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Es musste so enden
Dieser Whiskey schmeckt wirklich gut!
Auf diesen Geschmack musste ich jahrelang warten.
Den Namen weiß ich zwar schon nicht mehr, da ich mir um den Namen beim Aussuchen keine großen Gedanken machte. Wichtiger war mir die Spalte weiter rechts mit den Preisen.
Ein tolles Gefühl wenn man auf eine hohe Zahl deuten darf.
Ja! Er ist wirklich gut.
Der Alkoholgehalt scheint leider nicht allzu hoch zu sein, doch ich bin jetzt nicht in der Stimmung um mich deswegen aufzuregen.
Meinen Stuhl habe ich so gedreht, dass mir die Sonne auf den Buckel scheinen kann. Dadurch bleibt mir der Blick auf das offene Mehr verwehrt, aber das Brechen der Wellen, das Aufschäumen, wie das Meer langsam seine Kraft verliert, je weiter es den hellen Sandstrand hinaufläuft, oder, weiter hinten –es müssen einige Meilen sein, so klar war die sicht an diesem Morgen-, dort wo große Felsen in die Höhe ragen und die Wellen kraftvoll dagegen schlagen, und die Felsen nur für den Moment als die Sieger aussehen, dies kann ich sehen.
Dieser Blickwinkel gestattet mir eine beruhigende Überschaubarkeit. Das Meer wäre mir zu groß, es würde mich zu weit weg ziehen, überall hin.
Ah, die Sonne!
Keine die noch so liebende Frau, kann deine Haut so wohltuend berühren, wie es die Sonne tut.
Mein weißes Hemd, das schon an einigen Stellen zu dünn geworden ist, lässt die Sonne zu mir hindurch und meine Haut wärmt sich langsam, es kribbelt und entspannt.
Ich weiß nicht, ob ich mich vorhin schon so hierhin gesetzt habe, aber meine beiden Beine sind lang ausgestreckt und die Sandalen baumeln nur noch am großen Zeh, am Punkt zu fallen, doch sie tun es nicht.
Mit dem nächsten Schluck ist das Glas fast leer.
Ich stelle das Glas wieder auf den Tisch, der rechts neben mir steht -reicht einem nur bis zu den Hüften und ist aus Bambus. Ich bemerke dabei, dass der Barkeeper zu mir rüberschaut. Misstrauen oder so etwas in der Art glaube ich aber nicht zu erkennen, eher scheint er belustigt zu sein.
Es ist noch keine 9 Uhr am Morgen. Nur eine Handvoll weitere Gäste sitzen in der Bar. Es riecht nach starken Kaffee, irgendwo raucht wohl gerade jemand eine Zigarre und am Tresen liest einer die Zeitung. Ich trinke meinen Cocktail.
Ich werde keinen weiteren bestellen. Der Barkeeper muss mich ja nicht unbedingt als einen Alkoholiker halten, auch wenn ich wohl einer zu sein scheine. Woher soll ich das beurteilen?
Das Leben ist jetzt noch nicht ganz erwacht, zumindest nicht in diesem Teil der Stadt. Dann doch am Hafen, der zwei Meilen hinter meinem Rücken entfernt ist.
Und mit Sicherheit gibt es hier auch noch irgendwo einen Markt, vielleicht nicht weit vom Hafen entfernt. Dort ist der wichtigste Teil des Tages wohl auch schon vorbei.
Dass es überhaupt so etwas wie eine Nacht gibt, kann man sich in solchen Momenten gar nicht vorstellen.
Hoch oben über mir, uns allen, da steht sie, fest, kraftvoll und doch so sanft, strahlt sie zu uns hinab und nur die Vorstellung daran, dass diese Helligkeit durch Stunden der Dunkelheit unterbrochen wird ist töricht.
Doch dunkel wird es und dann Nacht.
Und es scheint, als würde es so etwas wie Helligkeit nicht mehr geben.
Am Tag sehen Probleme ganz anders aus und es besteht immer eine Möglichkeit sie zu lösen. In der Nacht haben die Probleme viel größere Ausmaße, vor allem, wenn man sie erst in der Nacht kennen lernt.
Dieses Mal habe ich mir das große Problem selbst geschaffen, aber auch nur weil es vorher schon Probleme gab. Es hat schon immer Probleme gegeben und man geht automatisch auf sie zu. Deswegen gehe ich immer einfach weiter. Wenn man stehen bleibt, wird man das Problem nicht mehr los.
