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Erzählung einer leidgeprüften Nussreibe
„Das Fenster wurde mir zum Verhängnis“, erklärte sie. „Kugeln pfiffen durch das Fenster und schlugen manchmal nur dicht neben mir in die Wand. Ich stand auf dem Tisch, einem wackeligen, alten Küchentisch. Der rot-weiß-karierte Tischbezug war ganz schmutzig und verdreckt von dem Putz, der aus den Einschlagslöchern rieselte.
Die Pfanne zerbrach klirrend, als zwei Kugeln sie trafen. Die gute Pfanne, sie war mir eine gute Freundin. Seit zwei Jahren immerhin, seitdem ich hier bin. In der Küche der Familie Gustavson. Nette Familie übrigens. Der Vater, ein stattlicher Mann; die Mutter, sehr zerbrechlich wirkte sie auf mich. Wie die Karaffe, die ein Regalbrett unter der Pfanne stand. Die hat’s auch erwischt. Oho, mitten durchs Genick. Sie war gleich tot. Und die Kinder – ich … mochte sie nicht! Der Bengel, vorlaut und frech, und das Mädchen, eine verwöhnte Göre. Ja, „verwöhnt“ war sie, alles wurde ihr hinterher geworfen!
Nun, an jedem Tag hatte ich keinen von ihnen gesehen. Nur meine Freunde und ich waren da, in der Küche. Wo sollten wir auch sonst hin? Draußen war Krieg, es regnete außerdem ständig. Aber wir wurden auch drinnen nicht verschont. Dauernd pfiffen Kugeln durch das Fenster, das zu allem Übel auch noch offen stand. Die Göre hatte vergessen, es zu schließen, als sie als letzte die Küche verließ. Elendes Miststück! Jetzt hatten wir ja den Salat. Eine treue Freundin nach der anderen zersprang, zerplatzte und verbog. Ich hatte Glück - mich hatte die zwei Tage, die das Gefecht und Gemetzel draußen auf der Straße dauerte, nicht eine Kugel getroffen. Und die Kerle da draußen schossen echt übel. Dauernd krachte es irgendwo – als ob die sich nicht einfach selber abknallen könnten? Was kann die Fassade oder die Kirchenmauer für die Probleme der Menschen? Oder die gute Pfanne, die mir stets eine gute Gesellschaft gewesen war?
Bevor ich bei den Gustavsons war, stand ich bei einem Trödler. In Kopenhagen war das. Ich stand zwischen auf Hochglanz polierten Teekannen und Silbertellern. Die waren vielleicht aufgetakelt! Ewig stritten sie sich darüber, auf wessen Oberfläche sich die Sonne am besten spiegelte - wenn sie sich überhaupt mal bequemte, das verregnete Kopenhagen durch ihre Anwesenheit zu beglücken und sie tatsächlich mal durch das milchige Fensterglas des Ladens schien.
Die Gustavsons lebten in einem kleinen Dorf auf dem Land. Hier schien die Sonne oft. Aber an dem besagten Tag regnete es in Strömen. Ohne Unterbrechung.
Dann – mmh, was geschah denn dann? Ich weiß es gar nicht mehr. Ihr zwei seid die ersten Menschen, die ich seit langer, langer Zeit sehe. Eigentlich habe ich überhaupt nichts gesehen. Seltsam, hat mich vielleicht auch eine Kugel erwischt? Oder eine Granate? Ha, das hätte ein Geklirr gegeben! Aber meine Verkleidung ist stabil und hart. Aus reinem Metall gegossen. Und die Kurbel erst: edles deutsches Eichenholz!“
„Hey, was meinst du, was das hier sein soll. Sieht aus wie so ’ne olle Kurbel.“
„Quatsch, das ist eine Nussreibe. Hatte meine Oma auch. Lass uns das Ding vorsichtshalber mitnehmen, vielleicht kann der Herr Professor was damit anfangen. Mann, was die hier alles sammeln und untersuchen… Herrje, es ist dreiviertel Sieben, Feierabend! Komm, leg die Schaufel weg, wir gehen.“
Er hob die Nussreibe auf und warf sie in den Sack zu dem anderen Gerümpel, das sie den Tag über angesammelt hatten.
Die beiden Angestellten hatten das Ausgrabungsgelände verlassen und passierten gerade das große, rechteckige Schild, auf dem mit großen Lettern „Forschungsgebiet: Bitte nichts aufheben oder anfassen!“ stand, als die Nussreibe die große Platte, die ihr so unbequem mit ihrem langen Griff in die Seite stach, als eine Pfanne erkannte: „Hey, Pfanne, warst du auch im Krieg? Also, ich war im Krieg! Lass mich davon erzählen, denn ich habe viel erlebt:
Das Fenster wurde mir zum Verhängnis …“