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Er hatte in jeder Hand ein Bier. Ich hatte Blasenentzündung.
Er hatte in jeder Hand ein Bier. Ich hatte Blasenentzündung.
So bekommt jeder, was er verdient. Es ist eine dieser Familienfeiern im größeren Kreis. Mensch kennt das ja. All die Herren und Damen in gepflegter Anzugkombination, aber in Unterhosen. Also bildlich, das heißt, hast du schon gehört, Madame XY hat jetzt mit – ja, und der Alte von Nebenan kauft sich ein… In Unterhosen eben. Fragt nicht, was warum oder wie. Überhaupt glaube ich nicht, dass ich davon zu erzählen verstehe. Wenn du ne Blasenentzündung hast, beschäftigst du dich mit anderen Dingen. Toilettenausstattungen, hier: Schlicht, ganz in weiß. Wenn du den Wasserhahn ganz links aufdrehst, pfeifts im gesamten Rohrwerk. Pedantisch sauber, natürlich. Zwei Luftstromhandtrockner, oder wie das heißt, gebleichtes Toilettenpapier, Recyclinghandtücher. Wenn sie dich beim Hintern ham, denkst du nicht an die Umwelt.
Er sagt: „Hab dir´n Bier gebracht“. Wer bist du denn? Wer bist du denn. Ich denke lauter… schaue fragend. „Ja, wir kennen uns eigentlich noch gar nicht, aber du schienst mir das einzige wache Gesicht hier zu sein“. Kunststück. Ich petze ja auch die ganze Zeit meine… lassen wir das. „So, bin ich. Ja, ich bin.“ „Also, ich meine…“ So´n Studi Öko Typ. Kaputte Jeans, Kordsakko, schulterlanges Haar, nen Ring in der Nase. „… wie auch immer, setzen wir uns?“ Ich hab keine Ahnung. Tun wir. Naja, schlimmer kann´s hier nicht werden. Überhaupt, mit so ner, naja, da dauern Gespräche nie länger als fünfundzwanzig Minuten. Ich muss mal. Bis gleich. Flusch, weg mit dem Mist in die kanalisierte Ewigkeit. Erleichterung, neue Zeiteinheit. Was sagtest du eben?
Smalltalk: Schönes Essen heute. Ja, aber so warm. Hätt´ ich dem gar nicht zugetraut. Hast du schon das Wetter gesehen? Nein, ich pflege das Wetter stets erst nach dem Abend zu loben. Tick tack tick. 22 Minuten. Wir sitzen an einem Ecktisch. Mensch, der gefällt sich, so was spür ich. N´ Intellektueller. Die sterben nie aus. Warum ich das weiß? Also bitte. Frisch gewaschenen Haare, im „natürlich, grad aus dem Bett, und meine Frisur interessiert mich nen Dreck Look“, dann so´n revolutionärer Dreieinhalbtagebart, und einer von diesen tiefsinnigen Buttons auf dem Revers. Irgendwer greift von hinten an nen Strickcode. Sieht aus wie zwei Scheißflecken auf nem Zebrastreifen. Der stutzt sich den Bart wahrscheinlich jeden Morgen genau so zurecht. An der Wand krabbelt ne Fliege. So´n Eintagsmücklein. Kein schlechtes Leben. Nen Tag lang das aufsammeln, was du grad aufm Boden findest, wenn du nicht weg willst, bleibst de wo du bist, und das war’s dann. Schöner Tag. Also, wenn da nicht grad ne Blasenentzündung… „Hier, ich hab dir´n Bier mitgebracht“. Vorsicht, repeat. Wer hat dich eigentlich gefragt. Ich kann mir Bier besorgen, wenn ich Bier will. Jetzt will ich Bier. Aber dann find ich mich gleich schon wieder in der Hocke über ner Keramikschüssel. Echt, dem Menschen fallen in so rasender Geschwindigkeit immer absurdere Arten ein, seine