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Führungsqualitäten

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Führungsqualitäten

"Ich will sie nicht, nimm Du sie", raunte er mir zu. Sein Blick war spöttisch und so herablassend wie seine Worte. Er wusste, dass sie mir gefiel. Ich stand nun einmal auf Frauen, mit etwas mehr Körperumfang. Ihr Bratarsch, wie er ihn abfällig nannte, hatte es mir angetan. Ich stellte ihn mir schon den ganzen Abend unverhüllt vor. Ich wollte sie haben, aber nicht so.

Männer wie er gingen da nicht bei. Bei ihm musste alles perfekt sein. Seine Frauen sollten Idealmaße, ein schönes Gesicht und auch was auf dem Kasten haben. Aber nicht zuviel, "sonst bleibst Du bei der Alten hängen", erklärte er mit Kennerblick. Ok, ich muss zugeben, er war leider kein Maulheld, der nur Töne spuckte. Nein, er war ein echter Held, ein Frauenheld. Das Thema hatte er drauf. Ich kannte keinen anderen Mann, der solch durchschlagenden Erfolg bei Frauen hatte. So sehr ich ihn auch verabscheute, so gerne zog ich doch regelmäßig mit ihm um die Häuser. Es kam einfach mehr dabei rum, wenn man mit ihm unterwegs war. Man musste einfach nur in seiner Nähe bleiben und schon bekam man weiblichen Kontakt.

Frauen gehen selten allein, sondern meistens zusammen mit einer Freundin aus. Wenn er eine in der Mache hatte, kümmerte ich mich um die Freundin. Und ich muss sagen, die gefielen mir meistens besser als seine Vorzeigepüppchen. Ich hatte nicht sein Aussehen und seinen Charme und musste daher viel reden. Wenn er dann mit seiner Beute abzog, blieben Freundin und ich als zweite Wahl zurück. Das verbindet irgendwie, wir redeten dann meist noch eine Weile und landeten schließlich auch im Bett. Sie, damit sie am nächsten Tag ihrer Freundin auch von einer heißen Nacht berichten konnte und ich, weil ich sowieso immer poppen wollte. Das war unser System, es funktionierte gut. Wir profitierten beide davon.

Er und ich kannten uns seit einigen Jahren. Wir hatten zur gleichen Zeit als Trainees in einem großen Technologiekonzern angefangen. Weil wir beide neu in der Stadt waren, zogen wir abends gemeinsam los. Doch in letzter Zeit gab es Spannungen zwischen uns. Er wurde immer arroganter und selbstgefälliger. Je mehr Erfolg er bei den Frauen hatte, desto mehr ließ er mich meine Zweitklassigkeit spüren. Auch in der Firma zog er in Riesenschritten an mir vorbei. Während ich es lediglich bis zum Abteilungsreferenten gebracht hatte, war er schon Leiter des Einkaufs. Unter ihm arbeiteten 30 Leute. Ich verstand die Welt nicht mehr. Fachlich war ich ihm weit überlegen, das wusste er, aber "darauf kommt es nicht an", wie er mir weismachen wollte. "Führungsqualitäten hat man oder man hat sie eben nicht", war seine Meinung und scheinbar hatte er recht. So erfolgreich er abends die Frauen in sein Bett führte, so führte er auch seine Abteilung.

Ich fing an, ihn zu hassen. Was hatte er, was ich nicht hatte? Ich mein, außer der sportlichen Figur, den stechend blauen Augen, dem vollen Haar und dem umwerfenden Perlweiß-Lächeln? Mein Gott, der Kerl hat nicht ein gescheites Buch zu Hause stehen, besitzt keinen Musikgeschmack, trägt Bundfaltenhosen und geht zum Kylie Minogue-Konzert. Ich mein, wie uncool ist das denn? Aber alle fanden ihn gut. Alle außer mir.

Irgendwann endeten dann unsere gemeinsamen Frauenjagdabende. Ich ging kaum noch weg, hing Zuhause rum und flirtete im Internet. Dort gab es jede Menge Frauen mit den von mir gewünschten Köpermaßen. Wie der Zufall es wollte, traf ich so eines Tages das Mädchen mit dem geilen Bratarsch wieder. Wir unterhielten uns nett, verbrachten einen schönen Abend zusammen und dann passierte alles ganz schnell. Verliebt, verlobt, verheiratet, zwei Kinder, Reihenhaus, Ford Mondeo. Ich bin mittlerweile stellvertretender Abteilungsleiter. Er hat noch mal ein gutes Wort für mich eingelegt, bevor er die Firma verlassen hat, um Geschäftsführer unseres größten Wettbewerbers zu werden.

Statt abends auszugehen, schauen wir lieber fern. Gestern habe ich ihn dann zufällig bei Sabine Christiansen in der sonntäglichen Talkrunde gesehen. Er saß da als ein führender Wirtschaftsvertreter und machte wie immer eine gute Figur. Die Gastgeberin war sichtlich angetan und flirtete ihn an. Er flirtete dezent zurück, während die Kamera ihn in Großaufnahme zeigte. Irgendwann sah man, wie er dem Politiker neben ihm etwas ins Ohr raunte. Ich kann zwar nicht von den Lippen ablesen, aber diesen Spruch kannte ich noch gut:


"Ich will sie nicht, nimm Du sie."

 

hey henry,

nette Anekdote über ein Thema, das wir alle kennen... ist zwar nichts neues, aber in seiner art sehr schön. mir hat's gefallen. vor allem der letzte satz hat ein grinsen auf mein gesicht gezaubert. kritisieren kann ich nichts, fand die geschichte in sich geschlossen und gut so wie sie ist...:thumbsup:

gruß
steve-o

 

Danke Steve,

ja so ist das wohl, meine Geschichten sind aus dem Alltag gegriffen, ich erzähl nichts Neues, aber das will ich auch nicht. Wenn man schmunzeln kann und sich gut unterhalten fühlt, bin ich zufrieden.

Lg Henry

 

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