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Experiment: Parallele Geschichten

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30.08.2006
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Experiment: Parallele Geschichten

Haben Sie schon einmal Menschen beobachtet, die in einen Sex-Shop gehen? Da gibt es die Sorte, die tun es mit einer Selbstverständlichkeit, als wollten sie Gemüse kaufen. Na ja und andere, die drehen sich am Eingang dreimal um und wollen sicher gehen, dass ihnen niemand in der Nähe ist, der sie kennt. Ich gehöre zu letzterer Sorte, also im übertragenen Sinn, denn ich gehe nicht in Sexshops, jedenfalls normalerweise nicht. Meine Leidenschaft ist etwas anderes, ich lese gerne. Das klingt jetzt weder spannend, noch aufregend oder erotisch, aber es erklärt, warum ich hier im Café sitze, anstelle der Universitätsbibliothek. Mein Faible ist Trivialliteratur der übelsten Sorte, was nicht weiter schlimm wäre, würde es nicht meinem Berufsethos widersprechen: Ich arbeite als Assistent am Institut für Literaturwissenschaft.

Also kurz und gut, es wäre eine Geschichte für sich zu erzählen, wie mir neulich dieses Buch in die Hände gefallen ist. Es entstand wohl in den späten 30er Jahren, geschrieben von einer damals blutjungen Autorin namens Rudolphine Burger. Zunächst hatte ich gedacht, es in einem meiner Seminare verwenden zu können. Ich fing also an zu lesen. Und nach den ersten Seiten war klar, ich würde es nicht übers Herz bringen, das Werk einer Analyse zu unterziehen. Es würde einer Entweihung gleichkommen.

Johann Beimpold betrat, nachdem er nochmals überprüft hatte, ob seine Uniform auch vollkommen sitze und sein glänzender, schwarzer Schnurrbart korrekt aufgezwirbelt sei, das Kaffeehaus Sacher. An einem der vorderen Tische erkannte er einige junge Offiziere des dritten Infanteriekorps, welche er grüßte. Zielstrebig und festen Schritts durchmaß er den Raum und setzte sich schließlich dorthin, wo er immer zu sitzen pflegte, an jenes an der rückseitigen Wand stehende Tischchen, von welchem aus sich der gesamte Saal überblicken ließ. "Was darf ich Herrn Leutnant bringen?", fragt Katrin, worauf Beimpold in heldenhafter Beiläufigkeit antwortete: "Das übliche Kathi."

Beimpold warf einen kurzen Blick in die Zeitung, aber nicht mit der Absicht die großen Neuigkeiten des Weltgeschehens zu erfahren oder zu verstehen, sondern um beschäftigt zu wirken, seinem Aufenthalt im Kaffeehaus eine scheinbare Bedeutung zu geben, die seine eigentliche Absicht verbergen sollte. Über den Rand der Zeitung hinweg ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen, als gelte es auf dem Feld der Ehre die Stellungen des Feindes zu erkennen und die Gräben in welchen die eigenen Männer standen. Seine Inspektion der Lage war ausgesprochen erfolgreich, denn es war ein verregneter Sonntagnachmittag, an welchem den Städtern die Lust am Promenieren verregnet war, so dass es zu einem ausgiebigen Kaffeehausbesuch keine eigentliche Alternative gab und deshalb der Raum gut gefüllt war. Dort hinten, in der von seinem Tischchen am entferntesten liegenden Ecke des Raumes saß eine Dame, die Leutnant Beimpold kannte, wenngleich bisher nur von ihren Auftritten. Lola Ingrisch war ihr Name, Schauspielerin und Sängerin, offenbar befand sie sich in angeregtem Gespräch mit einer anderen Dame, welche allerdings Leutnant Beimpold sich nicht erinnern konnte, in seinem Leben schon einmal gesehen zu haben.