Ich stehe auf und verlasse das Lokal. Ich gönne mir selbst nur wenige Minuten der Ruhe, dann muss ich schon wieder in Bewegung sein. Selbst in diesem bequemen Stuhl, die Sonne im Rücken und die Ferse des rechten Fußes auf den Zehenspitzen des linken Fußes, kann ich nicht sitzen bleiben. In meinem Innersten ruhe ich nicht. Meine Gedanken überschlagen sich, wie die Wellen des mächtigen Ozeans, die gegen die Bucht schlagen, kaum Zeit haben sich wieder zurückzuziehen, schon kommt die nächste Welle aus dem Dunkeln des Meeres. Die Brandung, so laut dass sie auch hier, hundert Meter entfernt und abgetrennt von dem Platz durch eine hässliche und zerfallene Ziegelmauer, noch zu hören. Mein Herzschlag, fest und schnell, und so laut, dass ich ihn durch meinen Brustkorb höre, hässlich, alt und krumm.
Ich weiß nicht wohin oder wie ich überhaupt irgendwo hin gehen kann, nur, dass ich hier nicht mehr bleiben soll. Aber so denke ich immer und hoffe dass ich Recht habe, dass ich mich nicht selbst ohne Grund umherschicke, ohne dass es mir zugute kommt.
In das Zentrum der Stadt kann ich nicht. Das wahre Zentrum, nicht das was für die Touristen umgestaltet wurde.
In diesem wahren Zentrum ist immer Nacht, auch jetzt, am Tag. Die engen Gassen lassen die Sonnenstrahlen nur wenige Minuten lang die schlecht gepflasterten Strassen berühren.
Es ist immer kalt, auch wegen der Angst. Niemand geht dort hin. Aber die, die dort sind, bleiben es auch. Die haben keine Angst mehr. Sie werden gefürchtet.
Doch leider, münden einige dieser Gassen in eine der neuen Fußgängerstraßen. Neu gemacht für die Touristen, mit Geschäften, die den Touristen die richtigen Produkte anbieten.
Dort stehen sie, an den Straßenecken, weit genug draußen um alles zu überblicken und selbst gesehen zu werden. Aber dann doch weit genug zurückgezogen, um im Schutz der Schattens zu stehen. So erkennt man kaum ihre Gesichter. Aber das ist sowieso kaum möglich, da sie alle gleich aussehen, mit ihrer lederigen Haut, ihrem Kinnbärtchen und den zusammengekniffenen Augen, die fast hinter den buschigen Augenbrauen verschwinden.
Man müsste schon stehen bleiben um sie genau zu erkennen.
Ich erinnere mich an ein Ereignis meiner Jugend, 8 oder 9 müsste ich gewesen sein. Schausteller waren bei uns im Dorf gewesen. Die größte Attraktion in dem Jahr waren ein halbes Dutzend Affen gewesen, die in zwei kreisrunden Käfigen zu bewundern waren. Stundenlang waren sie umkreist von Gaffern worden. Der Besitzer hatte zwei Meter entfernt auf seinem Schemel gesessen, mit dem Rücken zur Wand und dem Blick auf seine Taschenuhr gerichtet. Immer nach genau 10 Minuten hatte er die Zuschauer wieder weggeschickt. Er war nie aufgestanden, sondern hatte so lange rumgeschrien, bis auch der letzte Zuschauer weg gewesen war. Dann hatte er eine Blechdose nach vorne gehalten, für die nächsten Gäste. 10 Cent, für 10 Minuten.
Ich war jeden Tag da gewesen, mehrmals.
Einmal hatte ein Kind, kaum älter als fünf, ungefähr mir gegenüber auf der anderen Seite des Käfigs gestanden. Es war mir deswegen so aufgefallen, weil es wie verrückt, springend und lachend, und voller Begeisterung die Affen bewundert hatte. Auch ich hatte vorher noch nie einen Affen gesehen, ein lebendigen Affen, und nur 2 Meter von mir entfernt.
In seiner rechten Hand hatte das Kind zwei Scheiben Brot mit Schinken dazwischen. Er hatte es ein kleines Stück in den Käfig hinein gehalten und hatte darauf gewartet bis einer der Schimpansen draufschaute um dann heftig damit zu wedeln.
