Europäische Krankenhäuser im Praxis-Test
Europäische Krankenhäuser im Praxis-Test
Heute Florenz
(Beruhend auf einer wahren Begebenheit!)
Erschöpft aber glücklich dieses Martyrium überstanden zu haben, lasse ich mich in den weichen Sitz des Taxis fallen.
Zwei schreckliche Tage liegen hinter mir. In dieser Zeit wurde ich Zeuge der ungewöhnlichsten Ereignisse.
Auch das mein Taxifahrer einen unangenehmen Juckreiz an seinem primären Geschlechtsorgan durch stetiges kratzen zu unterdrücken versucht, erscheint mir keinesfalls mehr ungewöhnlich. Ich bin schlimmeres gewohnt. Das muss wohl so sein bei einem florentinischen Taxifahrer. Erstaunlich wie sicher ein geübter Autofahrer mit einer freien Hand unfallfrei den chaotischen Straßenverkehr meistert. Aber wie gesagt, diese Fahrt, war nur der Gipfel des Eisberges. Was hätte ich in den letzten Tagen dafür gegeben, anstatt in einem italienischen Krankenhaus zu liegen, mit einem anormalen Taxifahrer die Zeit zu verbringen. Was war geschehen. Die Vorgeschichte ist schnell erzählt:
Mit Schulklasse auf Abitur-Abschlussfahrt, Fußball gespielt. Ellbogenschlag ins Gesicht. Kopfschmerzen. Notarzt. Rettungswagen. Krankenhaus.
Auf der Fahrt ins Krankenhaus fiel auf, dass die Baumeister der florentinischen Straßen eine schwäche für das stetige auf und ab der Wellen vorwiesen. Anders kann ich mir nicht erklären weshalb die Pflastersteine ganz willkürlich mal tief im Erdboden versunken und dann wieder gewaltig in die Höhe ragten. Außerdem sorgte ein übermotivierter gewaltbereiter Azubi dafür, dass sich die Bewegungsfreiheit auf das öffnen und schließen der Augen reduzierte. Eine halbe Stunde nachdem wir mit Blaulicht das Hotel verlassen hatten, kamen wir am Krankenhaus an. Ich stellte erleichtert fest, dass meine Knochen die Fahrt unbeschadet überstanden. Nun wurde ich ins Haus geschoben. Zwar begleitete mich einen Armada von Sanitätern, leider kam keiner von ihnen auf die selbstlose Idee, die unseren Vormarsch behinderten Türen aufzuhalten. Mit mir als Türbrecher dringt das Rettungsteam immer tiefer ins Krankenhaus ein. Dann stoppt der Zug plötzlich auf einen Gang. Nach einem letzten enttäuschten „oh der lebt ja immer noch“ Blick verschwand meine Gefolgschaft wortlos. Verdutzt blieb ich auf meinem Wagen liegen. Absolute stille breitete sich aus. Nach einer Ewigkeit steigerte sich mein leiser Verdacht zu tragischer Gewissheit. Sie haben mich vergessen. Was sich hinter all denn Türen zu meine linken und rechten verbirgt weiß ich nicht und es interessiert mich momentan auch wenig. Ich habe ganz andere Probleme. Zum Beispiel ganz schlimme Kopfschmerzen und Kreislaufprobleme. Als ob das nicht schon schlimm genug ist, hat die Belegschaft scheinbar das Interesse an mir verloren. Ich werde ignoriert. Die wenigen Ärzte die sich hin und wieder auf meinen Flur verirren, strafen mich mit Nichtbeachtung. Die Art , wie sie seelenruhig an einem vorbeischlendern lässt die Vermutung aufkommen, dass sie früher einmal im Leichenschauhaus beschäftigt waren.
Vielleicht wollten sie mir damit ihren Unmut über meine unpassende Ausgehkleidung mitteilen. Dummerweise zwang mich nämlich das Rettungsteam im Hotel ultimativ auf ihm zu Folgen. Das zu meiner Bekleidung zu diesem Zeitpunkt weder Socken, ein Pullover, Jeans oder gar Schuhe gehörten, konnte die Lebensretter in ihrem Tatendrang nicht beirren.
Ganz in der Tradition asketischer Mönche versuchte ich in Unterwäsche, T-Shirt und einem dünnen Lacken dem Tod durch Erfrieren zu entgehen. Nur Sekunden bevor die Durchblutung nicht dringend benötigter Körperteile eingestellt werden sollte, geschah das unfassbare.
