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Erben bedeutet Sterben
Er stand schon eine ganze Weile an der Bushaltestelle und blickte in die Nacht hinaus. Er wusste, dass er beobachtet wurde. Doch er traute sich nicht sich umzudrehen. Schritte näherten sich von hinten und ein Schauder lief ihm den Rücken hinunter. Eine Hand legte sich auf seine rechte Schulter und drehte ihn zu sich um.
„Alex ?“ Alex riss sich los und floh. Eine weitere Gestalt trat aus dem Schatten. Er wollte ihm nachsetzen, doch der Mann hielt ihn fest : „Lass ihn doch laufen, Sub. Der kommt nicht weit!“
NewYork,Manhattan, Labor des FBI 25 April 21: 19 Uhr
Shannon Travers trat die Flügeltüren des Labors mit dem linken Fuß auf und ging zu ihren Kollegen Alan Miller. „Ich hoffe Sie haben schon etwas rausgefunden, Alan. Mich jetzt noch hierher zu rufen. Ich habe seit zwei Stunden Feierabend und …“
„Ich habe etwas herausgefunden.“ ,unterbrach Alan sie ohne Umschweife. „Der Mann ist keine 24 Stunden tot, ist ca. 25 Jahre alt und der Hautfarbe nach zu urteilen, wahrscheinlich indischer Herkunft. Richtig identifizieren konnte ich ihn noch nicht, doch ich habe heraus gefunden, dass er Taxifahrer war. Außerdem hat er sehr viel Wasser in der Lunge und im Magen, so lässt sich schließen, dass er ertrunken ist.“
„Wo hat man ihn gefunden?“, fragte Shannon. Alan kritzelte kurz etwas in die Akte, bevor er antwortete: „Er trieb im Meer.“ Shannon sah ihn überrascht an.
„Im Meer?“
„Na ja, um genau zu sein im Hafenbecken.“,sagte Alan und reichte ihr einen Kartenausschnitt von New York mit der Fundort der Leiche. „Ein Fischer, namens Subman, glaube ich, hatte ihn im Netz.“ Nachdenklich betrachtete Shannon das Bild mit dem Fundort der Leiche.
„Könnte es sein, dass er im Netz gestorben ist?“, murmelte sie. Alan strich sich über die Haare und nahm einen kleinen Stapel Blätter in die Hand. „Nein, definitiv nicht.“, sagte er und blätterte darin herum. „Das sind die Ergebnisse aus dem Labor. Dr. Mirror hat sie mir gleich vor zwei Stunden gegeben. Das Wasser in seiner Lunge und im Magen entspricht nicht Meerwasser. Mirror und ich haben da Spuren von Chlor gefunden. Und er hat Druckstellen an den Handgelenken und an den Füßen, die möglicherweise von Stricken stammen könnten.“
„Aber er hatte keine.“, sagte Shannon. Alan machte auf einem Blatt ein paar Häkchen und nickte. „Haben Sie schon den Fischer vernommen?“ Alan nickte wieder. „Und, was hat er gesagt ?“
„Seinen Namen, Alter und Adresse.“ ,antwortete Alan und zuckte mit den Schultern. „Aber sonst, nicht sehr viel.“
Rückblende:
New York,Manhattan, Vernehmungsraum des FBI 25 April 9:33 Uhr
Der Mann starrte stumm vor sich hin, als Alan den Raum betrat. Obwohl seine Kollegen schon mit moderner Technik arbeiteten, hing Alan immernoch an seinem alten Diktiergerät. Er nahm das Diktiergerät, stellte es auf den Tisch und drückte auf den roten Knopf.
„Guten Tag.“, sagte Alan freundlich. „Fangen wir einfach mal an, okay?“ Der Fischer holte einmal tief Luft und nickte.
„Ähm, Ihr Name.“
„Oh ja. Natürlich. Submin, Ben Submin.“
„In Ordnung. Sie brauchen wirklich nicht nervös zu sein. Ihr Alter und Adresse, bitte.“
„ 53 und ich wohne in der Chambers Street 12.“
„Wie haben Sie die Leiche denn gefunden?“
Mr. Submin runzelte nachdenklich die Stirn. „Na ja, als ich mein Netz einholte, hing sie da drin.“
„War die Leiche da schon in diesem Zustand?“, fragte Alan und gab Mr. Submin ein Foto der Leiche. „Ja,“, sagte dieser und schob das Bild etwas angewidert zurück. „Ich habe nichts verändert.“
Alan steckte das Bild in seine Hemdtasche.
„Was glauben Sie ist geschehen?“
„Keine Ahnung. Ich nehme an, es war ein Badeunfall. Aber ich glaube, ich kenne den Typen. Er ist der Freund von John Denzel, ein Englischlehrer für Emigranten.“
Alan horchte auf: „Woher wissen Sie das?“
Mr. Submin bekam weiße Flecke im Gesicht.
„Nun...im meinem Beruf, lernt man halt viele Leute kennen.“ Alan sah ihn skeptisch an. „Aha; Kennen Sie seinen Namen?“
Etwas schnell sagte er: „Nein! Woher denn auch? Ich meine…“
Submin wurde auf einmal unruhig, so als wäre ihm etwas eingefallen. „Nettes Diktiergerät.“,sagte er und deutete auf das Diktiergerät, das neben Alan lag. „Darf ich es mir mal anschauen?“, fragte er. Ohne Alans Antwort abzuwarten, zog er das kleine Gerät zu sich rüber. Er betrachtete es neugierig und hielt es vor seinen Augen. Plötzlich glitt es ihm aus der Hand. Es knallte auf den Boden und bekam einen kleinen Riss. Alan hob es auf. Mr. Submin wurde weiß. Alan setzte sich wieder gerade auf seinen Stuhl und fuhr sich übers kurze Haar. „Beruhigen Sie sich Mr. Submin, es ist ja nichts kaputt gegangen. Also, vielen Dank für Ihre Informationen und Mitarbeit.“
„Na.“, sagte Mr. Submin, plötzlich schnippisch. „ so ein Glück. Dann werde ich ja nicht mehr gebraucht und kann nach Hause, oder?“ Sie standen auf, gaben sich die Hand und gingen gemeinsam hinaus auf den Flur. Dort verabschiedeten sie sich. Alan legte erschöpft das Diktiergerät auf Shanonns Schreibtisch.
NewYork,Manhattan, Büro des FBI 25 April 21:47 Uhr
Shannon hielt eine Thermosflasche in der Hand und setzte sich müde hinter ihren Schreibtisch. Dann nahm sie sich eine Tasse und schenkte sich etwas Kaffee ein. Schließlich starrte sie auf den Schreibtisch. „Alan.“, sagte sie. „Sind Sie sicher, dass Sie das Diktiergerät hier auf meinen Schreibtisch gelegt haben?“ Alan sah sie verwundert an. „Ja, das weiß ich noch genau. Danach bin dann gleich mit meinem Auto nach Hause gefahren, weil ich wegen unseres letzten Falles 36 Stunden Schlafentzug hatte.“
„Nun, dann müssen Sie sich getäuscht haben.“, meinte Shannon und zeigte auf ihren Schreibtisch. „Hier ist nichts.“ Sofort ging Alan um den Schreibtisch herum und deutete neben ein Stapel Dokumente. „Da habe ich es hingelegt.“ , sagte er bestimmt. Shannon hob eine Augenbraue. „Sicher ?“
„Ganz sicher.“ Alan verschränkte beleidigt die Arme. „Es hat hier gelegen.“ Shannon wusste nicht was sie sagen sollte und beschloss es auf sich beruhen zu lassen. Sie lehnte sich zurück und seufzte: „Aber es ist nicht mehr da. Wie sagten Sie, hieß er?“ Alan überlegte. „Ich glaube, Mr. Submin.“
Er und Shannon gingen in den Überwachungsraum, um sich die Videoaufzeichnung des Vernehmungsraumes anzusehen. Nachdem Shannon es sich angesehen hatte, überlegte sie.
„Also, wenn Sie mich fragen;“ , sagte sie schließlich. „War dieser Mann ganz schön nervös. Außerdem fand ich es ziemlich merkwürdig, wie Sie sich verabschiedet haben. Er schien aus irgendeinen Grund sauer gewesen zu sein...oder vielleicht enttäuscht.“
„Weswegen ?“, fragte Alan. „Dürfte ich an Ihren Gedankenblitz teilhaben?“
Shannon setzte sich auf. „Mir kommt es nicht, wie ein Versehen vor, als er den Diktierer fallen ließ. Er wollte, dass es auf den Boden kaputt ging, um…ich weiß nicht. Damit man ihm nichts nachweisen könnte, vielleicht.“ Alan runzelte die Stirn. „Was sollte er gesagt haben, dass ihm Schwierigkeiten bereiten soll?“, fragte er. „Das ist eine gute Theorie, aber sie ergibt keinen Sinn.“ Doch Shannon war sich da nicht so sicher, trotzdem wechselte sie das Thema: „Sie haben trotzdem viel heraus gefunden. Gute Arbeit. Aber ich glaube, wir sollten morgen weiter machen.“ Alan strich sich übers Haar und sagte schnell: „Ach ja, wegen morgen. Das hätte ich fast vergessen. Wir sollten mal im Sprachinstitut anrufen, um uns dort nach diesem Mr. Denzel zu erkundigen." Shannon nickte.
New York,Manhattan, Büro des FBI 26 April 10:01 Uhr
„Guten Morgen!“, rief Alan fröhlich quer durch den Raum. „Hallo, Alan.“, begrüßte ihn Shannon verwundert. „Warum so gute Laune, heute?“ Alan schlenderte grinsend zu ihr herüber und hielt ihr einen Schlüssel entgegen.
„Nein!“,rief Shannon und nahm ihn in die Hand.
„Doch. Gestern Abend noch gekauft. Ein ausländischer Sportwagen. Ich glaube aus Britannien.“ Vergnügt ließ Alan den Autoschlüssel in seine Hosentasche gleiten. Shannon seufzte. Jungs und ihre Autos. Sie schüttelte den Kopf, drehte sich um und nahm ihre schwarze Tasche.
„Was machen Sie da ?“, fragte Alan. Shannon strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Na, wir gehen jetzt Mr. Denzel an. Ich habe schon im Sprachinstitut Rennert Bilingual angerufen. Die haben mir seine Nummer gegeben und ich habe ein Termin ausgemacht."
„Ah, Excusez-moi. Mr. Denzel?”, sagte Shannon mit französischen Akzent. Mr. Denzel lächelte ihr zu. „Nun, Sie wollen bei mir Unterricht haben, nicht wahr?“
„Nein.” ,sagte Shannon. „Ich bin Shannon Travers, FBI, und das ist mein Partner Alan Miller.” Beide holten ihre Dienstmarken hervor und zeigten sie. Mr. Denzel sah sie überrascht an: „Habe ich mir etwas zu Schulden kommen lassen?”
„Nein!”, erwiderte Alan. „Verzeihen Sie, dass wir am Telefon gesagt haben, dass wir bei ihnen Unterricht haben wollten, aber wir wussten, dass Sie uns niemals Auskunft am Telefon gegeben hätten, ohne unsere Dienstmarken zu sehen.” Mr. Denzel nickte. „Da haben Sie wohl recht...was genau wollen Sie jetzt von mir?” Alan holte das Foto des Verstorbenen aus der Hemdtasche hervor und zeigte es ihm. Mr. Denzel verzog das Gesicht, dann starrte er wie gebannt auf das Gesicht. „Kennen Sie diesen Mann?”, fragte Shannon.
„Und ob ich den kenne! Ich bin zu seiner Beerdigung eingeladen! Er war einer meiner Schüler und einer meiner besten Freunde. Herr Gott, was hat man mit ihm gemacht?!”
„Das versuchen wir ja herauszufinden.”, sagte Shannon. „Wie hieß er? Und wo wohnte er?”
„Er heißt Alexander Shirin. Ist 27 Jahre alt, arbeitete als Büroangestellter bei Klyde & Riteman. Am 25. bzw. 24. April ertrank er mit schweren Veletzungen und Blutergüssen in der Bucht und wurde um viertel nach Acht von einem Fischer gefunden.“ Alan schüttelte den Kopf. „Da fehlt was. Welcher Mensch geht mit all seinen Sachen schwimmen, geschweige denn so weit draußen.“
Shannon nickte, als eine Frau mit Blättern auf sie zukam. „Das ist alles, was ich von Mr. Shirin ausgraben konnte. Es gibt keine Hinweise darauf, dass er Selbstmord begehen wollte.“
Shannon nickte ihr zu. „Danke Dr. Mirror.“ Dr. Mirror drehte sich um und verschwand durch die Tür.
