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Erinnerungen
Der Himmel war klar. Man hätte meinen können, jeder einzelne Stern befinde sich mitten in seiner eigenen Supernova. So intensiv war ihr Leuchten, das die Nacht erhellte und den Blick auf die Unendlichkeit freigab. Dieser wunderschöne Anblick beruhigte Will und half ihm, seine Gedanken nur auf die bevorstehende Aufgabe zu richten. Obwohl er nur dasitzen und warten konnte, hatte er das Gefühl, sich mehr den je zu konzentrieren. Jede Unachtsamkeit hätte fatale Folgen mit sich gebracht.
Es war still. Ausser dem Rauschen seines eigenen Blutes in den Ohren und der unruhigen Atmung zu seiner Rechten, hörte er nichts. Er wendete seinen Blick auf den Beifahrersitz und beobachtete die junge Frau. Ihr Blick war nach draussen gerichtet. Der Waldrand, an dem er den Ford geparkt hatte, bot einen guten Überblick über das Kartoffelfeld und zugleich Schutz vor vorbeifahrenden Ausnahmen. Er wusste, dass sie nichts weiter als Bäume sehen konnte. Doch ihre Haltung war weniger der Aussicht gewidmet, als mehr dem Versuch, seinem Blick auszuweichen. Während sich die Tränen der Verzweiflung nach wie vor ihren Weg über ihr Gesicht bahnten, lief der Nasenschleim langsam über das Isolierband, das auf ihrem Mund klebte. Sie schien ein gut erzogenes Kind zu sein, dass wusste, was sie in einer solchen Situation tun- und vor allem, nicht tun durfte. Die Klugheit, welche von dieser jungen Dame ausging, bewies ihm, dass sie keinen Ärger machen würde. Sie war hübsch. Sehr hübsch sogar. Er schätzte ihr Alter auf ungefähr 25 Jahre. Doch das Aussehen spielte keine Rolle. Er wurde von etwas Anderem angezogen, das so stark war, dass es Besitz von ihm ergriff und ihn zu der Quelle führte. Wie eine Motte, dass vom Licht einer Glühbirne angezogen wurde, konnte auch er der Versuchung nicht widerstehen. Er liess sich im Fluss der Begierde treiben und genoss es.
Das Warten war unerträglich. Lange war es her, seit er sich zum letzten Mal, das Gefühl gab, zu leben. Aber er durfte nicht ungeduldig werden. Das Spiel hatte seine Regeln und die musste er einhalten. Nur so konnte er die Manifestationen seines Yin Yang im Gleichgewicht halten. Nicht mehr lange und er würde wieder frei sein. Zumindest für die Dauer seiner Befriedigung. Das Einzige, was jetzt noch zwischen ihm und der Erlösung stand, war die Zeit.
Helles, weisses Licht, dass von dem Rückspiegel auf sein gezeichnetes Gesicht viel, blendete ihn. Das Spiel hatte begonnen. Das Fahrzeug, welches sich langsam, aber bewusst näherte, konnte sich nicht verfahren haben. Der Zeitpunkt war zu exakt und die Gegend zu abgelegen, als das es Zufall gewesen wäre. Ausserdem glaubte Will nicht an Zufälle. Sein Herz begann das Adrenalin mit der Gewalt einer Bohrinsel durch seine Adern zu pumpen . Ein weiteres Mal würde er Gerechtigkeit walten lassen. Auf seine Art.