Es war keine dumme Spielerei gewesen und er wollte die kleinen Tiere nicht veräppeln, so wie ich es in meinem langen Leben schon oft gesehen habe, um zu zeigen, dass man einem eingesperrten Tier überlegen ist.
Der kleinste Schimpanse aus der Gruppe hatte das größte Interesse für diesen Happen gehabt. Er hatte neugierig auf die Hand des kleinen Jungen geschaut und dann Blickkontakt mit ihm aufgenommen. Der Kleine war noch immer hoch begeistert. Sein Mund hatte sich zu einem breiten Grinsen geformt und zwischen seinen kleinen Zähnen konnte man sehen, wie seine Zunge vor Aufregung von einem Mundwinkel zum anderen hin und her gesprungen war.
Der Schimpanse warf seine Arme auf und ab und auch in seinem Gesicht konnte ich so etwas wie ein Lachen erkennen. Es hatte den Anschein als würden beide auf irgendeine Weise miteinander kommunizieren.
Da hatte sich der kleine Schimpanse einen Schritt nach vorne getraut und langsam seinen rechten Arm ausgestreckt.
Plötzlich hatte dieses kleine friedliche Tier mit einem kraftvollen Satz nach vorne gemacht, den Arm des Kindes gepackt, zugebissen und sich ein großes Stück davon ab abgerissen. Das Kind hatte so laut geschrieen, wie ich nie mehr ein Kind in meinem Leben habe schreien hören. Auch die Zuschauer neben ihm hatten sich erschrocken.
Zwischen seinen weißen Zähnen des Tieres hatte ein großes Stück vom Unterarm des Kindes gesteckt.
Überall Blut. Der ganze Arm des Kindes, sein Gesicht, die Kleider, die Personen direkt neben ihm, alles blutgetränkt und auf dem Boden des Käfigs eine große blutige Pfütze.
Das Kind wurde ohnmächtig, viel nach hinten, in den Arm eines Mannes. Man hatte versuchte ihn sanft auf den Boden zu legen, ihn zu beruhigen. Jemand in der Gruppe der Zuschauer hatte am schnellsten reagiert und wollte Hilfe holen, doch da war der kleine Junge schon gestorben.
Ich hatte mich wieder umgedreht um auf den Schimpansen zu schauen. Auch mir hatte er da wieder zugelächelt, genau so, wie davor bei dem kleinen Jungen. Doch für mich war es kein richtiges Lächeln mehr. Nicht wegen dem Blut das die Haare rund um sein Maul verklebte hatte, sondern weil ich fühlen konnte, dass das vorhin auch kein Lächeln gewesen war.
Unter den Zuschauern hatte immer noch große Panik geherrscht, als sich der Affe die beiden Brotscheiben griff, die der Junge bei dem Biss fallen hat lassen.
Einer der vielen Touristen steht vor einem dieser dunklen Gassen. Wenn die Dämmerung eintritt, ist noch schwieriger, zu erkennen, was sich in diesen Gassen befindet. Die Sonnenstrahlen verlaufen dann nämlich nun parallel zur Hauptstrasse. Dadurch bleibt sie bis weit in den Abend erhellt. Die Gassen jedoch werden dunkler.
Der Kontrast nimmt zu, hell und dunkel, gut und böse, nicht wissend und wissend.
Dieser Tourist bleibt immer noch stehen. Er erblickt einen der Gassenjungen. Dieser blickt zurück. Sein Mund formt sich zu einem breiten Lächeln. Trotz seiner Größe muss er noch sehr jung sein, denn seine Zähne strahlen in einem makellosen Weiß. Auch der Tourist lächelt und sieht sehr dümmlich aus. Die Hände behält er in seinen khakifarbenen Shorts, benutzt seine Füße, die in Sandalen stecken, als Wippe, indem er von den Zehen bis zurück zu der Ferse hin und her rollt, was dazu führt, dass, wenn er auf den Zehenspitzen steht, sich sein wohlgenährter Bauch noch weiter nach vorne drückt und die Knöpfe größte Mühe haben beide Seiten seines geblümten Hemdes zusammenzuhalten.
Ohne mit dem Grinsen aufzuhören sagt der Gassenjunge ein paar Worte in Richtung des Touristen. Es klingt fast so als würde er Singen und er beendet den Satz mit einem << He?>>.