Shannon blätterte eine Weile in den Dokumenten herum. Schließlich sagte sie: „Er hatte bis vor kurzem nur zwei Verwandte: Sein Vater, ein reicher Geschäftsmann in Saudi-Arabien und seine Schwester, die ebenfalls hier wohnt. Sein Vater ist kürzlich gestorben und hat ihm seinen ganzen Konzern vermacht. Am 23. April hat Alex davon erfahren, am 25. hatte er seinen freien Tag gehabt und am 26. sollte das Testament offenkundlich werden.“ Alan horchte auf. „Und die Schwester erbt jetzt den gesamten Konzern, nicht wahr?“
„Ja, aber erst nach der Beerdigung.“
Shannon sah auf den Seziertisch auf den Alex´ Leiche, unter einem Tuch verborgen, lag. „Wir sollten auch hingehen.“, sagte sie bestimmt.
Alan richtete sich auf. „Das geht nicht.“, sagte er entschlossen.
„Warum nicht?“, fragte Shannon neugierig.
„Ich habe eine Verabredung.“, sagte er. Ungerührt erwiderte sie: „Sagen Sie sie ab. Selbst wenn es die Queen wäre!“
New York,Manhattan, Delancy Friedhof 27 April 15:48 Uhr
Der Himmel war bewölkt. Sehr viele waren nicht gekommen. Shannon und Alan standen vor Alex´ Sarg, der langsam hinunter gelassen wurde. Der muslimische Geistliche sprach noch seine letzten Worte des Totengebetes.
Shannon stieß Alan an. „Ich habe alle Gäste hier unter die Lupe genommen. Da drüben stehen drei Kollegen von ihm. Da hinten ist Mr. Denzel. Das Ehepaar, hier vorne, sind sehr alte Freunde seiner Familie. Nun raten Sie doch mal, wer hier fehlt.“ Alan brauchte nicht lange zu überlegen. „Hatte Mr. Shirin nicht noch eine Schwester, die hier wohnen soll?“ Shannon nickte. „Bingo!“
Auf dem Weg zur Schwester, fragte Shannon: „Was ist mit Ihnen los? Sie schweigen doch sonst nicht.“ Alan sah sie wütend an. „Ivi hat mit mir Schluss gemacht! Sie sagte, mit so einem unzuverlässigen Kerl wie mir, wolle sie nicht zusammen sein. Drei Mal musste ich schon absagen und jedes mal wegen einer bestimmten Frau! Und das war jetzt das Vierte und letzte Mal, denn jetzt will sie nichts mehr von mir hören. Und daran sind nur Sie schuld!“
„Aber, Alan“ ,meinte Shannon. „So ein Barflittchen finden Sie doch an jeder Ecke.“
„Sie war kein Barflittchen!“, schrie Alan. Shannon zuckte nur mit den Schultern und wandte sich der Familienakte von Alex zu.
„Vielleicht hätten wir uns vorher doch ankündigen sollen.“, meinte Alan, als er in die Lincoln Avenue reinfuhr. „Welche Hausnummer, noch mal?“
„21.“ Shannon blätterte in der Akte herum. Alan saß am Steuer und sah sich jedes Nummernschild genau an, bis er vor einer großen Villa stehen blieb, die einem Palast glich. Beide stiegen aus. „Na, der Schwester scheint es an nichts zu fehlen.“, meinte Alan. „Sollen wir klingeln?“
„Nein.“, sagte Shannon. „Wir treten die Tür ein und fragen sie einfach.“
„Sehr witzig!“, meinte Alan und ging durch das Gartentor auf die Haustür zu. Er zögerte, bevor er auf den Klingelknopf drückte. Eine kleine nervige Melodie ertönte, doch sonst blieb alles ruhig. Alan versuchte es nochmal. Dann hörten sie eine Stimme rufen: „Warten Sie! Ich komme gleich.“ Wenig später öffnete eine kleine rundliche Frau die Tür. Doch bevor sie etwas sagen konnte, ertönte schon eine andere Stimme: "Carla, wer ist da?" Eine junge Frau kam an die Tür. Sie hatte ihr schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug ein leichtes Sommerkleid. In Großem und Ganzen machte sie keinen Eindruck, als ob sie um irgendjemanden trauern würde. Shannon und Alan sahen sich an. „Ja, bitte. Was kann ich für Sie tun?“, fragte sie freundlich und lächelte. „Ja, guten Tag.“, sagte Shannon. „Ich bin Shannon Travers vom FBI. Und das ist mein Partner Alan…“
„Miller.“, unterbrach Alan sie und reichte der Frau die Hand. „Sehr erfreut.“ Die Frau machte ein bekümmertes Gesicht. „Ich kann mir schon vorstellen, warum Sie gekommen sind. Mein Bruder war ein ehrlicher und netter Mensch.“
„Wir haben einige Fragen an Sie." ,sagte Shannon. „Dürfen wir rein?“
„Aber natürlich!“
„Also. Ihr Name ist Fatima Parker.“, fragte Alan und holte einen Stift und ein Stück Papier aus seiner Tasche. Fatima nickte.
