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Fallenlassen

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03.01.2011
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Fallenlassen

Wind peitscht mein Gesicht, meine Augen sind geschlossen. Eiskalter Regen treibt im Sturm vorbei und beißt mir in die Haut, macht mich steif, rast über meine Wangen. Die Luft raubt mir den Atem während ich im Wind treibe.
Er schlägt mich mit seinen stahlharten, samtweichen Fäusten, wirbelt mich umher, nimmt mich auf, lässt mich los, wirft mich herum. Er herrscht mit Gewalt über meinen Körper, doch er macht mich frei, denn er reißt mir all meine Masken vom Gesicht, zertrümmert den Fels in meinem Herzen.
Wild treibe ich hin und her, auf und ab, die Augen fest zusammengekniffen, in meiner eigenen Dunkelheit. Machtlos, Willenlos, taub und blind. Ich schreie vor Glück, der Wind packt meine Stimme, reißt sie an sich, trägt sie fort.
Mein ganzer Körper ist kalt, meine Adern transportieren Eis durch mich hindurch, nie fühlte ich mich klarer, nie lebendiger. Der Wind ist Licht, der Wind ist Leben, der Wind ist Eis. Ich bin Teil des Winds.
Ich öffne die Augen und lasse meinen Blick treiben wie meinen Körper. Stahlgraue dahinrasende Wolkenfetzen, drohende Gebirge aus schwarzen Sturmwolken, ein Himmel im Aufruhr über einer kahlen Landschaft, die sich weit unter mir erstreckt. Zwischen den tobenden Wolken und dem peitschenden Regen plötzlich ein goldener Blitz, ein kurzer Blick auf die untergehende Sonne. Der Himmel erstrahlt in einem grellen Gelb, kalt leuchten die Wolken auf.
Auf der Erde stehen die dürren Bäume nackt, schwarz, nass und strecken mir wütend ihre Zweige entgegen, aber sie können mich nicht erreichen. Ich treibe weit über ihnen in der Luft und kann sie ohne Furcht betrachten, denn sie sind fest im Boden verwurzelt. Sie können den Sturm nur spüren, sich nicht tragen lassen. Bitter schauen sie mir bei meinem Flug zu, sie begreifen ihn nicht. Sie verstehen den Sturm nicht, sie können ihn nur hassen. Für sie ist er ein Gegner, ein Feind der sie brechen kann, sie aus dem Boden reißt. Er kann ihnen einen kurzen Moment der Freiheit geben, doch sie fürchten diesen Moment. Er ist ihr Tod.
Ich habe gelernt mit dem Wind zu fliegen, mich dem Sturm zu schenken. Loszulassen, das Fallen zu genießen. Endloses Fliegen, endloses Fallenlassen, endlose Leichtigkeit. Ich bin kein Baum. Ich habe meine Krallen nicht in die Erde geschlagen.
Mit mächtigen Schlägen wirft mich der Wind umher, meine Arme und Beine wirbeln willenlos, die Welt dreht sich. Ich stürze in den Himmel, ich stürze auf die Erde, immer wieder tauschen beide die Plätze. Es ist vollkommenes Glück ohne Angst vor einem Sturz. Dunkle Wolken, goldenes Licht. Wilde Freiheit und Geborgenheit in perfekter Harmonie.
Plötzlich lässt der Regen nach. In der Ferne lösen sich die Wolken schon auf, geben den Blick frei auf die heranziehende, drohende Nacht. Der Wind wird schwächer. Seine Kraft ist fort, der Sturm lässt mich los und zieht weiter. Unerträglich schwer fühle ich mich, entsetzlich einsam. Fallengelassen, verzweifelt. Die Hilflosigkeit ist unerträglich, sie zerreißt mich, tobt in mir. Ich kann nur schreien, schreien und nach dem Wind schlagen. Ich schreie den Himmel an, schreie so laut ich nur kann, doch ich kann nichts ändern. Es macht mich rasend, frisst mich von innen auf.
Ich kann nichts tun, denn ich habe dem Sturm meine Seele anvertraut. Der Sturm ließ sie fallen.
Augenlos starren die schwarzen Bäume in den Himmel, recken sich mir entgegen um mich zu empfangen.
Mit einem Mal erfüllen ihre Krallenarme mich mit Entsetzen, ihr toter Blick lässt mich erstarren. Sie kommen immer näher, werden größer und größer.
Immer schneller stürze ich der Erde entgegen, der ich doch entronnen schien. Das Wasser auf meinen Lippen schmeckt bitter und salzig wie der Tod.
ne die Kraft des Sturms kann ich nicht fliegen. Ohne ihn werde ich auf der Erde zerschellen, an ihr zerbrechen. Schon bald wird nichts mehr an mich erinnern. Nur Bruchstücke, Splitter meines versteinerten Herzens werden im Gras liegen und langsam verwittern.
Die Bäume werden mein Blut trinken, ihre Wurzeln gierig mit mir erfüllen, mich ganz in sich aufnehmen. Schwarze Borke, eiskalt und hart. Augenlos, ohne Stimme. Erfüllt von Hass, erfüllt von grausamer Geduld. Erfüllt von nichts als böser Dunkelheit. Und mir.
Ich werde ausharren. Ich werde geduldiger sein als die Bäume.
Eines Tages wird ein neuer Sturm kommen.
Er wird die Bäume dahinfegen, wird sie zerbrechen, sie zertrümmern und mich befreien.
An die Erde gefesselt,doch ich träume vom Fliegen.

