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Erinnerungen einer Mörderin
Sie wollen also wissen, ob ich es bereue. Komisch, das haben doch schon so viele gefragt. Die Antwort ist doch immer dieselbe. Das Einzige, das ich bereue, ist, dass ich so dumm war, mich erwischen zu lassen! Die Tat? Nein, die nicht! Warum? Sie wollen wissen warum?! Das kann ich Ihnen gerne sagen. Alles fing mit Mary an … Damals vor Jahren, als die Welt noch in Ordnung war …
Bei dem Gedanken an Mary wird mir schlecht. Als sie in unser Dorf kam, war alles vorbei. Die Tänze mit Ian, die bewundernden Blicke der Jungen, alles was mir wichtig gewesen war. Nun hieß es nur noch Mary, Mary, Mary. Auf einmal war sie der kleine Liebling aller. Dieses kleine blonde Porzellanpüppchen mit den großen Kulleraugen. An meinen Schatz hat sie sich rangemacht! 100 andere Jungen hätte sie zur Verfügung gehabt. Waren doch alle verrückt nach ihr. Aber nein, nein, nein, nein, nein, sie musste der Ex-Dorfschönheit alles wegnehmen. Auch den Mann. Es reichte nicht mehr, die besten Kleider, den teuersten Schmuck und die meisten Freundinnen zu haben. Sie wollte alles haben! Auch ihn.
Irgendwann bin ich dann weggegangen. Wollte die Welt sehen, konnte nicht mehr jeden Tag in ihre verliebten Gesichter blicken. Hat aber nicht ganz so geklappt wie ich mir das vorgestellt hatte. Nein, ich werde Ihnen nicht sagen, wo ich gelandet bin und was genau geschehen ist. Will nicht daran denken. Außerdem ist es nicht wichtig.
Wichtig ist nur, dass mir dann, in New York, eines Tages beim Einkaufen Mary über den Weg lief. In Markenklamotten, mit gefärbtem Haar und manikürten Nägeln. Aber immer noch die gleiche Mary, die mir den einzigen Jungen weggenommen hatte, den ich jemals geliebt hatte. Sie hat mich erkannt und zum Essen eingeladen. Sie wolle unbedingt wissen, wie es mir in den letzten Jahren so gegangen war, sagte sie. Als ob ihr das ein abschätzender Blick auf meine Kleidung nicht verraten hätte. Engelchen wollte etwas Gutes tun. Anscheinend hat sie wirklich geglaubt, ich bräuchte ihre Hilfe. Gott, wie war mir das peinlich! Ich werde noch heute rot, wenn ich bloß daran denke. Na ja, diese Einladung war auch der letzte Fehler, den sie machte…
Bei ihr zu Hause kam gleich der nächste Schock. Sie war nicht nur mit Ian verheiratet, sie hatten auch noch Kinder! Drei hässliche Gören, die dauernd um einen rumhüpften. Und sie sind ihm auf den Schoß gekrabbelt und er hat gegrinst wie blöde. Früher hat er immer so betont, dass er nie Kinder haben will. Nie! Am liebsten wäre ich wieder gegangen. Einfach nur weggerannt. Aber das hatte ich ja schon mal gemacht und Wiederholungen sind nichts für mich. Ich blieb. Lächelte über ihre Witze, lobte das Essen, plauderte über das Wetter. Tat, als würde ich ihre angeekelten Blicke nicht bemerken, die vor allem an meinem Ausschnitt hängen blieben. Danach bin ich öfter gekommen und schließlich hab ich Mary mal ein bisschen Zyankali in ihren Nachmittagstee geschüttet. Ging leichter, als ich dachte. Sie hat noch ein bisschen gehustet und dann war Ruhe. Die Leiche hab ich in die Nachbarswohnung getragen. Die waren im Urlaub und Mary hat die Blumen gegossen. Deswegen hatte sie den Schlüssel. Dann bin ich heim. Ian war nicht da, er wusste Gott sei dank nicht mal, dass ich gekommen war. Irgendwie haben die Bullen mich dann erwischt. Pech. Dann hab ich den Prozess verloren. Doppelpech. Egal, who cares?! Wo ich das Gift herhab?! Sag ich Ihnen ganz bestimmt nicht. Da wäre ich ja schön blöd. Wie spät ist es eigentlich? Ich lenke nicht vom Thema ab, ich will das wirklich wissen. Was?! So spät schon?! Dann hab ich ja nicht mehr lange Zeit. Ich werde gleich abgeholt. Aber wissen Sie, ich mochte es noch nie, wenn jemand über mich bestimmt. Und deswegen werde ich diejenige sein, die über mein Lebensende entscheidet. Nicht irgendein blöder Richter, oder diese unfähigen Geschworenen. Nur ich. Woher ich die Kapseln hab? Na ja, wozu hat man schließlich Freundinnen. Ich soll nicht draufbeißen?! Und warum nicht?! Um wie viel würde das mein Leben verlängern? Eine halbe Stunde? Danke, ich ziehe es vor, so zu sterben. Bye, Dockie, vielleicht sehen wir uns wieder … IN DER HÖLLE!