„Ähm, dann…“
„Wieso sind Sie nicht zur Beerdigung Ihres Bruders erschienen?“, schnitt Shannon ihm das Wort ab. Fatima machte große Augen, dann senkte sie traurig den Blick. „Ich habe meinen Bruder sehr geliebt. Ich hätte es nicht ertragen, zuzusehen, wie er in einem Sarg vergraben wird.“ Sie fing an zu schluchzen. „Zuerst mein Mann, dann Vater und jetzt auch noch das!“ Fatima legte das Gesicht in die Hände und weinte. Alan kramte ein Taschentuch aus seiner Hemdtasche hervor und reichte es ihr. Dabei fiel das Foto der Leiche auf den Tisch. Fatima heulte auf und nahm dankbar das Taschentuch an. Nervös steckte Alan das Foto wieder ein und strich sich durchs Haar. „Ich habe einen Transporter auf der anderen Straßenseite gesehen. Bauen Sie um?“,fragte Shannon, ungerührt von Fatimas Tränen. Sie schüttelte den Kopf. „Nein. Seit mein Mann gestorben ist, habe ich nicht viel verändert. Ich habe einen Poolschaden und habe den Klempner gerufen. Er hat mir einen Zeitraum von 15 bis 17 Uhr gegeben. Daher konnte ich nicht mehr weg.“ Shannon zögerte, irgendetwas passte nicht. „Was haben Sie am 25 April gemacht? Wo waren Sie?“ Verblüfft sah Fatima Shannon an, dann sah sie Alan an. „Na, ich war hier. Aber Sie glauben doch nicht, dass ich mit dem Mord meines Bruders zu tun habe!“ Diesmal stutzte auch Alan. „Wieso Mord?Es könnte doch auch ein Badeunfall gewesen sein.“
Jetzt lachte Fatima auf. „Oh, Agent Miller. Mein Bruder war, man könnte sagen: Wasserscheu. Er kam nur mit Wasser in Kontakt, wenn er duschte oder es regnete. Noch dazu, soll er samt seinen Anziehsachen baden gegangen sein?“ Fatima schnäuzte noch einmal ausgiebig. „Wollen Sie vielleicht etwas trinken? Ich habe noch frischgepressten Orangesaft.“ Shannon lächelte. „Ja, bitte.“
Fatima nahm eine kleine silberne Glocke und klingelte. Ein junger Mann betrat das Zimmer. Er war groß und hager, aber kräftig. Er lächelte nicht, während er ihnen den Saft servierte. Danach verneigte er sich leicht und ging hinaus. „Das war Jason West. Er arbeitet noch nicht lange hier. Seit etwa 2 Jahren, vielleicht.“
„Aha.“ Alan nippte am Glas. Es schmeckte wirklich hervorragend. „Was war denn mit ihrem Mann? Woran ist er gestorben?“ Fatima seufzte. „Mein Mann hat geraucht, obwohl ich ihn dauernd gebeten habe dass er endlich aufhörte. Wissen Sie, er hatte Krebs. Ich selbst rauche nicht.“
Alan nickte. Auch seine Mutter war an einer schwerwiegenden Krankheit gestorben.
Alan wurde aus seinen Gedanken gerissen, als es an der Terrasentür klopfte, dort stand der Klempner und hielt triumphierend etwas in die Höhe, es war eine Uhr.
