich und sieht kurz zum Boden als scheine er einen Moment zu überlegen. Er wendet sich wieder der Halle zu. „Das Geschäft kann man von hier aus nicht sehen, es ist von den Epanti verdeckt.“

„Ich verstehe nicht warum ich in Gefahr bin, wenn diese Wesen mir nichts Böses wollen“ sagt Eugen mehr zu sich selbst als zu Claas. Dieser erwidert mit Blick zur Halle: „Wenn wir im Geschäft sind wird dir Substitor Kalvan alles erklären, jetzt ist kein guter Zeitpunkt. Wir dürfen in deinem Zustand nicht das Risiko eingehen überrascht zu werden.“ Ohne Eugens fragenden Blick zu würdigen nickt er in Richtung der Epanti. „Darum werden wir auch einen großen Bogen um die Gruppe dort machen. Und zwar so als hätten wir alle Zeit der Welt.“ Er sieht wieder zu Eugen. „Alles klar?“ Eugen macht eine verneinende Kopfbewegung. „Die sehen ziemlich gefährlich aus.“ Mit gerunzelter Stirn erwidert Claas „Dafür haben wir jetzt keine Zeit. Wie schon gesagt, in…“ „Jaja“ fällt Eugen ihm ins Wort „in Substitor Kalvans Geschäft haben wir Zeit. Ich habe aber plötzlich das Gefühl mit verbundenen Augen nach meinem Skizzenbleistift zu suchen. Also. Warum besteht Lebensgefahr für mich?“ Claas sieht noch einmal zu der Epanti-Gruppe und wendet sich dann wieder Eugen zu. „Wenn wir in deinem Zustand überrascht werden…“ „…wäre es sicher besser für uns beide, wenn ich weiß worin die Gefahr besteht. Sonst habe ich keine Ahnung wie ich mich verhalten soll.“ Claas sieht Eugen einen Moment lang irritiert an und seufzt kurz „Du hast wohl Recht. Na gut, du bekommst die Kurzfassung.“ Claas sieht noch einmal in alle Richtungen als wolle er sicher gehen nicht beobachtet zu werden. Er senkt die Stimme ein wenig. „Die Epanti sind genauso intelligent wie wir, ihr Tagesablauf ist unserem ganz ähnlich, sie haben die gleichen Gefühle wie wir. Wut, Angst, Trauer und so weiter. Ihre Körper ermöglichen ihnen aber nicht diese Gefühle in einer Gesichtsmimik auszudrücken. Dafür verfügen sie über ein unglaublich vielseitiges Pheromon-System, mit dem sie Gefühle untereinander zeigen.“ Nach einer kurzen Pause in der Claas sich noch einmal versichert nicht beobachtet zu werden, fährt er fort. „Bis auf ein paar Ausnahmen können wir diese Pheromone nicht wahrnehmen, aber die Epanti reagieren hochemotional auf menschliche Gesichtsmimik.“ „Was heißt das?“ unterbricht ihn Eugen. „Das heißt, du kannst dich mit einem Epanti über alles unterhalten was du willst. Du kannst dich sogar mit einem streiten, solange du mit dem Gesicht keine Gefühle ausdrückst.“ „Was?“ entfährt es Eugen während er Claas mit großen Augen ansieht. „Aber das geht doch gar nicht.“ „Eben darum gibt es die Einweisung auf der Erde“, gibt Class vorwurfsvoll zur Antwort. „Jeder der nach Epantau reist bekommt bei dieser Einweisung einen Inhalator mit einem speziell auf ihn justierten Inhalat das die gefühlsbedingte Gesichtsmimik ausschaltet.“

Eugen sieht ihm entgeistert entgegen. „Davon höre ich zum ersten Mal“ erwidert Eugen, was Claas aber nicht zu hören scheint. „Du kannst dich stundenlang mit einem Epanti unterhalten, aber schon ein flüchtiger Ausdruck von zum Beispiel Überraschung auf deinem Gesicht kann ihn plötzlich in Panik versetzen. Glaub mir. Einem 800 Kilogramm schweren Epanti der ohne jede Vorwarnung und völlig kopflos die Flucht ergreift willst du nicht im Wege stehen.“ „Kommt es denn manchmal zu Unfällen?“ fragt Eugen in kleinlautem Ton. „Früher gab es häufig Unfälle, heute kaum noch. Epanti und Menschen haben den Mechanismus schnell erkannt und Regeln entwickelt und die Inhalatoren. Die meisten Unfälle passieren heute aus Leichtsinn. Es gibt ein paar Spinner die sich ohne Inhalator auf Epantau aufhalten, weil sie den Kick suchen.“ Claas nickt in Richtung der Epanti-Gruppe. „Letzten Monat ist ein Student wie die da drüben plötzlich rasend vor Wut auf so jemanden losgegangen. Denk dran: Sie holen ein Pferd im Galopp ein und heben es sich auf die Schulter, wenn sie wollen. Da hat man keine Chance.“ „Ok, verstanden“ erwidert Eugen noch etwas kleinlauter. „Ich werde mir Mühe geben keinem der Epanti zu nahe zu kommen.“ Claas nickt Eugen kurz zu und lässt seinen Blick dann einmal über die ganze Halle schweifen als wolle er sich alles genau einprägen. „Gut. Dann los.“ Das Duo schlägt die linke Richtung ein und spaziert an einer schlichten grauen Wand entlang. Nach etlichen Metern tippt Claas gegen Eugens Arm und bedeutet ihm mit einer seitlichen Kopfbewegung in Richtung der Hallenmitte zu gehen. Sie beschreiben eine große Kurve und nähern sich schnell der Hallenmitte. „Da ist unser Ziel“ sagt Claas und zeigt auf ein Schaufenster, welches gerade hinter der Epanti-Gruppe zum Vorschein kommt. Über dem Schaufenster ist der Schriftzug „Ersatz-Inhalatoren“ zu lesen. Im Schaufenster sind mehrere kleine Geräte ausgestellt.