Dem Verhaltenkodex der Belegschaft folgend, rollte ein Arzt mich unsanft vom Gang in einen Nebenraum, der mich stark an eine Besenkammer erinnerte. Zwar war ich froh endlich nicht mehr dem mörderischen Durchzug im Gang ausgeliefert zu sein, doch verlor ich meinen Optimismus schlagartig wieder als mein Arzt ohne Kommentar wieder verschwand. Erneut brach eine lange Zeit völliger Isolation an.
Der Sinn dieses Manövers blieb mir schleierhaft, fühlte sich etwa die Belegschaft durch die Anwesenheit eines Patienten im Gang belästigt? Wenigstens wusste ich nun wie viel Uhr es war. 22.50 Uhr. Der Aufenthalt hier zog sich schon fast zwei Stunden hin.
Im Halbschlaf und noch immer benommen registrierte ich im ersten Moment überhaupt nicht, dass sich gerade ein Arzt über mich beugte. Doch ich war misstrauisch, handelt es sich hierbei vielleicht nur um ein Hirngespinst, einer zu Mensch gewordenen Projektion meiner Hoffnung endlich als Patient ernst genommen zu werden. „Ahhh“, er malträtiert meinen Kopf mit einem kleinen Hammer. Meine Arztprojektion würde mich nicht mit einem Hammer angreifen, er ist also real. Und endlich passiert etwas Wunderbares. Dieser Mensch in seinem weißen Kittel redet mit mir. Na ja, genau genommen versuchen wir es zumindest, aber das ist schon einmal ein Anfang. Da beide Anwesenden eine tiefe Abneigung gegenüber der Englischen Sprache verbindet, scheitern alle versuchen eine anspruchsvolle Unterhaltung zu beginnen. Doch mit all seinem pantomimischen Geschick gelingt es dem Arzt immer wieder, verständlich zu machen, was er wissen möchte. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich noch nicht ahnen, dass diese Art der Kommunikation die Krone der Völkerverständigung in diesem Irren-.. äh Krankenhaus darstellen sollte. Die Diagnose des Arztes war dann aber doch überraschend. Mir wurde eine starke Gehirnerschütterung attestiert und ein Krankenhausaufenthalt von mindestens zwei Tage verordnet. Das hört man natürlich gerne, vor allen weil bisher nur von einer kurzen Routineuntersuchung die Rede war. Aber egal, was sind schon zwei Tage auf einer fünftägigen Abschlussfahrt. Mit dieser diskussionswürdigen Diagnose übergab man mich wieder der Einsamkeit. Die Stunden krochen langsam vor sich hin, ganz im Gegenteil zur Kälte die sich mittlerweile im gesamten unbeheizten Raum ausgebreitet hatte.
Ich würde jetzt gerne versuchen einzuschlafen, doch noch keimt die Hoffnung, dass für mich nicht dieser Abstellraum sondern ein seriöses Krankenbett für die Nachtruhe bestimmt ist. Wäre irgendwie gerechtfertigt so ein richtiges Bett mit KOPFKISSEN!!!
Meine gewagte Prognose erfüllte sich tatsächlich. Um 02.45 Uhr setzte sich meine Reise fort. Leider aber noch nicht ins Bett, sondern zur Kopfuntersuchung. Nach einem neuerlichen halbstündigen Zwischenstopp auf dem Gang, wurde ich in drei Maschinen untersucht. Wobei die qualifizierte Nachtschwester es sich nicht nehmen ließ, während der Röntgenbestrahlung glücklich ihre E-Mails zu lesen. Zum ersten mal hatte ich das Gefühl in guten Händen zu sein! Auch dass sie ein Online-Brief dermaßen in Freude versetzte, dass sie nicht nur die andere Nachtschwester informierte, sondern den Emotionen durch ausgelassene Freudengesänge Ausdruck verlieh, fand ich völlig in Ordnung. Bewundernswert das sie nach ihrer knapp zehnminütigen Spontanparty doch noch auf die Idee kam, mir die mich seit eben diesem Zeitraum völlig überflüssig erdrückenden Bleigewichte abzunehmen.