Fatima stand auf und öffnete ihm die Tür. Shannon und Alan folgten ihr. „Ich habe das Problem gefunden, Mam. Diese Uhr hat die Filteranlage verklemmt. Daher das Chlorproblem. Also dann. Ich mach mich dannmal auf den Weg. Wir werden Ihnen die Rechnung in den nächsten Tagen zukommen lassen.“ Er gab Fatima die Digitaluhr, nickte Shannon und Alan kurz zu und verschwand. „Wem gehört diese Uhr?“, fragte Shannon. Fatima schüttelte nachdenklich den Kopf. „Ich weiß nicht. Ich kenne sie nicht.“ Alan nahm die Uhr in die Hand. „Wow.“, sagte er. „Die ist aus der neuen Kollektion von Seiko!“
Fatima lächelte ihm aufreizend zu. „Wenn sie Ihnen gefällt, dürfen Sie sie gern mitnehmen.“
„Ist das Ihr Ernst?“, fragte Alan unsicher und strich sich übers Haar.Fatima nickte. „Wow, also ich meine…danke!“
Shannon beugte sich vor und betrachtete die Uhr kritisch. „Die ist ja stehen geblieben.“
„Macht nichts!“, meinte Alan schnell. „Ich lasse eine neue Batterie einbauen.“
Shannon sah genervt auf die große Standuhr an der Wand.
„Das wärs dann auch schon mit unseren Fragen. Auf Wiedersehen.“
Shannon betrachtete Alans neue Uhr, während er einen Stapel Dokumente von seinem, allzu kleinem, Schreibtisch räumte. Doch dann stuzte sie. „Alan, schauen Sie sich das an. Wann, sagten Sie, könnte Alex gestorben sein?“
„25 April, ungefähr 1:00 Uhr.“, sagte Alan wie aus der Pistole geschossen. Shannon hob die Uhr in die Höhe. „Kommen Sie her. Sehen Sie!“ Alan trat um den Schreibtisch herum und betrachtete den Display der Uhr. Er nahm sie in die Hand und zuckte die Schultern. „Ich sehe nichts. Sie geht immer noch nicht.“
Shannon seufzte. „Ich gebe Ihnen fünf Minuten. Währendessen gehe ich mir einen Kaffee holen und wenn ich wiederkomme, dann will ich eine Antwort von Ihnen hören.“
Alan sah sie genervt an. „Ist ja schon gut.“ Er hielt sich die Uhr vor die Nase. Shannon verdrehte die Augen. „Also schön, ich gebe Ihnen einen Tipp: Das Datum.“
Alans Augen weiteten sich, als er das Datum bemerkte. „25 April.“, murmelte er. „ Und 1:22 Uhr. In der Nacht muss Alex gestorben sein. Hey, da sind kleine Buchstaben eingraviert, ich dachte zuerst, das wären Kerben...A.S.!“ Die Beiden sahen sich an. „Ich denke, wir sollten nochmal zu Mrs. Parker. Los, Alan. Schmeißen Sie den Wagen an.“, sagte Shannon.
„Jetzt?“, fragte Alan überrascht.
„Jetzt!“
„Aber ich habe eine Verabredung.“ Shannon zog eine Augenbraue hoch. „Schon wieder? Etwa mit Ivi?“
„Nein, mit meiner Katze. Und der kann ich wohl kaum das Essen verweigern.“
„Nein. Wir machen einfach einen kleinen Abstecher zu Ihnen nach Hause und fahren dann zu Mrs. Parker.“ Alan seufzte und zog seinen Autoschlüssel aus der Hosentasche. Das wird wieder eine lange Nacht werden.
Alan bog in die East 34th ein. Die einzelnen Straßenlaternen gaben nur spärliches Licht auf die Straße und es brannte nicht viel Licht in den kleinen Wohnungen. Shannon machte das Radio an. Es liefen Schlager aus den Achtzigern.
Plötzlich ertönte ein Schuss und etwas kleines, silbernes flog durchs Fenster. Das Fenster zebarst und Alan und Shannon duckten sich automatisch. Mehrere Schüsse fielen, bis die gesamten vorderen Fenster nur noch aus Splittern bestanden. Beide holten ebenfalls ihre Schusswaffen hervor. Shannon lugte über das Amaturenbrett, ein weiterer Schuss verfehlte sie knapp. „Er ist hinter der Mülltonne.“, sagte sie. „Rechts.“ Alan stöhnte auf. „Verdammt!“
„Was ist denn los?“, fragte Shannon. „Meine Waffe ist nicht geladen.“, flüsterte Alan und steckte die nutzlose Waffe wieder ein. „Shannon, tun Sie mir ein Gefallen? Sollte ich bei diesem Einsatz ums Leben kommen, kümmern Sie sich dann um Miss Wilson?“
„Ja, ich würde mich um ihre Katze kümmern. Aber noch leben Sie. Ich werde jetzt versuchen mit diesem Kerl zu reden.“ Sie nickten sich zu und Shannon stieg mit erhobener Waffe aus.