Eugen sieht in die Richtung und nickt nur. Als sie die gegenüberliegende Seite der Halle erreichen, schwenken sie nach rechts und gehen an einem Geschäft nach dem anderen vorbei, immer entlang in Richtung ihres Ziels. Eugen folgt Claas dicht auf.

„Sag mal,“ beginnt Eugen „wie justiert man denn die Inhalatoren auf die unterschiedlichen Fluggäste?“ Claas dreht sich im Gehen zu Eugen um und entgegnet flüsternd: „Nicht jetzt, das sagte ich doch schon. Wenn wir im Geschäft sind wird Substitor Kalvan alle deine Fragen beantworten. In der Öffentlichkeit müssen wir mit diesem Thema vorsichtig sein. Die Epanti dürfen nicht merken, dass du keinen hast. Verstehst du?“
Noch bevor sich Claas wieder vollständig umdrehen kann prallt er plötzlich mit dem Kopf gegen den Unterarm eines aus einem Geschäft getretenen Epanti. Er wendet sich ihnen zu. „Was hat er nicht?“ grollt die tiefe Stimme des Wesens als es mit stieren Augen auf Claas heruntersieht. Geistesgegenwärtig entgegnet er: „Ich grüße Sie, Ramoliur.“ Er deutet mit einer Hand in Eugens Richtung. „Das Einweisungszertifikat meines Kunden hier hat einen Datenfehler, daher wollen wir in Substitor Kalvans Geschäft ein neues beantragen.“ Während er redet macht Claas Anstalten um den Epanti herum zu gehen und bedeutet Eugen ihm zu folgen, indem er eine kaum merkliche Kopfbewegung macht. „Wir haben leider nicht viel Zeit Ramoliur, darum...“ Der Epanti macht einen Schritt zur Seite und versperrt Claas in den Weg. Der durchdringende Blick des Wesens richtet sich auf Eugen und ruht einen Moment auf ihm, bevor er mit seiner grollenden Stimme fortfährt. „Geben Sie mir bitte das Zertifikat.“ Er hebt eine seiner Pranken Eugen entgegen. Die Handfläche weist nach oben.
Eugen muss seinen Blick heben, um dem Blick des Epanti zu begegnen. In den vier Vertiefungen in Ramoliurs Stirn sitzt je ein Metallplättchen. Die zwei linken Plättchen sind mit einer zarten Kette verbunden. Eugen verlagert sein Gewicht unwillkürlich auf das hintere Bein, als wolle er einen Schritt rückwärts machen und sieht dabei hilfesuchend in Claas‘ Richtung. Claas, der nun neben dem baumdicken Unterarm des Wesens steht, macht eine verneinente Kopfbewegung. Er hebt die Hände einhaltgebietend, sagt aber nichts. Als hätte Eugen die Warnung verstanden, richtet er den Blick wieder auf den Epanti und verlagert sein Gewicht zurück auf beide Beine. „Geben Sie mir bitte das Zertifikat“ wiederholt der Epanti.
Eugen legt seine flache Hand auf die Hosentasche in der sich noch sein digitaler Reisebericht befindet. „Man kann das Zertifikat nicht mehr auslesen, es ist zu beschädigt“ lügt er. Der Epanti berührt mit seinem Zeigefinger einmal kurz seine Handfläche, worauf sie grün zu schimmern beginnt. „Ich werde versuchen das Zertifikat wiederherzustellen. Legen Sie das Datenmodul auf den Scanner“ fordert er Eugen auf.
Eugen, dessen Gesicht nun im grünen Schimmer der waschbeckengroßen Hand kränklich erscheint, holt das Datenmodul unschlüssig aus der Tasche. Er sieht kurz zu Claas der seine warnende Geste wiederholt, woraufhin Eugen seine Hand mit dem Datenmodul zurückzieht, scheinbar um es wieder in der Tasche zu verstauen. Plötzlich schnellt die Pranke des Wesens vor und schnappt das Datenmodul mit der Geschicklichkeit einer Katze aus Eugens Hand. Eugen sieht zu dem Datenmodul empor, das sich nun zwischen Daumen und Zeigefinger des Wesens außerhalb seiner Reichweite befindet. Der Epanti dreht seine Hand so, dass Daumen und Zeigefinger mit dem Datenmodul dazwischen nach oben weisen. Er lässt das Datenmodul auf seine schimmernde Handfläche fallen, die daraufhin beginnt, orange zu wabern. „Die Daten scheinen nicht beschädigt zu sein, ein Einweisungszertifikat kann ich nicht erkennen“, brummt Ramoliur. „Das ist genau das Problem“, beantwortet Eugen hilflos die hintergründige Frage. „Es war aber auf dem Datenmodul gespeichert.“ Ramoliurs Blick schnellt einmal kurz zu Eugen bevor er sich wieder dem Datenmodul widmet. „Ich werde ein Prüfprogramm starten.“ Das Wabern nimmt einen rötlichen Farbton an. „Sie wissen, dass es für Menschen strafbar ist sich ohne Inhalator auf Epanti aufzuhalten?“ fragt Ramoliur ohne Vorwarnung. Eugen schluckt einmal und schweigt. Plötzlich sind laute tiefe Stimmen aus der Halle zu hören. Ramoliur dreht seinen gewaltigen Körper in die Richtung aus der die Stimmen kommen, das rötliche Wabern erstirbt. Eugen sieht in dieselbe Richtung. Der Aufruhr kommt von der Gruppe der jungen Epanti die noch immer in der Halle stehen. Zwei von ihnen stehen sich direkt gegenüber und gestikulieren mit ihren langen Armen. Sie brüllen einander an, während die restlichen beiden hilflos daneben stehen. Nach einem Moment richtet Ramoliur seine Aufmerksamkeit wieder auf Eugens Datenmodul. Er startet den Prüfvorgang erneut, das rötliche Wabern erscheint wieder. „Mm“ macht er gedehnt und sieht dann zu Eugen. „Was führt Sie nach Epantau Herr Kaczinksi?“ Eugen schluckt erneut. Doch bevor er antworten kann wird der Aufruhr deutlich lauter. Ramoliurs Aufmerksamkeit richtet sich auf die jungen Epanti, die sich nun gegenseitig anschreien und schubsen. Im nächsten Augenblick rennt einer der beiden Streithähne davon, der andere folgt ihm. Beide scheinen über den Boden zu fliegen, so schnell bewegen sich ihre Beine in einer Mischung aus Sprüngen und Schritten. „Halt“ brüllt Ramoliur ihnen so laut hinterher, dass sich Eugen die Ohren zu halten muss. Ramoliur wendet sich Eugen zu. „Das ist ein Notfall. Sie bleiben hier stehen, verstanden?“ fügt er in drohendem Tonfall hinzu. Er hält Eugen seine Pranke mit dem Datenmodul darin hin. „Das muss ich Ihnen zurückgeben. Wir sprechen uns noch.“ Eugen nimmt das Datenmodul. Im nächsten Augenblick nimmt Ramoliur die Verfolgung der jungen Epanti auf und ist nach nur wenigen Augenblicken außer Hörweite. „Die Chance müssen wir nutzen, komm“, ruft Claas Eugen zu, der noch einen Moment lang Ramoliur verdattert hinterher sieht. Daraufhin nickt er kurz und folgt Claas durch eine normalgroße Tür, die in die übergroße Tür eingelassen ist, in das Geschäft.

Hinter dem unscheinbaren Tresen steht ein großgewachsener, dünner Mann in gebeugter Haltung und macht sich an einem kleinen Gerät zu schaffen, das denen aus dem Schaufenster gleicht. Das helle Deckenlicht lässt seine Glatze leuchten. Unter den buschigen, schwarzen Augenbrauen richtet sich ein aufgewecktes Augenpaar auf die beiden Ankömmlinge. „Hallo Claas. Wie ist es gelaufen?“ fragt er gedehnt und mit tiefer Stimme in Class‘ Richtung. „Es gab keine Schwierigkeiten, Substitor Kalvan“ antwortet Claas unaufgeregt. „Die Schmitts haben den Flug gut überstanden. Ich habe aber jemanden aufgegabelt der in Schwierigkeiten ist.“ Mit einer lässigen Kopfbewegung deutet er auf Eugen. „Das ist Eugen. Er hat keinen Inhalator.“
Der bohrende Blick des Substitors richtet sich auf Eugen. „Eugen, ja?“ fragt er in lauerndem Tonfall. „Hallo“ entfährt es Eugen kleinlaut wie einem Jungen der beim Klauen von Süßigkeiten erwischt wurde. „Darf ich Sie fragen, warum Sie keinen Inhalator bei sich tragen?“ Eugen sieht kurz zu Class, dann wieder auf den Substitor. „Ich…“ beginnt Eugen. „…äh. Mir ist das ein bisschen unangenehm. Ich wusste nicht, dass es eine Einweisung gibt. Darum hab ich nicht daran teilgenommen.“ Die Augen des Substitors verengen sich zu Schlitzen. Er richtet sich langsam auf wie eine Schlange die sich auf den Angriff vorbereitet, ohne Eugen dabei aus dem Blick zu lassen.
„Sie haben nichts von einer Einweisung gewusst?“ Der Substitor nimmt das Gerät vom Tresen und legt es ins Schaufenster. Er wendet sich Eugen zu. „Das halte ich doch für sehr unwahrscheinlich.“ Ein Augenblick verstreicht. Der Substitor fährt fort. „Hin und wieder kommt es vor, dass Personen an der Einweisung teilnehmen den Inhalator dann aber absichtlich wegwerfen.“ Eugen sieht wieder hilflos zu Claas. „Ich wusste nichts von einer Einweisung, wirklich. Class sagte mir schon, dass es sehr gefährlich ist sich auf Epantau ohne Inhalator aufzuhalten. Davon habe ich aber erst kurz vor der Landung erfahren.“„Dann werde ich einmal die Datenbank der letzten Einweisungen prüfen. Wie ist ihr Nachname?“ „Kaczinksi.“ Der Substitor legt seine Hand auf den Tresen und spricht zum Computer. „Ich suche einen Fluggast namens Eugen Kaczinksi der heute auf Epantau eingetroffen ist.“ Eine holografische Liste mit Namen erscheint über dem Tresen. Einer der Namen ist dick hervorgehoben.
