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Ewige Nacht
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„Lassen Sie mich rein! Bitte! Machen Sie die Tür auf!“
Der ewige Wind und die Panik verzerrten die Stimme, die aus den Lautsprechern drang, fast bis zur Unkenntlichkeit.
„Sieh mal, Sam. Wieder einer von denen. Meinen die, wir würden noch darauf hereinfallen? Was? Hah. Wir doch nicht, nee!“
Der Lieutenant schaltete die Außenkamera auf Infrarot.
„Siehst Du, Sam, keine Wärmeabstrahlung. Es ist einer von denen!“
Der Mann vor der Tür hämmerte immer noch wie besessen auf den Panzerstahl.
„Geh weg! Lass uns in Ruhe! Such Dir wo anders was zu Fressen“, schrie der Lieutenant in die Gegensprechanlage.
„Sag´s ihm, Sam. Er soll weg gehen, oder ich hole unser Solarium und grille ihn, verdammt!“
Der Mann vor der Tür hatte sein Hämmern und Schreien eingestellt. Ruhig stand er vor der Tür und sah direkt in die Kamera.
„Ich werde hier draußen sterben, Mann. Und das wissen Sie. Wenn Sie noch ein bisschen Mensch geblieben sind, lassen Sie mich rein.“
Der Lieutenant sah auf das Dosimeter neben dem Monitor.
„Wenn Sie ein Mensch wären, wären Sie schon tot. Die Strahlung da draußen ist heißer als in einem Atomreaktor.“
„Ihr Dosimeter muss kaputt sein. Schließlich ist der Krieg schon seit mehr als zehn Jahren vorbei, verdammt. Lassen Sie mich endlich rein. Es ist saukalt hier draußen.“
„Lügner! Sam, sag ihm, er soll weg gehen. Ich hole das Solarium, zum Teufel.“
„Hören Sie, ich kann verstehen, dass Sie Angst haben“, beschwor ihn der Mann.
„Hätte ich auch an ihrer Stelle. Aber sehen Sie doch!“
Der Mann hielt die Hände hoch, so dass seine Arme aus den Jackenärmeln rutschten.
„Keine Strahlen-Male, keine Narben, nichts. Ich bin nicht verseucht, Mann. Lassen Sie mich endlich rein.“
„Vergessen Sie´s!! Sie sind kein Mensch. Ein Mensch wäre schon tot. Die Strahlung, die Kälte oder SIE hätten Sie längst erwischt. Also verschonen Sie mich mit Ihrem Schmierentheater und gehen Sie weg!“
„Sie irren sich. Ich bin ein Mensch. Bei Ausbruch des Krieges habe ich in einem Bunker gesessen, genau wie Sie. Dann erst war die Strahlung weit genug abgeklungen, um mit einem Rover loszufahren. Überall, wo ich hinkam, nur Dunkelheit, Kälte und Tod. Dann waren die Batterien alle, und ich musste zu Fuss weiter. Sie sind der erste Mensch seit zehn Jahren, mit dem ich spreche.“
„Ja, klar. Und gegessen haben Sie bei Burgerking, oder wie? Wollen Sie mich verarschen? Egal, was es da draußen zu essen gibt, es ist entweder verdorben oder verstrahlt. Also verpissen Sie sich endlich. Mich kriegen Sie nicht!“
Der Mann vor der Tür begann, frustriert auf und ab zu laufen. Seine Bewegungen waren etwas steif und linkisch, aber das konnte auch an der dicken Kleidung oder an der schlechten Bildübertragung liegen.
„Ich habe Sie im Infra-Licht gesehen. Sie geben keine Wärme ab. Weder im Gesicht, noch Ihr Atem noch sonst wo am Körper. Warum sollte ich Ihnen also glauben, dass Sie ein Mensch sind?“
„Ich habe mich mit Vaseline eingerieben, um meinen Körper zu isolieren. Die Isolation ist ziemlich gut, nur etwas ekelig. Man fühlt sich ein bisschen wie eine Schweineschwarte. Erinnern Sie sich noch an Schweineschwarten? Den Geruch, wenn sie in der Pfanne brutzeln? Das Geräusch, dass sie dann machen?“
Dem Lieutenant lief unwillkürlich bei der Erinnerung das Wasser im Mund zusammen.
„Ich habe dehydrierte Nahrung bei mir. Aus einem Army-Depot zwanzig Meilen von hier. Schweineschwarten. Corned beef. Bratkartoffeln. Es gibt überall diese Depots. Ich war Versorgungsoffizier, deshalb kenne ich die Koordinaten jeden Bunkers im Umkreis von 500 Meilen. So habe ich Sie auch gefunden. Leider haben die technischen Geräte in den mannlosen Depots den elektromagnetischen Puls nicht überstanden. Nur die Nahrung ist zu gebrauchen. Lassen sie mich rein, und ich teile mit Ihnen. Hier draußen habe ich kein Wasser.“
Dem Lieutanant wurde übel vor Hunger und Verlangen nach der Nahrung, die ihm der Fremde bot. Doch dann fiel ihm auf, dass der Fremde nicht erklärt hatte, warum seine Atemluft keine Wärmestrahlung produzierte. Bevor er den Mann danach fragen konnte, begann dieser, vor der Tür auf und ab zu gehen. Dann blieb er stehen und sah wieder in die Kamera.
„Was soll ich noch tun? Sie auf Knien anflehen? Bitte schön!“.
Der Mann fiel auf die Knie, streckte seine Hände in Richtung Kamera und blickte stumm hinauf. Tränen begannen langsam an seiner Schutzmaske hinab zu gleiten. Verzweiflung schien von ihm aufzusteigen wie feiner Dampf. Der Lieutenant starrte lange auf den Monitor. In seinem Gesicht spiegelte sich sein innerer Kampf. Angst war zu sehen, wurde von Hass abgelöst um gleich darauf leuchtete Hoffnung auf. „Zehn Jahre“ flüsterte er. „Zehn Jahre lang habe ich keinen lebenden Menschen da draussen mehr gesehen. Seit zehn verdammten Jahren.“
Er holte tief Luft.
„WEIL IHR VERDAMMTEN BASTARDE DIESEN KRIEG AUSGELÖST HABT!“.
Beim letzten Wort brach seine zu einem Schreien angeschwollene Stimme. Er sackte in sich zusammen.
„Alle starben in diesem Wahnsinn. Meine Familie, meine Freunde, meine Kameraden. Nur Sam und ich haben überlebt, weil wir gerade Dienst taten. Niemand war zu erreichen. Unsere Funkantenne schien den EMP nicht überlebt zu haben. Wahrscheinlich haben SIE sie aber kaputt gemacht. Einen Monat, nachdem die Stürme nachgelassen hatten und kaum noch Schnee fiel, begann die Belagerung. SIE kamen Einzeln oder in Gruppen, zerlumpte, gezeichnete Gestalten, die herein wollten. Sie flehten, sie schlugen an die Tür, doch wir ließen sie nicht herein, denn sie waren tot. Sie wussten es nur noch nicht. Ihre Körper wussten es noch nicht. Ihre Augen aber zeigten es. Es war nur eine Frage von Wochen, bei einigen nur eine Frage von Stunden, bis ihre Körper es auch verstanden und aufgaben.“
Die Erinnerung hielt den Lieutenant jetzt ganz gefangen.
„Wir schalteten die Kamera ab und die Lichter aus. Nach 6 Monaten trauten wir uns zum ersten Mal wieder, sie einzuschalten. Vorher betranken wir uns noch tüchtig. Wir tranken sehr viel, damals. Wir hatten in unserem Depot Unmengen von Essen und Alkohol. Offiziersdepot, Sie verstehen.“
Er zwinkerte, obwohl der Fremde ihn gar nicht sehen konnte.
„Als wir das Licht und die Kamera endlich eingeschaltet hatten, sahen wir nur schwarzen Schnee und dahinter Dunkelheit, sonst nichts. Keine Leichen, keine toten Körper, keine Tiere. Wir machten es uns zur Gewohnheit, jeden Tag für sechs Stunden Lichter und Kamera einzuschalten, um die Umgebung zu beobachten und ein Signal zu geben, falls doch noch Überlebende hierher kamen. Eines Tages hatte ich Wache, als ich auf dem Bildschirm eine Bewegung wahrnahm. Etwas, oder jemand, bewegte sich auf unseren Stützpunkt zu, jedoch ohne sich offen zu zeigen. Die Bewegungen, die ich sehen konnte, waren flink und geschmeidig, aber dennoch seltsam.“
Der Lieutenant hielt inne und trank einen Schluck Whiskey.
„Komm heraus, Mensch. Du hast nichts zu befürchten. Es ist kalt, aber wir werden dich wärmen. Wir geben dir Nahrung. Komm heraus. Das sagte dieses ... Etwas, als es vor unserem Bunker auftauchte.“
Der Lieutenant hielt einen Moment inne. Erinnerungen spiegelten sich in seinen Augen. Die Stimme des Lieutenants vibrierte jetzt beim Weitersprechen, als wenn er immer noch innerlich schaudern würde.
„Dann stand das Wesen, der Mutant oder was auch immer, nur da und starrte den Bunker an. Stundenlang. Wir schalteten das Licht aus, doch es ging nicht weg. Wir gingen schlafen. Am nächsten Tag stand das Wesen immer noch am gleichen Platz und starrte den Bunker an. Und am nächsten Tag. Und am darauffolgenden Tag. 2 Wochen lang stand es vor dem Bunker und starrte darauf. Wir konnten nicht mehr richtig schlafen, wir wurden immer gereizter.“
Die Stimme des Lieutenants wurde heiser, als erlebte er alles noch einmal.
„Die stumme Anwesenheit vor der Tür machte uns langsam mürbe. Natürlich sprachen wir es an. Es antwortete nicht. Wir leuchteten es direkt an, doch es blinzelte nicht einmal. Nichts, was wir taten, konnte das Wesen zu einer Reaktion bewegen. Schließlich hielten wir es nicht aus und beschlossen, einer von uns sollte den Bunker verlassen und das Wesen direkt angehen, um es zu verscheuchen. Das es noch lebte, konnten wir an kleinen Bewegungen sehen, die es ab und zu machte. Also knobelten wir, wer sich den schweren Schutzanzug anziehen und hinausgehen sollte. Ich verlor. Also zog ich den Anzug an und bereitete mich auf den Ausstieg vor. Doch kaum war ich dabei, die Schleuse für den Ausstieg bereit zu machen, sprach das Wesen schließlich doch zu uns.“
Der Lieutenant schwieg, war jetzt scheinbar ganz in seinen Erinnerungen versunken. Der Mann vor der Tür versuchte es noch einmal.
"Ich mache ihnen einen Vorschlag. Lassen Sie mich rein. Ich ziehe in der Schleuse meine Schutzkleidung aus und wische die Vaseline ab. Dann komme ich rein, und Sie können mich mit UV-Licht bestrahlen. Wenn ich dabei nicht zu Staub zerfalle, dann glauben Sie mir vielleicht endlich.“
Der Lieutenant zögerte noch, doch dann gab er sich einen Ruck und sagte:
“Kommen Sie rein. Bleiben Sie in der Schleuse, bis ich Sie auffordere, weiter zu gehen.“
Der Mann ging in die nun nach außen offene Schleuse und schloss die Tür hinter sich. Er wartete, bis die Luft in der Schleuse sich erwärmt hatte. Dann begann er sich auszuziehen. Indessen baute der Lieutenant einen großen UV-Strahler vor der inneren Schleusentür auf.
„Heh! Sie da drin! Haben Sie irgendein Tuch für mich? Für die Vaseline.“
„ Wischen Sie das Zeug an Ihrer Kleidung ab, ich gebe Ihnen neue Sachen, falls Sie der UV-Strahler nicht röstet.“
Der Mann wischte sich mit seiner Kleidung sauber und sprach dabei.
„Ich kann ja Ihre Paranoia verstehen. Schliesslich haben diese gottverdammten Kreaturen wirklich den Atomkrieg ausgelöst. Macht ja auch Sinn. Ewige Nacht. Hätte für die Biester ein Paradies sein können, wenn nicht ein Großteil Ihrer Beute mit Hopps gegangen wäre. Der Plan ist ziemlich nach hinten losgegangen, was?“
Der Lieutenant erwiderte:“Sobald sich die innere Tür öffnet, kommen Sie langsam mit erhobenen Händen raus und bleiben im Licht stehen, bis der UV-Strahler ausgeht. Wenn nicht, werde ich Sie mit einem Flammenwerfer aufwärmen. Verstanden?“
Der Mann bejahte. Die Tür ging auf, und der Fremde trat in den Bunker und blieb im Licht des UV-Strahlers stehen. Er schloss die Augen, um nicht geblendet zu werden. Nach etwa einer Minute erlosch der Strahler.
„Gut. Ich musste sicher sein, dass Sie auch wirklich ein Mensch sind“, sagte der Lieutenant und kam auf den Mann zu.
„Ich habe Ihnen noch gar nicht erzählt, was passierte, als die Kreatur zu uns sprach.“
Er trat näher auf den Mann zu.
„ Das Wesen erzählte uns von ewiger Nacht. Von der Freude des Nie-sterben-müssens. Und wir glaubten ihm. Weil wir ihm glauben wollten. Und ja, der Plan ist nach hinten losgegangen. Aber wir haben gelernt, damit zu leben.“
Der Lieutenant entblößte seine Fangzähne und warf sich auf den chancenlosen Mann. Das letzte, was er sah, war das Namensschild: Lt. Sam Marston.