Nach mehreren anderen Untersuchungen machte mir ein Arzt mit Ausdrucksstarken Gestik und Mimik klar, dass ich nun bald in mein Zimmer gebracht werde. Tatsächlich begaben wir uns kurz darauf in einen Aufzug. Die Uhr zeigte 03.15 Uhr an. Da ich mich schon zu beginn als hervorragender Türbrecher erwiesen hatte, kam diese Taktik auch auf dieser Tour zum Einsatz. Zwei Krankenschwestern halfen mir ins Bett. Dabei ließ ich das Laken auf dem Wagen zurück. Das war ein Fehler. Grell, laut und selbst für kerngesunde Menschen kaum zu ertragen, schrie die eine Schwester mir ihre ganze Verachtung ins Gesicht. „Porrrrrtugaaaaaaaaaaaaaallllll, no, no, Porrrrrrrrtugaaaaaaaaallllll!!!“ Erst als sich diese Hobby-Alarmanlage wieder beruhigte, bemerkte ich den Grund für ihren Wutausbruch. Auf meinem Trikot stand „Portugal“. Hätte ich von der Antipathie der Italiener gegenüber diesem kleinen Land am Atlantik gewusst, wäre ich sicherlich nicht damit ins Krankenhaus gegangen. Schon meinen Ohren zuliebe.
Gott sei Dank verzichtete sie auf weitere Unmutsäußerungsengen. Wortlos richtete sie das Bett her und ich bekam endlich mein Kopfkissen.
Kurze Zeit später, mittlerweile war es kurz nach vier, verließ sie den Raum. Ich besaß nun eine wärmende Decke. Eigentlich richtig komfortabel. Dumm nur, dass mein Kopf immer noch wahnsinnig wehtat. Aber wenigstens etwas Ruhe zum Nachdenken und zum sich selbst Leid tun. Das mit der Ruhe stellte sogleich als Illusion heraus. Ob das Personal nicht über die Diagnose des Arztes in Kenntnis gesetzt wurde, oder ob es sich bewusst darüber hinwegsetzte kann nicht mit letzter Gewissheit beantwortet werden.
Unbestritten jedoch ist, dass ich mein Zimmer mit einem Patienten teilte, den ein, höfflich Ausgedrückt, sehr aufdringliches Schnarchen kennzeichnete. Warum legt man einen Menschen mit Gehirnerschütterung neben ein mobiles Erdbeben?
Die Nacht war dementsprechend kurz und wenig entspannend.
Morgens um halb sieben brachte die Schwester Frühstück. Erneut begann ihr Klagegeschrei wegen des Trikots. Dummerweise machte ich den Fehler und lachte kurz über ihre Witze die sie über Portugal machte, obwohl ich kein Wort verstand. Das ermutigte sie nur zu weitere lustige Sprüchen. Nachdem sie endlich einsah, dass ich ihre, auf Italienisch, vorgetragenen Gags nicht verstehe, beruhigte sie sich und verließ kurz darauf das Zimmer. Das war der erste und letzte versuch von mir auf das Personal einzugehen. Meine Erfahrungen der letzten Nacht ließen mich zum Schluss kommen, dass eine Kooperation mit ihm unmöglich ist. Hier bringt einen nur Eigeninitiative und Zivilcourage weiter. Es wurde gesagt, dass ich heute unbedingt den ganzen Tag im Bett verbringen sollte. Den Tag verbrachte ich dann aber doch lieber damit, das Krankenhaus zu erkunden. Mir fällt zu diesem Tag vor allen zweierlei ein: langweilig und deprimierend. Unentwegt lief ich Barfuss über die Fluren, da meine Schuhe nach wie vor im Hotel auf meine baldige Rückkehr hofften. Nachmittags hatte man ein Einsehen und brachte mir „Socken“. Diese „Socken“ sahen aus wie die Netze die man über die Haare zieht, wenn man Läuse hat. Vielen Danke dafür.
Abends um kurz nach sechs, wurde ich aus Deutschland auf meinem Handy angerufen. Es war ein schönes Gespräch, das leider mein Guthaben auf Null Cent sinken ließ. Wäre auch sonderbar gewesen, wenn bei all den Pannen hier auch mal was einfach nur ganz normal funktionieren würde. Aber noch stand ein dringender Anruf im Hotel an, da meine Lehrer auf Informationen warteten.
Das Handy muss unbedingt wieder aufgeladen werden. Also wandere ich zum hunderstenmal die Treppe von der dritten Etage ins Erdgeschoss, wo ein kleiner Kiosk steht.
Freundlich wurde mir der Preis für eine Handykarte mitgeteilt: 30 Euro.
Das ist zuviel Geld. Wieder die Treppen hinauf und über andere Lösungsmöglichkeiten nachdenken. Nach kurzem stand der Entschluss fest, eine gewöhnliche Telefonkarte für 5 Euro sollte ausreichen. Zurück in den Kiosk. Karte bezahlt, Karte erhalten alles OK?