„Auf der Liste der Fluggäste die an der Einweisung teilgenommen haben steht ihr Name, Herr Kaczinksi“, sagt der Substitor vorwurfsvoll mit Blick auf die Liste. „Ich versteh das nicht“, stammelt Eugen. „Als mich Eugen im Transporter ansprach war er durcheinander und hilflos. Er kommt mir nicht wie jemand vor der sich absichtlich in diese Situation gebracht hat.“ Substitor Kalvan erwidert einen Moment lang Claas‘ Blick und sieht dann zu Eugen. „Ich vertraue Claas bedingungslos, darum werde ich weitere Recherchen durchführen.“ Er sieht wieder zu Claas. „Geh mit ihm schon mal nach hinten. Ohne Inhalator ist es hier vorn zu gefährlich. Ramoliurs Brüllen war nicht zu überhören, er kommt vielleicht hierher und fragt nach Herrn Kaczinski.“ Eugen folgt Claas hinter den Tresen wo sie abbiegen und nach einigen Metern durch eine unscheinbare Tür treten die von vorn nicht zu sehen war und schließen sie hinter sich.
Eugen findet sich in einem gemütlich eingerichteten Raum mit Perserteppich, mehreren kleinen Sofas und einem quadratischen Tisch in der Mitte wieder. „Wohnt der Substitor hier?“, fragt Eugen nach einigen Augenblicken des Schweigens. „Ja. Auch er ist ein Mensch auf Epantau und braucht einen sicheren Rückzugsort.“ „Was ist eigentlich ein Substitor?“ „Das kann er selbst am besten erklären“ antwortet Claas knapp und setzt sich auf eines der Sofas. „Setz dich lieber. Das kann eine Weile dauern.“ Einen Moment lang sieht Eugen ungläubig zu Claas der damit beginnt den Sitz seiner Jacke zu prüfen, lässt seinen Blick dann aber durch den Raum schweifen. An der der Tür gegenüberliegenden Wand hängen etwa ein Dutzend Gemälde unterschiedlichster Stile. Eugen tritt zu einem Bild das eine Terrasse mit kleinen runden Tischen und Stühlen zeigt. „Caféterrasse am Abend, Vincent van Gogh“ kommentiert Eugen. Er geht zum nächsten Gemälde das einen idyllischen Bach so zeigt, als hätte der Künstler im Wasser gestanden. Im Hintergrund ist unscharf eine Gestalt in blauem Gewand vor einem angedeuteten Gebäude zu sehen. „Charles-François Daubigny“ kommentiert Eugen. „Der Titel fällt mir gerade nicht ein.“ Er tritt an das Bild heran und betrachtet die Farben von Nahem. „Es wirkt authentisch. Die Farben sehen gealtert aus, ich sehe kleine Risse.“ Er sieht zu Claas der mit dem Sitz seiner Uniform noch nicht zufrieden zu sein scheint. „Ein kommerzieller Kunstdruck aus der Postmoderne ist es nicht.“ Claas sieht ihm verständnislos entgegen, hebt kurz die Schultern und lässt sie wieder fallen. Eugen sieht an der Wand entlang und bestimmt die Stile weiterer Gemälde. „Impressionismus, Klassizismus, Suprematismus, Pop Art.“ Er tritt ein Stück zurück und wendet sich der ungeschmückten Wand zu seiner Linken zu. Er fixiert ein Holzschild mit zu kleiner Beschriftung um es auf diese Entfernung zu lesen. Er geht einige Schritte darauf zu.
Plötzlich verharrt er mitten in der Bewegung und scheint zu lauschen wie ein Einbrecher der gerade festgestellt hat, dass er wider Erwarten doch nicht alleine im Gebäude ist. Er atmet durch die Nase ein. „Was ist das für ein Geruch?“ „Enttäuschung.“ Eugen fährt vor Schreck zusammen und sieht zum Substitor der gerade den Raum betritt und die Tür hinter sich schließt. „Was?“ entfährt es Eugen. Der Substitor tritt neben ihn und zieht den Geruch durch die Nase ein. „Sehen Sie. Auf dem Schild steht es.“ Er deutet mit dem Zeigefinger auf das kleine Holzschild mit der Aufschrift „Enttäuschung“. „Sie sind Kunststudent, richtig? Sie stehen mitten in einem epantauischen Gemälde. Wie finden Sie es?“ Einen Augenblick lang sieht sich Eugen hilflos um. „Pheromone“ stellt er schließlich mit staunendem Gesichtsausdruck fest und saugt den Geruch in sich auf. „Es riecht ein bisschen nach Verdünnung.“
„Für einen Epanti bedeutet dieser Geruch, dass Sie von ihm tief enttäuscht sind. Es gibt viele Nuancen dieses Pheromons die die Art der Enttäuschung präzisieren. Enttäuschung über dienstliche Verfehlungen, Enttäuschung innerhalb romantischer Beziehungen, Enttäuschung über Kleinigkeiten wie zum Beispiel ein Mittagessen das nicht geschmeckt hat. Die Bandbreite ist gewaltig. Wir können sie aber nicht wahrnehmen.“
Nach einem Augenblick der Stille fährt der Substitor fort. „Meine Recherchen haben ein bisschen Zeit in Anspruch genommen aber es hat sich gelohnt.

Die allermeisten Flüge zwischen Erde und Epantau werden ausschließlich von regelmäßig reisenden Pendlern mit reservierten Sitzplätzen genutzt.
Auf Ihrem Flug gab es einhundertsiebenunddreißig Pendler die die Unterweisung nur einmal im Monat durchlaufen müssen, weil sie sich regelmäßig berufsbedingt auf Epantau aufhalten. Es gab drei Personen die den Flug nicht regelmäßig buchen und darum an der Unterweisung teilgenommen haben. Ein neun Jahre junges Kind, seine Mutter und Sie, Herr Kaczinksi.“ „Ich wüsste doch aber wenn ich an einer Einweisung teilgenommen hätte“ gab Eugen zu bedenken.
„Die Mutter und ihr Kind habe ich gesehen. Ich bin mir sicher, dass sie teilgenommen haben.“ Der Substitor nickt und ergänzt: „Zudem hatte mir ein menschlicher Einsatzleiter der Sicherheitsdienste in einem kurzen Bericht mitgeteilt, dass neben ihm ein Kunststudent namens Eugen Kaczinksi saß, der sich ohne Inhalator auf Epantau aufhält. Er wollte sicherstellen, dass er in Gewahrsam genommen würde sobald er den Planeten betritt.“
„Montgomery“ entfährt es Eugen. Kalvan sieht ihm mit einem wissenden Lächeln entgegen. „Genau das ist Herrn McKinleys Vorname. Damit haben Sie mir bestätigt, dass der echte Eugen Kaczinski neben ihm saß.“ „Gab es denn noch einen falschen?“ Kalvan beantwortet Claas’ Frage mit einem Nicken. „Ich fand es ein bisschen zu unwahrscheinlich, dass es Herr Kaczinski irgendwie an Bord schafft ohne an der Einweisung teilgenommen zu haben und sich dann ausgerechnet neben die einzige Person setzt die ihm höchstwahrscheinlich auf die Schliche kommen würde. Dieses Muster kam mir bekannt vor.“ „An Bord war einer dieser Lebensmüden?“ ruft Claas aus. An Eugen gewandt fährt Kalvan fort: „Leute die sich auf Epantau aufhalten wollen ohne vom Inhalator Gebrauch zu machen, lenken gern die Aufmerksamkeit vom Sicherheitspersonal auf andere Passagiere.“ „Ich war Teil eines Ablenkungsmanövers?“ „Ich glaube ja. Die Masche funktioniert so: Man beobachtet die Anmeldeterminals am Eingang des Raumhafens auf der Erde. Wenn man sich sicher ist, eine unerfahrene Person bei der Anmeldung zu sehen, wartet man in der Nähe bis die Anmeldung abgeschlossen ist. Dann meldet man sich unter einem erfundenen Namen selbst an. Auf dem Weg zum Einweisungsbüro kontaktiert man dann einen beim Raumhafen tätigen Komplizen der Einblick in die Liste der Passagiere hat die sich bei der Einweisung melden müssen.
Er erhält den Namen des unerfahrenen Passagiers und der Komplize weißt dem ahnungslosen Opfer einen Sitzplatz neben dem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes zu. Auf jedem Flug fliegt Sicherheitspersonal mit das entweder vom Urlaub zurückkommt oder in den Urlaub fliegt. Dann löscht der Komplize die Anmeldung des Betrügers, wodurch das Einweisungspersonal nun eine Person weniger auf der Liste hat. Dann stellt sich der Betrüger mit dem Namen des Ahnungslosen vor und wird zur Einweisung zugelassen.“ „Scheinbar sind dann alle die sich anmelden müssen beim Kurs und der unerfahrene Passagier merkt nichts davon.“ „So ist es“ erwidert Kalvan. „Das Einweisungsbüro meldet dann die Vollzähligkeit des Kurses an die Mannschaft des Transporters, obwohl eine Person mehr an Bord kommt.“
„Und der Betrüger hat dann einen Inhalator aber nutzt ihn nicht?“
Claas lässt Luft zwischen seinen Zähnen entweichen und hebt die Arme ratlos in die Höhe. „Sie haben das Verbergen ihrer Emotionen eingeübt und begeben sich an Plätze wo sich viele Epanti aufhalten. Sich in Lebensgefahr zu bringen gibt ihnen offenbar einen Kick.“ „Aber warum hat er sich mich ausgesucht?“ wirft Eugen aufgebracht ein.
Kalvans Mimik erhellt sich. „Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind nicht der Einzige dem das passiert. Solche Fälle habe ich vor einigen Jahren schon erlebt als ich gerade zum Substitor ernannt wurde.“ „Was bedeutet eigentlich Substitor?“
Kalvans Mundwinkel deuten ein kurzes Lächeln an.

„Das ursprüngliche Wort stammt von Epantau und bedeutet so viel wie ‚Geber der Suchenden‘, wobei Sie sich darunter einen lebenserfahrenen Lehrer vorstellen können der sein Wissen unter den ‚Suchenden‘ verteilt. Gleichzeitig hat es in etwa die Bedeutung eines freiwillig tätigen Sozialarbeiters der denen hilft, die Pech hatten oder Startschwierigkeiten haben.“ „Auf Epantau sind alle sozialen Berufe hoch angesehen“ ergänzt Claas, was Eugen mit einem Nicken entgegennimmt.
„Ein Substitor hilft Menschen“, fährt Kalvan fort „die sich ohne Inhalator auf Epantau aufhalten oder deren Inhalator nicht mehr funktionstüchtig ist und sich an ihn wenden. Ich verfüge über begrenzte Ermittlungsbefugnisse um zu prüfen ob sich die betreffende Person wirklich versehentlich in eine missliche Lage gebracht hat. Epanti kommen für diese Aufgabe nicht in Betracht darum muss ein Mensch diese Aufgabe übernehmen“, schließt Kalvan seine Erläuterungen.