Der Tourist lächelt zurückt, wippt weiter und nickt freundlich mit dem Kopf.
Hätte er die Worte verstanden, dann würde er nicht mehr lächeln –schon gar nicht nicken. Für den Jungen war das Nicken die richtige Antwort.
Hinter ihm und auf der gegenüberliegenden Hauswand der Gasse stehen noch zwei Kollegen von ihm. Beide befinden sich nach drei Schritten neben dem dicken Touristen, greifen sich jeweils mit beiden Händen ein Handgelenk und stellen sich dann hinter ihn. Der Junge, der vorhin noch so gelächelt hat, umwickelt mit beiden Händen den Nacken des Touristen und zieht ihn zu Boden. Die Anstrengung ist gut in seinem Gesicht zu erkennen, da er dem Licht der Hauptstrasse näher gekommen ist. Seine Zungenspitze ragt zwischen dem oberen Vorderzähnen und der Unterlippe hervor und seine Augen sind noch zusammengekniffener als vorhin. Er blickt noch einmal auf die Fußgängerstrasse, erst nach links, dann nach rechts und dann sieht er mich. Wir schauen uns in die Augen und ich habe das Gefühl, als hätte er kurz sein Opfer vergessen. Bestimmt nicht einmal eine Sekunde lang, doch es wirkte wie eine Ewigkeit. In dem Moment wo er mich sah, wusste er es. Dann wird ihm jedoch wieder bewusst, dass da noch das Opfer ist, das völlig apathisch ist, sonst hätte es diesem Moment der Unaufmerksamkeit genutzt.
Schnell ziehen sie ihn von der Helligkeit dieser breiten Strasse weg, zu sich hinein in die Dunkelheit der schmalen Gasse. Ich gehe weiter.
So war es auch gestern. Auch zu dritt. Auch ein unwissender Tourist –noch etwas älter. Sie haben keine Probleme ihr Opfer zu überwältigen –heute nicht und auch nicht gestern. Sie wissen, wie sie sich bewegen müssen und wer wofür zuständig ist. Hunderte Male haben sie dies schon durchgezogen, immer in derselben Dreiergruppe.
Problemlos zogen und drückten sie den armen Mann weg von der belebten und beleuchteten Strasse. Er wurde immer mehr in eine tiefe und gebückte Haltung gezwungen. Dies drückte ihm die Luft weg und kam nicht mal dazu einen einzigen verzweifelten Hilfeschrei von sich zu geben. Es war nur ein Stottern, Stücke von Wörtern, die, wenn er sie ganz aussprechen hätte können, die Jungen nicht interessiert und die Leute auf der Strasse nicht gehört hätten.
Sie waren im Schutz und er in der Gefahr der Dunkelheit. Ich musste die Hauptstrasse überqueren, vorbei an unwissenden und glücklichen Menschen, nicht wissend wie glücklich sein dürften, wenn sie bald wieder weg sind und den Ort mit schönen Erinnerungen verlassen.
Da sah ich sie wieder. Einer saß auf dem Rücken des armen Mannes, ein Knie in dessen Kreuz gedrückt, beide Arme festhaltend, ein anderer hielt den Kopf des Mannes unten, indem er ihm das Schienbein in den Nacken drückte und der andere übernahm das Suchen nach Verwertbarem. So machen sie das immer. Es ist die beste und schnellste Methode.
Gestern aber war es eine andere Gruppe, doch genau so raffiniert wie diese von heute. Ihr Opfer lag regungslos am Boden und lies alles über sich ergehen, so wie es einem doch so oft geraten wird. Lieber etwas Geld verlieren -seine Uhr, vielleicht sogar die Schuhe- als sein eigenes Leben. Einer der Typen wühlte in den Hosentaschen seines Opfers umher und schaute in den Taschen des Jacketts nach.
Die beiden anderen saßen auf ihrem Opfer, jedoch mit dem Rücken zur Hauptstrasse gedreht und konnten mich somit nicht sehen. Ich brauche nur zwei große Schritte hinein in die Dunkelheit dieser Gasse zu machen. Zuerst packte ich mir den, der auf dem Rücken des Opfers saß, packte ihn an de Schulter, riss ihn mit einem Ruck hoch und warf ihn gegen die Hauswand. Diese Jungen wiegen fast nichts.