Notdurft zu verrichten, dass er dran schneller aussterben wird, als an nem Atomkrieg, oder an Völlerei und Hungersnot und so. Nein, das widerspricht sich nicht. „Ich dachte, so erträgt sich´s hier leichter“ Klar, sich betrinken iss immer ein Ausweg. Ich würd ja auch gern, aber. Na gut, ich erklärs ihm: „Ich trinke heute nichts“. Wie war das mit der Toilette? Genau, immer absurder. Also, statt einfach irgendwo ein Loch zu graben, hat mensch irgendwann ne Hütte in die Landschaft gestellt. „Warum“, fragt er. Na weil ich… Alarm, Alarm, Intimbeichte voraus. Geht den nix an. Deshalb: „Ich muss auf meinen Konsum Acht geben“. Da fragt keiner weiter. So´n Alkoholproblem gehört zum guten Ton. Ne Hütte in der Landschaft. Immer so weit wie möglich weg von der Wohnung. Wegen dem Geruch. Klar, wenn du so´n riesen Loch gräbst, dass du´s nich mehr zuschütten kannst, dünstet´s irgendwann. Aber schon mal drüber nachgedacht, dass sich nachts auf dem Weg dorthin mit Sicherheit öfter ma einer auf die Nase legt? Eben. Jetzt hängen sie den Männern schon Schüsseln unter den… aber dafür steht ne Strafe aufs in die Büsche Pinkeln. Lasst denen doch die letzten Bastionen. Was erzählt der grad? Ob ich nächsten Sonntag wählen gehe. „Klar, warum nicht?“. Irgendwas über Wahlboykott. Und dass ausgesuchte Herrscher immer noch Herrscher währen, und das stünde schon bei Hegel. Interessiert mich wenig. Ausgesuchte Schuhe sind immer noch Schuhe, und dass muss mir nicht irgend so ne MTV Labertasche erklären. „Bin Demokrat“ „Außerdem wählst du ja nicht wirklich, sondern kriegst da von oben was vorgesetzt. In Deutschland geht alles abwärts, sogar die Demokratie“. Deutschland? Ist das hier? Hab mir noch keine Gedanken trüber gemacht. Aber was ich richtig eklig finde, dass sind Löffel. Also, Löffel, die noch auf dem Tisch rum liegen, und es ist noch so´n Rest Marmelade dran, und dann stell ich mir vor, wie die langsam dort verfault, und nach ein paar Tagen hat sich ne weiße Kruste gebildet. Fällt mir nur grad auf, die Mücke von vorhin… Von Vorhin? Du bist mir eine. Woran erkennst´en die wieder. Seh´n doch alle gleich aus, tun das gleiche, reden das Gleiche. Naja, Menschenkenntnis. Also, die Mücke von vorhin hat am Nebentisch so einen entdeckt. Lecker. Aus Mückensicht. „Und ein Prozess von unten nach oben, also, wo jede Stimmer zählt, und alle mit allen und für alle“ Er hat das erste Bier mittlerweile zur Hälfte alle. Beim Sprechen kriegt mensch hier schnelle ne trockene Kehle. Muss an der Luft liegen. „Und alle alle alle…“ So isses bei uns zu Hause auch. Mein Vater hat dann das letzte Wort, der schreit am lautesten. Wer hat eigentlich festgelegt, dass das letzte Wort auch das richtige ist? Egal. „Hast ja eigentlich recht“, sag ich, „so gedanklich“. Mensch, ich wär zu faul zum recht haben. Und zu taktvoll, was immer da heißt. Verdammt, es fängt schon wieder an zu drücken. 16 Minuten. Da ging die Zeit ja mal schnell vorbei. War ja auch eigentlich ganz interessant. Das Mücken so ein spannendes Leben haben… Achja, ich geh trotzdem wählen. Es kommt sonntags nichts Gutes im Fernsehen.
„ Sag mal, bist du so überhaupt nicht politisch?“ Bist du politisch. Was ne Frage. Bist du naturwissenschaftlich? Bist du sozialpädagogisch? Bist du politisch. Mut zur Lücke. An sich ganz amüsant… Was antwortet mensch da? Ich bin ne Frau, Depp, mein ganzes Leben iss Politikum! Ich darf halt leider nicht mitreden. Kann mensch „politisch“ sein. Muss ich bei Gelegenheit mal nachschlagen. Kennt ihr das PONS Handwörterbuch? Riesenteil, Din A3, glaub ich, und bestimmt 10Kilo schwer. Steht alles drin. Nur nicht was Handwörterbuch heißt… ist wohl selbsterklärend. Ich schau mir die Leute am Buffet genauer an. Die steh´n da in einer Reihe, alle Trauertracht, also schwarz. Trotten schritt für Schritt vorwärts, einer nach dem andern. Trauertracht? Kann nicht sein… was feiern wir hier eigentlich? Egal. Zumindest warten sie alle Geduldig, und wagen gar nicht zu drängeln. Wenn ihr an der Reihe seid, rafft ihr den Teller so voll wies nur geht. Manche ham zwei Teller dabei, andere bunkern. Stehn immer parat, wenn frisch aufgetragen wird. Am Nebentisch ham jetzt drei Mücken ein Stelldichein auf diesem Löffel. Bah. Achja, immer tuscheln sie, unterhalten sich über die Beute, oder machen aus, dass der dem dieses dorthin mitbringt. Arbeitsteilung. Der andere hat ja sein Bier schon fast lehr. „Wie kann ich denn nicht politisch sein?“, frage ich. 13 Minuten. Dass mensch so viel schneller denkt als redet. In seinem Gesicht geht die Sonne auf. Scheint wohl durchs, ja, da schräg hinter meinem Rücken, durchs Fenster. Dass die schon so niedrig steht. Spät? 12 Minuten „Nein, mensch kann nicht nicht politisch sein. Politisch zu sein ist überhaupt die Voraussetzung des menschlichen Selbstverständnisses. Die Freiheit eines Menschen definiert sich, wie du sicher weißt…“ Freiheit. So wie der sein Bier abkippt, bin ich echt versucht… verdammt, der Druck nimmt zu. Ein bisschen halt ich´s noch. „Also ich bin radikalphilosophisch, mit einer gewissen Affinität zum handlungsorientierten linken Spektrum, da dieses am ehesten zu fühlen scheint, was ich denke“. Sag ich doch. N´ intellektueller Studie Öko. Revoluzzer. Mensch kann vielleicht nicht nicht politisch sein, aber er darf er sich denn nicht kurz fassen? Also, langsam muss ich echt. Zisch… Jetzt macht der schon das zweite Bier auf. War das nicht für mich bestimmt? Boah, der hat mitgedacht. Egal. Gluckgluck Ich kann´s noch halten, aber bitte lass die Provokation bleiben. „Soso, radikalphilantropisch“. Schade, das kam wohl nicht so ernsthaft rüber, wie es sollte. Davon lässt der sich jetzt nicht beeindrucken. Wo sind eigentlich die Mücken hin? Mittlerweile hat er sich warm gequatscht. Hab ich zu lustig gewirkt? Anregend. Hmm. Mundaufmundzu, n´ Wasserfall. Passt mir ja grad gar nicht. Rein physisch. Achja, so Typen ham immer ne „Theorie“… hab ja nix vor, mal reinhören. Tape an: „Ich denke, ohne eine entsprechende Grundlage…“ Hey, da drüben. Zwei von denen Paaren sich grade über meinem rechten Ohr. Ich hab nämlich meine Mücken wieder gefunden. „Also einer Grundlage, die so simple und selbst-evident ist, dass sie das moralische Wertesystem überhaupt…“ Wo ist die Mutetaste? Da.
Also, über meinem rechten Ohr, sozusagen, also, so richtig toll aus der Nähe zu beobachten. Den Kopf in den Nacken gelegt, und dann einfach seitlich fallen lässt, ohne Anstrengung, dort an der Wand, er fällt übrigens immer nach rechts, da sind zwei von den Viechern ineinander verkeilt. Ham anscheinend was Anstößiges praktiziert, naja, Mücken. Sie war übrigens braun und aus Backstein, die Wand, mit diesen Naturfugen, natürlich mit naturfarbenem Bindemittel gefugt. Mit diesen winzigen Poren. Also, ineinander verkeilt, eine Kleine und eine Große. Ton an: „…Von dieser Grundlage…“ Grundlagen: zementierte oder hölzerne Fundamente, Gesprächsgrundlagen, Anlagen nach Abzug der Auslagen. Beziehungsgrundlagen: Liebe, Treue, Sicherheit… Quatsch. Verschwiegenheit. „…entwickeln. Ich berufe mich dabei auf Hobbes…“ Die fressen sich! Ungeheuerlich. Und das nach dem Mittagessen. Wie bitte? Genau: Also, die vögeln nicht, die Fliegen, sondern die Große, die frisst die Kleine! Wie bitte, Fliegen machen so was nicht? Na, sag das den Fliegen. Das wär mir ja die ganze Marmelade nicht wert. Also, einfach so und auch noch am hellen Tag. Aufgefressen. „… und dass, mit dem empirisch entwickelten Sinn der Vernunft also die Erkenntnis erwacht, dass die gewaltsame Dominanz…“ BlaBlaBla, so ein Kannibalismus, aber der bleibt da ganz ruhig und nimmt die Menschenwürde Hobbes. „und das Gesetz als à priori konservativstes Element menschlicher Regulierung…“ Oder so. Grundlagen: Hoffe der hat gut vorgesorgt, wie der beim Reden das Bier runter stürzt. Jetzt putzt sich die Größere. Ich wasche meine Hände in Unschuld. „… erkennt die Vernunft, dass das Bedürfnis nach Leben an sich staatsfeindlich…“ Beim ist die Show vorbei. Häh? Staatsfeindlich? Der redet ununterbrochen. Tschuldigung, ich… „ist es schließlich nicht zu erklären warum dies noch nicht…“ „Tschuldigung…“ Ich zuck mal mit den Schultern. Kopf hoch… Hey, da hängt ja´n Ventilator. Tolle Sache, den ganzen Tag im Kreis drehen, und dabei weder Schwindel noch Reue. Erinnert mich woran. „… Die Pragmatik muss sich daher fragen…“ Ich wollt´s ja hören. „Tschuldigung, ich…“ „… es ist also abzuwägen…“ …konnte nicht folgen. Egal. Summsummsumm. Ein silberner Ventilator also. Zu Hause hatten wir einen Aus Holz. Wenn ich die Geschwindigkeit des Blickes der Drehung anpasse, kann ich die Details der Flügel ganz klar erkennen. Kinderexperiment. Wie auch immer. „…Und eine am philosophischen Überbau orientierte Zielsetzung formulieren.“ Er ist fertig. Puh, die Luft steht ja hier. Ist Kreislauf überhaupt Bewegung?
Wie er da sitzt. Breite Beine, die Hand im Schoß. Sir Che-Bundy. Jetzt leert er die Flasche in einem Zug. Naja, so viel war nicht mehr drin. Er grinst selbstgefällig. Ich hab keine Ahnung, was er eigentlich wollte, also ab „Philosophisch radikal“. Auf rotem Backstein klebt ein verlassenes Ektoskellet. So heißt das bei Insekten. Der Lauf der Natur. „Hast du mich verstanden?“ Nee, kein Stück. Aber wenn ich mein Skelett außen tragen würde… Nee, immer die Erinnerung: Bald isses vorbei, und dann bleibt nur noch das hier übrig. Toll. Ob ich verstanden hab? HarndrangHarndrangHarndrang! Also: „Klar doch, eindrucksvoll“. Er, zufrieden: „Ja, die meisten Politischen denken nicht wirklich über die Rechtfertigung ihrer Forderungen nach“. Politische. Lassen wir das. Aber: Mannomann was so ein Mann nicht alles Tolles denken kann. Ja, passt wie die Faust aufs Auge. Er rutscht noch´n Stück den sitz runter, ob… nee. Andererseits, Klischees schreien ja nach Klischees. Ich mein, ob der im Bett auch so, also, ausdauernd und monoton… Wär das so schlimm? Mensch hat ja sowieso zu viel Freizeit. Schluss damit, manchmal denkst du, als legt´s dir jemand in den Mund. Lieber weg, ehe das noch schlimmer wird. Ja, manchmal schäm ich mich für meine Gedanken. Absurd. Zum glück hab ich heut nen Ausweg aus festgefahrenen Situationen. „Mensch, ich muss mal. Das Bier meldet sich“. Na, das kam unerwartet. Er strafft sich im Sitz. „Wart nicht auf mich, ich glaub, meine alten Herren rüsten eh grad zum gehen. Was soll´s, ich schließ mich an. Mensch braucht Rückzugsräume Ich erwähn das nur so. Tabula Rasa machen. Swusch. Neue Zeiteinheit. Woll´n ja jetzt nicht stänkern, weil er „Schluss gemacht“ hat.
Wir gehen zum Haupteingang, den Flur runter. Unsre Wege trennen sich, wie die Symbole es verlangen. Blasenentzündung; Zwei Bier. Ich denke: So ist schließlich auch alles gerecht verteilt.