Eugen nickt knapp. „Und wie würden Sie jemandem helfen der niemals einen Inhalator besessen hat?“ „Das ist in der Tat eine heikle Situation. Bei der Einweisung auf der Erde wird das Inhalat spezifisch für die jeweilige Person hergestellt und die Zusammensetzung im Zertifikat festgehalten. Damit könnte ich es leicht ein weiteres Mal herstellen, Ihnen einen Zweit-Inhalator zur Verfügung stellen und im Zertifikat einen entsprechenden Vermerk eintragen. Damit hätten Sie einen vollwertigen Ersatz. So gibt es leider keine Möglichkeit Ihre emotionale Mimik zu unterdrücken und der Abflugbereich des Raumhafens ist voll mit Epanti von denen Sie sich unbedingt fernhalten müssen.“
„Und was machen wir jetzt?“ fragt Eugen.
„Ich werde Ihnen einen Notfallinhalator geben der für den seltenen Fall eines defekten Zweitgeräts gedacht ist. Sollten Sie kontrolliert werden machen Sie sich damit schon mal nicht strafbar. Und wir können uns eine rechtliche Grauzone zu Nutze machen da er zwar funktionstüchtig sein muss, im Gegensatz zu den normalen Geräten aber kein auf Sie angepasstes Inhalat zu enthalten hat. Da nicht festgelegt ist was er enthalten muss lassen wir ihn einfach leer. So darf das Sicherheitspersonal Sie nicht festsetzen, sollten Sie kontrolliert werden.“ Kalvans Blick verdüstert sich kaum merklich. „Sie müssen mir aber versprechen sich auf direktem Wege zum Raumhafen zu begeben und ohne Umwege den Rückflug zur Erde anzutreten. Mit Sicherheit sind Sie den Behörden aus Mister McKinleys Bericht bekannt und werden Ausschau nach Ihnen halten. Wer weiß welche Vorwände sie finden um Sie vom Check-In weg zu bekommen. Die Grauzone gilt nur auf direktem Wege zum Raumhafen und im Check-In-Bereich. Verlassen Sie diesen Bereich ist das gleichzusetzen mit dem absichtlichen Aufhalten ohne Inhalator.
Stellen Sie sich also einfach an einem Check-In-Schalter an und verhalten Sie sich unauffällig, dann fallen Sie in der Menge nicht auf. Sobald Sie im Transporter sitzen haben Sie es geschafft.“ Kalvan legt die Hand an Eugens Oberarm und macht mit der anderen eine einladende Geste in Richtung der Sofas. „Aber vorher setzen wir uns einen Moment. Ich bringe uns Tee.“

Etwa zwei Stunden später steht Eugen in einer von mehreren Warteschlangen. Am Anfang jeder Warteschlange steht ein Check-In-Schalter mit je einem menschlichen Mitarbeiter dahinter.
Er sieht verstohlen zu den Wartenden zu seiner Linken, dann kurz zu den Wartenden nach rechts. Hauptsächlich sind es Epanti. Einzelne, Familien mit Kindern, Reisegruppen. Vor ihm entsteht eine Lücke als die Warteschlange einen Schritt näher an den Check-In herantritt. Eugen sieht auf die digitale Zeitanzeige über dem Gateway zum Transporter in Richtung Heimat während er aufschließt. Er atmet einmal durch als wolle er sich beruhigen. „Der Nächste bitte“, hört er die freundliche Stimme eines jungen Mannes sagen und die Frau vor ihm tritt an den Check-In heran. Einige Augenblicke verstreichen. Mit einem Mal sind Gespräche zu hören. Eugen sieht in die Richtung aus der die Geräusche stammen. In der Reihe rechts, einige Plätze hinter ihm, stehen zwei Sicherheitsbeamte die sich offensichtlich den Inhalator eines Reisenden zeigen lassen. Eugen dreht den Kopf ruckartig nach vorn und tastet unruhig nach dem Notfall-Inhalator in seiner Hosentasche. Er hält den Blick nach vorn gerichtet. Das Gespräch der Sicherheitsbeamten endet und fast zeitgleich beginnt ein weiteres Gespräch. Einige knapp verständliche Gesprächsfetzen dringen zu Eugen heran. „…Ihren Inhalator…“ und „…einen Tipp bekommen…“.
Eugen sieht erneut auf die digitale Zeitanzeige hinter dem Check-In und danach zu der Frau vor ihm.
Sie scheint mit dem Mann hinter dem Schalter in ein Streitgespräch verwickelt zu sein.