War das nicht furchtbar? Unterste Schublade, Trivialliteratur, kitschiger Schund, oder wie auch immer man es nennen will. Arme Mädels, große Gesellschaft, schneidige Offiziere und Pathos bis zum Abwinken. Eine Peinlichkeit falls man im Büro oder in der heimischen Wohngemeinschaft mit diesem Buch erwischt werden sollte. Wobei es meine Berufsehre als Wissenschaftler nötig macht, diesen Sachverhalt genauer zu erläutern. Peinlich war mir nicht, so ein Buch zu lesen. Es hätte genügend gute Argumente für die Auseinandersetzung damit gegeben, und sei es der immer funktionierende Aufhänger Drittes Reich. Das, wofür ich mich schämte, war: Das Buch hatte mich berührt, Gefühle in mir hervorgerufen, mich in den Bann einer "Guten Alten Zeit" gezogen, die es in Wirklichkeit nie gegeben hatte, schon gar nicht aus dem Rückblick der späten 30er Jahre. Und diese meine Gefühle wollte ich nicht durch den Dreck ziehen lassen, nicht verteidigen müssen. So entschied ich mich also recht bald, dass dieses Buch mein kleines Geheimnis bleiben müsse, eben eine meiner persönlichen Macken. Ich las es typischerweise im Café und bewahrte es vor zufälliger Entdeckung in den Tiefen meiner Aktentasche und damit immer in meiner Nähe.

So waren denn einige Leseabende vergangen, die ich in jenem Café verbracht hatte. Es war ein Ort von welchem ich hoffte, vor Studenten, Kollegen oder Freunden sicher zu sein, weit genug entfernt vom Zentrum der Stadt. Ich hatte mich so manchen Abend aus meinem normalen Leben davongeschlichen, um zu lesen, lachen zu können und damit bestenfalls vor anderen Gästen oder den Bedienungen seltsam zu wirken. Aber es sollte noch besser kommen. Während ich mich Seite um Seite durch die Abenteuer meines naiven Helden las, ihn lieb gewonnen hatte mit seinen plumpen Versuchen, Liebesgedichte zu verfassen und vor allem aber seinen Erfolg bei der Weiblichkeit bewunderte, während also die Faszination für dieses Buch zunahm und ich mich vor dem Erreichen des Endes fürchtete, nahm auch der Wunsch zu, mehr über die Autorin zu erfahren.

Es war erstaunlich leicht, ihre Telefonnummer herauszufinden und was fast schon zu schön war, um wahr zu sein, sie schien in der gleichen Stadt zu leben, wie ich selbst. Ich konnte mich zunächst nicht entscheiden, ob ich sie anrufen sollte oder einen Brief schicken und entschied mich schließlich für Ersteres. Tatsächlich war die Nummer noch gültig und es meldete sich eine alte Dame, welcher ich nach mehrmaliger Wiederholung mit gesteigerter Lautstärke mein Anliegen klar machen konnte. Ich war glücklich und erhielt eine Einladung zum Tee für den folgenden Tag.

Ich trat in ihre Wohnung und wurde verschluckt von der Vergangenheit, die sich schon im Treppenhaus angekündigt hatte. Eingeschlossen von den Wänden und dem Geruch ihrer bescheidenen Behausung nahm mich etwas vollkommen in Beschlag, das ich nicht benennen konnte. Die Zeit schien stehengeblieben zu sein hier, nicht in den 30er Jahren, sondern irgendwann nach dem Krieg, in den 60ern vielleicht. Mich bat eine alte Frau herein, führte mich ins Wohnzimmer, wo ein Tischchen gedeckt war, Tee auf einem Stövchen bereitstand und Kekse aus dem Supermarkt von nebenan. Mir fielen die Bilder auf, Photographien die in Holzrähmchen steckten und auf die verschiedenen Möbelstücke verteilt waren. Die meisten davon bildeten schwarz-weiße, ernst dreinblickende Menschen ab.