 

Hallo Maria,

danke für deine Rückmeldung. Ich habe mir lange überlegt in welche Rubrik diese Kurzgeschichte/ dieses Fragment passen würde. Nichts passt richtig. Schwarze Romantik vielleicht, aber das gibt es hier nicht.
Und du hast tatsächlich Recht, ohne die Hintergründe zu kennen, ist sie nur schwer zu durchblicken. Schade, dass sich das Gefühl beim Lesen bei dir nicht entwickelt.
Wie geht es denn den Anderen damit?

 

Hi Schattenseite,

ich finde das Gefühl das anfangs vermittelt wird genauso faszinierend wie du. Die großer Freiheit des Himmels und Grenzenlosigkeit der Natur waren auch für mich schon so manches mal zentrale Themen. Den Konflikt den du kreierst ist einer mit den Bäumen. Die sehen zwar düster und neidisch aus, aber sind sie die wahren Gegner. Ist es nicht eher das Denken was uns am Boden hält (siehe Konflikt Natur-Maschine in Homo Faber, Max Frisch) also unsere Einstellung. Wenn du diesen Gegner durch die Bäume symbolisieren wolltest würde ich darüber nachdenken, ob nicht ein anderer Gegenstand/Lebewesen besser geeignet wäre.
Falls es sich aber um eine reine Naturkraft-Geschichte handeln soll, dann verstehe ich deinen Ansatz besser. Meiner Meinung nach musst du dann aber wirklich aufpassen. Wörter wie "fallen gelassen" kommen bei dir sowohl im negativen Sinne als auch im postiven (Wind-Freiheit) vor. Damit kannst du dir die konstruierte Stimmung, die der Leser mit dem Wort verbindet, ganz leicht wieder zerstören. Und auch der Übergang von Sturm zu nicht-Sturm (sozusagen dein Haupteil) fällt eher kurz aus. Kämpft hier der kurzzeitige Rauschzustand gegen die Realität? Merkt der Flieger, dass sein "high" jetzt vorbei ist? Was empfindet ehr in dieser Situation? Enttäuschung, Reue weil er wieder gehofft hatte?

Hab meine Gedanken nur mal so schweifen lassen,

wahrscheinlich siehst du alles in einem anderen Licht :)

Grüße,

Nikonotiz

 

Hallo schattenseite!

Du malst ein Stimmungsbild von einem, der den Sturm mag und ihn braucht, um von der Erde loszukommen, weil er es aus eigener Kraft nicht kann. Er ist also auf Hilfe angewiesen.

Als Bild gefällts mir recht gut, ich fands nur zu breitgewalzt. Ja, er friert wohl, ja, da ist ein Sturm, aber wenn Eis durch Adern transportiert wird und solche Sachen, dann wirkts überladen und kraftlos, weil es einfach zuviel des Guten ist.

Und hier fehlt was:

Lippen schmeckt bitter und salzig wie der Tod.
ne die Kraft des Sturms kann ich nicht fliegen. Ohne ihn werde ich auf der Erde zerschellen, an ihr zerbrechen.

Bis bald!

yours

 

Hmm, tu mich schwer mit dem Text. Das ist alles sehr voll, starke Gefühle, versucht mit starken Wörtern zu beschreiben:

peitscht

Eiskalter

Sturm

beißt mir in die Haut

rast

…schon in den ersten beiden Sätzen.

Bei mir hindert das den Lesefluss. Ich mag es bei Kurzgeschichten mehr, wenn die Dinge leiser und über die Handlung transportiert werden. Ist aber sicherlich Geschmackssache!

Werd mal die Augen offen halten nach anderen Texten von Dir, vielleicht schmeckt mir ja nur dieser nicht.

Viele Grüße, T. Anin

 

Hallo,

danke für Eure ehrlichen Rückmeldungen. Gerade habe ich keine Muße genauer auf sie einzugehen, aber sie helfen mir auf jedenfalls weiter meine Geschichte einzuschätzen. Die Wirkung, die ich erzeugen wollte, scheint bei euch nicht gut angekommen zu sein und ich sollte mir überlegen, wie ich daran arbeite.

 

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