Was ist neu

Es gab sie alle nicht mehr

Mitglied
Beitritt
10.02.2010
Beiträge
60
Zuletzt bearbeitet:

Es gab sie alle nicht mehr

Gescheitert trat er in Hundekacke, die tief in die Sohle eindrang, in die Seele. Er konnte nicht anders als denken, dass es Bilder gab, die besser brannten und Brände, wütende und tobende, dennoch von erlesener Schönheit. Hätte er sich die Mühe gemacht, die Scheiße abzukratzen, würde er den Gestank aushalten, er konnte es sich nicht mal mehr vorstellen. Müde, lahm, nicht ausgeruht und schlecht geschlafen noch dazu, saß er an dem Ort fest, an dem er gefallen war, die graue, graue Zeit hatte ihn hierher zurück gelotst und da lag noch der Rest seines Erbrochenem, er hatte es gestern nicht mehr rechtzeitig geschafft und hatte nur sich selbst oberflächlich reinigen können. Aber sauber war er nicht, da klebte etwas an ihm, massiv und zäh, dickflüssig und schwer. Warum nur fühlte er sich wieder so hundeelend, gab es doch eigentlich keinen Grund zu. Er hatte alles hinter sich gelassen, war bereit gewesen zu gehen, hatte Dämme gebrochen und Brücken eingerissen, hatte mehr gewagt, als er es von sich gedacht hätte. Und nun dieses Loch, dieser Brunnen, dieses leere Hotelzimmer, dieser Haufen menschlichen Mülls. Es waren Tage wie diese, Tage die den schrecklichen Stunden folgten, Stunden, die ihm das Grauen immer wieder anzeigten, Minuten voll wilder Panik und Herzschmerz, rasend. Diesen Ort hier hatte er selber gewählt. Eingenistet in seinem Kopf focht er bis zur Besinnungslosigkeit, den gleichen Kampf und immer und immer und immer nahm es kein Ende, doch wer ist schon gefeit vor Tiefschlägen, die Schnitte auf seinem Arm stammten von den Scherben, die Scherben am Boden stammten von den Flaschen, die er zertrümmerte, die Flaschen waren Zeugen geworden und hatten gegen ihn ausgesagt, er würde sie alle vernichten. Seine Knöchel waren verkrustet, das mit der Onanie konnte er sich wohl erst einmal abschminken, zu fatalistisch die Bilder in seinem Kopf. Er wollte den Moment nicht verpassen, daher war er auf alles vorbereitet gewesen, hatte er gedacht. Einen Moment der Klarheit, one moment of clarity, fuck, er war nicht länger ein Mensch, er hatte sich verändert, in einen Hund verwandelt, einen großen schwarzen Hund mit bösen Augen, die ihn vom Spiegel her sinister anfunkelten, er beschloss sich nicht mehr anzuschauen.
Er hatte noch nie gut verlieren können und nun verlor er seinen Verstand, die einhundertzweiundvierzig waren zerschossen, die einhundertzweiundvierzig waren seine Entschuldigung, die einhundertzweiundvierzig war seine Zimmernummer, dessen war er sich sicher. Er hätte einen Mord begehen können.

Wieder und wieder landeten seine Fäuste auf blankem Beton. Viele Fetzen fasrigen Fleisches fielen fort von ihm, er hatte nicht vor, diese Hände jemals wieder zu benutzen, alle Gefühle sollten weichen, ihm reichte der Schmerz. Seine Finger knackten brutal, brachen entzwei, wie Salzstangen, es hörte sich an wie Händels Messias, es war ein Gleichklang der Welten entstanden. So wie Blut und Wasser den menschlichen Leib erhalten, ihn durchströmen, so fühlte er das Grauen, einen Ritt der Dämonen, einen makabren Todestanz in seinem Geist, vergiftet, freiwillig. Im Spiegelbild schmerzten die Lefzen, er lahmte auf den Vorderpfoten und sein zottiges Fell stand in braunschwarzen Fasern von ihm ab. Er sprang sich selber an, biss in sein Fleisch, riss an ihm, verzerrte sich. Verflucht war er, er hatte sich selbst verflucht. Zimmer einhundertzweiundvierzig stand ihm zur Verfügung, wie einem König der Kerker, wie einem Helden die Motivation, wie einem Irren die Medikation. Zimmer einhundertzweiundvierzig befand sich an allen Orten dieser Welt, nur für ihn, es war früher so hübsch hier gewesen, im Vorhof seines Tempels. Er hatte sie so gerne gehabt, seine Phantasie. Er rollte sich auf dem verschmierten Läufer zusammen, kugelte sich ein, asselgleich, Totgeburt. Er litt nicht an seinen Verletzungen, er nahm sie dankend an, es war sein Kampf, ein Kampf gegen Körper und Seele, Geist und Fleisch. Er hatte Dinge gehört/gesagt/getan in der realen Welt, unaussprechliche Dinge, Dinge, die weit über Menschlichkeit hinausgingen, doch hier, in seinem Zimmer, Zimmer einhundertzweiundvierzig kompensierten sie sich, wurden zu ihm, er ließ sich auf sie ein. Wenn er gekonnt hätte, er hätte sich umgebracht, augenblicklich, vorgestern, übermorgen. Doch das wäre zu einfach, er auferlegte sich Qual. Was er da draußen, vor der Türe zurückgelassen hatte, das war das Schlimmste. Er drückte seinen Kopf in das kalte Erbrochene, badete darin, erfrischte sich, wusch sich winselnd.
Schneide dich schneide dich schneide, schneide. Er erhob sich. Gebückt ging er zum Fenster und schmierte vage Erinnerungen daran, seine Buchstaben bellten ihm entgegen, seine Zeichen sprangen tollwütig umher, genossen ihre Schreibweise.


