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Erfahrung mit dem Tod
Etwas riss mich aus meinem tiefen, seelenruhigen Schlaf. Auf meinem Rücken richteten sich die kleinen Härchen auf, die man sonst nur im rechten Licht erkennen mag. Ich öffnete mit einiger Mühe mein rechtes Auge, zum Blinzeln genötigt durch eine grelle Lichtflut die mir ins Gesicht strahlte. Jemand stand dicht neben meinem Bett. Seine knochigen alten Hände waren zerknittert wie Papier, und als ich wieder die Fassung gewann und mich umdrehte, bemerkte ich die hervortretenden Adern an seinem Körper, der nur durch ein pechschwarzes Gewand geschützt zu sein schien. Er röchelte ein paar Worte auf lateinisch und winkte mich herbei- aus mir unerfindlichen Gründen wollte er, dass ich ihm folgte. Um seine Schultern hingen Eisenketten die bis zum Boden reichten. Auf dem Weg zur Küche blieb er mehrmals stehen und nahm tief Luft; die Zeit hatte ihm deutlich zugesetzt. Er lief dicht neben mir. Heilige Scheiße, dachte ich mir. Sei mein Gefolgsmann, flüsterte er; seine Stimme war dunkel und schien von einem leisen Echo begleitet, als würde sie aus weiter Entfernung stammen. Als wäre seine Lunge ein Tunnelsystem. Seine Bronchien mussten einiges mitgemacht haben. In der Mitte der Küche, neben dem Kühlschrank und dem Esstisch, befahl er mir, mich niederzuknien. Was hatte ich auch erwartet; früher oder später wäre er ohnehin zu mir rübergekommen. Wahrscheinlich bevorzugte er diejenigen, denen die Möglichkeit auf ein erfülltes Dasein von Geburt an verwehrt war; deren Scheitern ontologischer Natur war. Die Sorte Mensch, die mit dreißig Jahren noch keine Eigentumswohnung besitzt. Keine Familie. Keinen Hund. Nicht einmal ein Exemplar dieser herrlichen Frühstückstoaster, die in die Toasts deinen Namen einbrennen oder mit Mustern verzierte Lebensweisheiten. Glaube an dich und du kannst alles erreichen- die Schublade von Schwachsinn eben. Unser Zusammentreffen ist verfrüht eingetroffen, ich nahm an, der Tod stehe in letzter Zeit unter Termindruck. Wie Väter, die zwar an den Geburtstag ihres Sohnes denken, aber genau an besagtem Tag ein wichtiges Meeting haben. Um ihr Gewissen zu entlasten überweisen sie dir fünfzig Dollar und wünschen dir alles Gute. Die Sache mit der Sterblichkeit der Menschen ist so ungefähr dasselbe. Ich schloss die Augen; presste sie mit aller Gewalt zusammen, in der Hoffnung, dieser Vorgang würde die Gewissheit meiner letzten Atemzüge erträglicher machen, doch ich wartete vergebens: Er hatte die nackten Beine übereinander geschlagen, lehnte mit zufriedenem Gesichtsausdruck gegen die Anrichte und hielt eine Dose Bier in der Hand. Seine Beine waren voller schwarzer Haarstoppeln. Ich versuchte mir vorzustellen, wie er wohl in roten Pumps aussehen würde. Gedanken schossen mir wie Blitze durch den Kopf; wie Mäuse, die einen Ausgang suchten. Ich offenbarte meine Existenz dem endgültigen, personifizierten Vollstrecker der Verdammnis, wartete tapfer auf mein Ableben- und dieser Drecksack versüßte sich die Wartezeit mit einer kühlen Dose Bier, und sein liebenswertes, wohlwollendes Lächeln brachte mich fast zum kotzen. Du Idiot, brüllte ich ihn an, bereite meinem Leben ein angemessenes Ende. Begrabt mich in Würde. Gedenkt mir wöchentlich mit einer Gieskanne in der Hand, die ihr den langen steinernen Weg die Friedhofswege entlang mitschleppt auch wenn im Sonntagsprogramm die Weltmeisterschaften in vollem Gange sind und live übertragen werden.
Im ersten Augenblick wollte ich es nicht wahrhaben, aber es war bereits zu spät, die Tränen auf meinen Wangen wegzuwischen. Nimm dir den Tod nicht zu Herzen, sagte der Tod. Er warf mir eine Dose Bier vor die Füße und prostete mir mit belehrtem Blick zu. Du selbstgefälliges Arschloch, schrie ich, mach deinen Job gründlich oder verpiss dich aus meinem Haus.
Meine anfängliche Resignation schlug um in Protest; ich griff nach der Dose und schleuderte sie in Richtung Tod. Das merkwürdige daran war, dass ich ihn mitten im Gesicht getroffen hatte; die Dose jedoch weder abprallte und auf den Kacheln landete, noch auseinander platzte. Nach dieser Aktion wurde mir bewusst, dass ich, um mir selbst einen Abgang in Ehren zu sichern, die Angelegenheit als nichtig behandeln und keine weiteren Emotionsausbrüche mehr zulassen dürfte. Ich richtete meinen Körper auf, und trat einen Schritt näher heran. Eine leichte Entzückung durchfuhr mich, als ich bemerkte, dass ich gut zwanzig Zentimeter größer und bestimmt doppelt so schwer sein musste wie er. Ein Ring aus Feuer tat sich um uns auf; es durchbrach den Boden und die Wände. Hitze, dachte ich. Die Gardinen brannten wie Zunder, und meine Couchgarnitur machte es ihnen gleich. Ein ohrenbetäubender Knall durchfuhr das gesamte Haus, Türen rissen aus ihren Angeln heraus, Hunde aus der Nachbarschaft kläfften wie abgestochen- als der Tod im Erdboden versank. Ohne mir die Ehre seiner weiteren Gegenwart Teil werden zu lassen. Am nächsten Morgen sinnierte ich bei Spiegelei und Kaffee über die nächtlichen Ereignisse nach. Irgendetwas sagte mir, dass ich die Gelegenheit hätte nutzen sollen und diesem absurden Zufall, der die Tatsache begründete, um neun Uhr morgens in der Regel bereits die erste Schachtel Zigaretten geraucht zu haben, ein Ende zu setzen. Ich zuckte die Schultern.
Im städtischen Tierheim hatten sie heute Tag der offenen Tür, und in meinem Geldbeutel musste noch etwas Kleingeld sein.