Der, der in den Taschen des alten Mannes wühlte, stand noch immer nach vorne gebeugt um dessen Oberkörper abzutasten. Ganz verschreckt blickte er zu mir hoch und zum ersten Mal konnte ich das Weiß in den Augen dieser Menschen sehen. Die Augen waren weit geöffnet. Ich erkannte, dass er bis zu dem Zeitpunkt noch nie in einer solchen Situation gewesen war.
Vielleicht hatte er erst wenige Überfälle durchgeführt. Überfälle die immer problemlos durchgeführt worden sind, schnell und erfolgreich und ihn glauben ließen, dass es immer so weiter gehen würde. Sein Blick war voller Hilflosigkeit. Ich drückte meine Hand fest in sein Gesicht, Zeigefinger und Daumen gegen seine Schläfe, und drücke sein Kopf zur Seite, so dass er das Gleichgewicht verlor.
Der, der auf den Kopf des alten Mannes saß, hatte sich zu mir hin gewendet, aber nicht genug Zeit um aufzustehen. Ich stand breitbeinig über dem Mann, den linken Fuß etwas weiter nach vorne, ging leicht in die Knie, um mein Schwerpunkt auf Höhe der Hüften zu haben, so wie ich es vor vielen Jahren gelernt hatte und in den wenigen Kämpfen, die ich unter offiziellen Regeln gekämpft hatte, perfekt angewendet hatte, um dann nach nur wenigen Runden als Sieger die Fäuste in die Höhe zu recken.
Sein Kopf befand sich auf der Höhe meines Bauchs. Von oben herab traf ihn mit der Faust genau auf der rechten Seite des Gesichts unterhalb seines Auges und er fiel nach hinten auf den Rücken. Ich erkannte, wie einer der anderen beiden sich von der linken Seite an mich heran machte. Leicht drehte ich meinen Oberkörper in dessen Richtung und mit dieser Bewegung nahm ich Schwung für den nächsten Schlag. Ich traf ihn genau an der Kinnspitze und spürte, wie sein Kiefer nachgab.
Den, den ich zuerst erwischt hatte sprang von hinten auf mich. Obwohl er leicht wie eine Feder war, verlor ich das Gleichgewicht, kam ins stolpern und fiel nach hinten, mit dem Rücken gegen die Häuserwand. Ich spürte wie sich sein Griff sofort lockert und drückte seine Arme von mir weg. Der Aufschlag war zu hart für ihn und sein Kopf lag schlaff auf seiner rechten Schulter. Ich machte mir sorgen um ihn, befürchtete dass sein Hinterkopf gegen die Wand geknallt war. Doch lange nachdenken konnte ich nicht.
Auch der andere Junge, der, der für das Ausrauben zuständig war, war leider zu unerfahren. Er pirschte sich von rechts an mich ran, so dass ich ihn noch gerade so im Blickwinkel erkennen konnte. Wäre er von hinten gekommen, so hätte ich ihn nicht bemerkt, denn leise bewegte er sich auf jeden Fall. Außerdem sorgte die Klinge in seiner Hand für ein metallisch blinkendes Warnzeichen.
Ich drehte meinen Oberkörper in seine Richtung, bewegte mich auf ihn zu. Er ging einen Schritt halb zur Seite, halb nach hinten. Er war noch sehr unerfahren. Seine Klinge warf er sich von einer Hand zur anderen zu. Ich ging noch einen Schritt nach vorne und er wisch mir erneut aus.
Meinen letzten Kampf hatte ich schon längerer Zeit hinter mir gehabt, doch in dem Moment, als der Junge so vor mir stand, erinnerte ich mich zurück. Oft genug hatte ich mich in diesen Situationen befunden, mal mit, mal ohne Messer in der Hand. War ich es, der das Messer hielt, so gab es immer 2 Überlebende. Nur einmal nicht. Er hatte nicht auf mich hören wollen. Dabei hatte ich ihn gewarnt, sogar drum gebeten sich einfach umzudrehen und zu gehen. Doch er hatte mich angegriffen und versucht mir das Messer aus der Hand zu schlagen. Ich konnte ihn dadurch am Unterarm erwischen und die Wunde war fast tief genug gewesen um seinen Muskel zu durchtrennen. Trotzdem hatte er nicht aufhören wollen. Ich hatte ihn noch mal warnen wollen, als er mich wieder angriff, wir ein Stier, mit dem Kopf voran. Schnell hatte ich das Messer nach vorne gestreckt, um ihn an der Schulter zu erwischen und wurde von seiner Reaktion überrascht. Er war fast von alleine in die Klinge gelaufen und ich konnte spüren, wie sie in sein Fleisch schnitt. Es war ganz leicht gewesen, kein Widerstand. Das Messer hatte tief in seinem Hals gesteckt. Ein paar Sekunden lang zuckende Bewegungen, ein blutiges Gurgeln, ein Blick nach oben in meine Augen, und dann war er tot.