Ich zog das Buch, ihr, mein oder unser Buch aus der Aktentasche und zeigte es ihr. Sie lächelte:
"Der Leutnant Beimpold. Lange ist es her, darum sind sie also zu mir gekommen."
"Ja, deswegen, Frau Burger. Ich habe es gelesen, nein verschlungen. Ich muss gestehen: Ich war hingerissen."
"Ich war 24 damals, als ich es schrieb. Das waren noch andere Zeiten, junger Mann." Sie bot mir an, Platz zu nehmen und schenkte eine Tasse Tee ein.
"Erst 24?", fragte ich nach und fügte hinzu: "Außergewöhnlich, in der Tat außergewöhnlich!"
"Sie kommen zu spät, junger Mann. Gute 20 Jahre zu spät."
"Wie meinen sie das, Frau Burger?"
"Ich habe irgendwann im Verlaufe der 80er Jahre aufgehört zu schreiben. Es war sowieso nur noch für die Schublade oder um mir selbst zu beweisen, dass ich es noch kann. Undank ist der Welten Lohn."
"So gibt es weitere Bücher von ihnen, die sich mit diesem vergleichen lassen?"
"Das verstehen sie nicht, junger Mann. Kurz nach dem Leutnant Beimpold kam der Krieg. Die meisten der Menschen auf diesen Bildern haben ihn nicht überlebt, unter ihnen mein Mann. Meinen sie, ich hätte da noch ans Schreiben denken können? Es ging ums nackte Überleben, ich arbeitete als Näherin, dann in der chemischen Industrie. Irgendwann fand ich dann Arbeit bei einer Versicherung." Sie unterbrach ihren Rückblick auf ihre Lebensgeschichte für einen Moment und fragte mich dann:
"Wie alt sind sie, junger Mann?"
"29."
"Ach die jungen Leute von heute. Ich glaube nicht, dass sie begreifen können, was ich durchgemacht habe damals. 29 sagen sie?" Ich nickte.
"Dann sind sie fünf Jahre älter, als ich damals. Und was haben Sie veröffentlicht?"
Das Blut stieg mir zu Kopfe, ich schwafelte etwas von einigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zur Literatur während der NS-Zeit und durfte mir dann eine mehrminütige Predigt anhören. Als junger Mann in sicheren Zeiten aufgewachsen und der Gehirnwäsche des heutigen Bildungssystems ausgesetzt könne ich gar nicht in der Lage sein, das nachzuvollziehen, was damals abgelaufen sei.

Irgendwann hatte mich die Vergangenheit ausgespieen und ich machte mich grübelnd auf den Heimweg. Der Geheimnis des Buches, das ich in meiner Aktentasche mit mir trug, hatte sich nur teilweise lüften lassen. Die Frau in ihrer ärmlich eingerichteten Altbauwohnung hatte nichts zu tun mit jener lebensfrohen 24-jährigen Josephine Burger, die Leutnant Beimpold erschaffen hatte.


Nachdem die Strategie geplant und die Truppen zusammengezogen sind, gibt es nur noch das eine, den Angriff, dachte sich Leutnant Beimpold. Er legte die Zeitung beiseite, erhob sich und schritt hinüber zum Tisch der beiden Damen. "Meine Gnädigste, ich kam nicht umhin, bei Ihnen vorstellig zu werden. Gestatten, Beimpold, Leutnant Beimpold." Lola Ingrisch warf ihrer Freundin einen vielsagenden Blick zu, um ihm dann lächelnd die rechte Hand - welche in einem schwarz-samtigen Handschuh verborgen war - zu reichen in Erwartung er würde selbige küssen. Ihre Hoffnung sollte nicht enttäuscht werden, Johann Beimpold verbeugte sich, ergriff galant die ihm dargebotene Hand zum Kuss, nicht ohne zuvor noch einmal in Lolas Augen geblickt zu haben und zu sagen: "Es ist mir ein Vergnügen Gnädigste, sie einmal nicht aus der Distanz der Loge heraus, sondern leibhaftig vor mir zu sehen."

Ich lege das Buch zur Seite nachdem ich noch einmal meine Lieblingsstelle gelesen habe. Am Nachbartischchen hat eine junge Frau Platz genommen. Sie war mir schon vor einiger Zeit aufgefallen, kurz nachdem sie in das Café gekommen war. Zunächst hatte ich den Eindruck gehabt, sie würde auch jemanden warten. Aber nachdem sie sich auch Lektüre mitgenommen hat, könnte dieser Eindruck täuschen.

