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Fabel des Tiers

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09.12.2001
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Fabel des Tiers

Ein Wolf und ein Hund streiften eine verlassene Strasse entlang, ehe sie der asphaltierte Weg direkt in ein Dorf führte. Sie liefen entlang des Mittelstreifens ohne Furcht vor möglichem Verkehr zu haben, sahen sich in verlassenen Geschäften am Straßenrand um und schnüffelten in den einsamen Ecken von Hinterhöfen. Alle diese Ortschaften hatten eines miteinander gemeinsam: Nirgends war auch nur eine Menschenseele zu finden. Alles war tot und leblos. Nur der einsame Herbstwind und die eine oder andere Ratte verirrten sich in die staubige Stätte.
"Wolf", fragte der Hund, "wo sind all die Menschen hin?"
"Nun, hier wirst du keine mehr finden. Der Ort ist leer", antwortete der Wolf und stieß mit seiner Schnauze einen Zuckerbecher von dem Tisch eines Cafes.
Das Porzellanschüsselchen zerschellte am Boden und der Zucker verteilte sich auf dem Gehsteig. Der Hund sah den Wolf daraufhin nachdenklich an. "Sind sie tot?"
Der Wolf schnüffelte gerade an dem Zucker als er zu lachen begann. "Nein, nein. Die Menschen sind nicht tot. Sie sind nur fortgezogen, in eine andere Stadt."
"Warum?"
Der Wolf schleckte bereits den Zucker auf. "Wenn du mir noch mehr Fragen stellst ist bald kein Zucker mehr für dich da."

Einige Zeit später, als beide an einem alten, kaputten Auto, das mitten auf einer Kreuzung stand, vorbeigingen, begann der Hund wieder Fragen zu stellen: "Sie sind doch tot, stimmts?"
Der Wolf seufzte. "Na gut, dann erzähle ich dir eben die Geschichte der Menschen." Er kratzte sich mit der linken Hinterpfote am Genick und setzte sich mitten auf die Straße. "Vor Jahren, als ich noch ein kleiner Babywolf war beschloß die Regierung der Menschen stärker geschlossene Gemeinschaften zu bilden. Die zwanzig größten Metropolen der Erde sollten zu multikulturellen Megazentren umgebaut werden. Supergroße Festungen mit mehr als zweihundert Millionen Menschen in jeder dieser Städte. Wichtig für die Regierungen war die einzigartige Kontrolle die man mit diesem Projekt über die Planetenbewohner haben würde. Menschen wären vereint und nicht verteilt, Kontakte zu anderen Kulturen wären leichter zu erreichen, Kriege zwischen den Völkern würde es nicht mehr geben. Einige dieser Superstädte wären unter Anderem das neue Tokio, Mexico City, Sao Paolo, New York, Hongkong oder Moskau. Die Menschen mussten ganz einfach alles in ihrem Kleinstadtleben liegen lassen und in eine dieser Metropolen ziehen. So ist es auch mit diesem Dorf geschehen. Die Menschen sind weggezogen, in die große Stadt."
"Und sie kommen nie wieder zurück?"
"Na ja. Sie haben wohl keinen Grund mehr zurückzukehren", antwortete der Wolf, "in den Zentren gibt es alles was sie sich je gewünscht haben, damit keiner auch nur die Gedanken an einen Widerstand hegen würde."
"Alles?"
"Ja, bevor sie wegzogen durften sie Listen mit Wünschen und Forderungen an die Weltregierung schicken. Diese müssen diese wohl erfüllt haben. Kein Mensch ist in den Dörfern der Welt geblieben, wenn ich meinen Wolfsfreunden der anderen Rudeln glauben darf. Sie haben dort alles was die Menschen sich je gewünscht haben. Erfolg, Freunde, Spaß, Frieden, Wohlstand und Ausgeglichenheit."
"Wieso gibt es für uns Tiere so etwas nicht?"
Der Wolf dachte nach. "Hmm, wir Tiere sind wohl zu unterschiedlich, eine gemeinsame Gesellschaft zu bilden. Manche von uns hassen sich, manche von uns können gar nicht anders, als gegeneinander zu kämpfen. Wir sind triebgesteuert und kämpfen bis aufs Blut um Weibchen und Besitz."
Der Hund sah den Wolf traurig an. "Warum sind wir so anders als die Menschen? Warum können wir nicht so schlau wie sie sein, damit auch unsere Träume erfüllt werden?"
"Ach, ich weiß nicht, Hund. Wir sind frei und können tun und lassen was wir wollen. Außerdem haben wir doch uns beide. Sind wir nicht wirklich dicke Freunde?"
"Ja, ich glaube schon." Der Hund seufzte. "Verstehen sich die Menschen in einer dieser Städte auch mit den, aus den anderen neunzehn Ortschaften?"
"Die Regierung hat dazu extra superschnelle Gleis-, Straßen-, Wasser- und Luftverbindungen zwischen den Zentren bauen lassen, damit sich die Bewohner ständig besuchen können. Außerdem gibt es ein sogenanntes Interreales Netzwerk mit dem man eine Verbindung zu den Menschen aus den anderen Städten schaffen kann und sich mit ihnen unterhalten kann, als wären sie in der selben Wohnung mit dir."
"Wow", der Hund staunte, "wirklich toll was sich die Menschen da haben einfallen lassen."
"Über diese Netzwerke kann man noch mehr Sachen machen", fuhr der Wolf fort. "Es ist ist zum Beispiel möglich sich eine Landschaft aus einer beliebigen Stelle des Planeten einfach in das Wohnzimmer zu holen. Das Gefühl muß fast perfekt sein, habe ich gehört."
"Huii", der Hund geiferte bei dem Gedanken, wieder in dem warmen See zu schwimmen, wie er es früher tat, als er noch ein junger Welpe war. Damals lernte er unter der leichten Anziehungskraft der Flüssigkeit das Schwimmen und bewunderte die Beherrschung und Kontrolle seiner Mutter in dem Naß. "Warst du schon einmal in so einer Stadt?"
"Ich bin davor gestanden. Es ist ein wirklich riesiger Bau."
"Ich möchte auch dorthin, an diesen Ort. Ich möchte die immerglücklichen Menschen sehen, wie sie sich ihres Lebens freuen und Spaß miteinander haben. Das müssen die schönsten zwanzig Plätze der Erde sein." Der Hund sprang wild im Kreis und verfolgte vor Freunde seinen Schwanz.
"Das ist weit weg. Aber auf dem Hügel dort oben können wir in der weiten Aussicht des Landes eine dieser Städte in der Ferne erkennen." Der Wolf deutete mit der Schnauze auf einen Hügel im Osten, der sich hinter der Silhouette der kleinen Ortschaft aufrichtete.
"Ich will sie sehen, ich will sie sehen."
"So soll es sein."

