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Ertränken

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05.02.2005
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Ertränken

Es regnet. Unermüdlich prasseln die dicken, schweren Tropfen gegen mein Fenster. Der Himmel ist wolkenverhangen, ein dichter, grauer Wattebausch über den Dächern der Stadt. Ich sitze in meinem Sessel vor dem Fenster, die Arme um die Beine geschlungen, wiege mich im Rhythmus der Tropfen und weiss nicht, wohin mit meinen Gedanken.
Die Leute unten auf der Strasse hasten herum mit ihren Regenschirmen und die, die keinen Schirm haben, hasten noch ein bisschen schneller, die Autos reihen sich vor dem Signal wie kleine Käfer aneinander und ich stelle mir vor, auch in einem Auto zu sitzen und wie der Regen auf das Dach prasselt. Vielleicht sitzt sie neben mir und wir sind glücklich und lachen und hören Musik, die wir sonst nie hören würden, aber wir sind zusammen und deshalb ist das egal. Vielleicht raucht sie eine Zigarette, es riecht nach Rauch und ihrem Parfüm. Sie lächelt mir immer wieder von der Seite zu, vielleicht singt sie, schrecklich, falsch. Auch das ist mir egal.

Es ist Donnerstag, ich bin allein und wünsche mir, auch ich hätte einen Grund um dort unten auf der Strasse vor mich hinzuhasten, irgendein Ziel vor Augen, ob es ein vernünftiges oder ein unvernünftiges Ziel wäre, das sei dahingestellt. Doch ich bin ziellos, mutlos, kraftlos. Lausche dem Regen und würde meine Gedanken am liebsten darin ertränken, ersäufen.

Sie sass neben mir in ihrem roten Kleid, ihre Augen haben gefunkelt, vom Wein, doch ich habe gehofft von mir. Sie lachte oft, zeigte ihre Zähne und lachte, was sie konnte, und ich fand sie unglaublich schön, denn ich wusste noch nicht, wie tief sich ihre Zähne in mein Herz bohren konnten. Die Musik war laut, die Luft verqualmt und man verstand nur Bruchstücke von dem, was die anderen sagten. Wir sassen an einem Tisch ganz hinten, zu viert oder zu fünft, fütterten einander mit Bruchstücken und tranken Wein. Er war gut und die Stimmung auch, ich sass ihr gegenüber und streichelte ihr ab und zu mit meinem Fuss über ein Bein. Ihre funkelnden Augen inspirierten mich und auch ihr Kleid, dessen Träger ihr ein bisschen über die Schultern gerutscht waren. Sie schien keines von beidem zu bemerken, weder mein Bein noch die Träger, oder sie wollte es nicht.
Mein Kopf dröhnte ein bisschen, von der Musik, vom Wein und von ihr und ich stand auf und bahnte mir einen Weg zur Toilette. Die Leute standen dichtgedrängt an der Bar, einige tanzten und einige waren engumschlungen und ich ging noch ein bisschen schneller. Auf der Toilette plätschterte ich wie ein Bergbach und dachte dabei an sie. Ich spülte und ging zum Waschbecken. Ich betrachtete mich eine Weile im Spiegel, von allen Seiten, versuchte, mich durch ihre Augen zu betrachten. Neben mir wurden Lippen geschminkt und Wimpern getuscht und ich wurde nervös und zog auch meine LIppen nach. Ein letzter Blick, ein Lächeln von links und ich fasste Mut und ging raus, von der Stille zurück in die Menge, der Sprung ins kalte Nass. Zweimal traf mich ein Ellenbogen hart in die Seite. Ich ging weiter, kämpfte mich durch die Masse, kämpfte mich durch zu ihr. Dann blieb ich stehen, regunslos, fassungslos, kopflos.
Die Leute um mich herum tanzten weiter, drängten sich an mir vorbei, tranken und torkelten und lachten. Sie sass immer noch auf ihrem Stuhl in ihrem roten Kleid, genauso schön wie vorher, vielleicht auch schöner. Jetzt warf sie ihre Haare in den Nacken, ein schwarzer, glänzender Vorhang. Die Hand auf ihrem Schenkel war nicht ihre eigene, ich spürte, wie sich mir der Hals zuschnürte. Der Hand schien es zu gefallen, sie glitt nun langsam unter ihr rotes Kleid und sie lachte, sie beide lachten und ihre Zähne blitzten im Licht der hässlichen Deckenlampe. Sie hatte nicht bemerkt, dass ich gekommen war und sie hatte wohl noch so vieles an diesem Abend nicht bemerkt, mein Bein, ihre Träger, die Art, wie ich sie angeschaut hatte, wie ich gespielt verführerisch an meiner Zigarette gezogen hatte und auch nicht, wie tief ich mich immer heruntergebeugt hatte zu meiner Tasche und ein Bonbon genommen hatte, das ich nicht mochte. Sie hatte überhaupt nichts bemerkt. Jetzt nahm ich meine Tasche, sah unter dem Tisch noch ihre Beine, die miteinander zu sprechen schienen, die sich sanft umrankten. Die Tränen stiegen mir in die Augen, ich versuchte sie zu verstecken, doch es ging nicht. Ich verabschiedete mich und sie starrten auf meine Augen und ich schob mich vorbei an den warmen, verrauchten Körpern.