Eine Weile blicke ich immer wieder zu ihr hinüber und hoffe darauf, dass sich unsere Blicke treffen oder sie mein Buch auf dem Tisch liegen sieht. Es wäre eine verbindende Gemeinsamkeit, ein Grund sich gegenseitig ein Lächeln zu schenken, doch vergebens. Zu fesselnd scheint ihre eigene Lektüre zu sein.Leutnant Beimpold, ich bin sehr erfreut, ihre Bekanntschaft zu machen. Wollen sie uns nicht ein wenig Gesellschaft leisten und den verregneten Nachmittag mit der Schilderung einiger ihrer Heldentaten vertreiben? 24 war Josephine Burger also gewesen, als sie diese Zeilen geschrieben hatte. Was trieb eine junge Frau dazu, so etwas zu Papier zu bringen? Vielleicht war es ihr eigener Wunsch gewesen erobert zu werden von einem strammen Kavalier in Leutnantsuniform. Diese habe ich nicht zu bieten, aber hoffentlich einen Hauch der Unwiderstehlichkeit meines Helden, dessen Unverfrorenheit und Draufgängertum auf meine zarte Geisteswissenschaftlerseele abgefärbt hat. Ich stehe auf, bemühe mich, Haltung anzunehmen und gehe hinüber zum Nachbartisch.
"Wie ich sehe, sind sie auch zum Lesen hierher gekommen. Das ist nun unverschämt, aber darf ich mich mit meinem Buch zu ihnen setzen?"

 

Hi Nicole,

nur eine kurze Rückmeldung, weil ich eigentlich etwas anderes vorhabe, heute. :) Besonders gut fand ich den Einstieg mit dem Sexshop, der aber keine Beziehung zum weiteren Verlauf der Geschichte hat.
Zwischendurch kommt eine Menge Zauber rüber. Werde mich anstrengen müssen, da mitzuhalten. ;) Manche Wendungen stehen im Passiv, wo es nicht sein müsste. Bei dem Gespräch mit der alten Frau fehlt eine Winzigkeit, um es glaubhafter zu machen, finde ich. Aber im großen und ganzen finde ich die Version *hüstel* zauberhaft.

lg Fritz

 

Hallo Nicole,

eine nette Geschichte, in schöner Sprache erzählt. Natürlich, die Pointe ist jetzt kein Knaller, aber das Ganze klingt flüssig und zusammengehörig. Besonders stark sind die Stellen aus dem fiktiven Buch, in denen du die altertümliche Sprache nacherlebst. Allerdings hätte ich mir einen deutlicheren Kontrast zum modernen Sprechen gewünscht; andererseitskann das ja auch mit der Wiener Cafehaus-Atmosphäre zusammen hängen.

Der Einstieg über den "Sexshop" ist originell.

Na ja und andere, die drehen sich am Eingang dreimal um und wollen sicher gehen, dass [ihnen] niemand in der Nähe ist, der sie kennt.

Johann Beimpold betrat, nachdem er nochmals überprüft hatte, ob seine Uniform auch perfekt sitze und sein glänzender, schwarzer Schnurrbart korrekt aufgezwirbelt sei, das Kaffeehaus Sacher.
Perfekt klingt mir hier etwas zu modern; wie wäre es mit vollkommen?

Zielstrebig und festen Schritts durchmaß er den Raum und setzte sich schließlich dorthin, wo er immer zu sitzen pflegte, an jenes an der rückseitigen Wand stehende Tischchen, von welchem aus sich der gesamte Saal überblicken ließ.
:thumbsup: stimmungsvoll

Seine Inspektion der Lage war ausgesprochen erfolgreich, denn es war ein verregneter Sonntagnachmittag, an welchem den Städtern die Lust am Promenieren verregnet war, so dass eszu einem ausgiebigen Kaffeehausbesuch keine eigentliche Alternative gab und deshalb der Raum gut gefüllt war.
Klingt authentisch.

Kollegin oder Freundin
Wäre Dame da nicht besser?

Eine Peinlichkeit falls man im Büro oder in der heimischen Wohngemeinschaft mit diesem Buch erwischt werden sollte.
heimischfinde ich hier zu altmodisch

Tatsächlich war die Nummer noch gültig und es meldete sich eine alte Dame, welcher ich nach mehrmaliger Wiederholung mit gesteigerter Lautstärke mein Anliegen klar machen konnte. Ich war glücklich und hatte eine Einladung zum Tee für den folgenden Tag erhalten.
Plusquamperfekt falsch, da keine Vorzeitigkeit vor Anliegen klar machen konnte.

Die Zeit schien stehengeblieben zu sein hier, nicht in den 30er Jahren, sondern irgendwann nach dem Krieg, in den 60ern vielleicht. Mich bat eine alte Frau herein, führte mich ins Wohnzimmer, wo ein Tischchen gedeckt war, Tee auf einem Stövchen bereitstand und Kekse aus dem Discounter von nebenan.
Discounter passt da nicht, zu modern

Sie lächelte: ...Sie hatte mir angeboten, Platz zu nehmen und schenkte mir eine Tasse Tee ein.
Plusquamperfekt unpassend

Der Zauber des Buches, das ich in meiner Aktentasche mit mir trug, hatte sich nicht lüften lassen.
Bild unstimmig

Aber nun ist offensichtlich die Person, auf welche sie wartet, nicht erschienen, sie scheint also alleine zu sein, ein Zustand mit dem sie sich abgefunden haben zu scheint, denn die liest in einem Buch.
ein Zustand mit dem sie sich abgefunden zuhaben [zu ]scheint; die unschön

Insgesamt würde ich einige Kommata mehr setzen und die Anrede "Sie" groß schreiben. ;)

Gruß, Elisha

 

Hallo Elisha,

ganz herzlichen Dank für deine Anmerkungen. Ich habe sie größtenteils eingearbeitet und dabei festgestellt, dass der Schluss noch etwas Feinschliff vertragen würde ... naja ein Projet für später. Natürlich hast du in den meisten Punkten recht, nur bei einer einzigen Kleinigkeit möchte ich dir widersprechen:

Zitat:
Eine Peinlichkeit falls man im Büro oder in der heimischen Wohngemeinschaft mit diesem Buch erwischt werden sollte.
heimischfinde ich hier zu altmodisch

Das Abfärben der altmodischen Sprache in das Leben des Prot. war Absicht und symbolisiert den EInfluss des Buches auf sein reales Leben. Ansonsten ganz lieben Dank fürs Lesen,

LG,

N

 

Hallo Nicole,

wie sagt man in der Werbebranche? Sex sells. Somit ist der Einstieg schon mal gelungen. :thumbsup:
Nachdem ich die Geschichte das erste Mal gelesen hatte (noch bevor ich von dem Experiment der Parallel-Geschichten wusste), war mein Eindruck, dass dies mit die beste Kurzgeschichte ist, die ich in letzter Zeit gelesen habe.
Beim zweiten Lesen hat sich dieser Eindruck verfestigt – auch wenn dies inzwischen nur noch für den ersten Teil der Geschichte gilt. Ich werde den Eindruck nicht los, dass irgendwann ein Bruch kommt. Ich versuch mal, die Stelle zu finden...

Naja, Bruch ist dann doch vielleicht zu viel gesagt, aber ab der Rückverfolgung ihrer Telefonnummer wirkt die Geschichte nicht mehr ganz so wie aus einem Guss – als hättest du mehr Zeit auf die Überarbeitung der ersten Hälfte gelegt und die zweite Hälfte etwas vernachlässigt. Das zeigt sich auch daran, dass die meisten Flüchtigkeitsfehler sich eher in der zweiten Hälfte finden.

Trotz des Bruchs (den es ja vielleicht gar nicht gibt) hat mir die Geschichte sehr gut gefallen. Auch wenn sie mir ziemlich bekannt vorkam :lol:

Ein wenig Textkram

Das hier

Es war erstaunlich leicht, über Rückverfolgung des Namens eine Telefonnummer herauszufinden
ist meiner Meinung nach etwas umständlich formuliert. Warum nicht einfach sagen, dass er ihre Adresse herausgefunden hat?

