Was ist neu

Es stinkt anders als sonst

Mitglied
Beitritt
10.09.2016
Beiträge
901
Zuletzt bearbeitet:

Es stinkt anders als sonst

Das war vor zwei Wochen. Ich komm nach Hause, es ist Freitag und halb zwei nachts. Ich mach auf und sag: „Mutter.“ Die liegt auf dem Boden, pennt in ihrer eigenen Pisse. Ich schüttel sie und sag: „Mutter.“ Aber die wacht nicht auf. Also hol ich einen Lappen. Als das weg ist, zieh ich ihr die Hose aus und einen Jogger drüber. Ich kremple den Stoff und ziehe ihn über ihre weißen Schenkel. Es riecht nach Schnaps und Muschi. Wie eine Tote ist die, denk ich – und weit hergeholt ist das nicht bei dem Konsum. Unter den Armen nehm ich sie, schleife sie durch den Flur und die wacht nicht auf. Die Achseln sind warm, ihr Kinn fällt auf die Brust. Sie sieht so dumm aus, wenn sie so ist. Ich bring sie ins Bett, deck sie zu, geb ihr einen Kuss. Aber zu ihr leg ich mich nicht.
Am nächsten Morgen pack ich meine Sachen, schreib der einen Zettel. Die pennt immer noch.

Frieda ist meine Freundin. Ihre Eltern sind nette Leute. Laden mich immer ein, bin immer willkommen. Vor zwei Wochen meinten die: „Zieh mal ‘ne Zeit zu uns.“ Und das war an dem Tag, wo die sich wieder halb tot gesoffen hat. Ganz ehrlich, sie ist meine Mutter. Aber ich will das einfach nicht mehr. Die muss selbst sehen, wie sie klarkommt.
Der Vater von der Frieda hat mich mal gefragt, was eigentlich mit der ist. „Wie?“, hab ich gefragt. Ja, warum die so viel säuft. Und da ist mir der Kiefer runtergeklappt. Warum? Weil ich es nicht wusste. Weil ich es mich nie gefragt hab. „Ja, weil sie eben säuft“, hab ich gesagt, aber wusste schon, dass das eine dumme Antwort ist. Wollt aber auch nicht zugeben, dass ich es nicht wusste. Und dann wollt ich es natürlich rausfinden. Also bin ich abends zu der hin und frag: „Mutter, wieso säufst du eigentlich?“
Und da sagt die ernsthaft: „Na wegen dir.“
„Wie wegen mir?“, frag ich.
„Bin nur ‘n bisschen betrunken. Sei mir nich’ böse, okay?“, sagt die.
Jeder würde sagen: „Was bist du für ein Idiot. Lass dir sowas nicht gefallen.“ Aber es ist nicht immer so leicht.
Ich steck mir eine Zigarette an und paff ein bisschen in ihre Richtung. Da fragt die mich, ob sie attraktiv ist.
„Wie soll ich das sagen?“
„Na, du bist in dem Alter.“
„Du bist meine Mutter“, sage ich.
Sie fasst sich unter ihre Brüste. „Du musst bei Frauen immer drauf achten, nich’ zu weich zu sein. Auch bei Frieda.“
„Ach halt die Klappe“, sag ich. „Redest nur dummes Zeug.“
Dann ist sie eingeschnappt. Wie so eine Fünfjährige. Sagt, ich wär undankbar, und klammert sich an die Flasche.

Die Frieda geht noch zur Schule, will mal selbst Lehrerin werden. Wenn ich aus dem Betrieb komme, ist sie schon da. Die Eltern kochen. Wie eine perfekte Welt. Trotzdem denk ich oft an die Mutter, denk an den Abend vor zwei Wochen, frag mich, ob sie heute Abend wieder in ihrer Pisse liegt. Wenn ich wollte, konnte ich mich immer zu der hinlegen. Dann hielt die meinen Kopf wie bei einem Kind. Hab es lange nicht mehr gewollt, nicht gewusst, ob es überhaupt noch geht. Wahrscheinlich schon.
Wie ich so nachdenk, sag ich zur Frieda: „Du, ich glaub ich muss nach der Mutter sehen.“ Und die sagt: „Lass lieber.“
Und ich sag: „Nee.“
Es fühlt sich nicht richtig an, so in die Nacht zu gehen. Weg von Frieda und der perfekten Welt. Aber ich denk auch: es ist deine Mutter. Die kannst du nicht im Stich lassen. Die hat dich aufgezogen. Du bist alles, was die hat. Geht auch nicht nur um dich in der Welt. So geht das in meinem Kopf und dann bin ich zu Hause, dreh den Schlüssel. Ich mach auf und Gestank kommt mir entgegen. Es stinkt anders als sonst.

 

Hallo @Carlo Zwei,

das hast Du sauber hingeknallt! Kein Wort zu viel und dicht am Milieu. Die Unbeholfenheit des Prots kommt gut zur Geltung, ohne dass Du ihn besonders oder ausführlich beschreiben musst. Auch die Pointe sitzt. Gerne gelesen! Viele Grüße - Detlev

 

Hallo @Detlev ,

Danke dir! Tut gut, zu hören, dass das für dich funktioniert. Bin jetzt nochmal unterwegs, versuche aber später nochmal ein bisschen klarer zu werden unter deiner aktuelöen Story.

Vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar und bis dahin!
Carlo

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom