Erinnerungen
Heiße Luft strömte durch das geöffnete Seitenfenster des tiefer gelegten Golfs.
Das Auto lag geschmeidig auf der Straße wie eine pirschende Raubkatze.
Wäre die Musik aus dem Inneren des Wagens nicht ohrenbetäubend laut, würde man das tief gurgelnde Dröhnen des großen Auspuffs hören.
Schweiß tropfte von Marcus Stirn, als er die kaum befahrene Landstraße entlang raste.
Die Luft von draußen sorgte nicht wirklich für eine Abkühlung, was bei vermeintlichen vierunddreißig Grad auch kein Wunder war. Im Wagen selbst war die Temperatur noch einmal um zehn Grad höher. Der Asphalt auf der Straße glänzte in der Sonne wie eine Speckschwarte und man hatte den Eindruck, dass es sich nur noch um Minuten handeln würde, bis der heiße Boden das Gummi der Reifen zum Schmelzen bringen würde.
Marcus wischte sich mit seinem nackten Unterarm über die Stirn, während die andere Hand das vor Geschwindigkeit zitternde Lenkrad locker hielt.
Diese Strecke war er schon etliche Male gefahren.
Heute sollte es das letzte Mal sein. Er hatte sich von Anne getrennt. Endgültig.
Nach neun Monaten Beziehung war es für ihn eine Erleichterung gewesen, endlich den Schlussstrich zu ziehen. Unter eine Partnerschaft, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen war.
Als er Anne vor zehn Monaten das erste Mal begegnet war, hatte ihm ihre Schönheit fast den Atem geraubt.
Sie saß mit einer Freundin an einem Tisch des Cafés, das er an diesem Tag nach einem Vorstellungsgespräch in Köln besuchte. Zunächst hatte er sie nicht bemerkt, aber nachdem er seine Bestellung abgegeben hatte und sich dann zurücklehnte und umsah, fiel sie ihm in die Augen wie eine Erscheinung.
Ihr engelblondes Haar umspielte ihre feinen Gesichtszüge, als wäre sie direkt aus einem Modemagazin entsprungen. Als sie später aufstand, um die Toilette auszusuchen, sah er, dass ihre Figur genauso perfekt erschien. Nichts war an ihr zu viel und nichts zu wenig.
Ihr Rock, der knapp über den Knien endete, entblößte zwei ewig lange, wohlgeformte Beine.
Die gut proportionierte Oberweite wippte einladend bei jedem Schritt, den sie tat. Eigentlich schwebte sie mehr als sie lief, bildete er sich ein.
Als sie lachte, schimmerten ihre strahlend weißen Zähne wie aus einer Zahnpastawerbung.
Nachdem er sie entdeckt hatte, konnte er seinen Blick nicht mehr von ihr lassen.
Sie saß drei Tische entfernt und bemerkte ihn zunächst nicht, da sie in ein Gespräch mit ihrer Freundin vertieft war, der Markus keine weitere Beachtung schenkte. Leider waren die Stimmen der Nachbartische so laut, dass er kein Wort verstehen konnte.
Er musste sie kennen lernen. Dieser Gedanke kreiste in seinem Kopf, während der Kellner sein Essen brachte.
Er nahm zwei Gabeln von seinen Nudeln, die sicher köstlich waren, aber er schmeckte es nicht.
Nervös schob er den Teller zur Seite und überlegte fieberhaft, wie er sie am besten ansprechen konnte. Er hatte schon immer ein gesundes Selbstbewusstsein gehabt, was sich durch seinen Erfolg bei den Frauen abzeichnete. Er hatte bisher nur ein einziges Mal einen Korb bekommen und das auch nur, weil diese Frau verheiratet gewesen war und offensichtlich strenge moralische Grundsätze befolgte.
Seiner Meinung nach sah er sehr gut aus mit seinen kurz geschnittenen, dunklen Haaren und den kleinen Grübchen um seine Mundwinkel.
Er hatte eine sportliche Figur und war immer gut gekleidet. Markus fand sich sehr attraktiv und das strahlte er auch aus.
Der Bass wummerte in den Boxen, als er von der Landstraße in die lange Allee einbog, die am Ende zur Hauptraße und von da aus zur Autobahn führte.