Das hier

Tatsächlich war die Nummer noch gültig und es meldete sich eine alte Dame, welcher ich nach mehrmaliger Wiederholung mit gesteigerter Lautstärke mein Anliegen klar machen konnte.
ist übrigens eine clevere Art zu zeigen, dass die alte Dame schwerhörig ist, ohne das Wort schwerhörig zu benutzen.

Das waren noch andere Zeiten junger Mann."
Das waren noch andere Zeiten, junger Mann.“[/quote] An einigen anderen Stellen fehlen auch ein paar Kommas, bin aber zu faul, sie jetzt und hier alle aufzuzeigen. Ist ja auch nicht Sinn und Zweck des Experiments.

"So gibt es weitere Bücher von ihnen, die sich mit diesem vergleichen lassen?"
Passt vom Gefühl (von meinem Gefühl) her nicht zu Manfred, so hätte eher Leutnant Beimpold geredet, oder?

Sie unterbrach ihren Rückblick auf ihre Lebensgeschichte...
Vielleicht besser: Sie unterbrach den Rückblick auf ihre Lebensgeschichte...?
Um die Doppelung „ihren“/“ihre“ zu vermeiden.

Das Blut stieg mir zu Kopfe,
Auch dieses „zu Kopfe“ passt eher zu einem Leutnant Beimpold, hört sich zumindest sehr altmodisch an.

Ich habe sie nicht beachtet, in der Annahme, es würde bald eine Freundin oder ein Freund sich zu ihr setzen. Aber nun ist offensichtlich die Person, auf welche sie gewartet hat, nicht erschienen. Sie scheint sich mit dem Zustand des alleine Seins abgefunden zu haben, denn auch sie hat sich etwas Lektüre mitgebracht.
Würde ich komplett streichen, denn die Überlegungen, ob sie auf einen Freund oder eine Freundin gewartet hat, ist nicht relevant und lähmt die Geschichte an dieser Stelle. Sie sitzt dort, sie ist ihm aufgefallen und sie liest. Wupp, eine Gemeinsamkeit. Das reicht doch. Meiner Meinung nach.

Ich stehe auf, bemühe mich, Haltung anzunehmen und gehe hinüber zum Nachbartisch.
"Wie ich sehe, sind sie auch zum Lesen hierher gekommen. Das ist nun unverschämt, aber darf ich mich mit meinem Buch zu ihnen setzen?"
Das Bild, wie dieser Typ versucht, Haltung anzunehmen, gefällt mir. Vor allen Dingen, weil dies ja tatsächlich eine Verbindung zu dem Leutnant Beimpold herstellt. Wenn er die junge Dame anspricht, sollte er jedoch so höflich sein und und dies in Großbuchstaben tun (Sie, Ihnen).

Gruß
George

P.S. Ich lese gerade in deiner Antwort an Elisha, dass das Abfärben der altmodischen Sprache auf das Leben bzw. die Sprache des Prot bewusst von dir eingesetzt wurde - dann vergiss meine Anmerkungen diesbezüglich. Wobei ich es immer noch schöner fände, wenn sich die beiden Protagonisten (Manfred und Beimpold) auch durch ihre Sprache unterscheiden würden. Aber es ist deine Geschichte.

 

Hallo George,

danke für deine ausführliche Kritik.

Nachdem ich die Geschichte das erste Mal gelesen hatte (noch bevor ich von dem Experiment der Parallel-Geschichten wusste), war mein Eindruck, dass dies mit die beste Kurzgeschichte ist, die ich in letzter Zeit gelesen habe.

Ganz herzlichen Dank, das freut mich einerseits riesig und lässt mich andererseits an meinen eigenen Plots zweifeln, da ja der Inhalt recht detailliert vorgegeben war und ich nur meine sprachlichen Fähigkeiten zu dem Thema eingebracht habe.

Vielleicht einige Erklärungen zu deinen weiteren Bemerkungen: Sex sells:

Den Einstieg zu finden war relativ schwierig. Was mich an Bergs Vorgabe am meisten störte, war der akademische Beginn mit dem Buch. Das musste also nach hinten, der Prot. im Cafe bot sich als EInstiegspunkt an, das Lesen und Kichern bleibt aber unverständlich und voila war mein Anfang geboren.

Dann ist der erste Teil relativ homogen innerhalb eines Morgens heruntergeschrieben und es hat mir erstaunlich viel Spaß gemacht, die Vorgaben zu verarbeiten. Ich dachte übrigens auch, dass der Bezug zur "realen" Welt am Anfang stärker ausgedrückt wird (Z.B. durch den Einstieg) und die Angleichung an den Leutnant erst schleichend im Lauf des Textes stattfindet ...

Nun und zu der Sache mit dem Bruch. Den Bruch gab es in der Tat in Form einer Unterbrechung beim Schreiben. Und es gab ihn, da die Vorgaben für die Schriftstellerin recht mager waren: Schwerhörig, Selbstgerecht. Die Idee, sie über die gesamte zeitgenössische Literaturszene schimpfen zu lassen, hatte ich nicht.

Also verblieb ich mit der Version einer Frau, deren Leben einfach vom Krieg aus den Fugen geworfen worden war, ohne dass sie es geschafft hätte, daran anzuknüpfen. Leider sah ich auch durch die recht genaue Vorgabe betreffend den Roman (Schund!) die Möglichkeit verbaut, in Bezug auf das Buch irgendetwas tiefsinnige zu Tage zu fördern.

Mit anderen Worten, ich habe mich schwer getan mit der gesamten Figur und du hast das feinsinnig erkannt. Die Vorgabe offener Schluss wiederum machte es unmöglich, den Faden des Manfred noch weiter zu spinnen, etwas das du ja gewagt hast, mit positivem Ergebnis.


Danke für die ausführliche Kritik,


LG,

N

 

Hi Nicole,

noch ein paar Eindrücke, nachem Elisha und George eh schon viel zu den Details gesagt haben.

Meine Lieblingsstelle war die folgende, wegen des schönen Vergleichs und der Ausdrucksweise, die zugleich schneidig und steif wirkt, wie Offiziere sich eben ausdrücken:

Nachdem die Strategie geplant und die Truppen zusammengezogen sind, gibt es nur noch das eine, den Angriff, dachte sich Leutnant Beimpold. Er legte die Zeitung beiseite, erhob sich und schritt hinüber zum Tisch der beiden Damen. "Meine Gnädigste, ich kam nicht umhin, bei Ihnen vorstellig zu werden. Gestatten, Beimpold, Leutnant Beimpold." Lola Ingrisch warf ihrer Freundin einen vielsagenden Blick zu, um ihm dann lächelnd die rechte Hand - welche in einem schwarz-samtigen Handschuh verborgen war - zu reichen in Erwartung er würde selbige küssen. Ihre Hoffnung sollte nicht enttäuscht werden, Johann Beimpold verbeugte sich, ergriff galant die ihm dargebotene Hand zum Kuss, nicht ohne zuvor noch einmal in Lolas Augen geblickt zu haben und zu sagen: "Es ist mir ein Vergnügen Gnädigste, sie einmal nicht aus der Distanz der Loge heraus, sondern leibhaftig vor mir zu sehen."

Die Zitate aus dem fiktiven Buch sind noch besser als die Handlung, die in der Gegenwart spielt. Nicht so gut fand ich Gemeinplätze, wie den Verweis auf die NS-Zeit als Grund sich mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu beschäftigen. Die Art von "Geisteswissenschaftler" wie Deinen (unseren?) Protagonisten finde ich sowieso doof: Leute, die in Worten schwelgen und durch eine reiche Kenntnis von Fakten meinen, alles besser zu wissen. Aber weil dieser Typus besonders bei den Literaturwissenschaftlern sehr häufig ist, kann man das der Autorin nicht anlasten. ;)
(Mein Kulturwissenschaftliches Ideal geht mehr in Richtung Neil Postman).

Aber kommen wir zurück zum Text: Den Dialog mit der alten Frau finde ich, wie gesagt, gut - denke aber, dass vielleicht noch eine Steigerung drin wäre.

Das Ende wirkt so alltäglich und normal wie es vielleicht beabsichtigt war.

meint einer, der selbst im Glashaus sitzt und daher nicht mit Steinen werfen sollte. :)

Fritz

 

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