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Es lebe der König
Wie als schwebe er über dem Wind, gleitet er dahin. Kaum berührt er den Boden. Seine muskulösen Pfoten halten stets nur für den Bruchteil einer Sekunde den Kontakt, bevor sie dann wieder über der Erde schweben. Bäume, Grashalme streift er so sanft, als wäre es nur der Wind gewesen.
Völlig abrupt hält er an und wendet den Kopf, seine Ohren, die das Zittern jedes einzelnen Grashalmes auf seinem Wege hören, stellen sich auf. Seine feine Nase zuckt, er wittert. In der hellen Morgensonne glänzt sein Fell königlich, stundenlang hat er es gepflegt, geputzt und gereinigt und es war die Mühe wert. Wenn er nun so auf den Hinterpfoten hockt und sich mit den Vorderpfoten abstützt, jeden einzelnen Muskel unter dem Fell angespannt, die Ohren aufgestellt, den Kopf leicht zur Seite geneigt, erhaben in die Ferne spähend, dann ist das ein Anblick, für den ihn seine Freunde lieben und um den ihn selbst seine erbittertsten Feinde nicht beneiden können, sondern nur immer aufs Neue bewundern. Doch der Augenblick der würdevollen Ruhe geht vorüber. Nachdem er Eleganz und Majestät bewiesen hat, heißt es nun seine Kraft unter Beweis zu stellen, die ja der eigentliche Grund ist, warum er König seines Reiches ist.
Er legt die Ohren so flach an, dass sie vom Rest seines Kopfes nicht mehr zu unterscheiden sind. Dann wirft er sich auf den Boden, so dass sein Bauch nur wenige Millimeter über der Erde hängt. Seine Muskeln sind nun so angespannt, dass er am ganzen Leib zittert. Bevor er sie losschnellen lässt, blickt er sich noch einmal nach hinten um und dann rennt er, gleitet, schwebt. Er fliegt. Er rauscht über dem Wind dahin, was eine Wolke, ein Adler oder ein Flugzeug am Himmel vermögen, das kann er kurz über dem Boden. Er berührt den Boden nicht. Niemand würde wagen, das zu leugnen. Seinen Lauf in Zeitlupe betrachtet, müssten diese ihre Meinung zurücknehmen, doch wie Galileo in heimlichem Trotz "Und sie bewegt sich doch" murmelte, so würde jeder dieser Worte eingedenk "Und er berührt ihn doch nicht" leise und wachsam den Blick nach allen Seiten werfend zu seinen Füßen sagen. Noch einmal lassen sich in der Zeitlupe seine Muskeln erkennen. Im Rhythmus seiner vier Schritte, die immer kurz hintereinander erfolgen, bewegen sich unter dem weichen, samtenen Fell, gewaltige Muskelberge, wie bei der Entwicklung von Gebirgen über Jahrmillionen hinweg im Zeitraffer diesmal betrachtet, sich die Gesteinsmassen über den Kontinent schieben, so geschieht es auch mit seinen Muskeln. Abwechselnd entspannen sie sich, spannen sich leicht an und dann, um einen kurzen Kraftimpuls auf die Beine wirken zu lassen, werden sie für weniger als eine Sekunde dick und so hart wie Stahl, bis sie sich dann, in völlig flüssiger Bewegung wieder entspannen und der Kreislauf von vorne beginnt.
Mit der Kraft, und der Schnelligkeit seiner Bewegungen folgt auch die Schnelligkeit seiner Fortbewegung. Er schießt dahin. Andere Kreaturen, rennen vielleicht eine kurze Weile mit und wenn er manchmal einen schlechten Tag hatte, wurde er auch schon einmal gefangen, doch was kümmert es ihn ob er gefangen wird oder nicht, er ist unsterblich. Aber er ist nicht nur schnell, er ist auch wendig, meisterhaft schlägt er seine Haken, so dass auf kurz oder lang niemand es mit ihm aufnehmen kann, denn wer sich mit solch einer Geschwindigkeit fortbewegt und dann noch ohne jeglichen Hinweis die Richtung ändert, ist uneinholbar für jeden Verfolger.
Doch wer ihn besser kennt und schon länger seinem Lauf aufmerksam folgt, der wird erkennen, dass er diesmal noch schneller rennt als jemals zuvor, seine Bewegungen werden langsamer, dafür graben sich bei jedem Schritt seine Pfoten tief in den Erdboden, so dass die Erde in großen Brocken gen Himmel fliegt. Statt dem harmonischen Rhythmus, spannt er nun ruckartig die Muskeln an, um dann mit gewaltigem Einsatz sich von Boden abzustoßen. Er schwebt nicht mehr, er hat den Kontakt mit der Erde wieder aufgenommen, und schießt nun nur noch wenige Zentimeter über ihr dahin. Seine Augen die zuvor beinahe verschlafen wirkten, halb geschlossen, sind nun weit aufgerissen, voller Panik. Er hat ihn gesehen, den Feind dem er nicht entkommen kann. Er hat ihn gewittert und in seinem Inneren hat er stets gewusst, dass es ihn gibt und nun ist er da, ihn zu holen, ihn seinem ewigen Urteil zu unterziehen.
Er weiß, dass er diesem Feind nicht entrinnen kann, doch sein Stolz lässt es nicht zu, zu seinen Füßen zu verenden. Und so rennt er. Es ist sein letzter Lauf und er weiß das.
Dann ertönt ein lauter Knall, mitten auf dem Höhepunkt seiner Sprungparabel. Die Zeit bleibt stehen als ein Bild für die Nachwelt, sein Körper, strotzend vor Kraft, alle Muskeln angespannt, deutlich unter seinem Fell zu sehen, das prachtvoll glänzt, ein König.
Der Moment geht vorüber. Wie vom Blitz getroffen stürzt er dahin und bleibt dann regungslos im Gras liegen. Seine Flanke ist aufgerissen, Blut läuft aus der Wunde, doch Schmerzen hat er keine gehabt, er war tot, bevor er den Boden berührte. Kurz haben seine Pfoten und sein linkes Ohr gezuckt bevor sie sich endgültig nicht mehr bewegen.
Aus einem Loch in der Erde tauchen erst zwei kleine, spitze Öhrchen auf, dann ein kleines Köpfchen mit großen Augen, die neugierig in die Welt schauen. Das kleine Näschen schnüffelt ein wenig, dann krabbelt das ganze kleine Geschöpf aus dem Erdloch und springt in kleinen Sätzen davon, unter seinem flaumigen Fell bewegt sich etwas, als würden kleine Erdhügel umhergeschoben werden.
Der König ist tot, es lebe der König.