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Er Schläft (überarbeitet)
Sie liegt neben ihm. Haut an Haut. Ihr Arm auf seiner Hüfte. Sie lächelt ihn an. Er schläft. Das monotone Ticken der Uhr begleitet Atemzüge, lässt Stille zerfließen.
Ihre Finger gehen auf die Reise. Berühren seinen Hals, gleiten am Rippenbogen entlang, streicheln über seinen Bauch. Blaue Augen, die ihn ansehen, träumend, verliebt und weit entfernt. Haut, die so weich ist, dass es schmerzt, sie zu berühren.
"Ich liebe dich", sagt sie und küsst seine Stirn. Sie deckt ihn zu.
"Damit du nicht frierst."
Nackt schleicht sie durch das Zimmer, das von kalten Schatten erfüllt ist. Sie zieht die Vorhänge auf. Dahinter: Morgen, tanzende Lichter, Wärme. Sonnenstrahlen tasten über Wände und Boden, verfangen sich im Halbdunkel und ziehen sich wieder zurück.
Er schläft.
Sie öffnet das Fenster. Wind flieht in Vorhänge und spielt mit ihrem Haar. Wolken ziehen wie Schatten vorüber. Roter Himmel wird blau.
Sie läuft zurück zum Bett. Betrachtet ihn, wie er liegt. Schlafender Engel, denkt sie und streicht über die Bettdecke. Mit einer fließenden Bewegung gleitet sie neben ihn, schweigend, träumend. Schmiegt sich an ihn. Wiegt sich im Takt lautloser Musik. Sie beginnt zu summen, leise, kaum hörbar.
Ihre Hände suchen seine und finden. "Ich liebe, liebe, liebe dich." Keine Antwort. Nur Schweigen. Schweigen das im Raum liegt, wie die ungesagten Dinge, die sie mit sich trägt.
Sie bettet ihren Kopf auf seine Brust, behutsam, um ihn nicht zu wecken. Draußen zwitschern Vögel, raschelt Laub. Drinnen entgleiten Realitäten, verschwimmen Bilder, verblassen Träume; werden Erinnerungen, zur Gegenwart.
Sein Gesicht wirkt zerbrechlich. Das Sonnenlicht zeichnet Schattenspiele auf seine Haut. Mit Fingerspitzen zeichnet sie die Konturen nach, haucht warmen Atem und heiße Küsse, auf seinen
Körper.
"Du lässt mich nicht allein, wie die anderen! Nein, du nicht!" Tränen glitzern in ihren Augen, bahnen sich ihren Weg in die Freiheit und tropfen auf seine Haut. Tränen, von denen sie nicht weiß, warum sie sie weint. Ihre Zunge zeichnet die feuchte, salzige Spur nach; und er schläft.
Auf der Straße beginnt das Leben, lärmen die Kinder. Noch einmal steht sie auf, schließt das Fenster, sperrt die Welt aus. Niemand soll stören.
Stille im Zimmer. „Gut so, damit er nicht aufwacht.“ Wieder legt sie sich zu ihm, zieht die Bettdecke bis unter das Kinn. Ein Mantel aus Frieden und scheinbarem Glück. Er schläft.
Sie blickt ihn an. Er sieht aus wie verzaubert. Märchen. Schneewittchen.
Schatten unter seinen Augen. Ihr Atem auf seiner Haut.Traumverloren, jenseits der Wirklichkeit. Hinter dem Fenster kehrt Ruhe ein. Aus Blau wird Schwarz. Auf Tag folgt Nacht.
Sie flüstert ihm Liebe ins Ohr. Er schläft.
Ihr Herzschlag und das Ticken der Uhr - die einzigen Geräusche. "Nein, du gehst nicht weg! Du bleibst bei mir!" Es ist kein Wunsch, den sie äußert, keine Frage, die sie stellt.
Sie kuschelt sich an ihn, haucht ihm einen Kuss auf die Lippen. Keine Reaktion.
Mondschein fällt durch das Fenster. Licht so kalt wie das Zimmer. Sie zittert. Er schläft.
"Du lässt mich nicht allein!" Sie streichelt seinen Arm, zerzaust sein blondes Haar, berührt seine Stirn.
Draußen schreit eine Katze. Fliehende Nachtschatten. Stumme Berührungen. Dann schläft auch sie.
„Aufwachen! Auf-wa-chen.“ Sanft rüttelt sie an seiner Schulter. „Nun wach doch auf! Du kannst doch nicht immer nur schlafen. Du schläfst jetzt schon seit zwei Ta…
Kalte Haut, blaue Lippen, Schweigen, Schlaf …
Und plötzlich bahnen sich die Erinnerungen ihren Weg zurück ins Bewusstsein, zerbricht der unsichtbare Schutzwall, wie eine Glasscheibe unter dem Fausthieb eines Titanen. Die Realität
kehrt zurück, übergangslos, grausam, wie ein nie enden wollender Albtraum.
Sie hatten sich gestritten über etwas völlig belangloses. Dann hatten sie sich geliebt, aus der reinen Unfähigkeit heraus, in Worte zu fassen, was ihnen leidtat. Sie lagen nebeneinander, zwischen ihnen diese Mauer aus ungesagten Dingen. Und dann hatte er einfach aufgehört zu atmen. Sein Herz hatte nicht mehr geschlagen. Einfach so, ohne Grund, ohne Vorwarnung. Sie war in Panik geraten, wusste nicht, was sie tun sollte. Ihr Bewusstsein hatte den einzigen Weg gewählt, der möglich war: Verdrängung.
Doch jetzt waren die Bilder wieder da und mit ihnen diese Leere, die Angst und der Schmerz. Sie stand aus dem Bett auf, lief ins Badezimmer, öffnete den Medikamentenschrank. Mit Tränen in den Augen, nahm sie eine Packung Rohypnol heraus. Sie wankte ins Wohnzimmer, goss Whiskey randvoll in ein Glas, gab die ganze Packung Schlaftabletten hinein und leerte es in einem Zug aus.
Sie ließ ihren Blick durch die Wohnung schweifen. Hörte sein Lachen, sah seine Augen. Erinnerungen, die weit entfernt schienen und dennoch so stark waren, dass sie sie kaum ertragen konnte.
Dann lief sie zurück ins Schlafzimmer. Kraftlos ließ sie sich auf das Bett sinken. Der Alkohol entfaltete bereits seine Wirkung.
„Bald bin ich bei dir.“ Sie legte sich neben ihn. Ihre Hand auf seinen Bauch, den Kopf auf die Brust. Und während draußen, die Sonne einen Weg durch den Nebel fand, begannen drinnen die Farben des Lebens zu verblassen.
„Wie Romeo und Julia“, dachte sie. Für einen kurzen Moment erschrak sie, fand zurück in die Realität, versuchte den Sinn dieses Gedanken zu ergründen. Doch es war bereits zu spät.