Er schließt die Augen und scheint in Gedanken einen Wunsch zu sprechen. „Mein Scanner sagt mir, dass Sie epantauische Objekte in Ihrem Koffer haben“ hört er den Mann sagen. „So ein Unsinn“ erwidert die Frau. „Prüfen Sie es nochmal.“ Ein Moment verstreicht. „Mein Scanner sagt immer noch, dass Sie etwas im Koffer haben das unter Exportkontrolle steht. Wenn Sie mich nicht vom Inhalt Ihres Koffers überzeugen lassen, darf ich Sie nicht durchlassen.“ „Ich habe nichts Verbotenes in meinem Koffer“ erwidert die Frau wütend. „Dann können Sie mich ja reinsehen lassen.“ „Das können Sie vergessen. Ich will mich beschweren“ poltert Sie schließlich. Der Mann hinter dem Schalter seufzt laut. „Wenn Sie darauf bestehen kann ich einen deutlich genaueren Scanner holen lassen.“ Er ergreift ein Funkgerät. „Tun Sie das.“ Eugen wirft einen flüchtigen Blick zu den Sicherheitsbeamten die in der Zwischenzeit einen Platz aufgeschlossen haben. Schließlich entfernt sich der Mann vom Check-In. „Ich muss den Scanner leider selbst holen. Bitte warten Sie solange hier.“ Die Beamten sind nun deutlicher zu verstehen. „Wir sind auf der Suche nach jemandem der keinen Inhalator bei sich trägt. Tragen Sie Ihren bei sich?“ Eugen atmet leise durch und sendet einen Blick zum Himmel. Dann lässt er seinen Blick langsam über die Wartenden zu seiner Linken schweifen und fixiert schließlich eine Stelle in der Schlange. Einer der menschlichen Fluggäste ist mit seinem Koffer so beschäftigt, dass er die Lücke vor sich noch nicht bemerkt hat. Eugen sieht kurz nach rechts in Richtung der Beamten die nur noch zwei Plätze hinter ihm sind. Dann sieht er wieder nach links und bemerkt erst jetzt den auf ihn gerichteten Blick eines Epanti-Kindes. Als sich ihre Blicke treffen fährt plötzlich ein Ruck durch das Kind, was die Aufmerksamkeit der Eltern erregt. Erschrocken sieht Eugen wieder nach vorn. „Verzeihen Sie bitte“ ist einer der Beamten deutlich zu hören. „Wir haben einen Tipp bekommen, dass heute jemand ausreisen möchte der sich ohne Inhalator auf Epantau aufhält. Zur Sicherheit prüfen wir die Inhalatoren der Reisenden. Kann ich Ihren bitte einmal sehen?“ „Hoffentlich erwischen Sie diesen Wahnsinnigen“ ist die Stimme des Fluggastes zu hören.
Schließlich kommt der junge Mann zu seinem Check-In-Schalter zurück und hat offensichtlich einen älteren Kollegen zur Unterstützung mitgebracht. Doch anstatt einer Lösung näher zu kommen spitzt sich der Streit weiter zu. Eugen sieht noch einmal zur linken Seite. Das Epanti-Kind deutet mit dem Finger auf ihn und flüstert seinem massigen Vater etwas ins Ohr. Er fixiert Eugen mit stierem Blick. „Guten Tag. Darf ich einmal bitte Ihren Inhalator sehen“ ist der Beamte nun direkt hinter Eugen zu vernehmen. Ohne weiteres Nachdenken macht Eugen einige schnelle Schritte in Richtung der anderen Schlange und stellt sich so unauffällig wie möglich vor den Fluggast mit dem Koffer.

„Was fällt Ihnen ein?“ beschwert dieser sich. „Bleiben Sie in Ihrer eigenen Schlange.“ Eugen geht mit eingezogenem Kopf wieder in seine Schlange zurück und läuft den beiden misstrauisch dreinblickenden Beamten in die Arme. „Guten Tag. Wir haben einen Tipp bekommen, dass sich jemand am Raumhafen aufhält der keinen Inhalator bei sich trägt. Darf ich Ihren Inhalator bitte einmal sehen?“ Eugen holt das Gerät hervor und hält ihn dem Beamten entgegen. „Das ist ein Notfall-Inhalator. Darf ich dann bitte noch Ihren Zweit-Inhalator sehen?“ Der Beamte tippt auf eine Schaltfläche an seinem Handgelenk worauf in der Luft ein schwebender holografischer Notizblock erscheint. Er sieht auf die Vorderseite, Eugen sieht auf die Rückseite. „Ich mache mir einige Notizen“ kommentiert der Beamte. „Das Hologramm zeigt für Sie was ich mir notiere. Wenn Sie sich durch den Inhalt meiner Notizen diskriminiert oder ungerecht behandelt fühlen sagen Sie Bescheid. Dann werde ich sie ändern falls dabei keine relevanten Informationen verloren gehen.“ Der Beamte tippt mit der anderen Hand auf eine für Eugen unsichtbare Tastatur woraufhin die Notizen Zeichen für Zeichen erkennbar werden. „Herr mit Notfall-Inhalator am Raumhafen aufgegriffen“ Nachdem Eugen die Zeile gelesen hat erwidert er: „Den habe ich nicht bei mir. Er ist defekt.“
Der Beamte tippt „Zweit-Inhalator nicht griffbereit“. „Dann möchte ich bitte einmal Ihren Ausweis sehen“ sagt der Beamte ruhig mit Blick auf das Hologramm. Eugen holt das Dokument aus der Jackentasche und reicht ihn dem Beamten der ihn entgegen nimmt, kurz darauf sieht und mit Blick auf das Hologramm erwidert: „Wo befindet sich Ihr Zweit-Inhalator im Moment, Herr Kazcinski?“ Der Beamte überträgt nebenbei einige Daten aus Eugens Ausweis auf seinen Notizblock. „Er liegt in meinem Hotelzimmer“ lügt Eugen schnell. Der Beamte sieht Eugen in die Augen. „Ich belehre Sie hiermit, dass Sie verpflichtet sind Ihren Zweit-Inhalator bei sich zu tragen, wenn Sie einen Notfall-Inhalator ausgehändigt bekommen haben. Nur so können wir feststellen ob das Gerät tatsächlich defekt ist.“ „Ich habe vergessen ihn mitzunehmen.“
„Mm“ macht der Beamte beiläufig und notiert: „Belehrung Mitführpflicht Zweit-Inhalator, liegt in Hotelzimmer“ Der zweite Beamte kommt hinzu. „Ich habe dem Schichtleiter Bescheid gesagt, er ist in fünf Minuten hier.“ Der erste Beamte fragt: „In welchem Hotel haben Sie übernachtet, Herr Kazcinski?“ Eugens hektischer Blick scheint auf der Uniform des Gesetzeshüters nach der Antwort zu suchen. „Herr Kazcinski. Wenn Sie mir jetzt ein Hotel nennen würden, würden wir den Inhalator dort finden?“ Eugen verneint die Frage mit der entsprechenden Kopfbewegung.