„Wir wissen, dass Sie hinter der Mülltonne sind! Kommen Sie mit erhobenen Händen hervor. Wir werden Ihnen nichts tun, wenn Sie sich ergeben!“
Eine schwarzgekleidete Gestalt rannte auf einen 20 Meter entfernt geparkten Wagen zu. Er stieg ein und fuhr davon. Shannon sprang auf den Fahrersitz und, bevor Alan reagieren konnte, fuhr sie dem Wagen hinterher. Auf der Kreuzung bog sie plötzlich nach rechts ab. Alan sah sie entsetzt an. „Was machen Sie da? Das ist eine Einbahnstraße!“
„Das ist eine Abkürzung.“, sagte Shannon ruhig. Sie raste durch die Straße, bis eine Mauer vor ihnen auftauchte. „Na toll!“, meinte Alan, doch Shannon wendete nach links und preschte durch ein Gittertor. „Mein Wagen!“, jammerte Alan.
Shannon drückte auf den Knopf, der die Seitenspiegel automatisch einfährt. Dann fuhr sie durch die schmale Gasse, die gerade noch 10 cm zu beiden Türen ließ.
„Nur ein Kratzer…“, drohte Alan. „Und ich…“ Seine letzten Worte gingen unter, als Shannon mit quitschenden Reifen in die Lincoln Avenue einbog. „Was wollen wir denn hier?“, fragte Alan.
„Na, zu Mrs. Parker.“
„Aber—“
„Nichts aber! Um den Mistkerl, der Ihren Wagen ramponiert hat, kümmern wir uns später.“
Alan sah nach vorne. „Oder wie wäre es mit jetzt?“
Tatsächlich. In der Einfahrt zu Mrs. Parkers Grundstück stand der Wagen. Shannon hielt hinter der hohen Hecke, die das gesamte Grundstück umgab. Leise stiegen die beiden aus und näherten sich im Schutz der Rhododendronbüsche dem Haus. Unmittelbar unter dem Küchenfenster hielten sie inne und lauschten. Sie hörten laute Stimmen.
„Bist du denn verrückt, Jason! Die werden dich verfolgen und hierher kommen. Und dann fliegt alles auf und ich werde Vaters Vermögen doch nicht erben. Ich muss die Schulden, die mir Albert mit seiner Spielsucht hinterlassen hat, doch irgendwie begleichen! Da hat es sich ja nicht gelohnt ihn umzubringen!“
„Das hättest du dir früher überlegen müssen, Fatima. Ich will in Mexiko ein neues Leben beginnen.“
Es waren Mrs. Parker und ihr Diener Jason West. Shannon schreckte auf. Sie drehte sich um und sah das faltige Gesicht von Mr. Submin. Sie sah den Baseballschläger nicht kommen und alles wurde schwarz…
New York,Manhattan, St. Anna Hospital 29 April 10:23 Uhr
Shannon schlug die Augen auf. Sie lag im Bett in einem weißen Zimmer. Ihr Kopf dröhnte und sie wagte es nicht ihn zu bewegen. Alan saß mit geschientem Arm am Fußende ihres Bettes und blickte gerade von seinem Buch über ägyptische Hyroglyphen auf. Er lächelte ihr zu. „Endlich aufgewacht?“
„Wo bin ich?“, fragte Shannon schwach. „Na, im Krankenhaus.“, erwiderte Alan. Sofort setzte sich Shannon auf. „Was?“, rief sie. „Aber das geht doch nicht!“ Ein heißer Schmerz durchlief ihr den Nacken hinunter. Alan kam auf sie zu und legte ihr beruhigend die Hände auf die Schultern.
„Ich habe die saubere Mrs. Parker und ihren heimlichen Geliebten verhaftet. Es ist alles in Ordnung.“ Shannon sah ihn nur verständnislos an. Dann zeigte sie auf Alans Arm. „Erzählen Sie mir erst, wie Sie dazu gekommen sind.“ Alan lächelte gequält und fuhr sich übers Haar. „Jason West hatte immer noch seine Pistole. Dummerweise hatte ich vergessen, dass meine nicht geladen war. Und du konntest mir nicht helfen. Ich wurde angeschossen und das Pärchen türmte mit ihrem Wagen. Ich musste ihnen mit meinem Auto hinterher! Meine Sitzbezüge sind total blutverschmiert! Natürlich habe ich davor deine Schusswaffe mitgenommen. Also: Ich habe sie am Flughafen gefunden und den Sicherheitsdienst gerufen. Die Beiden gestanden nicht nur den Mord an Alex, sondern auch den an Albert Parker. Er starb nicht an seinem Lungenkrebs. Diese Schlange hat ihm eine ganz spezielle Pina Colada gegeben. Mit einer Dosis Zyankali drin. Und Alex haben sie einfach in ihrem Pool ertränkt. Doch eine Frage bleibt offen.“, Alan sah Shannon gespannt an. „Wer, um Gottes Namen, hat Sie niedergeschlagen und so heftig, dass Sie zwei Tage k.o. waren.“
Shannon rieb sich den Kopf. „Submin…“, murmelte sie. Alan horchte auf. „Submin?“, fragte er nach. „Er hat sich seit dem Verhör selbst beurlaubt.“ Shannon knirschte mit den Zähnen und stand mit einem Ruck auf. „Den bringe ich um!“, sagte sie. „Haben Sie für mich etwas zum Anziehen?“ Alan grinste sie an.
Shannon hob ihre Pistole. „Das Spiel ist aus, Submin!“, rief sie. „Wenn Sie rauskommen, breche ich Ihnen nur den rechten Arm!“ Auf dem Kutter rührte sich nichts. Shannon lief darauf zu. „Oder den Linken!“ Alan folgte ihr und murmelte: „Oder die Beine.“
In der Kajüte war niemand. Wütend schlug Shannon auf den Tisch. Ein kleines silbernes Gerät fiel mit einem Knall auf den Holzboden. „Mein Diktiergerät.“, sagte Alan überflüssigerweise.
„Und nicht nur das.“, meinte Shannon und kramte aufgeschnittene Stricke aus einer nur halbgeschlossenen Schublade hervor. „Scheint so, als habe er die Fessel der Leiche aufgeschnitten, obwohl er meinte, er habe nichts verändert.“
„Harte Beweise. Mrs. Parker und Mr. West haben ihn gedeckt.“,sagte Alan. „Aber mit Ihrer Aussage wird ihn nichts mehr retten.“ Triumphierend hielt Shannon die Stricke in die Höhe.
New York,Manhattan, Büro des FBI 29 April 13:15 Uhr
Shannon und Alan saßen allein im Büro. „Wie lange müssen Sie den Verband noch tragen?“, fragte Shannon und deutete auf Alans Arm.
„Nur noch drei Tage.“, antwortete Alan. „Zum Glück hat Jason keine scharfe Munition benutzt.“ Shannon nickte und drehte die Funkanlage lauter auf. „An alle weiteren Einheiten: Die Bankräuber, die wir gefasst haben, bekamen Hilfe zur Flucht. Unsere Reifen wurden zerschossen. Sie fliehen in einem dunkelroten Mercedes mit dem Kennzeichen New York, 1W59. Ich wiederhole: Dunkelroter Mercedes, Kennzeichen New York, 1W59. Sie fahren in die Franklin Street.“ Die Beiden sahen sich an. „Franklin Street.”, sagte Shannon. “Ist nicht weit von hier.“
„Oh nein! Das war ein richtig harter Fall.“, meinte Alan. „Wir haben uns Urlaub verdient und keine weitere Verfolgungsjagd. Mein Auto war schon in der Werkstatt.“
Shannon nickte zustimmend und setzte sich.
New York,Manhattan, Franklin Street 5 Minuten später
Ein schwarzer ausländischer Sportwagen raste die Straßen entlang, bis zur Kreuzung. „Sehen Sie einen dunkelroten Mercedes?“, fragte Shannon.
„Eine Menge.“, erwiderte Alan und nahm sein Fernglas, um die Kennzeichen zu kontrollieren. Plötzlich rief er: „Da sind sie!“ Er zeigte auf die andere Seite der Kreuzung, wo der Mercedes wegfuhr. Shannon sah Alan an. „Ich kenne eine Abkürzung.“ Alan krallte sich, wohin es ging und flüsterte: „Oh Gott…“
Shannon grinste, legte den Hebel um und drehte das Lenkrad nach links.