Er sah diese Bilder wieder, von draußen, er sah den Hund, er sah dieses Zimmer von oben, er konnte es drehen, es biegen und dehnen, er war in der Lage, alle Parameter einzustellen, diese Welt zu konfigurieren, und er hatte den Dämon geweckt, hatte sich auf den Tanz eingelassen, hatte die Kontrolle verloren, da draußen, hatte geglaubt, ihm könne alles gelingen, Zimmer einhundertzweiundvierzig war doch unschlagbar, unbesiegbar, unerreichbar.


Er kämpfte und focht, dieses Monster riss sich die Augen heraus und forderte noch zwanzig weitere, schrie nach mehr, nach viel mehr, es kaute auf ihnen herum, ließ sie platzen, genoss die bittere Galle in sich.


Was hatte er nur getan?


Er schnitt sich ins Ohr, nahm eine Zange, nahm eine Säge

Er landete.
Pinselstrich um Pinselstrich hörte er hinter der Staffelei einen unbekannten Künstler.
Die Farbe traf bleiern, mit dumpfem Ton, auf das graue Leinen. Es waren die Aktionen eines Wahnwitzigen. Die Geräusche, die der Erschaffung dieses Bildes beiwohnten, waren wie ein unheimliches Ritzeratze, wie Skalpieren, wie der verrückte Oberarzt auf Speed, wie nasse Pfoten auf kaltem Glas.
Er blickte sich einmal im ganzen Raum um, hatte das Gefühl, sich wieder orientieren zu müssen. Fiese Tapete, fleckig, gemustert, wie auch der Teppich. Da lag, umgekippt, eine Flasche Bier, rinnsalspurenhinterlassend, Kissen waren vom Sofa gerutscht und ein Kabel schwang sich hinauf zur Fensterbank, zu der Lampe ohne Licht. Die Fenster waren dreckig und die Pflanzen brauchten dringend wieder Wasser.
Hinter ihm schnitt der Künstler weiter an seinem Bild, kleine Schreie verließen die Leinwand, die Bestandsaufnahme vervollständigte sich. In diesem Raum war er lange nicht gewesen, nun war er hier.

Hinter dem Fenster verbarg die Dunkelheit die Welt und schummrige Konturen waren die Heimat der Streuner. Diesen Ausblick hatte er verdrängt, er war jemand anderes geworden. In seiner Erinnerung sah er sich hier leben, erlebte einen kurzen Augenblick Zeitvereinnahme.
Kurz vor der Trennung hatte er die Staffelei gekauft, ein Bild sollte entstehen, doch es war nie dazu gekommen, keine Farben, sie waren ihnen ausgegangen. Er drehte sich um und betrachtete die Szene, verborgen hinter Leinen und Farben war jemand mit ihm hier, Etwas. Es malte, besser, erschaffte, quälend lange Bewegungen überragten den Rand des Bildes und eine dunkle Hand, ein düsteres Schemen, huschte vorbei. Knurren war von der Straße her zu hören.
Auf Schienen bewegte er sich zur Kunst. Der Fugenkitt der Welt leuchtete purpur, dieses Zimmer lebte ja schließlich, ihm kam es vor, als wäre er ein Zug, ein sehr schneller Zug, doch wurde sein Ziel, die Staffelei, dadurch nicht eher erreicht. Es war eine Zeitlupensequenz, ein Tanz im harten Stroboskop. Die Töne schwollen an, unangenehme Frequenzen, tief und schrill, sonor, für immer fortdauernd. Und sie sangen eine Melodie, einen Tanz, eine Elegie der Hyänen, Knochenknacken, Todesangst, wilder Blick.