Gestern konnte ich meinen Gegenüber nicht zum weggehen bitten, da ich nicht das Messer in der Hand hielt. Ich blickte ihm in die Augen. Seine Augen sprangen umher, bei jeder kleinsten Körperbewegung von mir. Vielleicht war dies sein erster Messerkampf überhaupt.
Wieder ging ich einen Schritt nach vorne. Langsam kam ich ihm näher, ohne dass er es zu merken schien. Ich machte einen schnellen Satz nach vorne. Er blieb regungslos stehen, nur seinen Oberkörper zuckte nach hinten. Ich packte mir seinen Arm, in dem er das hielt, verdrehte es, so dass er nach vorne kippte und auf die Knie ging. Durch einen harten Schlag gegen den Unterarm, knapp unterhalb seines Handgelenks, öffnete sich seine Hand und das Messer fiel auf den Boden.
Plötzlich hörte ich schnelle Schritte, die sich von mir weg bewegten, jemand lief davon. Ich drehte mich um und sah die beiden anderen Gauner noch bewusstlos am Boden liegen. Der alte Man, ihr Opfer, war weg. Er muss die Aufregung ausgenutzt haben um sich unauffällig davon zu machen. Er hatte genau das richtige gemacht. Doch diese Schritte klangen kleiner, tapsiger, wie die eines achtjährigen Kindes. Irgendwo im tiefen Dunkel der Gasse musste sich noch jemand versteckt haben. Links von mir befand sich die Hauptstrasse, von der wir uns weiter entfernt hatten.
Ich versuchte wieder aufzustehen, doch der Junge war zu schnell für mich. Er warf sich auf mich, so dass ich nach hinten fiel und er lag auf mir. Mit beiden Händen packte er mich am Hals. Seine dünnen und kurzen Finger konnten meinen Hals nicht umschlingen, doch der drückte mit aller Kraft. Eine Hand konnte ich los reißen. Aber er schlug mich ins Gesicht und drückte meinen Kopf fest auf den Boden. Ich suchte nach seinem Hals und packte zu.
Doch auch ich war mal jung und hatte noch kleine Hände. Mein Körper war damals noch fast rein gewesen, meine Haut hell und meine Knochen hatten keine Probleme mit der winterlichen Kälte gehabt. Ich hatte einem alten Farmer geholfen das Rad an seinem Karren zu reparieren und hatte von ihm einen warmen Teller Suppe bekommen und soviel Brot dazu, wie ich wollte. Ich hatte ihn noch gebeten, mir etwas Geld zu geben um wenigstens in die nächste große Stadt zu kommen. Er war sehr aufbrausend gewesen, so wie ich. Er hatte einen Topf nach mir geworfen und mich an der Brust getroffen. Er hatte mich aus Gauner beschimpft und wollte mich angreifen. Ich konnte seinen Angriff abwehren, hatte ihn am Hals gepackt und mit dem Rücken auf den Esstisch geworfen, sein Kopf über die Tischkante hinausragend. Durch den Schwung hatte ich mein Gleichgewicht verloren, war nach vorne gefallen, die Hände um den Hals das alten Mannes. Ich konnte spüren, wie es brach, wie es kurz davor Widerstand gegeben hatte und dann nachgegeben hatte unter dem Gewicht eines dünnen und müden Mannes, fast noch ein Kind.
Ich hatte die ganze Wohnung durchsucht und konnte kaum mehr Geld finden, als die Summe um die ich ihn angefleht hatte, und lies es dort liegen.
