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Es ist schön hier
Es ist schön hier. Ich sitze auf der Treppe des Kinderbeckens, meine Füße sind im Wasser und ich lehne mich, auf meine Hände gestützt, zurück. Das LED-Licht wechselt langsam seine Farbe von blau zu grün. Tausende von kleinen Laserpunkten umspielen die Szenerie wie ein Sternenhimmel der sich eine Auszeit von der Unendlichkeit gönnt, genau wie ich, in einem alten Schwimmbad. Menschen spielen Wasserball ohne Regeln, haben aber umso mehr Spaß. Die Wärme und die hohe Luftfeuchtigkeit lassen Erinnerungen aufkommen die bis vor die eigene Geburt zurück zu reichen scheinen. Draußen sind es minus fünfzehn Grad.
Etwas weiter weg, am großen Becken, bemerke ich ein Pärchen. Er trägt ein offenes Hemd und hat seine Hosenbeine hochgekrempelt, sie trägt einen Bademantel. Die beiden küssen sich, dann nimmt er ihr den Mantel ab, darunter trägt sie einen Bikini. Sie küssen sich noch einmal, dann springt sie ins Wasser und er schaut ihr eine Weile nach während sie weg schwimmt, dann kommt er zu mir herüber und setzt sich neben mich. Er hat dunkle Haut und geflochtene Haare.
>>Warum sitzt du hier so alleine?<<
>>Ich arbeite hier.<<, antworte ich, nehme einen Schluck von meinem Cocktail und reiche ihn ihm weiter. Er lächelt und nimmt auch einen Schluck.
>>Es gibt da diesen Song, da erzählt der Sänger wie ihm seine Mutter mal gesagt hatte wie er heißen würde, wäre er als Mädchen geboren worden, kennst du ihn?<<, fragt er mich.
Ich kenne den Song.
>>Laura, er würde Laura heißen.<<
>>Genau, den Song meine ich. Hast du danach überlegt wie du heißen würdest? Mich hat das nicht in Ruhe gelassen. Ich habe einen jüngeren Bruder, ich weiß dass er Clara geheißen hätte, also habe ich meine Mutter gefragt, und sie hat nur gelacht. Sie hat gelacht und sagte dass es bei mir nie einen Plan B gegeben hätte.<<
Wir müssen beide etwas lachen.
>>Seltsam, oder? Im Gegensatz zu meinem Bruder hatte ich schon vor meiner Geburt keine Alternative. Ich muss immerzu darüber nachdenken als wäre es ein Problem. Aber hey; real ist das nicht. <<
Sein Mädchen winkt uns von der anderen Seite des Beckens zu. Wir reichen uns die Hand und er schlendert zu ihr herüber. Mein Drink ist leer, es ist nur noch ein Glas, halb voll mit Eis. Ich mache mich auf den Weg zur Bar.
Die Schlange ist sehr lang. Menschen, die sich in einem Glaskasten befinden, der von Eis umgeben ist holen sich kleinere Kästen, gefüllt mit Eis und Alkohol. Ich stehe kaum eine Minute an, da kommt eine Gruppe von vier Leuten in Anzügen. Die Anzüge sind schwarz, die Hemden weiß, aber heute tragen sie keine Krawatten. Die vier sind eine Band, ich kenne sie. Alle außer Paul, dem Sänger, reichen mir die Hand. Paul umarmt mich.
>>Was macht die Musik?<<
>>Oh, es ist phantastisch! Wir schreiben jetzt nur noch Lieder über flüchtige Blicke, die einem in der Bahn oder an Haltestellen zugeworfen werden. Du weißt ja wie es früher war; du bist blau/ Ich bin grün/ Cyan-Laser, immer wieder die gleiche Leier. Ich bin jetzt überglücklich.<<
>>Wieso tragt ihr immer noch Anzüge? Hier kann man schwimmen.<<
>>Wir wollten uns umziehen, aber in der Umkleide war es zu kalt. Jemand hat ein Fenster eingeworfen, hat geschrien dass er den Kontrast nicht mehr ertragen könnte.<<
>>Unglaublich.<<
>>Das glaube ich auch.<<
Wir sind endlich an der Reihe und ich bestelle eine Runde für alle, schließlich zahle ich nicht, ich arbeite hier. Ich erzähle ihnen von all den flüchtigen Blicken die mir in letzter Zeit zugeworfen wurden und sie hören gebannt zu und machen sich Notizen. Wir verabreden uns zum Tanzen auf der anderen Seite des Beckens und während sie sich langsam auf den Weg machen trinke ich meinen Drink leer, ziehe mich aus und springe ins Becken.
Das Wasser ist so warm, dass ich meine Geschwindigkeit immer weiter verringere während ich auch die andere Seite schwimme. An den Beckenrändern sind Liegestühle und sie sind alle besetzt, man hört Musik, Gespräche und Gelächter. Am Ende meiner Strecke beschließe ich noch eine Weile im Wasser zu bleiben und die Tanzfläche zu beobachten. Plötzlich taucht neben mir jemand auf. Auch ihn kenne ich, kann mich aber nicht mehr an seinen Namen erinnern
>>Hey, was machst du denn hier?<<
>>Ich? Ich arbeite hier. Ewig nicht gesehen!<<
>>Ja, ich war gerade zwei Jahre in Nicaragua, bin gestern erst angekommen.<<
>>Wie ist es wieder hier zu sein?<<
>>Es ist sehr angenehm, meine Nerven müssen sich wohl noch an so viel Entspannung gewöhnen. Weißt du, in Nicaragua herrscht, verglichen mit Deutschland, Anarchie, trotzdem gibt es dort so viele Regeln, gerade im Wasser. Das genieße ich hier. Sauberes Wasser ohne Regeln. Wenn du in Nicaragua baden gehst, kommen Fische und du hast keine Chance ihnen zu entkommen. Manche lassen Dinge in dir zurück und wenn du nicht aufpasst, kann dich so ein Ding töten. Meistens badet man dort alleine, deswegen hast du nur eine Wahl wenn so etwas passiert: Du musst es aus dir selbst heraus ziehen. Hiermit nicht zu vergleichen.<<
>>Was war schöner in Nicaragua?<<
>>Das Tanzen. Auf jeden Fall das Tanzen.<<
>>Dann leiste mal ein wenig Entwicklungshilfe.<<
Ich ziehe mich aus dem Wasser und bin direkt auf der Tanzfläche, er kommt hinterher und wir legen direkt los. Ich bemerke auch den Jungen mit den geflochtenen Haaren und sein Mädchen. Paul und seine Band sind auch schon hier. Wir tanzen ohne jegliches Zeitgefühl, fallen oft kopfüber ins Wasser ziehen uns gegenseitig heraus oder hinein. Wir lachen viel und die Gespräche des Abends ziehen an mir vorbei wie ein ehemals gelebtes Leben.
>>Ich bin jetzt überglücklich.<<
>>Aber hey; real ist das nicht.<<
>>Du musst es aus dir selbst heraus ziehen.<<
Es ist schön hier.