Nach einer Stunde abwechselndem Laufen und Rennen, erreichten beide die mit grünem Gras bewachsene, relativ ebene Spitze des Hügels.
"Wo ist sie, wo ist sie?" Der Hund wurde ungeduldig.
"Dort drüben, im Norden müsste sie sein, aber..." Der Wolf hielt inne.
"Was ist? Was ist da? Ist sie weg?"
"Nein", er schluckte, "die Stadt ist nicht weg. Aber sie brennt."
Jetzt sah es auch der Hund, der seine Blicke auf eine riesige, schwarze, rauchende Säule am Nordhorizont richtete. "Das kann sie nicht sein. Wieso sollte sie brennen? Warum sollte sie zerstört werden?"
Ein weiterer Blick von dem Hügel aus nach Westen, über das kleine Dorf hinweg, zeigte noch etwas weiter weg, noch näher am Horizont, eine weitere Rauchsäule in den Himmel steigen. "Sieh her, Hund. Auch das dort drüben war einmal so ein Zentrum. Von dort steigt auch Brandrauch auf."
Der Hund begriff nicht und war total verwirrt. Statt die schönste und eindrucksvollste Sache seines Lebens zu erspähen, sah er nur Tot und Verderben. "Was ist passiert", fragte er besorgt, enttäuscht und erschrocken zugleich.
"Sieht so aus als haben sich die Menschen doch nicht so gut verstanden wie wir dachten." Der Wolf setzte sich wieder so hin, wie vorhin noch auf der Kreuzung. "Vielleicht ist andauernder Spaß und Glück nicht der Weg der begangen werden kann. Womöglich brauchen die Menschen auch Feinde und haben ebenso einen Hang zum Hass wie wir Tiere."
"Aber warum denn? Ich dachte die Menschen sind zu schlau und allmächtig um solche Gefühle haben zu müssen."
"Ja das dachte ich bis jetzt auch", antwortete der Wolf, "aber warum fragst du mich das? Ich bin nur ein Tier."

 

Wenn man von WUT zu diesem Text kommt, so erkennt man doch eine wirkliche Verbesserung.
Dennoch: Mir persönlich sind die Ausführungen des Wolfes über die Stadt zu platt und ich frage mich, woher es das wissen und wie begreifen kann.
Außdem habe ich mit Parabeln meistens das Problem, dass der Bezug entweder zu direkt oder überhauptnicht hergestellte wird. In diesem Fall bieten sich einem beim Lesen sogar zwei Interpretationen - eine nach der Hälfte, die andere dann am Ende.
Sind nun die Menschen glücklich und die Tiere ein Bild für die heutigen Menschen, die uns zeigen sollen, wie wir in Frieden leben können
oder soll uns gesagt werden, dass die Menschheit nicht fähig ist in Frieden zu leben und, wie die Tiere, diese Tatsache aktzeptieren muss?

Ich hoffe, diese Kritik sagt Deinen hohen Maßstäben zu - ich würde mich über so umfangreiche Kritiken wie bei WUT freuen.

 

Hallo Mr. A.,

seltsam, dass dir ausgerechnet "Fabel des Tiers" besser gefällt Als "Wut", letzteres habe ich nämlich einige Zeit später geschrieben als die kleine (Möchtegern-) Fabel (die mir im übrigen selbst gar nicht so sehr gefällt).
Jetzt dachte ich mir, ich stelle mal meine etwas "sanfteren", gesellschaftskritischen Storys hier rein, sonst zerfetzen die mich noch total.
Da ich mich die Tatsache des menschlichen Triebes fasziniert (der ja eigentlich gar nicht menschlich, sondern tierischer Natur ist), wollte ich in der Story darstellen, dass wir Menschen eigentlich noch in ferner Zukunft unserem Trieb (d. H. Zwang zum Kampf und Hass) unterstellt sind.

*Danke für die Kritik*

 

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