Der Junge war kleiner als ich, zumindest seine Arme waren kürzer als meine. Ich drückte ihn an seinem Hals nach oben, so dass er meinen Hals nicht mehr packen konnte. Er zerrte an meinen Armen, ich drückte weiter zu. Er schlug auf meine Arme, seine Körper zitterte wie ein Fisch, gerade gefangen worden, noch voller Kraft um dir aus den Händen zu gleiten und mit etwas Glück, zurück ins Wasser fallend, sich zu retten. Der Junge wäre jedoch nicht weggelaufen. Blut lief mir an den Armen runter. Seine Fingernägel bohrten sich in meine Handgelenke. Er drückte fest zu, zerrte an meinen Händen, wurde immer kräftiger. Ich musste fester zudrücken. Seine Augen waren weit aufgerissen, wurden glasig, seine Unterkiefer war nach vorne geschoben, kleine Zähnchen kamen zum Vorschein, seine Zungen ragte aus dem Mund, Speichel lief an seinem Kinn runter, über meine Hand und seine Augen bewegten nicht mehr, schauten durch mich hindurch.
Sein Körper wurde mir plötzlich zu schwer und ich konnte ihn nicht mehr hoch halten. Ich hatte Angst ihn auf mich fallen zu lassen und lies ihn seitlich von mir runter. Sein Gesicht lag auf dem harten und schmutzigen Boden dieser dunklen Gasse. Ich berührte ihn nicht mehr.
Ich befand mich auf allen Vieren, war außer Atem, tief sog ich die laufwarme Luft in meine Lungen und mein Brustkorb schmerzte mir. Ich fühlte mich sehr müde, zu kraftlos um aufzustehen. Doch dann stand ich auf, alt und bucklig, der Blick nach unten.
Ich hörte wieder das schnelle Tapsen. Dann war es wieder weg. Das Atmen schmerzte mir immer noch sehr. Ich hörte wieder Schritte, dieses Mal langsamer, aber kräftiger.
Sie standen vielleicht 15 Meter von mir entfernt. Sie kamen nicht näher. Ich hob meinen Kopf und erkanntes dass es fünf Leute waren. Auch wenn ich ihre Gesichter nicht erkennen konnte, so wusste ich dass es die Älteren wären, sie tragen andere Kleidung und haben eine andere Körperhaltung. Sie kennen auch mich. Dieser Ort ist klein und solche Leute wie wir kennen sich gegenseitig. Man weiß wo sie sind und sie wissen wo sie dich finden. Weggehen von hier kann ich nicht mehr. Für mich gibt es keinen Weg mehr, nirgendwo hin.
Doch mich kommen sie nicht holen. Ich lasse es nicht zu!
Ein noch kleines Kind hatte sich an ein Bein eines dieser fünf Männer geklammert, es mit beiden Armen fest umschlossen. So drehe ich mich um und verlasse die dunkle Gasse, zurück ins gelbliche Licht der alten Straßenlampen.
Noch immer, habe ich den kräftigen aber doch so sanften Geschmack des Whiskys im Mund. Wenn ich meinen Mund fest zusammenpresse, die Zunge an den Gaumen drücken, dann kommt der Geschmack wieder zurück.
Die wärmende Sonne ragt nur noch ein Stücken über die Berge hervor. Das Dunkel der Nacht erwacht.
Ich spaziere die Hauptstrasse hinauf, vorbei an unbekümmerten Touristen, schaue mir ihre Gesichter an, schaue in ihre Augen, wie sie an mir vorbeischauen, wie sie lachen und sich selbst so viel zu erzählen haben. Dann biege ich nach links in einer der Querstrassen hinein. Diese schmale Strasse ist stark ansteigend. Ich gehe vorbei an dunklen Häusern, in keinem brennt Licht. Dann biege ich wieder nach links ab. Nun ist es wieder eben. Da sitzen zwei ältere Damen auf einem Treppenabsatz. Hinter mir läuft ein Kind vorbei. Ich gehe weiter. Nach rechts. Wieder hinauf. Ich höre wie eine Tür geöffnete und wieder geschlossen wird.
Weit vor mir steht ein junger Kerl. Er wendet sich ab und verschwindet in einer der vielen dunklen und unbekannten Seitengassen. Dann erscheint er wieder und geht wieder weg. Ich folge ihm in dieselbe Gasse hinein. Dann sehe ich sie und gehe ihnen entgegen.