Weit gefehlt. Erneut wartete das Krankenhaus mit einer kaum fassbaren Überraschung auf.
Zwar besaß ich nun eine funktionsfähige Karte, doch nutzt diese wenig, wenn die zum telefonieren zwingend erforderlichen Telefonapparate kollektiv defekt sind.
Nach Eineinhalbstunden wurde die Suche aufgegeben. Ich musste immer noch telefonieren und die Zeit drängt. Darum saß ich um halb acht Abends nun doch noch mit der neuen Handykarte auf meinem Bett. Erneut scheiterte der Versuch mit der Außenwelt in Kontakt zu treten.
Ich konnte zwar ohne Probleme die vom Handy auf Deutsch verkündeten Schritte verstehen, die zum Aufladen notwendig sind. Doch reichten meine nichtvorhandenen Italienischkenntnisse nicht aus um die Texte auf der italienische Handykarte zu verstehen.
Der Leser kann nun raten, welchem unlösbaren Problem meine hilfsbereiten, dem Deutschen nicht mächtigen, Mit-Patienten gegenüberstanden. Bis heute befindet sich diese Karte in meinem Besitzt. Bis heute ist sie dreißig Euro Wert. Bis heute ist es nicht gelungen das Guthaben aufs Handy zu übertragen. Um kurz vor neun kam endlich die lang ersehnte moralische Unterstützung. Zwei Gesandte aus meiner Klasse irrten schon seit über einer Stunde durch das Krankenhaus, bevor wir uns zufällig über den Weg liefen. Und das im wortwörtlichen Sinne. Natürlich wäre es zu simpel gewesen, wären meine Besucher geradewegs in mein Zimmer durchgekommen. Nein wir trafen uns zufällig im Aufzug. Dort glaubte ich eine fürchterliche Sekunde lang, dass meine Mitschüler mich nicht erkennen würden. Erst als ich anfing mir den Frust von der Seele zu schimpfen ließen sie das vorhandene Misstrauen fallen. Die „Portugal-Frau“ beendete leider diese kurze Phase der Entspannung schon nach wenigen Minuten. Sie verwies auf die bevorstehende Nachtruhe. Ja Disziplin wird großgeschrieben in florentinischen Krankenhäusern. Wenigsten wurde mir am Ende des Besuches ein Rucksack mit Kleidern, Nahrung und Duschzeug überreicht. Nachdem mir die Nachtschwester versprach, dass morgen um Punkt 08.00 Uhr der Doktor bei mir wäre um mich zu entlassen, ging ich ins Bett. Mein lautstarker Bettnachbar machte mir heute keine Angst. Ich hatte Vorgesorgt. Mit der Unterstützung meines Disc-Manns gelang es seine extrovertierten Schlafgewohnheiten zu ignorieren. Nach einer erholsamen Nacht, stand ich um sieben Uhr dreißig auf. Ich packte schon einmal meine Kleider um nach dem Gespräch mit dem Doktor diesen Ort so schnell wie möglich verlassen zu können. Jedoch acht Uhr kam und ging ohne dass ein weißer Kittel das Zimmer betrat. 08.30 Uhr verging ebenfalls ohne Besuch. Um 09.00 Uhr wurde das Bettzeug gewechselt, was mich der Entlassung aber auch nicht näher brachte. Mal wieder musste ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Nach einer intensiven Suche ging mir der Doktor endlich in die Falle. Ich spürte ihn in einem Ärzte Teamraum auf. Da ich den einzigen Ausgang versperrte, musste er mich zuerst entlassen, bevor ich diese Belagerung beendete. Eilig rannte ich nun hinunter in den Eingangsbereich.
Hier sollte ich mir ein Taxi bestellen lassen.
Die Empfangsdame lächelte mich freundlich an, als ich ihr diese Bitte vortrug.
Die Empfangsdame lächelte immer noch, als sie sich wieder ihren Friseusenmagazinen widmete.
Die Empfangsdame lächelte auch noch, als mir klar wurde, dass die Empfangsdame keinen Schimmer davon hatte, was sie für mich tun sollte.
Nach einer nervösen Suche, fand ich endlich einen Angestellten, der meinen Auftrag ausführte. Erleichtert trat ich durch die große Eingangstür ins freie. Sicherlich würde ich noch Wochen brauchen um mich von diesem Horrortrip zu erholen. Doch etwas Gutes hatten diese beiden Tage. So schnell bringt mich nichts mehr aus der Fassung. Diese neue Gleichgültigkeit wurde zugleich bei der folgenden Taxifahrt auf eine harte Probe gestellt.