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Fahrgastzellenklima
Fahrgastzellenklima
Da steht er an der Theke. In meiner Stammkneipe am Tresen. Schon wieder. Helge der Autoverkäufer in seinem weiß-blau gestreiftem Hemd mit Anzughose dazu. Ich verstehe einfach nicht was der hier will.
Seit wir uns mal per Zufall im „ÜberEck“ getroffen haben, kommt er immer wieder her und das nervt. Es geht schon los mit seiner Getränkewahl. Er trinkt immer dieses widerliche Alkopopszeug mit Guarana.
Ich versuche mich mit einem kleinen „Hallo“ im Vorbeigehen aus der Affäre zu ziehen. Das reicht Helge aber schon. Mit seinem schönsten Autoverkäufergrinsen dreht er sich zu mir und bietet mir den Stehplatz neben sich an der Theke an.
„Was willst du trinken?“, fragt er und ich schaue verächtlich auf sein Trendgetränk.
„Ein kleines Bier und ein Korn“, rufe ich zur Bedienung hinter dem Tresen. Den Korn trinke ich nur aus Protest gegen dieses Modegetränk in seiner Hand. Und damit ich das Gelaber von Helge „ich-bin-der-beste-Autoverkäufer-der-Welt“ besser ertrage.
„Letztens habe ich ein ganz feines Auto an den Mann gebracht“, schwärmt Helge.
„Hmm, ach so“, schwärme ich zurück.
„Ja, ja den größten 5er den es gibt, den 550xDrive. Satte 74.000 € hat der Kunde dafür hingelegt. Plus Sonderausstattung für 4000 €. Du weißt schon, Amaturen in Edelholz, Sitze in Nappaleder und so weiter. Das hat vielleicht in der Provisionskasse geklingelt. Da kann ich mal wieder schön von in den Urlaub fahren. Malle ist schon gebucht“, berichtet Helge stolz.
„Das ja prima“, antworte ich und suche nach anderen bekannten Gesichtern in der Kneipe.
„Das ist schon ein klasse Auto, sage ich dir. Jede Menge Power unter der Haube. Ich sage nur: 400 PS! Und von Null auf Hundert in 5 Sekunden ...“.
Jetzt legt er richtig los. Ich nehme erstmal einen tiefen Hieb aus meinem Bierglas und bestelle mir noch einen Korn. Einen Doppelten.
„ ...und dann hat der einen Verbrauch von nur 11 Liter kombiniert, bei der Leistung... “. Helge ist in seinem Element.
„Weißt du was, Helge?“, unterbreche ich ihn, „ich hatte auch mal mit tollen Autos zu tun. Wie du jeden Tag.“
„Echt, gibt es ja nicht, welche denn?“, fragt er sichtlich erstaunt.
„Ja, doch echt. Ist schon eine Weile her. Ich war spezialisiert auf große Luxuskarossen, so Mercedes, BMW, Audi und so“, prahle ich.
„Spezialisiert? Auf was denn?“. Helge kann es immer noch nicht glauben.
„Ich war Spezialist für Fahrgastzellenklima“, erkläre ich ihm und bestelle zwei Doppelte von denen ich einen Helge vor die Nase stelle. Mit offensichtlicher Abscheu stürzt er sich den Korn die Kehle hinunter.
„Und was hast du da so gemacht?“, fragt er mit Tränen in den Augen.
„Tja, weißt du, ich habe damals in die Lüftungschlitze von den Karren gepisst. Jede Nacht. Vorher schön einen Sechserträger Bier leer gemacht und dann mit der vollen Blase raus in die Berliner Nacht. Jedes Auto über 25.000 € Neupreis wurde vollgepisst.“
Helge schaut mich entgeistert an.
„Ist nicht dein Ernst“, stammelt er.
„Doch, doch. Das hat richtig Laune gemacht. So habe ich bestimmt hundert Luxuskarossen veredelt. Irgendwann habe ich dann meine Technik verfeinert und habe noch tiefgefrorene kleine Garnelen in die Lüftung geschmissen. Die von Aldi. Die sind dann in der warmen Pisse schön aufgetaut und am nächsten Tag hatte der Fahrer von dem Auto ein herrliches Potpourri aus Urin und Fischgestank in seiner Karre. Geil, oder?“, erkläre ich ihm.
„Also ich weiß nicht,... “, will Helge antworten.
„Weißt du was? Wir gehen jetzt gleich mal raus und suchen uns so ein Auto, dem wir ein bisschen Persönlichkeit verleihen können“, unterbreche ich ihn und schütte mein Bier in einem Schluck hinunter.
„So, jetzt ist auch die Blase schön voll, dann kann es ja los gehen!“, fordere ich ihn beim Anorak anziehen auf.
„Nee, weißt du, ich bin hier in einer halben Stunde noch mit Kevin verabredet, den kennst du doch noch, oder?“, entschuldigt sich Helge.
„Ach so, ja denn mach es mal gut, Helge. Ich habe jetzt voll Bock auf Autos vollpissen. Aber sag das bloß nicht den Bullen, okay?“, sage ich mit gespielt verschwörerischem Gesichtsausdruck.
„Ja, ne, ich doch nicht, mach es dann mal gut“ Helge bleibt ein wenig fassungslos am Tresen zurück.
Als ich draußen bin, suche ich mir erstmal einen Baum an dem ich meine Blase entleeren kann. In Lüftungschlitze von Luxusautos habe ich noch nie gepinkelt und will auch heute nicht damit anfangen. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob dass irgendwelche Auswirkungen auf das Fahrgastzellenklima hätte. Plötzlich höre ich jemanden meinen Namen rufen. Schnell unterbreche ich mein kleines Geschäft am Baum und drehe mich um. Es ist Helge, der aus der Kneipentür stürmt.
„Ich will doch mitkommen.“