Die Luft draussen stach in meinem Gesicht und ich machte meine Jacke zu, doch ich fror. Meine Füsse schmerzten in meinen Schuhen, das bemerkte ich erst jetzt und auch, dass ich eine Laufmasche hatte. Jetzt war es mir egal. Ich heulte und wischte meinen Lippenstift ab, es tat weh, alles tat weh. Ich sah sie vor mir und es tat noch ein bisschen mehr weh.

Der Regen prasselt immer noch an mein Fenster, er wird nicht müde. Meine Beine sind längst eingeschlafen und ich wünschte, auch ich könnte einfach einschlafen, doch ich kann sie nicht ertränken, meine Gedanken. Unten auf der Strasse hasten immer noch die Leute, die Regenschirme hasten mit ihnen, tanzende Punkte in der grauen Stadt.

 

Hi einoel,


Sie sass neben mir in ihrem roten Kleid, ihre Augen haben gefunkelt, vom Wein, doch ich habe gehofft von mir.
Durch den letzten Teilsatz wird der gesamte Satz unverständlich

Er war gut und die Stimmung auch, ich sass ihr gegenüber und streichelte ihr ab und zu mit meinem Fuss über ein Bein.
Ein Widerspruch, da du weiter oben geschrieben hast, dass deine Protagonistin neben ihr gesessen ist


Diene Geschichte ist ganz schön geschrieben, aber bis zur Mitte merkt man nicht, dass der Prot eine Frau ist. War das beabsichtigt?
Immerhin war die Geschichte dadurch nicht völlig vorhersehbar.


Gruß,
131aine

 

geschlechter...

hallo blaine,
ich danke dir für deine rückmeldung! ja, die widersprüche... schnell passiert. dinge, die einem nicht auffallen und hinten und vorne nicht aufgehen. doch dir ist es nicht entgangen! danke für den hinweis, in zukunft werde ich im speziellen auch auf solche dinge achten.
zu der geschlechterverwirrung: das war absicht. ich finde es spannend damit zu spielen, denn wenn der prot von einer sie spricht, nimmt der leser automatisch an, es handle sich um einen mann. erst in der mitte der geschichte wird das aufgelöst. ja... ein kleiner hinweis: ganz am anfang der geschichte beschreibe ich, wie der prot in seinem sessel sitzt: die arme um die beine geschlungen. für einen mann eher untypisch, aber natürlich nicht unmöglich.
einen schönen abend
einoel

 

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