Er blieb am Kabel der Lampe hängen, der niederknallende Plastikkörper verursachte niederschmetternde Ablenkung. Wie immer. Angelockt, vom Plong des Aufpralls, hörten die weinenden Pinselstriche auf zu jammern, die zerkratzte Leinwand atmete stillschweigend ein und der Künstler schien die Luft erfrierend anzuhalten. Eine Großaufnahme von Sergio Leone kam ihm in den Sinn, Clint Eastwood, Eli Wallach und Lee van Cleef verteilen sich im kreisrundem Zentrum des Friedhofs. Augen, Augen, Augen. In dem Moment, in dem Eastwood zog, sprang ein großer schwarzer Hund hinter der Leinwand hervor und schlug seine Zähne in armes Fleisch.
Die Staffelei kippte und offenbarte ihr grausiges Bild. Die Säge in der Hand verstümmelte sich da ein Doppelgänger. Chaos und Raserei herrschten im Hintergrund. Feuerrot und nächtens.

Es gab verzerrte Schatten, Messerstechereien.


Der Hund biss sich durch bis auf den Knochen, er war der Ohnmacht nahe; der Hund kämpfte sich hoch zu seinem Gesicht, er spürte ein hilfloses Ziehen in sich; der Hund blickte ihm mit graublauen Augen tief in sein Wesen, er lies seine Muskeln nicht länger spielen. Biss.


Als er zurückkehrte, hatte er ein Bild vor Augen, es war eine Halskette, eine Hundehalskette, eine Würgekette. Sie saß tief im Fleisch und verschwand zur Hälfte im schwarzen Fell. An ihr ein Anhänger, einhundertzweiundvierzig stand darauf.

Es gab sie alle nicht mehr.

 

Hej tierwater,

nach den ersten drei Sätzen wollte ich erstmal nicht mehr weiter lesen.
Hab mich trotzdem weiter gequält und fast gedacht, es lohnt sich.
Jetzt bin ich doch nicht durchgekommen, vielleicht hab ich heute auch nicht mehr genug Energie.

Gescheitert trat er in die Hundekacke, die tief in die Sohle eindrang, in die Seele.
Wirkt zunächst wie ein reales Erlebnis, mit dem Nachtrag "in die Seele" dann eher verwirrend. Da müsstest Du Dich schon entscheiden, was Du willst.
Ist es von Belang, dass er gescheitert in die Hundekacke tritt? Würde nicht ausreichen, ihn hineintreten zu lassen? Sein Scheitern wird anschließend ja bis zum Abwinken geschildert.

Er konnte nicht anders als denken, dass es Bilder gibt, die besser brennen und Brände, wütende und tobende, dennoch von erlesener Schönheit. Würde er sich die Mühe machen, die Scheiße abzukratzen, würde er den Gestank aushalten, er konnte es sich nicht mal mehr vorstellen.
Die Wahl Deiner Zeitformen ist verwirrend, mMn auch falsch. Einfacher wäre in jedem Fall: "Bilder gab" "brannten" und "Hätte er sich die Mühe gemacht..."

nicht ausgeruht und schlecht geschlafen
irgendwie dasselbe, oder?

saß er an dem Ort, an dem er gefallen war,
Eben gerade ist er in Hundekacke getreten, jetzt sitzt er. Und dann taucht das Hotelzimmer auf. Auch ein seltsamer Text sollte solche Umstände irgendwie erklären.
Finde ich.

hatte nur sich selbst oberflächlich reinigen können.
Wen denn sonst?

Warum nur fühlte er sich wieder so hundeelend,
Ja, warum nur, er hat sich bekötzelt und mehr, und ist (mental/physisch?) nicht in der Lage, sich zu reinigen. Komisch, dass er sich nicht blendend fühlt, oder wenigstens wie neugeboren!

Und nun dieses Loch, dieser Brunnen, dieses leere Hotelzimmer, dieser Haufen Müll, menschlich.
Och, das finde ich schade, dass Du das "menschlich" so anklebst.

