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Erwacht
Es ist 7:35 Uhr. Er kann nicht mehr schlafen, als er sich umschaut, bemerkt er, dass er sich nicht in seinem Schlafzimmer befindet. Verwirrt schaut er neben sich, ein junges Mädchen liegt zu seiner Linken. Für einen kurzen Moment weiß er nicht, wer sie ist und warum sie hier liegt und was macht er hier? Heut ist doch Mittwoch, oder nicht? Heute war doch irgendetwas, oder nicht? Er weiß es nicht mehr. Aber dieses Mädchen, wo kam sie her…?
Gestern, was hat er gestern noch einmal gemacht? In seine Gedanken rekonstruiert er den gestrigen Tag. Er war in einem Szenelokal, wegen eines Geschäftsessens, da muss er sie kennengelernt haben. Danach verschwimmen seine Erinnerungen. War sie die Kellnerin oder ein Gast? Und wie kam er in das fremde Schlafzimmer?
Noch leicht benommen steht er auf, langsam geht er ins Badezimmer. Sein Kopf fühlt sich schwer an und sein Magen war unruhig und flau. Alles dreht sich und ihm ist übel. So hatte er sich zuletzt vor etwa zehn Jahren gefühlt. Zu den Zeiten, in denen er sein Studentenleben voll ausgekostet hatte. Aber es waren schöne Zeiten gewesen. Damals hatte er sich noch frei, jung und dynamisch gefühlt, er war glücklich gewesen, damals.
Er sieht sich im Spiegel an, schlimm sieht er aus. Dunkle Augenringe und tiefe Fältchen kennzeichnen sein Gesicht. Mit ein wenig Wasser erfrischt er sich und versucht die Erinnerungen wieder aufzuwecken und den Kater zu betäuben. Als er wieder in den Spiegel blickt, fallen ihm einige Dinge des gestrigen Abends wieder ein. Es sind nur einzelne Bruchstücke, die wie Blitze vor seinen Augen aufflackern. Das Restaurant, in dem er mit seinen Kollegen über seine Zukunft als baldiger Juniorchef in der Kanzlei sprach. Dann das junge, blonde Mädchen, das jetzt nebenan im Bett liegt. Den ganzen Abend hatte sie ihm schöne Augen gemacht. Er wurde nervös, war aber auch geschmeichelt, schließlich war er nicht mehr der Jüngste. Er hatte seine Getränke immer schneller getrunken, damit das junge Mädchen öfter an ihren Tisch kommen musste. Sie ist also Kellnerin, dass scheint ja klar, das weiß er nun also. Aber was ist weiterhin passiert? Er versucht seine Erinnerungen in ein logisches Gefüge zu bringen aber es gelingt ihm nicht. Es ist ein einziges Wirrwarr an Bildern der gestrigen Nacht. Er erinnert sich an Blaulicht und an einen roten Sportwagen. Er saß am Steuer und rauschte im hohen Tempo durch die Nacht. Ein altes Haus, viele junge Leute, sie nahmen Drogen und er sah sich mitten unter ihnen sitzen. Rauchte einen Joint und nahm andere illegale Substanzen, die er in den letzten Jahren höchstens als Beweismittel in der Hand hielt.
Was für eine Nacht, denkt er sich. Lang hat er nicht mehr so viel Spaß gehabt, es ist absurd, das weiß er aber es war so schön. Er hat sich frei gefühlt, frei von dem Stress und Druck in der Kanzlei. Er war seit langem einmal wieder offen für eine neue Erfahrung gewesen. Er war glücklich gewesen, ist glücklich. Ihm ist schon länger bewusst, dass er mit seinem jetzigen Leben nicht zufrieden ist. Aber es war ihm nie so klar, wie in diesem Moment. Er will ein anderes Leben führen, eines wo er noch frei sein konnte, wo er sich jung fühlen durfte. Im selben Moment wird ihm klar, dass er sich letzten Abend völlig gehen lassen hat. Wie kann er, ein Mann im besten und reifen Alter, erfolgreich und anständig, nur so verantwortungslos sein? Er ist straffällig geworden, hat gegen Gesetze verstoßen, Verordnungen missachtet, illegale Drogen konsumiert. Dies alles gemeinsam mit einem vielleicht 19 oder 20-jährigen Mädchen…ist sie denn überhaupt volljährig? Die Kleine, hat es ihm angetan, hat ihn verführt, hat ihn an die andere, verbotene, aufregende und spannende Welt herangeführt. Zu schönen Frauen konnte er noch nie nein sagen, so böse und verdorben sie auch sein mögen.
Wenn seine Kollegen, dies alles mitbekämen, dann wäre seine ruhmvolle und finanziell unabhängige Zukunft vorbei, bevor sie überhaupt richtig angefangen hätte. Aber kann er denn jetzt einfach zurück, jetzt wo er denn süßen Duft der Freiheit vernommen hatte? Kann er weiter machen wie bisher? So viele Türen hat er vergangene Nacht geöffnet und überall gab es so viel Schönes zu erleben, vielleicht ja auch mit der süßen Kellnerin. Ist das der Moment in seinem Leben um etwas zu verändern?
In diesem Moment klingelt sein Mobiltelefon. Schnell nimmt er ab, bevor das Mädchen aufwacht. Es ist sein Kollege, der fragt, wo er denn bliebe und ob er den Achtuhrtermin vergessen hätte? Er legt auf, zieht sich Hemd und Hose an, nimmt die Jacke unter den Arm und geht.