Der Motor heulte auf, als er in den dritten Gang schaltete, um das Auto noch schneller zu beschleunigen. Er lachte. Er fühlte sich gut mit seiner wieder gewonnen Freiheit, es war die längste Beziehung gewesen, die er bisher gehabt hatte und das auch nur, weil sie ihm seine ständigen Affären immer wieder verziehen hatte.
Ihre Eifersuchtsdramen waren peinlich und nervig gewesen, auch wenn sie begründet waren, war es mühsam gewesen sich ständig ihr Gekeife anzuhören, nur um sie hinterher wieder zu beruhigen und mit ihr im Bett zu landen.
Ihr Körper war eine Wucht. Sie konnte sich verbiegen wie keine Andere und machte Sachen mit ihm, von denen er sogar nachts noch manchmal träumte.
Vielleicht würde er sie in einigen Tagen noch einmal anrufen, um noch einmal eine Nummer mit ihr zu schieben. So ab und zu bei ihr vorbei fahren, das wäre gut, dachte er sich und grinste.
Keine Szenen, nur Spaß.
Die Bäume am Straßenrand waren an den Gipfeln verschlungen und warfen interessante Schattenspiele auf die erhitzte Straße. Hier war es etwas angenehmer zu fahren und er drosselte das Tempo ein wenig.
Etwa fünfzig Meter vor ihm sah er die kleine Haltebucht, in der er mit Anne öfters angehalten hatte, als er sie zu ihm gefahren waren.
Er erinnerte sich lächelnd an den Nachmittag, als sie Fotos von ihm in seinem Auto, danach von ihr in seinem Auto und dann sie nackt auf seiner Motorhaube gemacht hatten.
Es war ein warmer Tag im Frühling gewesen, als sie sich spontan entschlossen hatten, sein ein und alles zu fotografieren. Sein Auto. Anne wollte unbedingt Bilder von ihm haben, also erklärte er sich bereit, sich in seinem Auto knipsen zu lassen. Natürlich nur gegen eine gewisse Gegenleistung und nach einigem Zögern und seinen guten Überredungskünsten war sie bereit, sich von ihm nackt auf seinem Auto ablichten zu lassen.
Zunächst lehnte sie sich noch schüchtern gegen die Motorhaube, doch nachdem er sie angestachelt hatte, saß sie schon bald mit gespreizten Beinen und aufreizendem Blick auf seinem ein und alles. Natürlich hatte sie vorher auch die Schuhe ausziehen müssen.
Die leichte Brise hatte dafür gesorgt, dass ihre Brustwarzen hart wurden und es waren wunderbare Bilder geworden, die er seinen Kumpels gezeigt hatte, die allesamt neidisch geworden waren.
Er hatte sogar einige Kopien für den armen Tim gemacht, der nicht so einen Erfolg bei Frauen hatte wie er.
Sie dagegen hatte die Bilder von ihm bekommen und direkt eines als Hintergrundbild auf ihrem Rechner gespeichert.
Was bleibt, ist die Erinnerung, dachte er grinsend und hielt kurz in der Haltebucht.
Wenn er zuhause wäre, würde er die Bilder zu den anderen packen und bei Bedarf ansehen.
Danach würde er Katrin anrufen und sich mit ihr verabreden. Mit ihr hatte er bereits vor einigen Wochen mehrere Male Sex gehabt, und es reizte ihn, sie wieder zu treffen, da sie im Bett einiges drauf hatte und keinerlei Besitzansprüche an ihn stelle.
„Tschau Anne“, rief er und riss den braunen Plüschbären von seinem Rückspiegel, den sie ihm einst geschenkt hatte. Er hasste so einen Schnickschnack und hatte ihn nur aufgehängt, wenn sie mitfuhr. Ansonsten war das Viech tief in seinem Handschuhfach vergraben.
Einmal hatte er vergessen ihn aufzuhängen, und es hatte ihn eine dreiviertel Stunde gekostet, sie davon zu überzeugen, dass er ihn lediglich zum Saubermachen abgehängt hatte.
Sie hatte sich drei Wochen geziert, mit ihm zu schlafen. Normalerweise hätte er nach spätestens einer Woche von ihr abgelassen, aber er war so fasziniert von ihrer Schönheit gewesen, dass sein Jagdtrieb durchbrach. Er musste sie ganz erobern, ihren Körper unter seinen Händen zittern fühlen und in ihren Augen die vollkommene Abhängigkeit und Unterwerfung finden. Er hatte sie gefunden und nun war sie nur noch eine unter vielen.
Irgendwann wurden sie alle langweilig. Früher oder später, er konnte nichts dagegen tun und er fühlte ein wenig Enttäuschung in sich aufsteigen, da er gehofft hatte diesmal würde es anders sein.
Er wollte den Zündschlüssel drehen, um nach Hause zu fahren, aber als sein Blick in den Rückspiegel fiel, erstarrte er. Der Bär, den er vor wenigen Sekunden aus dem Fenster geworfen hatte, hing an derselben Stelle wie zuvor.
„Hä?“ entfuhr es ihm. „Hab ich jetzt Hallus, oder was?“ Ein Schauer lief ihm über den Rücken. Er hatte sich doch nicht eingebildet, dass er das Tier abgerissen hatte.
Er wollte erneut danach greifen, als er feststellen musste, dass sich seine Hand nicht bewegen ließ. Wie in Zeitlupe bewegte sich seine Hand dem Lenkrad zu und blieb darauf liegen.
Er hatte keinerlei Gefühl dabei, als ob jemand anderes seinen Körper lenken würde.
„Was soll das?“ schrie er und verstummte dann, als sein Kopf sich automatisch nach links neigte, und sein Blick aus dem Seitenfenster fiel, seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen, ohne dass er es wollte. Dann verharrte sein Körper in dieser Position.
Alles, was er noch tun konnte, war atmen.
Die Gedanken in seinem Kopf überschlugen sich. Das durfte doch nicht wahr sein, was war bloß los mit ihm? Er konzentrierte sich darauf, seinen Kopf wieder nach vorne zu drehen, aber es gelang ihm nicht einen Millimeter. Er hatte jegliche Beherrschung über sich verloren.
Plötzliche Lähmungserscheinungen hatte er noch nie gehabt. Er fühlte sich vollkommen hilflos und hätte losgeheult, wenn er gekonnt hätte. Vielleicht hatte ihn irgendein Insekt gestochen, oder eine Krankheit hatte ihn erwischt, aber bis zu diesem Augenblick hatte er sich eigentlich pudelwohl gefühlt. Aber das alles würde nicht den Bären erklären, der plötzlich wieder an seiner Stelle am Rückspiegel hing. Und auch dieses Grinsen, das nach wie vor in seinem Gesicht stand. Nach Lachen war ihm momentan eher nicht zumute.
Noch nicht einmal seine Fingerspitze ließ sich bewegen.
Aber er fühlte nach wie vor die Hitze, die von außen in den Wagen drang. Ein Marienkäfer flog durch das geöffnete Fenster und ließ sich auf seinem Unterarm nieder. Er spürte, wie die kleinen Beinchen ihn kitzelten, als er langsam weiter krabbelte.
Markus versuchte einen Ton herauszubekommen, aber es war, als wäre er schon immer stumm gewesen.
Panik versuchte in ihm aufzusteigen und er versuchte sich selbst zu beruhigen.
Wahrscheinlich war diese Situation nur vorübergehend. Etwas hatte ihn gestochen und in einigen Minuten würde er sich wieder bewegen können. Und wenn nicht, dann würde sicher bald ein Auto vorbeikommen und der Fahrer würde seinen Situation erkennen und Hilfe holen.
Das mit dem Bären hatte er sich nur eingebildet. Wahrscheinlich hatte er einfach so sehr daran gedacht, das Viech endlich loszuwerden, dass er sich eingebildet hatte, er hätte es bereits getan. Es gab mit Sicherheit eine ganz einfache Erklärung für dieses Missgeschick.
Er versuchte ruhig zu atmen, was ihm nach einigen Sekunden auch gelang. Ein Schweißtropfen klatschte von seiner Stirn in den Ausschnitt seines T-Shirts und bahnte sich seinen Weg die Brust entlang. Er hatte das dringende Bedürfnis ihn wegzuwischen, aber er konnte sich nach wie vor nicht bewegen. Das Kitzeln machte ihn fast wahnsinnig.
Etwas klatschte mit einem lauten Platsch auf seiner Motorhaube.
Er erschrak und wollte instinktiv den Kopf in die Richtung drehen, aus der das Geräusch kam, was ihm aber nicht gelang. Als Dank fing er sich einen stechenden Schmerz in seiner Halsschlagader ein.
Ein strenger Geruch von sengendem Lack drang in seine Nase, aus den Augenwinkeln nahm er Qualm wahr.
„Mein Auto, scheiße mein Auto“, dachte er entsetzt. Er fragte sich nicht was es war und woher es kam, nur sein geliebtes Auto zählte in diesem Moment. Sogar die plötzliche Lähmung schien kurzfristig nebensächlich.
Giftig grüner Qualm zog an seinem Auge vorbei. Wasser quoll nun stetig aus seinen Augenhöhlen. Das konnte einfach nicht wahr sein. Ein Albtraum. Hätte er bloß niemals an diesem verfluchten Ort angehalten. Was wollte er überhaupt hier? Die Sache mit Anne war vorbei und er war verdammt froh darüber. Warum musste er also hier stehen und in Erinnerungen schwelgen? Aber dafür würde sie bezahlen, sobald er hier weg war, würde er sich etwas einfallen lassen um ihr das hier heimzuzahlen. Das war alles ihre Schuld, diese verrückte, eifersüchtige Schlampe mit ihrem Schlangenkörper.
Er hasste sie und…
Klatsch
Scheiße, nein, nicht schon wieder.
Etwas war direkt gegen die untere Hälfte des Fensters und die Autotür gefallen. Seine Augen starrten auf das Loch, das sich nun vor ihm bildete.
Schwarz. Es stank bestialisch und er drohte ohnmächtig zu werden, aber er konnte seinen Blick nicht von diesem Loch wenden. Was war das? Etwas hatte sich regelrecht hineingefressen. Es brannte nicht, jedenfalls sah er keine Flammen, aber vor ihm klaffte ein großes, qualmendes schwarzes Loch.
Aber wenn es wirklich ein Loch war, hätte er dann nicht normalerweise die Straße durch die Öffnung erkennen müssen? Wäre da nicht Luft gewesen, die hindurch kommen würde?
Aber da, wo gerade noch seine Autotür gewesen war, befand sich nun nur noch eine undurchdringliche Schwärze, die verdammt nahe an seine Oberschenkel herankam.
Seine Atmung ging nun stoßweise, er hatte Angst, er konnte sich nicht bewegen, irgendwas fraß sein Auto auf und dabei hatte er immer noch dieses dämliche Grinsen im Gesicht, das er nicht abstellen konnte.
Das ist doch Wahnsinn, dachte er, so etwas kann einfach nicht passieren. Ich will sofort aufwachen.
Klatsch.
Etwas war auf der Heckscheibe gelandet und hinterließ noch mehr beißenden Geruch von schmelzendem Glas und Lack.
Wieso kommt hier kein Auto vorbei, hier muss doch mal jemand lang fahren, das gibt es doch gar nicht, das kann doch nicht sein, wir sind doch hier nicht in der Pampa. Die Verzweifelung in ihm stieg stetig an, und die Hoffnung bald gerettet zu werden fiel mit jeder Sekunde.
Erst jetzt fiel ihm auf, dass er keinen Vogel zwitschern hörte, und so lange er auch die Äste der Bäume auf der anderen Straßenseite beobachtete, keiner bewegte sich.
Normalerweise geht doch immer wenigstens ein bisschen Wind und die Vögel…er lauschte angestrengt, aber hörte nichts außer dem leisen Zischen und Knacken des versengenden Autos. Kein Motorgeräusch in der Ferne, kein Flugzeug, nichts.
Etwas fiel auf seinen Oberschenkel, Haut versengte .Er spürte die drohende Hitze um ihn herum und bevor der Schmerz in seinem Hirn ankam verlor er das Bewusstsein.
Das war zuviel für seinen Verstand, er schaltete sich einfach aus.
Anne wischte sich die laufenden Tränen mit dem Handrücken beiläufig ab.
Warum hatte er so plötzlich Schluss gemacht? Sie waren doch glücklich gewesen.
Klar, sie war ein wenig eifersüchtig gewesen, aber sie hatte doch nie übertrieben.
Und außerdem zeigte ihre Eifersucht ihm doch nur, wie sehr sie ihn liebte. Das musste er doch wohl auch erkennen. Was hatte sie nur falsch gemacht?
Sie starrte auf ihr Handy. Drei Sms hatte sie ihm schon geschickt, seit er vor einer halben Stunde hier weg gefahren war. Bisher hatte sie keine Antwort bekommen. Bestimmt saß er noch in seinem Auto und hatte die Musik in voller Lautstärke an. Aber eigentlich müsste er schon da sein.
Vielleicht will er nicht antworten, schließlich hatte er klipp und klar gesagt, dass es aus sei und sie ihn nicht mehr anzurufen bräuchte. Ein erneuter Heulkrampf ließ ihren Körper erbeben. Bestimmt bin ich ihm zu dick.
Das hatte er zwar nicht gesagt, aber sie wusste es auch so.
Anne starrte auf das Bild von Markus, dass sie einst selbst geschossen hatte.
Sie würde abnehmen, ab sofort. Und dann würde er sie wieder sehen und sich in den Arsch beißen, dass er mit ihr Schluss gemacht hatte. Er würde schon sehen, was er davon hatte.
Sie nahm sich ein Taschentusch aus der Packung, die neben ihr lag und schnäuzte hinein.
Sie vermisste ihn so. Wenn er doch nur hier wäre und sie in den Arm nehmen würde.
Wieder starrte sie auf das Hintergrundbild auf ihrem Monitor. Er hatte so ein wunderschönes Lächeln, und wenn er sie küsste nahm sie nichts mehr um sie herum wahr.
Sie nahm das Handy und wählte seine Nummer. Wenn sie mit ihm sprach, dann könnte sie ihn vielleicht doch noch überzeugen, zu ihr zurück zu kommen.
Als Markus erwachte, dachte er erst gar nicht an einen Traum, da der beißende Gestank direkt in seine Nase stieg. Er grinste immer noch und blickte aus dem nicht mehr vorhandenen Seitenfenster auf ein schwarzes Nichts. Links in seinem Sehbereich nahm er noch einen Fetzen grün von der Wiese auf, die hinter ihm lag. Seine Hand ruhte nach wie vor auf dem Lenkrad, das noch vorhanden war.
Nein, nein, nein, bitte, dachte er, konnte aber nichts an seiner Situation ändern.
Dann spürte er plötzlich sein Handy in seiner Hosentasche vibrieren und mit einem Mal wurde ihm endgültig klar, dass dies hier alles Realität war. Er versuchte seine Hand zu bewegen, das Handy zu greifen, oder einfach nur um Hilfe zu schreien, aber verharrte in seiner Starre wie ein Käfer, der von einer Spinne eingesponnen wurde und nun völlig hilflos auf seine Hinrichtung wartete.
Lange brauchte er nicht warten, irgendwas von oben fiel auf seinen Kopf, brannte sich in sein Hirn und schickte ihn in die willkommene Schwärze, die er schon die ganze Zeit vor seinen Augen gehabt hatte.
Anne legte frustriert das Handy zur Seite. Er war nicht dran gegangen. Dabei hatte er sein Telefon immer in der Hosentasche, damit er auch das Vibrieren im Auto merkte, wenn ihn jemand anrief.
„Anne?“. Ihre Mutter kam ins Zimmer und blicke sie sorgenvoll an.
„Lass mich in Ruhe“, raunte Anne zurück und drehte sich weg.
„Hey mein Mädchen, es tut mir Leid, das haben wir alle irgendwann mal mitmachen müssen, ich weiß, dass es weh tut, aber es wird vorbei gehen mit der Zeit“.
„Ja, danke, ich weiß“, warf Anne patzig zurück. „Kann ich jetzt bitte alleine sein?“
„Na klar“, sagte ihre Mutter und strich ihr kurz über den Rücken. „Komm einfach runter, wenn du reden magst“. Damit drehte sie sich um und wollte aus dem Zimmer gehen.
„Ach ja“, sagte sie und stockte kurz, „Du solltest den Monitor ausschalten, das Bild hat sich schon festgefressen“. Damit ging sie hinaus.
Anne schaute zum Monitor. Da, wo vorhin sein Gesicht gewesen war, war nun ein hässlicher, schwarzer Fleck, und auch der Rest des Bildes war von Flecken übersät.
Sie schaltete den Monitor aus. Teile des Bildes blieben auf dem Bildschirm zurück, der Rest verblasste gespenstisch.
Anne legte eine CD in den Spieler und drehte die Lautstärke auf.
„Unbreak my Heart“, erklang es aus den Boxen, während Anne nach einem weiteren Taschentuch griff. Gestern war ihr Leben noch in Ordnung. Nun war er weg, einfach so.