Der Vater des Mädchens stieg aus dem Auto aus und schloss die Tür seines Maserati. Sein Blick verriet Will, dass er Angst hatte. Grosse Angst. Und das war gut so. Und er hatte gehorcht. Mit nichts weiter bekleidet, als einer Unterhose und einem Unterhemd, stand er nun da und war nur noch einige Meter von seiner geliebten Tochter entfernt. Mit einer ruckartigen Bewegung drehte sich Will zur Rückbank um und griff nach seinem Koffer, der sozusagen, sein Assistent war. Ein äussert effektiver Assistent, wie Mister Johnson früh genug erfahren sollte. Zu gut hatte er sich auf seine Aufgabe vorbereitet, um eine letzte Kontrolle seiner Utensilien vornehmen zu müssen. Will schloss die Augen. Ein letzter Gedankengang in die Vergangenheit, sollte ihm den nötigen Rhythmus verleihen. Oft hatte er versucht, die Bilder seiner besuchten Hölle zu vergessen, doch war es ihm nie gelungen. Mit der Zeit hatte er gelernt, sie zu nutzen. Er konnte den Duft des verbrannten Fleisches und des vergossenen Blutes förmlich riechen. Die qualvollen Schreie hallten in seinem Kopf, als wäre er wieder an jenem Ort, an dem alles begann. Und vielleicht auch irgendwann zu Ende ging. Aber nicht Heute.
Nachdem er die Zentralverriegelung seines Autos geschlossen hatte, stand er einige Zeit da und sah seinem Erzengel in die Augen. Mister Johnson wurde unruhig. Die Verzweiflung in seinen Augen wurde nun endgültig sichtbar. Doch er sollte leiden. Der Schmerz sollte ihn mit voller Wucht treffen, psychisch wie auch physisch. Will sprach die Wörter aus, die zugleich die letzten sein würden, welche sein Gegenüber zu hören bekam. „Guten Abend, Mister Johnson. Sie fragen sich bestimmt, wie es Ihrer Tochter geht. Nun, ich werde ihnen den Gefallen nicht tun, Sie über ihren Zustand zu informieren. Statt dessen möchte ich, dass Sie zwei Schritte nach vorne gehen.“ Wenn man den Ausdruck in den Augen eines Mannes beschreiben konnte, der kurz davor war wahnsinnig zu werden, dann war es pure Entsetzung. Doch er kam dem Befehl nach und trat zwei Schritte nach vorne, wenn auch nur kleine Schritte. Gut, dachte sich Will, beginnen wir mit Stufe eins. Er kniete sich nieder und öffnete seinen Koffer, um das erste Werkzeug herauszuholen. Diese Spritze würde innert zwanzig Sekunden die Stimmbänder seines Gegenübers lähmen, so, dass kein einziger Laut mehr aus seinem dreckigen Mund entweichen konnte. Nach weiteren 30 Sekunden würde er sich nicht mehr bewegen können und seine Muskeln würden seinem Gewicht nicht mehr standhalten. Die weitere Prozedur sollte er bei vollem Bewusstsein erleben. „Na gut, Mister Johson. Dieses Serum ist eine Mischung aus dem Gift einer besonderen Gattung der Kreuzspinne, welche nur in den Bergen Indiens lebt und der Braunen Einsiedlerspinne, auch genannt, Loxosceles reclusa. Ich werde Ihnen dieses Gift nun spritzen. Es tötet Sie nicht, aber eine Lähmung Ihrer Stimmbänder und der Muskeln werden die Folge sein. Falls Sie versuchen sollten, sich zu wehren, wird mein schönes Auto in die Luft fliegen. Und das wollen wir doch nicht.“ Die Augen des Mannes weiteten sich in einer Art, wie er es noch nie zuvor gesehen hatte. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Prozess an einem Menschen vollzog und doch war es diesmal etwas Besonderes. Mit drei schnellen Schritten war Will bei seinem Gegenüber und stach ihm die Nadel direkt in die Halsader. Auch wenn sein Opfer darauf vorbereitet war, konnte er einen entsetzten Schrei nicht unterdrücken. Während die Flüssigkeit sich ihren Weg durch seine Nerven bahnte, trat Will einen Schritt zurück, um nicht im Weg zu stehen, wenn der glanzköpfige Abschaum zu Boden fiel.