Eingenistet in seinem Kopf focht er bis zur Besinnungslosigkeit,
Klares Bild, gefällt mir.

die Risse auf seinem Arm stammten von den Scherben
Schnitte stammen von Scherben. "Risse" könnte ich mir bei rauer Haut vorstellen, bei Ton oder Erdkruste.

die Flaschen waren Zeugen geworden und hatten gegen ihn ausgesagt, er würde sie alle vernichten.
Auch ein schönes, irres Bild.

fuckkkkkkkkkkkkkkkkk,
Weiß nicht, wie ich das lesen soll.

Wieder und wieder landeten seine Fäuste auf konkretem Beton.
Was wäre denn "unkonkreter Beton". Könnte er auch auf unkonkreten Beton hauen?

Mehr schaff ich nicht. Ist mir bis dahin zu wenig Außen, zu viel verworrenes Innen, um auf die Dauer dabeizubleiben.

Viele Grüße
Ane

 

hallo Ane,

und ich fürchte, es wird auch nicht klarer werden, denn es bleibt innen.
die idee zu dieser, nun ja, kurzgeschichte, stammt aus einem Artikel über Kontrollverlust, den ich vor jahren gelesen hab.

der patient litt an wahnvorstellungen und war schwer depressiv. alles manifestierte sich für ihn in seiner welt mit ihren bewohnern.

daraus habe ich den hund und das zimmer gemacht...

alles andere bleibt absichtlich aussen vor.

und tempusschwankungen sind auch gewollt, nicht immer aber richtig gut...
ich weiss...

es geht mir auch hier mehr um eine stimmung, um beklemmung und unbehaglichkeit.

schönen abend noch,
tierwater

 

Hallo Tierwater,

ich habe es vollständig gelesen. Die Beklemmung und Unbehaglichkeit habe ich gespürt. Ich muss gestehen, dass ich wahrlich nicht 100% durchgestiegen bin, aber ich denke, das ist wohl auch gewollt. Das Gefühl jedenfalls kam bei mir an. Und genau dies hat mich auch in die Geschichte gerissen und mich angetrieben, weiter zu lesen.

Zumindest, bis das hier auftauchte:

Er riss sich die Augen heraus und forderte noch zwanzig weitere, er kaute auf ihnen herum, ließ sie platzen, genoss die bittere Galle in sich.

Er schnitt sich ins Ohr, nahm eine Zange, nahm eine Säge


Das war dann wirklich zu viel des Guten und ich musste loslachen. Danach war es natürlich sehr schwer, wieder in den Text hineinzufinden. ;)

Ich fand das Bild mit dem Hund übrigens sehr interessant. Auch wie du beginnst mit "Hundekacke" und "hundeelend".

 

hi there,

ich habe einige korrekturen vorgenommen, vielen dank ane und lona für die konstruktive hilfe!!!

Zumindest, bis das hier auftauchte:
Zitat:
Er riss sich die Augen heraus und forderte noch zwanzig weitere, er kaute auf ihnen herum, ließ sie platzen, genoss die bittere Galle in sich.

Er schnitt sich ins Ohr, nahm eine Zange, nahm eine Säge
Das war dann wirklich zu viel des Guten und ich musste loslachen. Danach war es natürlich sehr schwer, wieder in den Text hineinzufinden.


auch hier habe ich etwas verändert, aber nur etwas, ich denke die Steigerung muss sein, der Wahnsinn darf nicht vorher schon aufhören.

jetzt heisst es dort im Text:

Er kämpfte und focht, dieses Monster riss sich die Augen heraus und forderte noch zwanzig weitere, schrie nach mehr, nach viel mehr, es kaute auf ihnen herum, ließ sie platzen, genoss die bittere Galle in sich.

Was hatte er nur getan?

Er schnitt sich ins Ohr, nahm eine Zange, nahm eine Säge


Außerdem gibt es direkt danach eine Pause, damit man sich von diesem Bild, egal, ob man nun darüber lacht, oder ob man sich ekelt, oder whatever, erstmal erholen kann.


Zitat:
saß er an dem Ort, an dem er gefallen war,
Eben gerade ist er in Hundekacke getreten, jetzt sitzt er. Und dann taucht das Hotelzimmer auf. Auch ein seltsamer Text sollte solche Umstände irgendwie erklären.
Finde ich.

da packe ich ein "saß er an dem Ort fest" rein

Zitat:
hatte nur sich selbst oberflächlich reinigen können.
Wen denn sonst?

den fussboden:)

liebe Grüße und nochmals vielen dank,
tierwater

"menschen sollten mehr raymond carver lesen!"

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom