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Experimentelle Liebe
Experimentelle Liebe
Niemand weiß so genau, was du da mit ihr tust. Du liebst sie, doch bist du einer dieser introvertierten Denker und hast dir ausgerechnet einen Gefühlsmenschen gesucht. Gegensätze ziehen sich an. Doch sehnst du dich nicht manchmal nach Intelligenz?
Nimmst du sie gern in den Arm? Magst du sie auch wenn sie rumschwafelt?
Komischerweise magst du es, wenn sie schlecht träumt und du sie danach in den Arm nehmen kannst. Du bist ein guter Beschützer, doch würdest du nicht manchmal lieber durchschlafen? Nicht durch deine Stärke gibst du ihr Schutz, dein Wissen ist die Kraft. Du brauchst keine Muskeln. Was du brauchst, ist jemand, an den auch du dich mal anlehnen kannst. Dieser Jemand will sie für dich sein. Egal ob niemand weiß, was du mit ihr tust.
Nun sitzt du da und wartest. Zählst die Fliegen, die an deinem nach Schweiß riechenden Körper vorbeisummen. Der Sekundenzeiger tickt, als hätte jemand festgelegt, dass eine Sekunde ab jetzt zwei Stunden dauern sollte und das auch noch so furchtbar laut.
Das Messer ist in deiner Hosentasche. Du hast das T-Shirt an, welches sie dir einst schenkte.
Sonst ist sie immer pünktlich.
Es klingelt. Sie ist da. Du stehst an der Tür und sagst zu ihr: „ Komm, lass uns in den Wald gehen.“ In einem etwas skeptischen Ton antwortet sie: „O.k.“
Sie mag den Wald nicht. Sie hat Angst vor dem Wald, doch du lockst sie immer tiefer rein.
Sie fragt viel zu ängstlich, was du denn eigentlich willst, im Wald. Dich umbringen natürlich. Denkst du dir, grinst und sagst dann: „Na einfach so hier rumlaufen“.
Dann sagt sie quengelnd, dass sie eigentlich gar keine Lust hätte, auf Wald und es würde auch schon dunkel werden. Und du würdest am liebsten sofort mit dem Messer auf sie einstechen.
Doch du bist geduldig. Geduld ist eine Tugend. Du überredest sie, noch ein Stück mit dir zu laufen. Es wird dunkel. Sie bekommt panische Angst. Darauf wartest du schon die ganze Zeit. Sie wirkt hilflos, zerbrechlich. In deiner Hosentasche dein Messer. Neben dir warmes Fleisch. Du bist besessen von dem Gedanken auf sie einzustechen. Jetzt wo sie so hilflos ist.
Dann plötzlich… ein Rascheln im Dickicht es hört sich anders an als das Rascheln eines kleinen Vogels. Sie klammert sich an dich. Du fühlst dich wie ein Held in einem Videospiel.
„Es wird schon nichts passieren.“ flüsterst du ihr beruhigend ins Ohr und in diesem Moment wird dir klar, dass du sie gar nicht umbringen kannst. Du hängst doch mehr an ihr als gedacht.
Deinen Gedanken kaum beendet entpuppt sich das Rascheln als die Bewegung eines Rehs.
Du siehst seine Silhouette im Mondlicht. Es ist starr vor Angst. Nach einigen Sekunden, die absolut lautlos an dir vorbei ziehen, rennt das Reh schreckhaft weg. Sie atmet erleichtert auf und sagt: „Komm lass uns nach Hause gehen.“ Du willigst diesmal ein und sie küsst dich erleichtert. Menschliche Wärme tut sehr gut.
Niemand weiß so genau, was du da mit ihr tust. Nicht einmal du.