Nachdem sich Will seinen weissen Kittel angezogen hatte, machte er sich an die Arbeit. Zuerst schnitt er dem Geschäftsmann zwei Finger der linken Hand ab. Diesmal war es etwas mehr Arbeit, als bei dessen Vorgängern, denn er schien harte Knochen zu haben, aber mit etwas Mühe gelang es ihm dennoch. Die anschliessende Blutung stoppte er jeweils mit dem Zigarettenanzünder seines Mustangs. Danach nahm er das Skalpell und begann dessen Solarplexus zu bearbeiten. Die Schnitte waren nicht lebensgefährlich, aber tief genug, um das Blut ohne Widerstand austreten zu lassen. Das anschliessende Salzwasser, welches er ohne zu geizen über die Brust goss, stellte die Krönung dieser Stufe dar. Um die Wirkung seiner Kreativität ausklingen zu lassen, stand Will auf und ging zurück zu seinem Wagen. Die anschliessende Zigarette schmeckte besser wie sonst üblich. Ein Blick in das Innere des Autos zeigte ihm, dass die Tochter des Vorstandssitzenden, bereits in Ohnmacht gefallen war. Die Glückliche, dachte Will. Das Beste wurde ihr somit erspart.
Er warf die Kippe in hohem Bogen ins Feld und ging zurück zu seinem Spielkameraden. Im Koffer befanden sich weitere Spritzen, eines davon sollte Will helfen, seine Opfer wach zu halten. Es war jedes Mal schwierig gewesen, abzuschätzen, ob sie nun noch wach oder bewusstlos waren. Er wollte sich sicher gehen und spritze ihm 50 ml von der Chemiebombe, die er persönlich gemixt hatte. Somit konnte es weitergehen. Das Reagenzglas mit der Salzsäure, wurde durch eine spezielle Metallummantelung zusätzlich geschützt. Eine negative Erfahrung liess ihn zu dieser Vorsichtsmassnahme leiten. Den Inhalt schüttete er auf das rechte Bein und schaute mit Interesse zu, wie sich die Säure ihren Weg durch Haut und Fleisch bahnte, bis es auf dem Kieselweg ankam. Will konnte nicht sagen, ob es sich auch noch in Boden frass, denn er war schon dabei den Pickel aus dem Koffer zu holen. Die letzte Stufe seiner Arbeit war dazu gedacht, den Mistkerl wie einen Schweizer Käse zu durchlöchern.
Nach gut einer Stunde war er fertig. Nachdem er alle Spuren am Tatort beseitigt hatte, welche irgendwie auf ihn zurückführen konnten, überkam ihn ein Glücksgefühl. Er fühlte sich wie ein Kind, dass seine Stadt aus Legosteinen fertig erbaut hatte. Der Anblick erfüllte ihn mit stolz. Ein weiteres Mal hatte er Gerechtigkeit walten lassen. Sein Versprechen, dass er sich vor fünf Jahren gab, war eingehalten. Zumindest zum Teil. Er ging zurück zum Auto und zerrte das Mädchen heraus und warf es auf den Boden. Das Wimmern und Jaulen wurde immer lauter und ihr hysterischer Versuch, sich von den Fesseln zu befreien, blieb erfolglos. Die 9mm Automatik, welche er aus dem Kofferraum holte, sollte auch noch ihren Spass haben. Mit drei gezielten Kopfschüssen verdiente er sich seinen wohlverdienten Feierabend.
New York Times
„Die bizarre Mordserie an den Vorstandssitzenden der Chemical Industrie Corporation dauert an. Nach dem plötzlichen Ableben des CEO, Mike Farmer, wurde nun auch die verstümmelte Leiche des COO, Steven Johnson und dessen Tochter, Sarah Johnson, gefunden. Insgesamt starben in den letzten vier Jahren sechs Geschäftsleiter des grössten Herstellers für Chemikalien auf der Welt. Gerüchten zufolge, ist die Leitung der New Yorker Firma bereits seit Jahren in illegale Geschäfte verwickelt. Gemäss Informationen aus Anonymer Quelle, wird die Firma mit dem Bombenattentat vom 28. Oktober 2001 in Zusammenhang gebracht. Damals wurde ein Wohnblock in die Luft gesprengt, in dem ein Politiker wohnte, der sich engagiert für ein Gesetzt gegen Chemikalien der Stufe 5 eingesetzt hatte. Mehrere Menschen kamen dabei ums Leben…“