Der zweite Beamte dreht sich plötzlich zu jemand anderem um und sagt: „Hallo, Sie waren aber schnell hier.“ „Ich habe mit Herrn Kazcinski noch ein Hühnchen zu rupfen“ ist eine bekannte Stimme zu hören. „Hallo Herr Kazcinski. Gut, dass wir Sie noch angetroffen haben.“ Zum ersten Beamten gerichtet sagt Montgomery: „Lassen Sie mich raten. Herr Kazcinski hat einen Notfallinhalator, aber das Zweitgerät nicht dabei, stimmts?“
„Das stimmt.“ „Dachte ich mir doch, dass Kalvan wieder seinen Trick auspackt“ erwidert Montgomery. „Das Zweitgerät haben Sie mitzuführen, Herr Kazcinski. Wir gehen jetzt auf die Wache und nehmen den Fall auf. Folgen Sie uns bitte.“ Montgomery nickt den beiden Beamten zu und möchte gerade losgehen, als Eugen abrupt stehenbleibt und kleinlaut sagt: „Ich habe ein Notfallgerät. Ich muss Ihnen nicht folgen.“ Einer der Beamten schnalzt abfällig mit der Zunge. „Normalerweise hätten Sie Recht, Herr Kaczinski“ erwidert Montgomery mit überlegenem Lächeln. „Allerdings haben Sie gerade versucht die Behörden zu täuschen. Das gibt uns das Recht Ihre weiteren Aussagen auf der Wache aufzunehmen, wo wir ihre Aussagen schneller prüfen können.“
Als sich die Gruppe in Bewegung setzt folgt Eugen widerspruchslos und wirft einen letzten hilflosen Blick zum Check-In. Die Gruppe folgt der eingeschlagenen Richtung etwa zehn Meter, biegt dann mitten in der Halle wie einem stummen Kommando folgend scharf links ab und verschwindet schließlich in einem Durchgang der gerade breit genug für die vier Personen ist. Sie gelangen in einen geraden, schmucklosen Gang ohne Fenster. Sie folgen ihm einige Augenblicke bis zu einer Kreuzung in der sich Montgomery für den linken Abzweig entscheidet. „Warum müssen wir zur Wache gehen um den Fall aufzunehmen?“ fragt Eugen. „Sie wurden ohne funktionsfähigen Inhalator aufgegriffen. Das ist eine Straftat auf Epantau“ erwidert Montgomery kühl.
Eugen verlangsamt seinen Schritt und erwidert mit festerer Stimme: „Sie haben nicht geprüft ob mein Inhalator funktionstüchtig ist oder nicht.“ Montgomery sieht mit schiefem Lächeln zu Eugen ohne auf die Äußerung einzugehen. Schließlich nähern sie sich einer geschlossenen Tür am Ende des sichtbaren Ganges. Eine weitere mit dem Schriftzug „Wache“ versehene Tür tritt nun an der linken Wand in Erscheinung. Auch sie ist geschlossen. Die Gruppe kommt vor der Tür zum Stehen. „Danke für Ihre Hilfe, ich übernehme ab jetzt“ sagt Montgomery zu den beiden Beamten. Die beiden sehen ihren Schichtleiter einen Moment lang ratlos an, nicken und betreten die Wache aus der lautes Wutgeschrei zu hören ist. „Sie wollten mich doch auf die Wache bringen“ bringt Eugen stimmlos hervor. „Nein, das wäre keine gute Idee“ antwortet Montgomery und öffnet die andere Tür hinter der sich ein Büro anschließt. „Folgen Sie mir.“ Eugen geht in den Raum, bleibt dann aber unentschlossen stehen. „Ist das Ihr Büro?“ fragt er mit Blick auf den großen Schreibtisch. „Ja. Aber machen Sie es sich nicht zu gemütlich, wir bleiben nicht hier.“ Montgomery geht auf die gegenüberliegende Seite des Büros und öffnet eine weitere Tür aus der Eugen ein frischer Wind entgegenweht. „Schließen Sie die andere Tür, es zieht immer ein bisschen.“ Eugen schließt die erste Tür und nähert sich der zweiten soweit, dass er hindurchsehen kann. „Das sind ja die Check-Ins“ entfährt es ihm. Montgomery kann sein Schmunzeln nicht verbergen. „Natürlich. Was dachten Sie denn?“ „Ich dachte“ Eugen stockt kurz. „Der Substitor sagte Sie würden mich von den Check-Ins wegführen um meine Abreise zu verzögern.“ Mit seinen großväterlichen Gesichtszügen erwidert Montgomery: „Das habe ich auch getan, so wie es mir offiziell erlaubt ist. Ich habe mit Kalvan gesprochen, er hat mir alles erläutert.“ Er reicht Eugen die Hand. „Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Kazcinski.“ Er deutet mit dem Finger in die Richtung aus der sie gekommen waren. „Haben Sie das Geschrei eben gehört? Das ist derjenige der Ihren Platz eingenommen hat und sich auf Epantau ohne Inhalator aufhält.“ Er hebt kurz die Schultern und lässt sie wieder fallen. „Sie waren lediglich zur falschen Zeit am falschen Ort. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimreise.“ Montgomery lässt Eugens Hand los und verschwindet wieder in seinem Büro. Einige Augenblicke später wendet sich Eugen den Check-Ins zu und stellt sich an der kürzesten Warteschlange an.

 

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